[Debatte-Grundeinkommen] Kritik an Busch

Nino David Jordan ninojordan at web.de
Do Jan 19 16:16:28 CET 2006


Ulrich Busch hat im November 2005 in UTOPIEkreativ folgenden Aufsatz
veröffentlicht: "Schlaraffenland – eine linke Utopie? Kritik des
Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens"
( http://www.linksnet.de/textsicht.php?id=2024#76 )
Katja Kipping und Ulrich Busch werden diesen Donnerstag öffentlich über
das Grundeinkommen diskutieren.
Hier meine zugegebenermaßen etwas flink zusammengeschriebene Kritik an
Busch's Aufsatz:

*Schlaraffenland oder Hungersnot? Wider die gefällige Kontrastierung.*

*Eine Antwort auf Ulrich Busch's Kritik am BGE^1 <#sdfootnote1sym>.*



Busch nimmt den Mythos vom Schlaraffenland als provokanten Aufhänger für
seine Abhandlung der Defizite des Grundeinkommens. Die Heranziehung
dieses Mythos dient ihm dazu, die Forderungen der
Grundeinkommensbefürworter ins Licht des visionären aber irrealen,
letzlich absurden, zu rücken und als “sozialromantische Utopie” zu
klassifizieren. Vornehmlich extreme Umverteilungsbeispiele heranziehend,
unterstellt er dem Grundeinkommen per se wirtschaftliche
Dysfunktionalität. Busch zeichnt die Kontraste zu scharf. Nicht ohne
Grund zieht er einen mittelalterlichen Mythos heran: Stammt dieser
Mythos doch aus einer Zeit des existentiell bedrohlichen Mangels, einer
Zeit, in der kaum auf eine arbeitsfähige Hand verzichtet werden konnte.
Diesem stellt er ein Szenario einer gewaltigen Umverteilung gegenüber,
einer Umverteilung welche angeblich die absolute Entkoppelung von Arbeit
und Einkommen bedeuten würde.

Eine solche, unter den gegeben Umständen, wirtschaftlich dysfunktionale
Umverteilung ist aber gar nicht nötig um den “Maulwurf”, der einst
vielleicht die Grundprinzipien des Kapitalismus unterhöhlen mag, in Gang
zu setzen.

Mit einiger Übertreibung schreibt Busch, dass ein Grundeinkommen
“jeglichen Zusammenhang zwischen Arbeit und Verbrauch” untergraben
würde. Dies aber ist nicht die Leistung um dessen Willen das
Grundeinkommen ein “Maulwurf” genannt werden kann. Wenn von der
Einführung eines Grundeinkommens geredet wird, so heißt dies zwar, dass
ein/e jede/r einen gleichen Betrag erhält, der das soziokulturelle, für
die gesellschaftliche Teilhabe notwendige, Minimum deckt. Mehr aber
zunächst nicht.

Busch führt an, “daß gegenwärtig 27,6 % aller Erwerbstätigen in
Deutschland [...] ein Erwerbseinkommen beziehen, das unterhalb der
Niedrigeinkommensschwelle liegt. Für sie wäre die Zahlung eines höheren
oder gleich hohen Grundeinkommens Grund genug, sich vom Arbeitsmarkt zu
verabschieden.” Ob dieser aberwitzigen Unterstellung möge man einen
Moment innehalten... Ist das Einkommen dieser Menschen so niedrig, weil
sie bereits gesättigt sind und gar nicht mehr verdienen wollen? Bilden
diese 27,6% gar eine neue asketische Schicht, welche die Jagd nach
Luxusgütern aus innerer Überzeugung eingestellt hat? Wenn ja, dann muss
Busch sicherlich Recht gegeben werden.

Busch schreibt, dass “eine noch so produktive und reiche Gesellschaft
auf Dauer nicht mehr verbrauchen [kann] als sie produziert”, und wirft
dem Grundeinkommen damit mangelnde Nachhaltigkeit vor. Sicherlich muss
die Höhe des Grundeinkommens zunächst so beschaffen sein, dass genug
Anreize zur Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums verbleiben.
Die Bedeutung dieser Anreize darf im Rahmen einer kapitalistischen
Weltwirtschaft sicherlich nicht ausgeblendet werden. Eben gerade deshalb
formuliert Phillippe Van Parijs, einer der prominentesten Vordenker des
Grundeinkommens, die Forderung nach einem Grundeinkommen auf dem
/höchsten noch nachhaltigen Niveau. /

Ein Grundeinkommen kann sicherlich nur dann realistisch gefordert
werden, wenn man auf einer Grundlegenden Prämisse aufbaut: Die meisten
Menschen wollen, sofern sie nicht die Not dazu treibt, entweder arbeiten
um sich selbst zu verwirklichen, oder um sich mehr Luxusgüter zu
verschaffen. Die Unterstellung, keiner würde mehr arbeiten wollen, wenn
die »Disziplin des Hungers« wegfalle, ist absurd. Sicher mag es sich mit
einigen so verhalten. Anderen aber würde ein Grundeinkommen den Ausweg
aus der Armutsfalle ermöglichen. Unter den jetzigen Umständen ist es oft
irrational arbeiten zu gehen, etwa dann, wenn einem ein Großteil des
Verdienstes auf das Arbeitslosengeld angerechnet wird. Auch
Existenzgründungen erweisen sich als schwierig, wenn nicht auf ein
laufendes Einkommen zurückgegriffen werden kann.

Busch meint, das die Verwirklichung des Prinzips “Jeder nach seinen
Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen”...die Entwicklung der
Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis” zur Vorraussetzung habe. Aber eben
die Erfahrung dieses Bedürfnisses nach tätiger Auseinandersetzung mit
der Umwelt kann schwerlich vor dem Hintergrund eines Zwangsverhältnisses
geschehen. Wahrscheinlicher ist es, dass unter den gegeben Umständen
dieses Bedürfnis im Rahmen einer individuellen Bewältigungsstrategie
vorgeschoben wird: Wenn ich schon muss, dann will ich wenigstens wollen.

Die weiterhin von ihm als Bedingung postulierte “Begrenzung des Konsums
auf ein vernünftiges Maß” lässt sich kaum vermeiden, wenn man die Höhe
des Grundeinkommens an die Rahmenbedingungen unseres Wirtschaftssystems
anpassen muss. Dass das Grundeinkommen äquivalent zur Forderung nach
einer “von der Arbeit befreiten Konsumgesellschaft” sei, ist unhaltbar,
da selbst ein Grundeinkommen von 1500 Euro immer noch vielen den Anreiz
zur Arbeit belassen würde. Und das unter anderem gerade auch, um mehr zu
konsumieren. Busch macht den Fehler so zu tun, als ob das Grundeinkommen
gleichzusetzen wäre mit einer Gesellschaft, in der allein auf den
Arbeitswillen der Menschen vertraut würde, alle aber ansonsten gleich
viel konsumieren dürften.

Er schreibt, dass ein universell angewendetes Grundeinkommen “ökonomisch
nicht tragfähig und finanziell nicht realisierbar” wäre. Natürlich wäre
es unmöglich, alle zu Grundeinkommensbeziehern zu machen, wenn in der
Folge niemand mehr arbeiten würde. Das dem so wäre ist allerdings
ausgesprochen unwahrscheinlich, zudem sich die Höhe des BGE an der
volkswirtschaftlichen Produktivität orientieren müßte. Ein Großteil von
Busch Argumentation ruht auf der Vorstellung, niemand würde arbeiten,
aber alle würden schlemmen. Ihren Ausrduck findet dies in von weit her
geholten Beispielen, wie etwa der konsequenten Umverteilung aller
Einkommensteile oberhalb des Durchschnittseinkommens über Steuern und
Beiträge zugunsten der Nichtarbeitenden. Diese Vorstellung hat aber
nichts mit dem mittelfristig zu verwirklichenden BGE zu tun, vielmehr
wird sie als gefälliger rethorischer Sparringpartner herangezogen.

Laut Busch passe das BGE nur zu einer Gesellschaft im Überfluss. Hiervon
könne bei Deutschland aber nicht ausgegangen werden. Die momentan
vorgenommen Umverteilungsleistung ist aber bereits gigantisch: 1997 lag
der Anteil der Erwerbstätigen in der Bevölkerung bei 43,6 %^2
<#sdfootnote2sym>.

Um die angeblich klaffende Finanzierungslücke für ein BGE auszumalen,
beziffert Busch die bei einer monatlichen BGE-Höhe von 1000 € pro Kopf
entstehenden Kosten mit 95,4 % des Gesamtbudget der öffentlichen
Haushalte. Zur Finanzierung Steuererhöhungen heranzuziehen lehnt er als
für die Zukunftsentwicklung kontraproduktiv ab. Hierbei blendet er
völlig aus, dass jede/r Grundeinkommen beziehen würde, der Staat ihr
oder ihm also auch dementsprechend wieder mehr abziehen könnte.
Letztlich würden die Ausgaben nicht viel höher sein, als bei einer
negativen Einkommenssteuer ohne Arbeitszwang.^3 <#sdfootnote3sym>
Weiterhin hält er es für unverantwortlich ein BGE einzuführen, wenn
nicht vorher die zu erwartenden ökonomischen Effekte, z.B. die damit
zunächst einherschreitende Inflation, hinreichend analysiert würden.
Dieser Gedanke mag sicherlich sehr vernünftig sein. Obwohl das
Grundeinkommen ein sehr einfaches und eben gerade dadurch so elegantes
Konzept ist, muss die Genauigkeit der Folgenabschätzung aber
zwangsläufig durch die Komplexität der Sache beschränkt sein. Hier
spielen einfach zu viele Faktoren mit rein, als dass die
Wirtschaftswissenschaft, deren Prognosen ohnehin allzu oft nicht
Bestätigung finden, diese vorab vollends ergründen könnte.

Busch's Alternative zum Grundeinkommen – die Aufwertung des Dritten
Sektors – , muss, eben aufgrund der von ihm selbst geschilderten
“Verwertungslogik des Kapitals, welche die gesellschaftliche
Reproduktion auf bestimmte Tätigkeiten reduziert, andere jedoch, obwohl
nicht weniger nützlich, aber ausschließt” wenn nicht als utopisch, so
doch als bedeutend komplizierter und administrativ aufwändiger in der
Umsetzung angesehen werden. Um Anleihen beim Neoliberalismus zu machen:
Wäre es nicht vielleicht effizienter, die hierfür notwendige Bürokratie
beiseite zu lassen und Raum für private Initiative zu schaffen?

Eine weitere von Busch aufgezeigte Alternative wäre die “Höhe des
Einkommens weniger von der individuellen und mehr von der
gesamtgesellschaftlichen Leistung abhängig” zu machen. Hier stellt sich
wieder die Frage, ob eine solche staatliche Regulierungsmaßnahme nicht
ebenfalls sehr viel komplizierter zu handhaben wäre, als schlicht ein
Grundeinkommen auszuzahlen.

Weiterhin kritisiert Busch die Idee des Grundeinkommens aufgund der
Tatsache, dass diesem keine gesellschaftliche Aktzeptanz entgegen komme.
Dies mag sicherlich ein valides strategisches Argument sein, wenn es
darum geht, verschieden Handlungsalternativen zu erwägen. Auf die Idee
des Grundeinkommens selbst kann dies kein Angriff sein. Aber
selbstverständlich tragen Beiträge wie der von Busch, auch wenn sie die
Debatte befruchten, nicht gerade dazu bei, die dem Grundeinkommen
entgegengebrachte Akzeptanz zu erhöhen.

Warum das Grundeinkommen aber wirklich als die kapitalistische
Gesellschaftsordnung untergrabender “Maulwurf” bezeichnet werden kann,
bleibt außerhalb der Reichweite von Buschs Aufsatz. Es ist insofern ein
“Maulwurf” als dass das BGE den Menschen die notwendige Basis geben
könnte, um, fernab privater oder staatlicher Zwangsverhältnisse,
ökonomische Akteure nach eigener Façon zu werden. Die Errichtung
selbstbestimmer, demokratischer Wirtschaftweisen von unten, die ohne ein
Grundeinkommen stets ein Wagnis darstellen und oft genug an der Härte
der Konkurrenz zerschellen mußten, würde durch ein BGE ermöglicht. Ob
die Menschen ein BGE dazu nutzen, das bliebe ihnen selbst überlassen.
Sollten sie es tun, so wäre dies der Keim einer friedlichen und
gemächlichen Revolution – in den Köpfen wie an den Maschinen.



Nino David Jordan 18.1.2006

Student der Politikwissenschaften an der Uni Bremen

mail at ninodavidjordan.de


1 <#sdfootnote1anc>UTOPIE kreativ, H. 181 (November 2005), S. 978-991 /
http://www.linksnet.de/textsicht.php?id=2024#76

2 <#sdfootnote2anc>http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm1998/p1490026.htm

3 <#sdfootnote3anc>Wobei die Höhe selbstverständlich immer noch nicht
abschätzbar ist, jedoch /de facto/ bedeutend niedriger als von Busch
veranschlagt.






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