[Debatte-Grundeinkommen] Frage zur Abwesenheit eines Arbeitszwangs

Bernd Kowarsch bernd at abnuto.de
Di Nov 29 17:21:06 CET 2005


----- Original Message -----
From: "Ralf Westphal" <ralfw at ralfw.de>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Sunday, November 27, 2005 2:08 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Frage zur Abwesenheit eines
Arbeitszwangs

Hallo Ralf

>Vielen Dank an die Liste für die Antworten auf meine Frage nach dem
>Grund für eine Abwesenheit eines Arbeitszwangs.
>Ich hatte angenommen, es gäbe eine klare, harte "ideologische" Begrün-
>dung - aber dem scheint nicht so zu sein. Interessant... aber positiv ;-)

>Denn ich meine, die Abwesenheit eines Arbeitszwangs widerspricht der
>conditio humana: Menschen definieren sich durch das Feedback, das sie
>auf ihre Entscheidungen bekommen.

Nicht jeder Entscheidung entspricht ein bewußtes Feedback. Es gibt da
eine gewisse Schwelle, die überschritten werden muß, damit etwas ins
Bewußtsein dringt.

>Wenn ich mich entscheide, nicht mehr zu atmen, wird mir sehr unwohl
>und ich sterbe. Das ist das extremste Feedback. Wenn ich mehr Geld
>ausgebe, als ich habe, dann kann ich mir im nächsten Monat nichts
>mehr leisten. Ein Feedback, das mich überlegen lässt, ob ich eher
>zufrieden bin mit dem, was ich habe - oder eben mehr arbeiten sollte.

Daran ändert das beG (bedingungsloses existenzsicherndes Grundein-
kommen) nichts.

>Wenn ich aber letztlich alles tun kann, ohne dass mein grundlegend
>materielles Überleben - das BGE - gefährdet ist, dann ist das kein
>Feedback. Oder es ist ein Feedback das destruktiv auf den mensch-
>lichen Geist bzw. seine Seele wirkt. Es ist sozusagen eine "Reizde-
>privation".

Es ist nicht so, daß das beG ermöglicht, 'alles zu tun'. Das beG ist
nicht vergleichbar dem Fehlen von Wasseruhren, welches einen unkon-
trolliert steigenden Verbrauch zur Folge haben kann, sondern das beG
ist per Definition dazu gedacht, am Monatsende aufgebraucht zu sein,
dh. es nötigt zu recht sparsamer Lebenshaltung. Unbegrenzt belastba-
re Konten existieren, mit bekannten Folgen, am anderen Ende der
Pyramide.

>Aus der Gnade eines göttlichen Wesens mag ich nicht fallen können,
>egal was ich tue. Aber für das irdische Leben scheinen mir Leistung
>und Gegenleistung untrennbar verbunden. Für die Leistung BGE sehe
>ich jedoch keine Gegenleistung, die durch die Bürger zu erbringen
>wäre.
>...
>Ich halte eine Gegenleistung, eine Pflicht dem Gemeinwesen gegenüber,
>das mir das BGE ermöglicht, für konstruktiver und intuitiver. Die Gesell-
schaft gibt mir das Recht auf ein BGE - daraus entsteht eine Pflicht zu
>einer gewissen, angemessenen Leistung gegenüber der Gesellschaft.
>Wer nicht auf das BGE verzichten will oder kann, muss sie erbringen.
>Wer darauf verzichtet, wird von ihr befreit.

Die Achtung vor dem Eigentum anderer fällt nicht vom Himmel. Obdach-
losigkeit ist ein Problem der inneren Sicherheit.
Je größer der Nutzen, den einer aus Gesetzen zu ziehen vermag, desto
kleiner das Verständnis dafür, daß, solchen Gesetzen gemäß sich zu
verhalten Anstrengung erfordert, Leistung ist von jenen, welche die
gleichen Gesetze als Einschränkung empfinden.

>Diese Form von "eingebunden sein" empfinde ich als sehr verständlich
>und natürlich. Jedes Kind wird mit vielerlei solcher "Verträge" kon-
>frontiert und begreift sie anstandslos. Es besteht keine Notwendig-
>keit, Bürger in ein Schlaraffenland zu versetzen, das sie ohne Gegen-
>leistung mit allem Lebensnotwendigen versorgt.

Das Fehlen von Wasseruhren führt zu vermehrtem Verbrauch. Damit nicht
vergleichbar ist ein zwar bedingungsloses aber eben bloß die Existenz
sicherndes Grundeinkommen. Vergleichbar ist dies einem für alle gleich
großen Kontingent an Wasser, welches jedeR für sich verbrauchen kann.

>Wer teil einer Gemeinschaft ist, soll das auch bewusst erleben. Ein
>Weg dahin ist einen Gegenleistung für eine Leistung der Gemeinschaft.

Die Politik weiß, das jene, die materielle Ungleichheit mehrenden Tenden-
zen, bekämpft werden müssen, da in den Extremen von Armut und Reich-
tum rechtsfreie Räume unvermeidlich sind, statt dessen aber fördert sie
diese Ungleichheit geradezu. (Dazu: W. Kersting: Jean Jacques Rousseaus
Gesellschaftsvertrag, Darmstadt, 2002, S 155. Auch: M. Forschner, Über
das Handeln im Einklang mit der Natur, Darmstadt, 1998, S.) (*)

>Strom kommt aus der Steckdose, Fleisch aus dem Supermarkt und Geld von
>der Bank: das sind fatale "Entfremdungen" von den Prozessen in der Welt,
>die zu Gleichgültigkeit und damit letztlich zu einer Gefährdung eben dieser
>Welt führen. Denn wo Gleichgültigkeit in Bezug auf ein System herrscht, da
>ist der Keim zu seinem Verfall gelegt, denn niemand achtet mehr darauf;
alles
>scheint ja immer irgendwie zu laufen; so war es immer schon, warum sollte
es
>anders sein; was ist denn auch mein Anteil am Ganzen?

Verfall, Entfremdung, Gleichgültigkeit erleben wir in der heutigen
Gesellschaft
unübersehbar. Es ist dies die Welt ohne den bedingungslosen Anspruch auf die
Existenzmittel, die Welt in der jedeR einzeln für sich und gegen die anderen
kämpft, Besitztümer anhäuft und sich irgendwie durchwurschtelt, 'zur Sicher-
heit', wie er meint, obwohl wirkliche Sicherheit nur eine auf Kooperation
set-
zende Gemeinschaft garantieren kann.
Das beG war noch nie, aber erst wenn es ist, können Menschen sich ihrer
wirklichen Aufgaben bewußt werden. Erst ein Mindestmaß an Selbstbestim-
mung führt zu Verantwortungsbewußtsein. Solange wie genötigt sind, jeden
Job ungefragt anzunehmen, solange sind wir ohnmächtig.

>Entfremdung des Einzelnen vom System, das das BGE ermöglicht, ist
>entgegenzuwirken. Über eine gewisse Pflicht für den Empfang des BGE
>kann das erreicht werden.
>Aus meiner Sicht ist es keine Frage, ob es eine "Zwangsarbeit" für das
>BGE geben sollte - sondern welcher Art und welchen Umfangs sie sein
>sollte.

Genau, im Gegensatz zum Superreichen, von dem sicher niemand auch
nur irgendwas verlangen wird, haben die Unterschichtler schon
Zwangsarbeit zu leisten. Weiter so!
aber Du schriebst ja oben bereits:
"Wer nicht auf das BGE verzichten will oder kann, muss sie [angemes-
senen Leistung gegenüber der Gesellschaft] erbringen. Wer darauf ver-
zichtet, wird von ihr befreit."
Also: wer arm ist, hat Pech, wer reich ist, ist ein guter Mensch.
Oder so, oder wie?

MfG
b

(*)
http://file2.carookee.de/forum/Grundeinkommen/file/674980/Silas%20Bernd;%20p
aX%20-%20partei%20f%FCr%20absolutes%20eXistenzrecht.pdf?d
S. 27.. 'civil disobedience'




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