[Debatte-Grundeinkommen] Übers Bürgergeld zur Revolution?

Tobias Crefeld tc-wasg at onlinehome.de
Fr Aug 18 02:19:31 CEST 2006


On Thu, 17 Aug 2006 10:58:14 +0200 "Manfred Bartl" <sozial at gmail.com>
wrote:

> Auch ich wundere mich über die Einseitigkeit der Debatte. Allerdings
> würde ich nicht so weit gehen, wie Peter von einer "Partei-Linie" zu
> sprechen - welche Partei sollte das sein? (Ich selbst bin bei der
> WASG.)

 Wenn es hier um irgendwelche anderen Listen geht, dann ist das kaum
sinnvoll hier zu diskutieren. Sorry, aber ich bin nun mal nicht mit
attac befasst.

So einseitig kommt mir die Debatte ja insgesamt nicht vor. Im Gegenteil
leidet sie gelegentlich rein fachlich gesehen unter einer fehlenden
gemeinsamen Terminologie. Dementsprechend wird fleißig aneinander
vorbei argumentiert, werden Elemente von Modellen separat betrachtet,
etc..

> Zwar würde ich sehr wohl behaupten, dass das Ulmer BGE, wenn es denn,
> wie Ihr auf Eurer Website schreibt, 1:1 von Althaus übernommen wurde,
> niedrig ist, denn bei 800 Euro MINUS 200 Euro für die
> Krankenversicherung bleibt (da die Miete auch in der Pauschale
> enthalten sein soll) weniger übrig, als der durchschnittliche
> Alg-II-Empfänger heute zugestanden bekommt!

Korrigiert mich, wenn ich mich irre, aber nach meinem Verständnis ist
das Ulmer Modell im Kern eine Berechnungsformel, die beschreiben soll,
welche Sozialtransferleistung welche Belastung generiert. Das heißt,
die Höhe der Leistung ist variabel und soll politisch festgelegt
werden.


> Dennoch muss klar sein, dass JEDES Bürgergeld-Modell uns dem BGE und
> der Gerechtigkeit näher bringt, denn der Kapitalismus ist am Ende und
> weiß es nur noch nicht und würde gerade mit einem niedrigen, Trotz und
> Unwillen und Revolutonsbereitschaft hervorrufenden Bürgergeld nicht
> nur seinen Untergang beschleunigen, nein, er würde seine Revolutionäre
> noch fürs Revoltieren bezahlen!

Kaum. Bislang gibt es eine sehr breite Mehrheit für eine Soziale
Marktwirtschaft und ich kann auch nicht erkennen, dass sich daran was
ändern würde. Selbst die FDP will nicht zurück zu den Ursprüngen des
Kapitalismus, sondern hauptsächlich die Interessen ihrer gut- bis
bestverdienenden Klientel wahren. Eine Revolution würde nicht nur eine
weitere Verarmung von vielleicht 20% unserer Bevölkerung erfordern, wie
sie aktuell abläuft, sondern die Verarmung einer Mehrheit unter
gleichzeitiger Beibehaltung wirtschaftsliberaler Prinzipien. Klingt
irgendwie alles nach einer Welt, die wir in der EU seit etlichen Jahren
hinter uns gelassen haben, auch wenn dies einige schizophrene
Feierabendrevoluzzer noch nicht ganz verarbeitet haben, die sich
ansonsten hier ganz wohl fühlen. 

Als die Wirtschaftsliberalen die "Zweidrittel-Gesellschaft" für sich
entdeckten, war dies durchaus in sich schlüssig mit der nur selten
öffentlich geäußerten Überlegung verbunden, dass es in einer Demokratie
ausreicht, wenn eine Politik die Mehrheit in einem Land bedient und
bekanntlich hat sich diese Meinung bereits Anfang der 90er bis hinein
in die SPD als die maßgebliche ausgebreitet. Die Grundlagen für diese
"Entdeckung" haben soziale Reformen wie die Etablierung der sozialen
Marktwirtschaft mit sich gebracht. Im Effekt entzieht das aber die
Grundlage für eine Revolution. Das war meines Wissens von Erhard und
anderen auch so beabsichtigt und das ist meiner Meinung auch gut so,
weil die meisten wirklichen Revolutionen einen hohen Preis hatten.

Ist also die Zweidrittelgesellschaft was Gutes? Die meisten hier werden
es verneinen, aber vielleicht haben nicht alle eine Begründung dafür
parat. In http://wwwuser.gwdg.de/~uwvw3/bs0506/Thema14.pdf wird sie
ganz gut als international relevantes Thema dargestellt. Dabei wird
auch auf den Begriff der Armut eingegangen, für die es Normen gibt, die
subjektiv nicht immer stimmen. 

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Tendenz zur Verarmung wegen der
damit verbundenen wirtschaftspolitisch kurzsichtigen und damit
fehlerhaften Weichenstellung eine immer breitere Bevölkerungsschicht
erfassen wird, ohne das dies irgendwann über geeignete Reformen
korrigiert würde, hat der moderne Kapitalismus doch ne Menge Techniken
entwickelt, um Armut unsichtbar zu machen, aber auch um die zugrunde
liegenden wirtschaftlichen Mechanismen zu kaschieren. Selbst gut
bezahlte Politiker sind ja kaum in der Lage, wirtschafts-, sozial- und
finanzpolitisch qualifiziert zu argumentieren und vertrauen ihre
Entscheidungen Fachleuten im Hintergrund an - von einzelnen
Ausrutschern wie "Wirtschaftweisen" und Hartz, die auch eine gewisse
Öffentlichkeit erreicht haben, mal abgesehen. Ist natürlich keiner so
ehrlich, dass zuzugeben, von Ausnahmen wie Kipping mal abgesehen. 

Die Fachleute selber sind hingegen durchaus politisch einseitig
festgelegt. Der mittlerweile verstorbenen Peter Glotz, der die
wirtschaftspolitische Programmatik und die Strategie der SPD lange Zeit
zumindest indirekt massgeblich mitbestimmte, war sicher einer, der
wusste, was er noch 2003 schrieb: 

 "Das aber bedeutet, dass die Hohlform der Zweidrittelgesellschaft
versteinert. Wir werden auf Dauer mit einer neuartig zusammengesetzten
Unterklasse leben müssen, die wissensintensive Jobs entweder nicht
bekommt oder, wegen der stark verdichteten Arbeit, nicht will. Das
Patentrezept „Mehr Wachstum = Weniger Arbeitslosigkeit“ geht in einer
wissens- und kapitalintensiven Gesellschaft nicht auf."
 ( http://www.zeit.de/2003/20/SPD )


Nein, eine Revolution und den ganzen damit verbundenen Krams wie eine
nie näher beschriebene "Überwindung des Kapitalismus" sollte man
getrost über Bord werfen, sonst wird das noch zum Selbstzweck. Unsere
Gesellschaft ist quasi revolutionsresistent geworden.

Was bleibt, ist ein Weg per Reformen und der Aufklärung. 

Ich denke oder sagen wir besser, ich hoffe, dass es gelingt, eine
Mehrheit in unserm Land davon zu überzeugen, dass die
Zweidrittelgesellschaft letztlich auf eine Art Sozialfaschismus
hinausläuft, in der eine kleine, reiche Minderheit sich der
Unterstützung einer Mehrheit bedient, um sich mit Hilfe moralischer
Rechtfertigungen und Bildern aus dem Freund-Feind-Repertoire im Stile
von "Faules Pack" eine mehr oder minder große Unterschicht als
bedarfsgerechte Verfügungsmasse zu halten. Dazu gehört natürlich eine
geeignete Propaganda, die der besagten Mehrheit die Migration in diese
Gesellschaft in mundgerechten Häppchen serviert.

 Oder um nochmal Dr. Glotz in seinen Forderungen an die Schröder-SPD zu
zitieren:
 "Dabei darf sie sich nicht einbilden, dass das dritte Drittel der
Gesellschaft durchweg Fleisch von ihrem Fleische sei. Dort gibt’s zwar
viele Menschen, vom kaputtgearbeiteten Facharbeiter bis zum schuldlos
gestrandeten 52-jährigen Abteilungsleiter, die die Solidarität der
ganzen Gesellschaft verdienen. Ein bestimmter Typus von
anachronistischem Linksliberalismus legt aber an die armen
Bevölkerungsgruppen gönnerhaft niedrigere moralische Maßstäbe an als an
andere Leute. Die politisch korrekte These lautet: „Alles Opfer.“"

Einen Diskussionsansatz sehe ich dabei in erster Linie bei der
Diskussion um das Bild, dass wir von uns und unseren Mitmenschen haben.
Das BGE ist dabei ein guter Aufhänger und tatsächlich geht es ja gerade
bei der Kritik aus den Gewerkschaften weniger um die Höhe der
Sozialtransferleistungen als um die Frage des Prinzips
"Bedingungslosigkeit" und damit erstens um die Frage des "Arbeitszwang"
und zweitens um die Frage der "Erwerbszentriertheit" unserer
derzeitigen Sozialsysteme. Insofern halte ich auch die philosophischen
Betrachtungen zu dieser Frage für wichtig - selbst wenn sie aus Ecken
kommen, die ansonsten eher neoliberaler Propaganda verdächtig sind.

Die andere Frage ist dann die der Finanzierung. Es mag in unserer
finanzorientierten Welt nahe liegen, dies zu thematisieren, zumal
Sozialisten sowieso immer der Ruch des "nicht-rechnen-könnens"
anhaftet, ist aber de facto überhaupt nicht in dem Masse planbar, wie
man das z.B. in einem Betrieb kann. Viele Vorschläge gehen zudem noch
statisch vor, d.h. sie definieren ein festgelegtes Ziel, ohne den Weg
dorthin zu kennen und ohne Wechselwirkungen auf dem Weg dorthin zu
berücksichtigen. Das ist an und für sich erstmal nicht schlimm, solange
es in der Diskussion Modelle bleiben, die der theoretischen Erprobung
dienen. 

Kritisch wird es allerdings, wenn diese Finanzierungsmodelle dann als
Argument für oder gegen ein BGE verwendet werden. Tatsächlich müssen
alle Sozialsysteme irgendwie finanziert werden und die Wechselwirkungen
zwischen der Frage der "Bedingungslosigkeit" und der resultierenden
Belastung ist noch kaum erforscht und vermutlich hat sich bislang auch
noch kein Kybernetiker damit auseinandergesetzt. Wenn heute mit exakten
Zahlen für Leistungen und Belastungen hantiert wird - meist sogar ohne
die Rahmenbedingungen zu nennen, dann suggeriert das in unseriöser
Weise ein Maß an Prognosegenauigkeit, das auf absehbare Zeit nicht im
Ansatz zu erreichen sein wird.

Eine vernünftige Strategie könnte sein, dass wir zunächst auf eine
Mehrheit hinarbeiten, die die Bedingungslosigkeit eines Grundeinkommens
aus egal welchen Gründen zu akzeptieren bereit ist, vorausgesetzt, die
Gesellschaft kann sich das leisten. 

Hier sitzen sicherlich noch eine Menge Gegner gerade in den
parteipolitisch eigenen Reihen, die man überzeugen muss, wenn die
Finanzierung eines solchen BGE eine "linke" Handschrift tragen soll.
Wobei ich unter "links" in diesem Zusammenhang verstehe, dass der Staat
nicht gleichzeitig seine politischen Steuerungsmöglichkeiten aufgibt,
wie das beim "Werner-Modell" ebenso wie beim FDP-Modell der Fall wäre.

Das bedeutet schliesslich nicht mehr oder weniger, als dass die 
Erwerbstätigkeit ihre scheinbar so zentrale Bedeutung im Leben eines
Menschen verliert. Tatsächlich haben wir heute schon eine breite
Allianz von Politikern, die z.B. steuerfinanzierte
Sozialversicherungssysteme für unabdingbar halten. Die Entkopplung der
Sozialtransfersysteme von der Erwerbstätigkeit durch ein BGE liegt also
durchaus im Fahrwasser einer Entkopplung der SV-Systeme.

Genauso wie man die Finanzierungsfrage von der Frage der
Bedingungslosigkeit zumindest initial abgelöst diskutieren sollte,
sollte man auch mit der Frage der Arbeitsmarktpolitik verfahren.
Natürlich wird es auch hier Wechselwirkungen geben, die zu untersuchen
es sich lohnt. Aber wir sollten uns auch hier hüten, mit gewünschten
Zusatzeffekten für das BGE in einer Form zu werben, die suggeriert, dass
mit dem BGE alle Arbeitsmarktprobleme erschlagen werden. 
Den Anspruch an den Arbeitsmarkt, jedem, der arbeiten will, auch eine
möglichst geeignete Arbeitsstelle zu bieten, darf deswegen nicht
aufgegeben werden, nur weil sich durch eine BGE der soziale und
psychische Druck auf den einzelnen reduziert. Das würde eine
Zweiteilung der Gesellschaft fördern, wie sie sicherlich interessierte
Kreise wollen (s.o.: Zweidrittelgesellschaft) , wenn sie von der
Unmöglichkeit der Vollbeschäftigung schwadronieren. 

 Im Klartext: Gesetzliche Arbeitszeitverkürzung muss auf die
Tagesordnung kommen. Da werden sich die Gewerkschaften noch deutlich
bewegen müssen und da ist Mindestlohn nur ein inhaltlich eher marginaler
Vorreiter. 


Gruß,
 Tobias.



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