[Debatte-Grundeinkommen] Antwort auf Helmut Pelzer

j.behncke j.behncke at bln.de
Do Nov 24 18:20:18 CET 2005


Lieber Ingmar, liebe Liste!

Ja, man muß wohl experimentieren. Die Einführung von Hartz IV hat gezeigt,
wie dramatisch man sich verschätzen kann.

Als Experimentierstätte bietet sich Berlin an: 250.000 ALG II Empfänger, ca.
500.000 Menschen, die von Transferleistungen leben, in einer 3,4 Mio. Stadt.
Besonders die starke kreative Scene in der Stadt würde vom Grundeinkommen
profitieren und neue Kräfte würden freigesetzt werden. Ich möchte an dieser
Stelle den Sozialwissenschaftler Friedhelm Hengsbach zitieren: Es geht nicht
um die Abschaffung von Arbeit, sondern um einen neuen, dreifach definierten
Arbeitsbegriff: Erwerbsarbeit, private Betreuungsarbeit und
zivilgesellschaftliches Engagement. Alle drei Formen des "Arbeitsvermögens"
gilt es fair zu verteilen. Ein Grundeinkommen ist die Basis für dieses
Verständnis von Arbeitsvermögen bei gleichzeitiger Existenzsicherung.

Warum also nicht Berlin? Die Stadt ist ohnehin pleite und ist eine der
billigsten, wenn nicht die billigste Stadt zum Leben in Europa.
Grüße

Joachim Behncke
Arbeitskreis Grundsicherung/Grundeinkommen Bündnis90/DieGrüne, Berlin

P.S.: Unserem Berliner Finanzsenator Sarrazin würde ich ein doppeltes
Grundeinkommen bieten, wenn er freiwillig seinen Job aufgibt. Der Mensch muß
ja Anreize haben!

P.S.S.: Die Vorsitzende der neuen Technokratenregierung, Frau Merkel, hat
erklärt, sie wolle sich an der Verringerung der Arbeitslosigkeit messen
lassen ( Zahlen werden vorsichtshalber nicht genannt ). Ich kenne  ( außer
dürftigen Senkungen von Lohnnebenkosten, die bekanntermaßen eine notwendige,
aber keine hinreichende Bedingung für mehr Beschäftigung sind ) noch keinen
einzigen Vorschlag, der zu diesem Ziel führten könnte.


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: ingmar.kumpmann at gmx.de <ingmar.kumpmann at gmx.de>
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Cc: helmut.pelzer at uni-ulm.de <helmut.pelzer at uni-ulm.de>
Datum: Donnerstag, 24. November 2005 10:23
Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] Antwort auf Helmut Pelzer


>Lieber Herr Pelzer,
>
>über Ihren Kommentar zu meinem Text über das Grundeinkommen habe ich mich
>sehr gefreut.
>
>Ein Grundeinkommen sollte existenzsichernd sein, auch wenn der Begriff der
>Existenzsicherung nur mit Willkür definierbar ist. Ich würde jedoch immer
>auch ein noch höheres Grundeinkommen befürworten, sofern es denn
>finanzierbar ist. Die Frage der Finanzierbarkeit ist deshalb auch für
>Bestimmung der Höhe des GE wichtig.
>
>Vielleicht gibt es am ehesten zwischen uns einen Meinungsunterschied in der
>Einschätzung, wie ein GE die Leistungsbereitschaft der Menschen im
>Erwerbsprozess beeinflusst und dadurch auf seine eigene
>Finanzierungsgrundlage wirkt. Wir können zwar prinzipiell mögliche negative
>und positive Wirkungen benennen. Aber wie groß diese bei Einführung eines
GE
>tatsächlich ausfallen würden, wissen wir einfach nicht. Erst eine
>schrittweise experimentelle Einführung eines Grundeinkommens würde dazu
>führen, dass wir zu dessen Finanzierbarkeit Erfahrungen sammeln können.
>
>Die Finanzierung des GE beruht darauf, dass Menschen zur Produktion
>beitragen - mit Arbeit, aber auch mit Kapital, unternehmerischem Engagement
>und Ausbildungsanstrengung. Dies geschieht aus verschiedenen Motiven, eines
>der Motive sind vorhandene finanzielle Anreize. Mit einem GE würden diese
>finanziellen Anreize geringer werden. Zum einen bedeutet es, dass Menschen
>Einkommen erhalten auch ohne zur Produktion beizutragen. Zum anderen müssen
>zur Finanzierung die Einkünfte aus einem Engagement in der Produktion höher
>besteuert werden, sodass sich das geleistete Engagement in der Produktion
>finanziell weniger auszahlt. Beides ist nicht unbedingt negativ zu
>beurteilen, wird jedoch die Höhe der Produktion und damit die
>Finanzierungsgrundlage des GE eher verkleinern. Wie stark der Effekt sein
>wird, kann man jedoch im Voraus nicht wissen.
>
>Oft wird die Erwartung geäußert, durch das GE werde es zu sinkenden Löhnen
>kommen. Für die einen ist dies eine Hoffnung, für die anderen eine
>Befürchtung. Eine solche Lohnsenkung ist jedoch äußerst zweifelhaft. Denn
>die Möglichkeit, auch ohne Erwerbsarbeit ein Auskommen zu haben, erhöht die
>Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer/innen. Wenn Erwerbsarbeit für den
>Einzelnen nicht mehr überlebensnotwendig ist, dann werden sich vermutlich
>einige Menschen aus dem Erwerbsleben ganz oder teilweise zurückziehen.
>Infolgedessen werden Arbeitskräfte knapper und die Unternehmen müssen ihnen
>eventuell sogar höhere Löhne bieten.
>
>Ich hoffe, wir bleiben zu diesen Fragen in Kontakt.
>
>Mit besten Grüßen
>Ingmar Kumpmann
>_______________________________________________
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>JPBerlin - Politischer Provider
>Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen
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