[Debatte-Grundeinkommen] Frage zur Abwesenheit eines Arbeitszwangs

zippi zippi7 at gmx.de
Do Nov 24 20:52:51 CET 2005


Hallo Herr Dilthey,


Am 24.11.2005 um 05:55 schrieb Matthias Dilthey:

> Am Mittwoch, 23. November 2005 19:57 schrieb zippi:
>> Dem kann ich nicht zustimmen. Maschinen fallen nicht vom Himmel und
>> reproduzieren sich nicht selbst. Sie müssen erdacht, konstruiert,
>> weiterentwickelt (immaterielle Wertschöpfung) und aus gewonnenem
>> Material, das transportiert wird, zusammengebaut werden und zum 
>> Zielort
>> transportiert werden (materielle Wertschöpfung).
> ==================
>
> Ihr Einwand ist doch ojektiv falsch. Sie können erdenken, 
> transportieren,
> machen tun und werkeln, soviel Sie möchten. Werthaltig wird Ihre 
> Arbeit erst,
> wenn Sie Geld dafür bekommen.

Ich gebe zu, dass ich vielleicht Wertschöpfung und Wertschaffung 
vermengt habe. Andererseits, der malende Künstler schöpft schon aus 
vorhandenen Werten um neue zu schaffen. Ich verfolge einen nicht rein 
monetären Ansatz.

> Beispiel 1:
> Ein Bauer pflegt das ganze Jahr seine Felder, ackert, säht, düngt. Er 
> arbeitet
> objektiv viel. Kurz vor der Ernte vernichtet ein Sturm die Früchte 
> seiner
> Arbeit. Er hat viel gearbeitet, aber keinerlei Wertschöpfung erzielt.

In diesem Beispiel hat die Natur (ganz objektiv) erschaffene Werte 
vernichtet, wobei die Natur auch selbst einen Großteil der 
Wertschaffung erbracht hat. Kann der Bauer seine Ernte verkaufen, 
eignet er sich teilweise von der Natur erbrachte Wertschöpfung an.

> Beispiel 2:
> Ein Kunst-Maler malt ein Bild, das nicht verkäuflich ist. Er hat viel
> gearbeitet, sich Gedanken gemacht und mit viel Können die Farbe auf die
> Leinwand aufgebracht.
> Dennoch hat er keine Wertschöpfung betrieben, das Bild seht nutzlos in 
> der
> Ecke. Völlig veramt stirbt dieser Künstler nun.
> Der Erbe entdeckt diese verstaube Bild und bringt dieses Bild zu einer
> Gallerie, wo dieses Bild zu hohem Preis verkauft wird.
> Der Erbe hat nichts gearbeitet, hat aber eine hohe Wertschöfung 
> erzielt.

Der Künstler hat einen potentiellen Wert erschaffen. Es fand sogar eine 
monetäre Wertschöpfung statt, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt 
(ähnlich ist das auch bei Bildung). Das der Erbe ohne Arbeit 
profitiert, liegt an der Konstitution des auf Privateigentum und 
Familienbande beruhenden bürgerlichen Rechtsstaates, dafür kann der 
Erbe nichts. Der Künstler hat Pech gehabt, da der durch ihn geschaffene 
Wert zu seinen Lebzeiten von der Gesellschaft nicht als Wert anerkannt 
wurde. Nur haben sich vielleicht auch viele Leute am Anblick des Bildes 
erfreut (und damit einen persönlichen Nutzenzuwachs gehabt), er hat es 
jedem Besucher immer gern gezeigt, konnten oder wollten dem armen Mann 
aber keine Entlohnung zukommen lassen.


> Beispiel 3:
> Vor Jahren habe ich ein Zündsystem für Otto-Motore entwickelt und habe 
> dies
> zum Patent anmelden. Diese Entwicklung hat mich zwei schweißtreibende 
> Jahre
> mit viel Arbeit und Geldeinsatz gekostet.
> Meine Patentanmeldung wurde abgelehnt, weil ein großer Zulieferer diese
> Entwicklung wenige Tage früher als ich angemeldet hatte.
>
> Ich habe viel gearbeitet, aber keinerlei Wertschöpfung betrieben.

Dies Beispiel zeigt sehr schön, dass das kummulierte gesellschaftliche 
Wissen einen hohen Anteil an Erfindungen ausmacht. Wem "gehört" es nun, 
das angehäufte Wissen aus hunderten von Jahren woraus neues Wissen 
entsteht oder auch das von der Natur abgeschaute Wissen? Wer darf es 
monetarisieren? Vielleicht haben Sie aber auch ein winziges Detail 
anders gestaltet, was es in hundert Jahren erlaubt, ihr System in einen 
biomechanischen Prozess zu integrieren, und der Wert ihrer Arbeit 
ermöglicht eine heute ungeahnte Wertschöpfung.


> Daß das BIP als Maß der Wertschöpfung nicht so richtig geeignet ist, 
> steht
> außer Frage. In das BIP fließt vieles mit ein, das objektiv keine Werte
> darstellt, jedoch volkswirtschaftlich schon relevant sein kann, z.B.
> Klingeltöne für´s Handy.

Die Klingeltöne müssen ja für die Konsumenten einen Nutzen oder 
ideellen Wert haben, sonst liessen sie sich nicht monetarisieren. Ist 
etwas, das für Einzelne einen Nutzenzuwachs bringt kein objektiver 
Wert?


> Es bleibt aber auch vieles draußen, was Wert darstellt. Z.B. der
> Hobby-Handwerker, der sein Dachgeschoß ausbaut.
> Jedoch ist das BIP nicht eine Werte-Bilanz, sondern ist 
> definitionsgemäß Maß
> der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung. Von daher hat das BIP schon 
> seine
> Berechtigung.

Hier liegt ja das Grundübel, dass nur monetarisierbares als 
volkswirtschaftliche Leistung angesehen wird, mit der Folge, dass auch 
die Politik falschen Signalen folgt.


>> Erbringt eine Maschine nach "Abschreibung" noch Wertschöpfung, heisst
>> das genau genommen, dass sie nicht vollständig bezahlt wurde.
>
> ===========
>
> Sie vermengen auf volkswirtschaftlich unzulässige Art und Weise den
> Wertebestand mit Zu- und Abflüssen.
> Die Wertschöpfung durch die Maschine besteht aus 2 Komponenten: Teil 1 
> besteht
> im Bau, Verkauf und Bezahlung der Maschine selbst.
> Teil 2 besteht in der Wertschöpfung der durch die Maschine gefertigten
> Produkte. Das eine hat mit dem Anderen nicht das Geringste zu tun.
>
> Was ich meinte, soll folgendes Beispiel verdeutlichen:
> Eine Sekretärin betreibt selbständig ein Schreibbüro. Sie arbeitet mit 
> einer
> herkömmlichen Schreibmaschine und wird vom Auftraggeber nach 
> geschriebenen
> Seiten bezahlt.Sie arbeitet wie eine Wilde und schreibt am Tag 500 
> Seiten und
> wird dafür mit z.B. 100,-- Euro entlohnt.
> Ihre Wertschöpfung beträgt somit ebendiese 100,-- Euro.

ok, allerdings sind die Produzenten (Erfinder, Materialförderer, 
Zusammenbauer, Transporteure etc.) der Schreibmaschine zu einem nicht 
unwesentlichen Teil an dieser Wertschöpfung beteiligt. Aber nehmen wir 
mal an, diese war so teuer, dass die Sekretärin jeden Tag 70 Euro 
abführt. Die Produzenten bekommen ihren Anteil an der Wertschöpfung. 
Andernfalls nehmen sie ihr die Schreibmaschine weg, die Sekretärin 
schafft weniger Seiten und erhält nur 30 Euro.


> Nun kauft sie sich einen PC mit Textprogramm und Drucker, macht sich 
> einen
> relativ lockeren Tag und schafft aber dank des Automaten 1000 Seiten.
> Dafür wird sie nun mit 200,-- Euro entlohnt.
> Ihre Arbeit wurde weniger, aber ihre Wertschöpfung hat sich von 100,-- 
> auf
> 200,-- Euro verdoppelt.

Die Maschine erbringt jetzt eine höhere Wertschöpfung (genauer der 
Input der Sekretärin mit Hilfe der Maschine). Die Maschine kann 
allerdings nur Werte schöpfen, durch die in ihr enthaltenen Werte, die 
die Produzenten eingebracht haben. Alle von der Maschine erbrachten 
Leistungen gehen ursächlich auf die Wertschaffung der Produzenten 
zurück. Die Produzenten haben aber nur einmalig 1000 Euro bekommen. Sie 
fordern nun ihren Anteil an der durch sie möglichen Wertschöpfung, 
würde dieser doch ausreichen, ihnen den Lebensunterhalt zu sichern. Die 
Sekretärin bangt um ihr nun höheres Einkommen und weigert sich. Die 
Gerichte, die sie selbst mit erschaffen hat, geben ihr Recht. Unsere 
Produzenten müssen nun immer mehr Maschinen verkaufen um nicht zu 
verhungern, dabei wissen sie längst nicht mehr, wer die alle noch 
kaufen soll. Drum ändern sie von Zeit zu Zeit ein kleines Detail. 
Dadurch werden die Maschinen effizienter, nur leider bekommen unsere 
Produzenten trotzdem nur 1000 Euro, da immer mehr Menschen auch 
Maschinen verkaufen müssen, um zu leben.


> In der nächsten Stufe liefert ihr Auftraggeber die Daten per DFÜ. Die
> Sekretärin arbeitet überhaupt nichts mehr, der Automat macht noch 
> immer 1000
> Seiten, die Entlohnung beträgt weiterhin 200,-- Euro.
> Die Arbeit der Sekretärin geht gegen -NULL-, die Wertschöpfung beträgt
> weiterhin 200,-- Euro.

Die Sekretärin freut sich über ihre neu gewonnene Freiheit und streicht 
den Mehrwert (also alle Wertschöpfung, die sie nicht in Form des 
Kaufpreises bezahlt hat, da ja die Maschine für sie so viel mehr an 
Wert hat) ein. Zwar weis sie, dass sie ohne die Produzenten ihrer 
Maschine und den Datensammlern nicht so ein schönes Leben führen 
könnte, aber sie tröstet sich damit, dass sie ja auch den Erbauern 
ihres von dem Geld, das sie nun angehäuft hat, gekauften Hauses, aus 
dem sie Mieteinnahmen bezieht und den Kaufpreis längst bezahlt hat, 
kein Geld gibt. Manchmal denkt sie, dass den Produzenten und Erbauern 
etwas von dem Geld zusteht, ihre regelmäßigen Einkünfte hätte sie ja 
sonst nicht, aber die Gerichte geben ihr ja Recht.

Dies ist stark simplifiziert, soll aber auch nur die Grundzüge unserer 
Wirtschaftsweise verbildlichen.

Zu den beiden letzten Absätzen: Microsoft hat das erkannt, und strebt 
an, in Zukunft seine Software nur noch zu vermieten, nach Möglichkeit 
über das Internet. D.h. die Nutzer zahlen nach Nutzungsdauer.


>> Es ist vielmehr so, das für die für die Reproduktion des erreichten
>> (materiellen) Wohlstands gesellschaftlich notwendige Arbeit immer
>> weniger Menschen benötigt werden. Sie könnten sich also bei 
>> gesichertem
>> Lebensunterhalt anderen Betätigungen zuwenden (die wohl in vielen
>> Fällen auch einen Wert schaffen).
> =============
> Damit bestätigen Sie doch meine Auffassung, daß Arbeit keinen Wert 
> schafft.
> Sie sagen doch deutlich, daß auch ohne menschliche Arbeit Wertschöpfung
> erfolgt.

Nein. Ich sage nur, dass für die Bereitstellung und 
Produktionsbegleitung von Maschinen weniger Menschen benötigt werden 
als für manuelle Tätigkeiten.


> Jetzt ist es doch gerade Ziel des BGE, den Menschen an der maschinellen
> Wertschöpfung Teilhabe zu geben, damit sie sich anderen Betätigungen 
> zuwenden
> können, ohne auf Biegen und Brechen den monetären Nutzen beachten zu 
> müssen.

Da stimme ich Ihnen voll zu, auch deckt sich das mit meiner 
Argumentationslinie. Nur dass ich sage, hinter der maschinellen 
Wertschöpfung verstecken sich andere Werte. Ich habe den Eindruck (und 
hoffe) wir debattieren hier auch nur um Begriffe und nicht um 
Deutungshoheit.

> Von daher ist es einfch nur folgerichtigt, das BGE über eine
> Sozialumsatzsteuer (all-Phasen-Brutto) zu finanzieren. Denn nur diese 
> Steuer
> spiegelt die Wertschöpfung verzerrungsfrei.

Wahrscheinlich liegen Ihr Modell und meine Idee einer "Mehrwertsteuer" 
gar nicht so weit auseinander.

viele Grüße
matthias




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