[Debatte-Grundeinkommen] kreutz in "sozialismus" zum bge

Philipp Jacks philipp at jungdemokraten.org
Di Okt 25 19:10:58 CEST 2005



Hallo,

ich halte es für ein Gerücht bzw. eine Fehlinformation, dass Linke bzw. 
Marxisten ein Bedingungsloses Grundeinkommen ablehnen. Es sind vielmehr 
(traditionell-linke bzw. linksdogmatische) (Ex-)SPDler, (Ex-)Grüne und 
Jusos die sich dagegen aussprechen.

Ein m.E. prima linkes Konzept einer Sozialen Infrastruktur (dessen Teil 
ein Grundeinkommen wäre) hat die AG linksnetz (mit Joachim Hirsch) 
entwickelt:

http://www.links-netz.de/ -> Sozialpolitik als Infrastruktur

Des Weiteren wird das BGE als eine Reform im Sinne eines Radikalen 
Reformismus (siehe z.B. Joachim Hirsch oder Uli Brand) verstanden, der 
sich als Ziel setzt, die Welt zwar grundsätzlich aber durch Reformen zu 
verändern, da so u.a. die Gefahr einer Entrechtung und 
Entdemokratisierung nicht so stark gegeben ist.

Nun zu dem Kreutz-Artikel: Er ist hochgradig polemisch und die meisten 
Einwände sind nicht ernstzunehmen, da er sich aus der breiten Palette 
der Grundeinkommens-Positionen nur diejenigen Pappkameraden aussucht, 
die er gebrauchen kann. Vernünftige und/oder durchdachte Positionen 
werden ignoriert.

Ernstzunehmen ist die Kritik an der Vorstellung vom "Ende der 
Arbeitsgesellschaft" (die allerdings auch von den wenigsten 
BGE-BefürworterInnen vertreten wird).

Tatsache ist: immer mehr Arbeit kann von Maschinen übernommen werden. 
Deshalb ist das Recht auf Einkommen untrennbar mit einem Recht auf 
Arbeit zu verbinden. Dann wird nämlich das "Knappe Gut Erwerbsarbeit" 
(Kreutz) gleichmäßig auf alle die wollen (!) verteilt und eine Spaltung 
der Gesellschaft in wohlhabende Arbeitende einerseits und an der 
Armutsgrenze lebende Grundeinkommenabhängige andererseits verhindert, 
die Arbeitszeit würde sich "automatisch" verkürzen und die 
Arbeitsplatzqualität würde steigen - also genau das, was Daniel Kreutz 
als notwendige Veränderungen vorschlägt.

Ein weiterer enormer Vorteil eines BGE wird meist nicht genannt: 
Herrschaft beruht seit Jahrtausenden darauf, die Beherrschten (bzw. 
deren Interessen) zu spalten. Z.B. in Rentner, Jugendliche, Arbeitende, 
Studierende, Arbeitslose, Männer, Frauen usw. Die derzeitige Gestaltung 
des Sozialsystems führt dazu, dass es etliche voneinander unabhängige 
soziale Kämpfe gibt, die wenig effektiv sind und leicht zerschlagen bzw. 
ignoriert werden können. Bei einem Grundeinkommen könnte sich das 
HAUPTaugenmerk auf die Höhe (und die Bedingungen) des BGE konzentrieren.

Den von Kreutz beschworenen Interessenskonflikt zwischen denen die ein 
BGE fordern und denen die gegen Massenarbeitslosigkeit auf die Straße 
gehen existiert nicht wirklich. Ein BGE das  mit einem Recht auf Arbeit 
verbunden ist führt "automatisch" zu mehr (bzw. besser verteilter) 
Beschäftigung.

Der von Kreutz beschworene "verschwenderische bürokratische Aufwand" ist 
ein Null-Argument: die Verwaltung eines BGE könnte automatisch von einem 
Computer bewerkstelligt werden, die Steuern der Einzelnen werden nach 
wie vor über die Steuererklärung errechnet. Es ist also vielmehr die 
(wegen der ebenfalls von Kreutz verteidigten) bedarfabhängige 
Grundsicherung die enorme Bürokratie hervorruft und dementsprechend 
(Lohn-)Kosten verursacht.

Dass es einen Teil von *notwendiger* Arbeit gibt sieht Kreutz richtig, 
dies sieht auch die Mehrheit der BGE-BefürworterInnen so. Ob nach der 
Einführung eines BGE diese Arbeit durch höhere Löhne oder (falls das 
nicht funktioniert) mit wenigen Wochenstunden Pflichtarbeit gelöst wird, 
kann nur die praktische Erfahrung zeigen. Sie ist jedenfalls kein 
Argument gegen das Grundeinkommen.

Zuletzt bleibt zu sagen: wenn die BGE-KritikerInnen mit dem derzeitigen 
System der Sozialselektion und der beitragsbasierten 
Sozialversicherungen nur halb so stark ins Gericht gehen würden wie mit 
dem Konzept des BGE, würde ich mich sehr freuen.

Das heisst nicht, dass das BGE ohne weiteres einzuführen ist. Ohne eine 
breite gesellschaftliche Diskussion, bei der die Knackpunkte 
ausdiskutiert werden, wird es vermutlich (evtl. nicht von anfang an aber 
kurz danach) ein Grundeinkommen unter der Armutsgrenze, mit Arbeitszwang 
und allem anderen was wir nicht wollen geben.

Hier eine erste Beta-Version meiner Magisterarbeit über "Allgemeine 
Grundsicherung": http://www.phija.net/magister.pdf

Herzliche Grüße aus Kölle,
Philipp






Ralf Bindel schrieb:

> hallo,
> 
> werner rätz hatte den beitrag von daniel kreutz schon in die liste 
> gepostet. hier aber wegen meiner anfrage auf antwort auf diese polemik 
> der beitrag noch mal zur ansicht.
> 
> wir hatten gestern in bochum auch christoph butterwegge zu gast, der die 
> diskussion um bge in der alternativen linken auch für eher 
> kontraproduktiv hält. nahezu alle soziologen, sozialwissenschaftler und 
> wirtschaftswissenschaftler bzw. interessierte mit marxistischem 
> hintergrund lehnen das bge und jegliche diskussion darüber schlicht ab. 
> sie befürchten eine weitere spaltung der linken und befürworten eine 
> eher reformorientierte debatte. auch dass unternehmerprof götz werner 
> die position der grundeinkommensbefürworter medienbeherrschend 
> übernimmt, wird mit großer skepsis gesehen. schlagkräftigstes arguemt 
> gegen das bge bleibt immer noch die technische realisierbarkeit, sprich 
> finanzierbarkeit. butterwegge sprach gestern von einem bge von ca. 400 
> euro/monat und einem etat von 600 mrd. euro/jahr bei einem jetzigen 
> bundesetat von 300 mrd. euro inkl. kompletter infrastruktur (wenn ich 
> mich recht an seine zahlen erinnere). wie gesagt, an den linken bzw. 
> marxistischen schreibtischen herrscht einmütige ablehnung. da die wasg 
> wohl eine deutlich positive positionierung einer zukünftigen gemeinsamen 
> linkspartei erreichen möchte, gibt es auch unwillkommenen streit mit der 
> pds über das bge.
> 
> deswegen fände ich es schön, auf die typischen argumente der linken um 
> kreutz, butterwegge und co. eindeutige antworten zu finden. vielliecht 
> macht sich ja jemand die mühe?
> 
> schöne grüße,
> 
> ralf
> 
> 
> ------------------------------------------------------------------------
> 
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