[Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen / Zehn Thesen

j.behncke j.behncke at bln.de
Di Aug 29 19:58:04 CEST 2006


Lieber Florian, liebe Liste!

Mit dem Kindergeld hast Du den wunden Punkt getroffen. Mit nur wenigen
anderen Maßnahmen wird soviel Geld zum Fenster hinausgeschmissen wie mit dem
Kindergeld. Das ist das knock-out-Argument für das bedingungslose
Grundeinkommen.

Zur Begründung: Das Kindergeld wird bis zum 18. Lebensjahr in der Regel an
die Eltern ausgezahlt. Unabhängig von deren Einkommen. Ich selber habe zwei
Kinder ( versucht ) großzuziehen, mit der Weile "erwachsen" und habe alle
Kindergeldhöhen von gar nichts über 50,- DM bis zu 154,- EURO mit-
"genossen". Gar nichts hat mich nicht gehindert, eine Familie zu gründen.
Von 50,- DM habe ich uns ein Eis gekauft und erst ( in der Zeitschiene ) die
154,- € waren ein relevanter Faktor, da meine Kinder mit der Zeit studierten
und damit "teuer" wurden. Genau dies hat ja unsere neue schwarz-rote (
eigentlich rot-schwarze ) Regierung mit der Einführung des Elterngeldes für
Besserverdienende inklusive zwei Monate Wickelzuschlag für engagierte
Manager abgeschaftt ( nämlich Senkung der Altersgrenze von 27 auf 25 Jahre,
sofern in der Ausbildung ).

Das vernünftige Konzept an dieser Stelle ist: Infrastruktur, Infrastruktur,
Infrastruktur: Kostenlose Kindergärten, Vorschulerziehung, Schulmaterial,
Besuch von Schwimmbädern, öffentliche Verkehrsmittel und, und und ( später
natürlich Studieren ohne Studiengebühr: "Gebühr" ist schon ein
verräterischer Name, denn mit Gebühr hängt im Allgemeinen keine Leistung
zusammen, also auch nicht die Gestaltung einer attraktiven
Universitätsausbildung ).

Aber: das Kindergeld erhält nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes
jeder, ob er Ackermann heißt oder der Halbbruder von Gerhard Schröder ist.

Auch wenn das Verfassunggericht so entschieden hat, muß es so nicht sein.
Und damit spannne ich den Bogen zum Bedingungslosen Grundeinkommen: Was
bringt es, jedem - ob arm oder reich - das Geld zu zahlen? Man setzt nur
eine ungeheure Geldverteilungsmaschine damit in Gang, und es verpufft, wie
das Kindergeld, ohne die entsprechende Wirkung in der Breite. Ich weiß, daß
viele dagegen die Grundsätzlichkeit halten: Selbst ein Ackermann usw., aber
wem nützt das?.

Es macht aufgrund der viel größeren zu bewegenden Summen ( 82 Mio. mal BGE
Satz statt xx Mio. mal Grundsicherungssatz ) die Finanzierungsschwelle viel
höher und damit das Grundeinkommen allen Realisierungsversuchen gegenüber
extrem schwer, wenn nicht unmöglich, durchsetzbar.

Aber natürlich kann man sich auch für ein Bedingungsloses Grundeinkommen
einsetzen, wenn man es denn eh' nicht realisieren will.

Für mich ist und bleibt der wirkliche zentrale Punkt: Kein Zwang zur Arbeit.
Seit Luther und anderen kirchlichen Sozialethikern hängen wir dem Gedanken
der Arbeit hinterher, ein Gedanke, den die Kapitalisten dankbar am Beginn
des 19. Jahrhunderts aufgenommen haben: Seit 200 Jahren müssen alle
arbeiten, damit die Oberschicht es sich bequem machen kann ( die arbeitet
natürlich auch: ein Herr Ricke ca. 80 Stunden pro Woche, Reisezeiten
inklusive ). Und die breite Masse fällt darauf rein.

Kannn es sein, daß der Widerstand gegen ein Grundeinkommen so groß ist, weil
dadurch unendlich viele kreative Kräfte in der Gesellschaft frei werden, die
das bestehende System zersprengen könnten? Ich habe mal von einem Zitat von
Philippe van Parijs gehört, das Bedingungslose Grundeinkommen sei eine
Methode, den Kommunismus im Kapitalismus einzuführen. Interessanterweise
kennt ja das B.I.E.N auch nur 3 Kriterien: zur Höhe des Grundeinkommens sagt
van Parijs: "could be more, could be less".

Grüße
Joachim Behncke, Berlin


----- Original Message -----
From: "Florian Hoffmann" <florian.hoffmann at intereasy.de>
To: "Debatte Grundeinkommen"
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Tuesday, August 29, 2006 9:17 AM
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen / Zehn Thesen


>
> Liebe Listis,
>
> die Erkenntnissuche hat mittlerweile literarische Dimensionen angenommen,
> was ich sehr erbaulich finde, weil auch freie Geister zu Wort kommen. In
der
> Sache selbst bewegt sich aber nicht mehr viel, bzw. bewegt sich alles im
> Kreis, neue Disputanten ergehen sich - was sehr,
> sehr erfreulich ist! - in Begeisterung ob der tollen Idee "BGE".
>
> Im Januar diesen Jahres habe ich mit einem neuen Finanzierungsmodell
> (Einkommensteuer = BGE-Umlage für die Bürger; Umsatzsteuer = Einnahmen des
> Staates) eine intensive Diskussion losgetreten. Das wichtigste Ergebnis
der
> Diskussion ergab sich aus einer Mail von Strengmann-Kuhn, die ich - weil
sie
> so schön war - hier noch einmal wiedergeben möchte:
>
> "Lieber Herr Hoffmann, liebe MitstreiterInnen,
>
> ich finde auch, man sollte zumindest fuer interne Diskussionen nicht so
> dogmatisch mit den vier Kriterien umgehen. So sind viele Wege zu einem
> unbedingten Basiseinkommen im Sinne der vier Kriterien des Netzwerks
> möglich, auch wenn in Zwischenschritten nicht gleich alle Kriterien
erfuellt
> werden. Ein partielles Grundeinkommen (also ein Grundeinkommen unter dem
> Existenzminimum) ist dabei durchaus eine Moeglichkeit - allerdings muss es
> dann noch zusaetzlich eine existenzsichernde (bedarfsgeprüfte)
> Grundsicherung geben.
>
> Im uebrigen gehoert "existenzsichernd" bei B.I.E.N nicht zu den Kriterien!
>
> Die drei Kriterien bei BIEN sind:
> *      it is being paid to individuals rather than households;
> *      it is paid irrespective of any income from other sources;
> *      it is paid without requiring the performance of any work or the
> willingness to accept a job if offered.
>
> Schoene Gruesse
> Wolfgang Strengmann-Kuhn"
>
> Heute möchte ich eine neue Diskussion lostreten. Mein inneres Anliegen ist
> dabei, zu verhindern, dass eine Einführung des BGE an konzeptionellen
> Defekten politisch scheitert. Es geht darum, kritischen Einwänden von
vorne
> herein den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wesentliche Einwände sind z. B.
>
> - nicht finanzierbar
> - nicht durchsetzbar
> - ungerecht, warum soll jeder gleich viel bekommen?
> - die Leute hören auf zu arbeiten
> - nicht marktwirtschaftlich
> - die Menschen würden gravierend ihr Verhalten ändern; aber wie?
>
> Ich habe dazu zehn Thesen entwickelt, deren Plausibilität vielleicht sogar
> schon beim ersten Durchlesen gegeben ist:
>
> 1. Es gibt bei uns schon eine Art BGE, nämlich in Form des Kindergeldes.
> Ein richtiges BGE, nämlich bis zum Lebensende ausbezahlt, würde im Prinzip
> nicht viel anders funktionieren. Der Vergleich mit dem Kindergeld
eliminiert
> viele Gegenargumente a priori, weil schon alle Erfahrungen damit
haben!!!!!!
>
> 2. Genauso wenig wie das Kindergeld sich als Existenzminimum definiert,
> genau so wenig darf das BGE sich als Mindesteinkommen o. ä. definieren.
Mein
> Vorschlag dazu wäre, dass sich ein BGE als Sozial-Dividende definiert, als
> allgemeine Teilhabe am allgemeinen Wohlstand. Einkommen definiert sich
> eigentlich nie nach den Ausgaben (Wen interessieren meine Ausgaben bei
> meiner Rechnungsstellung?), sondern an der eingebrachten Leistung. Da es
> eine gesamtwirtschaftliche Leistung gibt, die sich nicht am Einzelnen
> festmachen läßt, oder die vom Einzelnen miterbracht wird, ohne daß er
dafür
> immer gerecht entlohnt würde, ist eine Sozial-Dividende gerechtfertigt und
> auch gerecht.
>
> 3. Das Kindergeld gibt Sicherheit, aber es führt keineswegs zu den von
> vielen befürchteten negativen Verhaltensmustern (Faulheit), oder zu
> dramatischen strukturellen Veränderungen des Wirtschaftlebens. (Ausnahme:
> Ausländer deren Einkommensniveau im Heimatland deutlich unter unserem
liegt,
> und die Kindergeld dazu nutzen, echtes Grund- und Zusatzeinkommen zu
> erzielen.) Aber: Auf die Dauer (nicht am Anfang) sollte ein BGE immer
> wesentlich höher liegen, als das Kindergeld. Der Wechsel vom Kindergeld
zum
> BGE sollte vielleicht im 16. oder 17. Lebensjahr erfolgen.
>
> 4. Das BGE, definiert als Teilhabe am allgemeinen Wohlstand
(Gerechtigkeit)
> und als Mittel, andere bürokratisch orgsanisierte Sozialinstitutionen zu
> ersetzen (Transparrenz, Vereinfachung), könnte alle politischen Lager
> befriedigen!
>
> 5. Eine Definition als Sozial-Dividende würde deren Höhe variabel werden
> lassen, und zwar nach der gesamtwirtschaftlichen Leistung, bzw. nach den
> Steuereinnahmen. Hohe Steuereinnahmen führen zu einer hohen Ausschüttung,
> bei sinkenden Einnahmen gehen die Ausschüttungen zurück.
>
> 6. Man sollte die Höhe der Ausschüttungen dynamisieren, d. h. an die
> Einnahmen aus der Einkommensteuer koppeln, d. h. die Sozial-Dividende
würde
> die allgemeine Entwicklung der persönlichen Einkommen wiederspiegeln: Sie
> erschiene der Höhe nach gerecht und sie reagiert auf grundlegende
> Verhaltensänderungen richtig, d. h. wenn die Leute wegen bedingt durch die
> Höhe der Ausschüttungen weniger arbeiten und verdienen, sinkt auch die
> Ausschüttung. Man könnte im System auf ein dynamisches Gleichgewicht
> hinarbeiten.
>
> 7. Mit einer so geschaffenen Gerechtigkeit wäre die - mit absoluter
> Sicherheit ergebnislos endende - Diskussion über die "richtige" Höhe einer
> Existenzsicherung vom Tisch.
>
> 8. Mit einer Sozial-Dividende (oder Sozialdividende, oder - ausschüttung)
> wäre geleichzeitig eine sukzessive Einführung (beginnend mit kleinen
> Beträgen) problemlos zu diskutieren. Damit könnte eine Einführung in der
> Weise geschehen, dass man Spezialregelungen (Bafög, Wohngeld, Hartz IV,
> etc.) langsam reduziert und die Ersparnis in den BGE-Topf einfließen läßt.
> Die absolute Höhe des BGE wäre dann keine politische Entscheidung. Sache
der
> Politik wäre die Entscheidung über die faktische Rate der Veränderung der
> bestehenden Sozialzuwendungen nach unten, mit der Folge der Entwicklung
des
> BGE nach oben.
>
> 9. Für dieses von mir vorgeschlagene Modell gilt auch, dass es nicht nur
> hier in unserem hochindustrialisierten Land, sondern weltweit und überall
> praktikabel wäre.
>
> 10. Auch das extrem wichtige Thema Finanzierbarkeit wäre vom Tisch, wenn
> man BGE nicht als Anspruch, sondern als Teilhabe verstünde.
>
>
> Ich meine, mit der Berücksichtigung dieser Thesen würde das BGE
> verständlicher und politisch leichter durchsetzbar - in Parteien aller
> Coleur.
>
> Florian Hoffmann
>
>
> _______________________________________________
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