[Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen / Zehn Thesen

Tobias Crefeld tc-wasg at onlinehome.de
Di Aug 29 13:33:16 CEST 2006


On Tue, 29 Aug 2006 09:17:14 +0200 "Florian Hoffmann"
<florian.hoffmann at intereasy.de> wrote:

> Liebe Listis,

Nein danke, lieber nicht.

> Im uebrigen gehoert "existenzsichernd" bei B.I.E.N nicht zu den
> Kriterien!
> 
> Die drei Kriterien bei BIEN sind:
> *      it is being paid to individuals rather than households;
> *      it is paid irrespective of any income from other sources;
> *      it is paid without requiring the performance of any work or the
> willingness to accept a job if offered.

Das ist dann wohl ein Mangel. Es wäre mal zu überprüfen, ob das als so
selbstverständlich angenommen wurde, dass es nur deshalb dort fehlt.
Außerhalb Deutschlands kommt das gelegentlich vor... ;)


> Ich habe dazu zehn Thesen entwickelt, deren Plausibilität vielleicht
> sogar schon beim ersten Durchlesen gegeben ist:

Zum Thema Kindergeld: Es ist nicht existenzsichernd für das Kind,
ergo müssen die Eltern zuschießen. Woher, wenn kein anderes Einkommen
existiert? Aus der Sozialhilfe. IIRC leben derzeit 10% der Kinder auf
diesem Niveau, also überproportional viele.

Die Logik mit den 'kindergeldabzockenden' Ausländern verstehe ich
nicht. Was hat das Lohnniveau in deren Heimatland mit dem
Finanzbedarf in Deutschland zu tun? 

Von ein paar Pendlern abgesehen, hat ein Ausländer in Deutschland
mindestens denselben Finanzbedarf wie ein Deutscher. Eigentlich sogar
mehr, wenn man bedenkt, dass zur Kontaktpflege in die Heimat sowie für
zusätzliche bürokratische und sonstige integrativ bedingte Aufwendungen
(Pass, Aufenthaltserlaubnis, Visa, Anerkennung von Zertifikaten,
Sprachschule) zusätzliche Mittel nötig sind. Ich kenne einige Leute,
die im Ausland leben und arbeiten und dort definitiv höhere Ausgaben
als ihre einheimischen Nachbarn und Kollegen haben.


Eine Frage, die diese Thesen völlig ausklammern, ist die Frage nach der
Existenzsicherung. Wenn eine Person vom BGE nicht leben kann, woher
soll sie dann ihren Unterhalt bestreiten? Diese Frage bleibt offen.

Einen Rückfall ins Mittelalter mit Bettlern auf der Straße, illegalen
Arbeitsverhältnissen, usw. kann wohl kaum unser Ziel sein. Also braucht
es doch wieder eine Form von Sozialhilfe, ALG-2, etc.. Ergo sind wir
wieder soweit wie heute, dass genau die Bürokratien zur Zuteilung
dieser Zusatzgelder benötigt werden, wie wir sie mit dem BGE eigentlich
vermeiden wollen. Hört sich ziemlich sinnlos an.


Thema Kopplung an "gesamtwirtschaftlichen Leistung, bzw. nach den
Steuereinnahmen".
 Diese Vermengung geht offenbar davon aus, dass das Steueraufkommen
einzig und allein von der Wirtschaftsleistung (eines Lands?) abhängt.
Das ist natürlich aus mindestens zwei Gründen nicht richtig:

Erstens, weil der Staat festlegt, wer wieviel Steuer zu zahlen
hat und damit mittelbar auf das Steueraufkommen Einfluss nimmt.

Zweitens, weil die Wirtschaftsleistung sich vielleicht an den
Ergebnissen der Unternehmen festmachen lässt, aber ganz gewiss keine
zwangsläufige Verknüpfung mit den Gehältern und damit wiederum
auf das Einkommenssteueraufkommen besitzt. Man benötigt also Steuern,
die tatsächlich an die Wirtschaftsleistung gebunden sind - kenne ich
nicht. Selbst unter Zuhilfenahme von Dingen wie Tobin- oder
Maschinensteuer wird sicher nicht alles an Wirtschaftsleistung
abgedeckt.

Anders formuliert: Um die politische Entscheidung, wo eine solide
Existenzsicherung anfängt, werden wir nie herum kommen. Das ist nun mal
Politik. Da gibt es keine Garantien. Möglicherweise wird man sogar am
Anfang unterschiedliche Höhen des BGE haben, um das Gefälle der
Lebenshaltungskosten von Süd nach Nord (und von West nach Ost) zu
kompensieren. Langfristig kann man sich natürlich überlegen, dass es
auch eine Form von angewandter Strukturförderung ist, wenn man das
Wohnen in billigen Gegenden durch gleiches BGE belohnt. Aber das sind
Detailfragen.


Ein nur am Rande (These 9) angesprochenes Thema ist die weltweite
Umsetzbarkeit. Das mag unter dem Aspekt fehlenden Existenzsicherung
richtig sein, führt aber in die Irre, weil es in entsprechend
strukturell unterentwickelten Ländern eine "Sozial-Dividende" wenig
über Null ergäbe, also de facto sinnlos ist.

Hier muss man vielleicht mal ganz klar sagen, dass eine Nation sich ein
BGE leisten können muss. Ein Kriterium dafür scheint mir die
weitgehende Sättigung des Binnenmarkts, geringes Bedürfnis nach
nationaler Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich sowie ein
Exportüberschuss zu sein, ich bin aber kein Wirtschaftsexperte. Für die
meisten (alten) EWG-Länder könnte das gelten, aber bereits bei
Schwellenländern des ehemaligen Ostblocks habe ich meine Zweifel. Bei
Ländern mit einem 'Importüberschuss' dürfte ein BGE zu mehr
wirtschaftlicher Abhängigkeit der Nation vom Ausland führen. In den
ganz armen Regionen haben wir ja mit Lebensmittelhilfen, etc. de facto
eine Art nicht-existenzsicherndes BGE und das führt nach allem was wir
heute wissen, hauptsächlich zu einer Schädigung des eigenen Markts,
also z.B. der Produktion von Nahrungsmitteln und Textilien, der
mitunter nur an einem nationalen Verteilproblem leidet.


> Ich meine, mit der Berücksichtigung dieser Thesen würde das BGE
> verständlicher und politisch leichter durchsetzbar - in Parteien aller
> Coleur.

Mag sein, aber letztlich ändert es strukturell nichts. 

Das erinnert ein wenig an die Diskussion um den Mindestlohn. Dort wird
auch argumentiert, dass man erstmal den Mindestlohn auf niedrigen Niveau
durchsetzen muss, um ihn dann später anzuheben. Das führt nun zu
Vorschlägen, die den Mindestlohn auf einem Niveau anzusiedeln, die
selbst bei Vollzeitstellen zu einer Unterschreitung der Grenze für nicht
pfändbares Einkommen und teilweise sogar zur Unterschreitung des
ALG-2-Niveaus führen. Das alles nur, um nicht die Öffentlichkeit mit
scheinbar zu hohen Beträgen zu schockieren.

Ich halte sowas für den Versuch einer bewussten Irreführung und das hat
noch nie funktioniert. "Das Volk" ist intelligenter als jeder einzelne
von uns, auch wenn einige gerne ihre mittelalterlichen Vorstellung des
'tumben Plebs' pflegen, besonders wenn sie selbst über umfangreiche
akademische Bildung verfügen.  


Gruß,
 Tobias.



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