[Debatte-Grundeinkommen] Frage zur Abwesenheit eines Arbeitszwangs
Werner Schumacher
schumacher.marburg at freenet.de
Di Nov 29 18:58:47 CET 2005
Lieber Herr Westphal,
>Diese Form von "eingebunden sein" empfinde ich als sehr verständlich und
>natürlich. Jedes Kind wird mit vielerlei solcher "Verträge" konfrontiert und
>begreift sie anstandslos. Es besteht keine Notwendigkeit, Bürger in ein
>Schlaraffenland zu versetzen, das sie ohne Gegenleistung mit allem
>Lebensnotwendigen versorgt.
>
>
Damit sprechen Sie eines der grundlegendsten Probleme an, die in der
Diskussion um das GE immer wieder reflektiert werden. Wer sich aber die
Mühe macht, die Konsequenzen eines GE durchzurechnen, wird festellen,
dass Ihre Meinung eher eine Art Vormeinung ist, das ist eine Meinung
über einen empirisch nicht verifizierten Sachverhalt. Früher nannte man
so etwas Vorurteile, aber auch Vorurteile sind Urteile, die wie jedes
andere Urteil vor einem anderen Urteil kommen müssen, denn zu welchem
Urteil wäre man fähig, gäbe es keine Urteile vor einem Urteil...?
Aber darauf kommt es nicht an!
Zunächst gilt tatsächlich, dass nirgendwo in der Gesellschaft
Erfahrungen über ein GE vorliegen, entsprechend sind alle Überlegungen
hinsichtlich des Nutzens, Schadens, aber auch alle Überlegungen die
Finanzierung betreffend, die Konsequenzen und Auswirkungen, erwünschte
und nicht erwünschte Nebeneffekte, all das sind Spekulationen, nichts
von alledem ist tatsächlich empirisch gesichtert, alles beruht auf
Annahmen, Vormeinungen, Behauptungen, Glaubensgrundsätzen; die
Funktionsweise eines GE ist empirisch nicht nachvollziehbar, was ja
nicht bedeutet, dass ein GE deshalb zu verwerfen wäre; und insofern es
sich so verhält sind alle Argumente berechtigt, also auch Ihre Meinung,
die besagt, ein GE führe gleichsam zu unnatürlichen sozialen
Erfahrungen. Sie haben völlig recht: "Es besteht keine Notwendigkeit,
Bürger in ein Schlaraffenland zu versetzen" und niemand will das oder
wäre überhaupt dazu in der Lage. Ich vermute, es wird eher das
passieren, was Stanislaw Lem in seinem satirischen Zukunftsroman "Der
Futurologen-Kongreß" erzählt, wo der Weltraum-Münchhausen Ion Tichy in
der Zukunft erwacht und sich zunächst in paradiesischen Zuständen
wiederfindet, aber mit der Zeit bemerkt, dass alles auf einem großen
Schwindel beruht; die schöne neue Welt der Zukunft demaskiert sich für
ihn und zeigt eine häßliche, traurige und unmenschliche Fratze.
Solange wir glauben, das GE sei eine Lösung sozialer Probleme, wird
genau das geschehen, was Ion Tichy vorfindet - eine bunte Gesellschaft,
die über sich selbst unvollständig informiert ist.
Erst wenn wir verstehen, dass mit einem GE die wirklichen Probleme des
Menschseins und der Gesellschaft in Erfahrung gebracht werden können,
wenn also erst die entscheidenden Problemerfahrungsprozesse angestoßen
werden, dann ahnen wir, welche Arbeit, welche Mühe, welche Entsagungen
und Einschränkungen wir hinzunehmen haben werden. Ich behaupte: Das GE
wird uns helfen zu erkennen, wie schlecht es um unsere Kentnisse das
wirkliche Leben betreffend bestellt ist.
Das GE wird uns in den Vorhof der Hölle führen; und wenn ich die AKWs
sehe, die Müllberge vor unseren Städten, die Verseuchung und Vergiftung
von Mensch und Natur, dann wird es Zeit zu begreifen, dass wir dort auch
hingehören.
Mit besten Grüßen
Werner Schumacher
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