[Debatte-Grundeinkommen] Erwiderung auf Thesen F. Hoffmanns; Anregung an Volkswirte und Sozialwissenschaftler

Matthias Dilthey info at psgd.info
Mi Aug 30 14:21:04 CEST 2006


Lieber Herr Hoffmann und Herr Jäger, hallo Liste,


ein BGE an fixen Zahlen festzumachen erachte ich als volkswirtschaftlich nicht 
tragbar.

Auf Dauer kann eine Volkswirtschaft nur das umverteilen, was auch 
erwirtschaftet wurde; alles Andere führt in´s Abseits.


Was spricht dagegen, das BGE dynamisch am durchschnittlichen 
Pro-Kopf-Einkommen festzumachen?
Diese Lösung bietet den Vorteil, daß das BGE sich automatisch an die 
Leistungsfähigkeit der Wirtschaft anpasst, einen automatischen 
Inflationsausgleich bietet und eventuelle negative BGE-Auswirkungen (Faulheit 
- Hängematte) mit einer BGE-Absenkung kompensiert.


Matthias Dilthey
30.09.06 ist Grundeinkommenstag!
http://www.grundeinkommenstag.org

Am Mittwoch, 30. August 2006 13:08 schrieb Klaus Jaeger:
> Lieber Florian Hoffmann,
> zu 1.
> die Gleichsetzung eines privaten Haushaltes mit einem Staatshaushalt ist
> unzulässig. Eine Volkswirtschaft , und das ist ja ein Staatshaushalt , ist
> kein privater Haushalt, der einen Startermin hat und ein Ende (mit dem
> Tode).Auch Unternehmenshaushalte können deshalb nicht mit einer
> Volkswirtschaft glöeich gesetzt werden. Eine Vokswirtschaft hat kein Ende
> und auch keinen Anfang; es gab sie schon bevor die Bundesrepublik
> Deutschland entstand; die Völker wirtschaften bereits seit undenklichen
> Zeiten.
>
> Sie argumentieren:
> "Ist es nicht vielmehr so, dass ich erst Geld einnehme und dann anfange zu
> rechnen, was ich mir davon leisten kann?" Der Staat als Volkswirt hat
> jedoch immer schon Einnahmen, bevor ein Privathaushalt oder ein
> Unternehmen Einnnahmen hat. Dies verdeutlicht den Unterschied von
> Privathaushalt  und Volkswirtschaft. Auch hat ein Staat Aufgaben, die ein
> Privathaushalt nicht hat, - gar nicht haben kann; eine Aufzählung erspare
> ich uns jetzt.
>
> zu 2. Die Berechnung der Höhe des Bedarfs in Währung ist - zugegeben -
> schwierig. Aber das geschieht ja bereits; das ALG 2, die Sozialhilfe
> usw. sind der Höhe nach berechnet worden, staatliche
> Institutionen berechneten den Bedarf / die Kosten zur Lebenshaltung von
> Singles, Familien, Rentnern, usw.  - auch wenn man diese Berechnungen
> kritisieren mag. (Was ich tue, denn sie gehen von viel zu niedrigem Bedarf
> aus.)
>
> Vielleicht gibt es ja hier in der Debatte einen oder mehrere
> Volkswirtschaftler, die bereit wären, den Versuch zu wagen, den
> BGE-Einkommensbedarf,  ermittelt aus prognostizierten Kosten für die
> Realisierung der Menschenrechte, unter Mitarbeit von Sozialwissenschaftler
>  zu errechnen? Klar, es müssen die Kosten in dem jeweiligen Land zur
> Anrechnung kommen, da wird es international sicher Unterschiede geben, aber
> wir könnten ja in Deutschland mal damit anfangen. Könnten wir nicht ein
> Team bilden, das sich dieser Aufgabe annimmt? Als Arbeitsgrundlage schlage
> ich hierfür den Text der Allg. Erklärung der Menschenrechte von 1948 vor.
> Den kann man auf den Seiten von amnesty international, wikipedia o. a.
> lesen.
>
> Ich stimme zu: Steuereinnahmen sollten zu einer Finanzierung des BGE
> herangezogen werden. Es handelt sich hier um eine Pflicht des Staates zum
> Schutz seiner Bevölkerung vor Auflösung der sozialen Ordnung.
>
> Einer wissenschaftlichen, unabhängigen Begleitung bei Einführung des BGE
> stimme ich ebenfalls zu.
>
> Zur Frage der Klugheit aus Erfahrung: die Erfahrung des Krieges hat bis
> heute noch die wenigsten Regierungen davon abgehalten, wieder Krieg zu
> führen. Die Niederlage in Vietnam hindert die USA nicht, es im Irak und
> anderswo wieder zu versuchen mit der Weltherrschaft.  
>
> Die Erfahrung zeigt auch, dass das Argument, es müsse den Unternehmen gut
> gehen, damit es den Menschen gut gehe, nicht stimmt. Seit 30 Jahren wird
> diese Litanei herunter gebetet, ja, beschworen. Und Regierungen handelten
> danach. Das  Ergebnis? Steigende Massenarbeitslosigkeit mit verheerenden
> sozialen Folgen, die die Einführung eines BGE unausweichlich machen.
> Richtig ist: Wenn es den Menschen gut geht, geht es auch den Unternehmen
> gut. Denn was sind sie anderes als abstrakte, juristische Gebilde?
>
> Mit einem freundlichen Tschüss! Klaus Jäger 
>  
>
>  
>
> -----Original Message-----
>
> > Date: Wed, 30 Aug 2006 10:37:40 +0200
> > Subject: AW: Zehn Thesen / Erwiderung zu Beitrag Klaus Jäger
> > From: "Florian Hoffmann" <florian.hoffmann at intereasy.de>
> > To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
>
> Lieber Klaus Jäger,
> das mit der Variabilität hast Du falsch verstanden. Das BGE würde in dem
> Maße variabel, wie die Steuereinnahmen des Staates schwanken, also im
> Prinzip immer nach oben, aber manchmal auch gebremst oder mal 1 % minus.
> Damit wären schon alle Extreme erfaßt. Die von Dir geforderte
> Planungsicherheit wäre also gegeben. Was Deiner Forderung nach Orientierung
> der BGE-Höhe am Finanzbedarf angeht, muß ich Dir leider widersprechen. Das
> ist ja die Diskussion, die die ganze Zeit schon geführt wird und die zu
> keinem Ende führen kann. Dazu zwei Argumente: 1. Jedermann hat einen
> Haushalt, d. h. einen Finanzhaushalt und muß Einnahmen mit Ausgaben zur
> Deckung bringen. Ganz vielen Leuten gelingt das ganz gut. Manchen weniger
> gut. Meine Bedüfnisse sind auch immer 120 % von meinem Einkommen, d. h.
> jeder muß sich nach seiner Decke strecken. Haushalten ist jedermanns Sache
> und Bestandteil einer Marktwirtschaft. Die in den Finanzhaushalten der
> Bürger (und des Staates für den Staatshaushalt) geforderte Intelligenz ist
> eine maßgebliche Ursache für die Effizienz der Marktwirtschaft; es ist die
> Intelligenz des Verbrauchers. 160 Millionen Augen sehen mehr! Welchen
> Finanzbedarf willst Du bei dieser Vielfalt zugrunde legen? Ist es nicht
> vielmehr so, dass ich erst Geld einnehme und dann anfange zu rechnen, was
> ich mir davon leisten kann? 2. Welchen Haushalt willst Du als Haushalt für
> die Menschenrechte zugrunde legen? Den in Berlin oder den im Thüringer
> Wald, den in Moskau oder den in Sibirien, den in Afghanistan oder den in
> Dubai, den des 4-Kinder-Haushalts, oder den Single-Haushalt, ..... Ich
> meine, das Scheitern der Beantwortung dieser Fragen ist unausweichlich.
> Finanzbedarfsrechnungen für andere gehen nicht. Man kann nur den eigenen
> Haushalt berechnen. Und das fordert schon Intelligenz genug. Deshalb: Laß
> uns einen Anteil an den staatlichen Steuereinnahmen nehmen und als BGE
> auschütten. Erst wenig, dann sukzessive mehr - je nach politischer
> Verträglichkeit. Mit dem Geld müssen wir dann eben zurecht kommen. Und: Es
> wird doch erst mal gar nichts weggenommen, das BGE kommt doch oben drauf!!!
> Was den sozialen Kontext angeht, so wäre ich für eine langesame Einführung
> mit wissenschaftlicher Begleitung: d. h. feststellen, wie die Leute
> reagieren und mit dieser Erkenntnis im politischen Raum operieren. Ex ante
> bringt nicht viel. Wir Menschen werden nur aus Erfahrung klug. Oder?
> Tschüss zurück!
> Florian Hoffmann
> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Klaus Jaeger [mailto:jaeger.moers at t-online.de]
> Gesendet: Dienstag, 29. August 2006 18:50
> An: Florian Hoffmann
> Cc: Debatte Grundeinkommen
> Betreff: Debatte-grundeinkommen / Zehn Thesen / Vorschlag zur Höhe des BGE
> gemessen an den Menschenrechten
>
> Lieber Florian Hoffmann,
>
> es ist erfreulich, einen neuen Ansatz in der Debatte zu finden.
>
> Sie schreiben unter Punkt 5:
> > 5. Eine Definition als Sozial-Dividende würde deren Höhe variabel
> > werden lassen, und zwar nach der gesamtwirtschaftlichen Leistung, bzw.
> > nach den Steuereinnahmen. Hohe Steuereinnahmen führen zu einer hohen
> > Ausschüttung, bei sinkenden Einnahmen gehen die Ausschüttungen zurück.
>
> Ich frage: wie sieht es denn dann mit der Planungssicherheit der Empfänger
> des BGE aus? Wenn die Höhe des Einkommens variabel ist - und auch abhängig
> von Faktoren, auf die Individuen oder Familien keinen Einfluß haben - dann
> haben die Empfänger gegebenenfalls - in einem "worst case" Szenario - NULL
> Einkommen als BGE. Wie können sie, die Empfänger, dann Planungen
> hinsichtlich ihrer Lebensführung vornehmen? Zumal nicht wenige erwerbslos
> sein werden.
>
> Ich schlage vor, die HÖHE des BGE an einem Finanzbedarf auszurichten, der
> sich an der Realisierung aller Menschenrechte, die für eine finanzielle
> Erfassung in Frage kommen, zu orientieren.
>
> Das ist selbstverständlich eine ziemlich diffizile Arbeit. Man muss sich
> nicht nur die Mietpreise, die Kosten für Strom, Telefon, Müll und so weiter
> anschauen, sondern auch:  was kosten Busfahrscheine?
> Vereinsmitgliedschaften, Bibliotheksausweise, oder Fortbildungen?  usw.
> usf. Diese Liste ist sicher unvollständig.
>
> Ich bitte also um Beantwortung meiner Fragen und ggf. eine Meinungsäußerung
> zu dem von mir vorgeschlagenen Prozedere der Berechnung der erforderlichen
> Höhe des BGE.
>
> Mit einem freundlichen Tschüss! Klaus Jäger
>
>
>
> Ich möchte anregen, die Diskussion ganzheitlich zu führen, also unter
> Berücksichtigung aller Aspekte sozialen Lebens, die ein Grundeinkommen, -
> bedingungslos oder nicht -  berührt: Finanzierung, Höhe, Verteilung,
> Bedingungen oder nicht, usw.
> Die Frage des Grundeinkommens - aus philosophischer und
> sozialwissenschaftlicher Sicht - berührt sowohl individuelle Leben als auch
> das Leben der Gesellschaft als ganzer. Deshalb ist es richtig, die
> Diskussion ganzheitlich zu führen. Das bedeutet, das BGE nicht isoliert,
> als Spezialfall zu behandeln, sondern das Problem der Teilhabemöglichkeiten
> am Leben in der Gesellschaft im sozialen Kontext zu behandeln. Es stellt
> sich doch bei der Frage der Finanzierbarkeit sofort die (nicht gerade neue,
> aber trotzdem aktuelle) Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit. 



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