[Debatte-Grundeinkommen] Mindestlohn

Peter Voss vossp at tdcadsl.dk
So Mai 1 12:02:55 CEST 2005


Sehr geehrter Herr Dr. Behnke,

danke für Ihre relativ umfassende Antwort. Dadurch wird es ja geradezu nutzbringend zu diskutieren, wenn da etwas auf den Tisch kommt, wozu man sich verhalten kann, und wenn die Positionen nicht von vorherein festgefahren sind.

Ich weiss nicht, ob ich mich undeutlich ausdrückte wegen des Mindeststundenlohns; auf jeden Fall muss ich noch einmal versuchen, meinen Standpunkt zu verdeutlichen, und dass kann sehr umfassend werden.

Also, Markt soll nur da sein, wo es zwischen zwei Partnern ( Firmen ) etwas zu verhandeln gibt.
    Deshalb begrænse ich den Arbeitsmarkt nach unten hin mit einem zufriedenstellenden Mindestlohn, (in Deutschland könnte ich mir etwa  6 ? vorstellen, in DK müsste er bei über 10 bis 12 ? liegen); darunter haben wir es nur mit einem Ausbeutungsvorgang zu tun. Bekanntermassen hängen Arbeit und arm(sein) ethymologisch zusammen aber auch real, denn wer arm ist muss arbeiten, und deshalb lässt sich der Arme ausbeuten. Dem gilt es entgegenzuwirken.

Wenn wir am Markt zwei Unternehmen haben: ein kapitalstarkes sowie ein kapitalschwaches, dann haben wir z.B. auch keine recht freies Verhandeln zwischen ihnen.
Deshalb haben wir auch keinen wirklich freien Markt, weil ganz vieles eben nach Kapitalstärke abläuft; deshalb auch die vielen Supermergers, um sich in die vorteilhaftestede Stärkeposition hineinzusteigern. Das wäre  ein anderes Verständnis vom freien Markt, als wir es gemeinhin haben. 
 
Wenn ich von einem BGE für alle - und das auch noch altersgestaffelt - spreche, dann meine ich, dass es gerne so hoch sein muss, dass man auch als geistiger Mensch nicht geistig verhungern muss, aber auch, dass das Leben  für Andere ohne Arbeit keine Plage, sondern zu einer Herausfordering für Versuche, das Leben neu zu gestalten, zu verstehen ist.

Einmal scheiden sich die Wege, ob wir überhaupt ein BGE haben müssen oder nicht. 
Der von Strengmann am 29. Apris ins Netz gelegte Artikel "Kritik am Netzwerk" aus einer Zeitschrift "Jungle World" verhöhnt mit den gleichen Nichtargumenten wie die dänsichen Sozialdemokraten sowohl die Anhänger als auch das Konzept des BGE, indem man ironisierend feststellt, dass man das BGE in der Form von ALG II schon vom Staat geschenkt erhalten habe, dass dann auch noch als unkonditionierter Minimallohn zur Garantie des Überlebens "gefeiert wird und als anscheinende Freiheit als Verfügung des Souverän lächerlich gemacht wird. Gleichzeitig akzeptiert man aber auch, dass die Ausnahmesituation der letzten Jahrzehnte mit Vollbeschäftigung sicher zu Ende sei und im Zusammenhang damit sähe man den Wunsch einen Niedriglohnsektor (z.B. via 1?-Jobs) zu schaffen.

Genau das mit dem Niedriglohnsektor ist anzunehmen und dem wäre entgegenzuwirken, weil das wahrscheinlich jegliche Möglichkeit einen Staat unserer Art obenzuhalten ausschliessen dürfte. Man würde den Firmen ermöglichen auf der faulen Haut liegen zu bleiben und nicht Ihr Konkurrenzpotential durch Automatisierung und Robotterisierung oder in die Investerierung in Wissen und Marketing zu schärfen. Das Interesse hochkvalifizierter ausländischer Firmen in einen Markt zu investieren, in dem man nicht mehr viel verkaufen kann, müsste auch abnehmen über die Zeit.

Ein zweiter Aspekt ist, dass es in keiner Weise gerechtfertigt ist, Menschen, die direkt im Service für andere Menschen arbeiten, einen allzu kleinen Lohn aufzudrücken; dann bringt's nämlich keinen Spass, für andere oder auch reiche Leut' zu arbeiten. 

Um den Spass geht es denn ja auch, wenn man die Leute durch Aktivierung im Gange zu halten versucht. Die Leute sollen garnicht erst auf den Gedanken oder den Geschmack kommen, dass Freiheit von Arbeit auch Spass machen kann. Eigentlich müssten sie es wissen, weil sie es doch sind, die die Berichte über das "angenehme" Leben der Reichen in den Wochenzeitschriften verschlingen. 

Es dürfte einfach einzusehen sein, dass ein niedriges BGE (oder ALG II) den Wunsch, eine Arbeit zu bekommen, ganz automatisch in Gang hält, weil es ganz einfach stinkelangweilig ist bzw. sein muss, wenn man zwar einen Garten hat, aber kein Geld, um sich Legekartoffeln  oder Saatgut zu kaufen, obwohl das später zu Vorteilen und Entlastungen des Haushaltsbudgetts führen würde. - Auf der anderen Seite ist es auch klar, dass ein hohes BGE es den Menschen leichter macht, sich ohne Arbeit zurechtzufinden und eine dumme oder schlecht bezahlte Arbeit auszuschlagen.

Die Folge eines hohen BGE's würde es sein, dass man anscheinend auf einen Mindestlohn verzichten könnte. Dem ist aber nicht so! Es würde in einer sehr langen Übergangszeit sehr viele Menschen geben, die auf der Basis einer ungenügende Ausbildung b.z.w. Bildung und fehlgeleiteten Vorstellungen nichts mit sich selber anfangen können, ausser sich in der Rolle des Verbrauchers zu sehen. Dazu bedarf es jedoch Geldes. Und Plunder kann man für wenig Geld erstehen: also könnte man auch für Löhne, schwarze Löhne zumal, weit unterhalb eines vernünftigen bzw. zufriedenstellenden Mindestlohn Arbeit annehmen. Dies hilft aber den Unbemittelten in keiner Weise, sondern nur den Bemittelten.

Als Exkurs: Leute auf Überlebensniveau und ohne Aussicht auf Verbesserungen, also Langzeitarbeitslose, Menschen ohne Arbeitseignung etwa wegen körperlicher Schwächen werden sich in der Regel weder konzeptionell, gesundheitlich oder geistig entwickeln können, eher umgekehrt - und dies wird der Gesellschaft sehr, sehr teuer zu stehen kommen. Aber dann kann man die Menschen natürlich auch noch abkoppeln von den Versicherungen und draufgehen lassen, wie man es ja anderenorts besehen kann in sowohl vor- als auch  nachindustiellen Gesellschaften. Zurück zum Hauptgedanken!


Ein BGE ist natürlich nur durch Steuereinnahmen zu finanzieren. Um das BGE herum herrschen viele Vorstellungen und Patentrezepte. Von der AllphasenVerbrauchs- oder Mehrwertsteuer, über eine reine Konsumsteuer bis hin zu einem Modell, wo gar keine
Steuern bezahlt werden sollen. ( so verstehe ich den hier im Forum sehr auffälligen Goldring).

Der Verbrauch kann z. B. in die umgebenden Nachbarländer oder in den Internethandel verlegt werden. Dann müsste man hierum einen neuen Kontroll- und Verwaltungsapparat aufbauen an Stelle des arbeitsmarktorientierten. Also kein Gewinn. Einkäufe im Ausland würden von den ausländischen Geschäften via Busgesellschaften organisiert zu Null Reisekosten. Im Norden Deutschland und in den Dänemark kennt man das ja als Butter- und Alkohol-und Tabaktourismus im ganz grossen Stil. Also wird man nicht auf die Lohnsteuern  als Finanzierungquelle verzichten können.

Damit jedoch die Grundlage für Steuereinnahmen im BGE-bezahlenden Lande (hier im Forum - Deutschland), die von nichtflüchtiger Natur sein müssten, gegeben sind, dürfen die Löhne nicht ins Bodenlose sinken, was sie bei der Natur sowohl der freien Märkte (der wilde Liberalismus) und des Kapitalismus' (grösstmöglichster Verdienst pr eingesetzter Geldeinheit) der Fall werden würde. 

Zur Lohnsteuer muss sich die eine differenzierte Mehrwertsteuer legen (Nur ein Exempel: für unbehandelte auf biodynamaschem Anbau 5% bin hin zu den stark behandelten oder sogar  GMO-Produkten vielleicht ganze 100 bis 200 %  oder hoher Fettgehalt = hohe MwSt. Vielleicht könnte die durchschnittliche MwSt dann gering ausfallen.)  

Beide Steuern zusammen müssten dann auch ein stark vereinfachtes, staatsfinanzierte Gesundheitswesen, Pflege- und Altersversorgungs-programm mitfinanzieren. Im Augenblick buttert man sicher mehr 25 % vom Budgett  dieser drei Bereiche weg in Transaktionskosten wegen der übergrossen Verwaltung auf beiden Seiten: den Versicherungs- und Institutionsseiten.

Andere nichtmobile Steuerobjekte sind Liegenschaften, Immobilien, Firmenumsätze. 
Ausgaben, die unnotwendig sind, dürften die meisten Subventionen sein. Dann gibt es noch den Einnahmeverzicht: durch unnötige Steuerabzüge und gewisse Abschreibungen und Kapitalherabsetzungen. Hierbei denke ich nicht eigentlich daran, die Firmen zu bestrafen (ich selbst hätte auch liebendgern eine Firma gestartet, falls mein Rücken mich nicht zu häufig am Arbeiten verhinderte), aber es geht mir darum, dass die Firmen nicht durch die obengenannten Hilfen verhåtschelt werden, sondern dass sie zum Nutzen der Allgemeinheit und zur Entwicklung der Gesellschaft angetrieben werden. Hierzu könnte eine potentiell gesteigerte Steuer auf die theoretischen Verbrauchsmenge von Kraftstoff gedacht werden. 
Hier ist ein Vorschlag: Auto, die unter zwei Liter pro 100 km verbrauchen bezahlen keine Kfz-Steuer.  Danach geht es stark nach oben nach etwa einer Formel, die uns die Automobilindustrie auf die Beine bringen wird: 
( (L) l/100 km :  ( 25 kr + 50 x ( L-t )) x (L - 3)^2),

wobei  L >= 4;  und  t ist das Alter des Auto in  Jahren. Das würde bei Auto, die 20 l pro 100 km verbrauchen eine Steuer von etwas unter  40.000 ?;  die nur 7 l./100 km verbrauchen würden  ein wenig unter 800 ? liegen. So etwa nennt man Regulierung des freien Marktes: wer das Geld hat, darf sich vergnügen, da klatsche ich nur in die Hände - Es sind ja auf der anderen Seite die Steuereinnahmen von den vielen, die die Autobahnen finanzieren.




Hiernach sind mir die Höhe der Löhne der Manager, falls sie den Bruttosteuerflachtarif ohne vorherige Abzüge bezahlt haben, sozusagen schnurz egal.  Zu diesem Komplex müsste ich in einem anderen Mail einmal Stellung beziehen.


Es gibt  mehrere Gründe für einen nicht differenzierten Mindestlohn als Grundlage für genügend hohe Steuereinnahmen aus Arbeit. 

Aber zuerst noch etwas zur altersabhängigen Differenzierung des BGE. 
Es ist nicht einzusehen, dass Kleinkinder genau so viel erhalten wie Kinder um die 15 herum oder gar Kinder und junge Menschen unter Ausbildung.
    Genau so wenig ist zu akzeptieren, dass ältere Menschen, die sich nicht mehr aktiv ins Erwerbsleben eingliedern können, ein genau so hohes BGE haben müssen wie die, von den man es gegebenenfalls erwarten darf. Vielleicht könnte man sich eine lineare Abnahme über ein Jahrzehnt bis auf 80 % vorstellen im 75. bis evt. 80. Lebensjahr.
    Dagegen müssen Menschen nach Abschluss einer Ausbildung bis zum 65. / 70-igsten Lebensjahr besonders berücksichtigt werden, weil sie besondere Verpflichtungen haben am Leben teilzunehmen.  
    Bessere pekuniäre Lösungen musste man später entwickeln, wenn man sieht, wie sich alles so entwickelt. 
    
Wenn ich oben die Kinder und Auszubildenden mit in das BGE nehme, gibt es keinen Anlass mehr dafür, dass sie schuften gehen müssen. Wir dürften erwarten, dass sie der Schule und Ausbildung wieder voll zur Verfügung stünden. Mit einem hohen Mindestlohn würde man diese Entwicklung noch unterstützen, weil dann viele Schietjobs wieder von geringaugebildeten Erwachsenen übernommen werden dürften. Dies war der zweite Grund für einen hohen Mindeststundenlohn neben dem Bedarf für ein sicheres Steueraufkommen.

Der dritte Grund ist, dass Menschen in stundenweisen Servicejobs im ganz privaten Sektor, in den Privathaushalten, nicht ausgenutzt werden sollen. Hierzu sei mein früheres Argument bezüglich der Machtverhältnisse zwischen Geldsuchenden und Geldhabenden nachmals angeführt.

Dies würde insbesondere auch für unsere Polen etc. gelten. Bekommen sie einen ordentlichen Lohn, gibt es eine ordentliche Steuer, die hier im Lande bleibt. Der höhere Lohn würde gleichzeitig der Entwicklung zu besseren Verhältnissen in Polen etc beisteuern. Der Pole wird die Jobs immer noch kriegen können, weil er ja, wie sie am Beispiel der Spargelernte aufzeigten, um ca. 60 % effektiver ist als der deutsche Spargelstecher.

Der hohe Mindestlohn würde weiterhin bedeuten, dass sich mehr qualifizierte positiv vom Mindestlohn abheben möchten, was einem Lohnverfall entgegenwirken dürfte.

Wenn es keinen Lohnverfall geben darf, wird ein Evolutiondruck auf die Arbeitnehmer ausgeübt, was letzlich ihrer Konkurrenzfähigkeit oder einer erwünschten Proliferation nützen dürfte.

Grundeinkommen                                     = Existenzsicherung ohne Arbeit

Mindeststundenlohn                                  = Existenzsicherung des Grundeinkommens

Grundsicherung und Mindeststundenlohn   =  erweiterte Möglichkeiten, das Leben zu                                                                                          konzeptuell  gestalten zu können. 

Ein hohes BGE-Aufkommen an Alle, ohne Ansehen des Einkommens und ohne Gegenrechnung in besteuerbaren Bruttoeinkommen, entgegengesetzt der Vorstellung von Herrn Dilthey, lässt gegebenenfalls  zwar eine hohe Zustimmung von allen Seiten im Einkommenspektrum erwarten, gibt aber einen grossen Einkmmensabstand zwischen Personen, die nur ein BGE beziehen und solchen, die ein BGE, einen Arbeitslohn und vielleicht sogar noch Nebenverdienste haben.

Dieser Abstand macht mir, obwohl ich meine, dass es so und nicht anders sein kann, Sorge.

Diese Sorge - begründet  oder ubegründet - besteht  darin, dass es bei einem relativ hohem Beschäftigungsgrad zu Preissteigerungen kommen würde, die selbst ein hohes BGE aushöhlen dürften. Natürlich würde die gesamte Arbeitswelt, die ja ihre Steuerabsetzungmöglichkeiten sozusagendurch das BGE  ersetzt bekommen hat, dann notwendigerweise auch "solidarisch"  ein höhere BGE fordern. 

Auf der anderen Seite glaube ich daran, dass man nur konzeptuell zukunftsgerichtet an den Arbeitsmarkt denkt, wenn der Einkommensabstand wirklich deutlich ist und die Arbeit echte Vorteile bringt - es sich also lohnt zu arbeiten, was nicht nur für die Ackermänner gelten darf.

Wie man dass nichtinflationstreibend steuern kann, steht also an zur Diskussion. Da möchte ich alle bitten, ihren Gehirnschmalz einzubringen - und bitte nicht nur mit Statements,die auf die Vorzüglichkeit eigenen Patentrezepte hinweisen, abzuhandeln; denn dann kommen wir nie weiter. 
    
Hierzu ist an dieser Stelle noch hinzuzufügen, dass kein einziges der bekannten Finanzierungsmodelle annähernd zufriendenstellend ist, weil noch keines alle socialen, psychosocialen, betriebs-., gesamt-., und weltwirtschaftlichen, dazu die steuerfachlichen, steuerverteilungsmässigen sowie steúerpsychologischen Aspekte auch nur annähernd abhandelt. Zwar bin ich da schon recht weit in meinen Überlegungen, aber die sind gleichzeitig lange noch nicht wohlformuliert und untermauert zu Papier gebracht. Wahrscheinlich komme ich auch nicht dazu, weshalb ich mich hier im Forum beteilige, um nichtwissenschaftlich mit meinen Erwägungen und durch meine Diskussionbeiträge zu einer Lösung innerhalb dieses gewaltigen, vieldimensionalen Lösungsraums beizutragen.

Um jetzt diesen Beitrag zu einem einigermassen glücklichem Abschluss zu bringen, muss ich noch einmal hervorheben, dass das vielschichtige, multiorganisierte System der Steuerbehörden, von Krankenkassen und Freibeträgen, Steuerabschlägen, Pflichtversicherungen, das Wirrwar von kommunal-., landkreis-., landes-. und republik-. und EU-bedingtem Gewurstel stark vereinfacht werden müsste, om ein BGE wirklich möglich und gleichzeitig durchsichtig finanzierbar und steuerbar zu machen. Aber vielleicht zwingt ja die Not in einigen Jahren das Kompetenzgerangel einsträngig zu machen.  Denn auf jeden Fall wird es lange dauern bis die Steuern dort anfallen,  wo die Nur-BGE-Empfänger vermutlich zu finden sind. 

Aber mit der Zeit wird das BGE bewirken, dass Arbeitsplätze und andre Arbeitsmöglichkeiten und Lebensmöglichkeiten durch lokale Neugründungen  und Investitionen wieder an die Peripherie zurückkehren können.

Mit freundlichem Gruss
Peter Voss


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