[Debatte-Grundeinkommen] U. Beck, München, zu Arbeit und Bürgerarbeit sowie Grundeinkommen

Rblaschke at aol.com Rblaschke at aol.com
Mo Jul 25 21:58:57 CEST 2005


 
Ulrich Beck - Befürworter eines Grundeinkommens ???
"Bürgerarbeit heißt, dass die Menschen sich auf der
Grundlage  einer Basisfinanzierung für sinnvolle Projekte engagieren können." 
 


Kurzer Beitrag von Ronald Blaschke
Sprecher des Netzwerkes Grundeinkommen
 
 
Becks Vorschlag für ein Bürgergeld meint, dass arbeitslose und bedürftige  
Menschen, die sich "unter der Regie eines Gemeinwohlunternehmers"  
bürgerschaftlich engagieren (die Felder des Engagaments werden von einem  "kommunalen 
Ausschuss" bestimmt, in dem auch die Bürgerarbeiter vertreten  sein sollen) anstatt 
Arbeitslosengeld-/hilfe (damals noch) bzw. Sozialhilfe ein  "Bürgergeld" auf 
diesem Niveau bekommen (evtl. noch ein paar Gratifikationen  dazu). Die 
Bürgerarbeiter brauchen nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.  Auch 
Erwerbstätige könnten zeitweilig aussteigen und diese Bürgerarbeit leisten.  Eine 
Kombination Teilzeit-Erwerbstätigkeit und Teilzeit-Bürgerarbeit ist  möglich. 
Desweiteren: "Materiell erhalten diejenigen ein Bürgergeld, die hierauf  
existentiell angewiesen sind". Insofern weicht es vom Grundeinkommen,  auch vom 
KAB-Modell erheblich ab (zumal dort noch Eigenarbeit - bei  BDKJ noch Bildung - 
und GE für Kinder usw. dazukommen, und es eben auch nicht  
bedürftigkeitsgeprüft ist). 
 
Fazit: Becks Bürgergeld hat nichts mit einem Grundeinkommen zu  tun, weil es 
nur für Bedürftige, also bedürftigkeitsgeprüft, und mit einer  
Tätigkeitsverpflichtung (dazu noch zu einer von außen bestimmten,  keiner selbstbestimmten 
Tätigkeit) verbunden ist. Es ist  eine Transferleistung auf niedrigem Niveau - 
gegen eine Gegenleistung  (Verpflichtung zum bürgerschaftlichen Engagement, was 
schon in sich  widersprüchlich ist) und mit einer Bedürftigkeitsprüfung.
 
Literatur zu Becks Bürgergeld/-arbeit:  In: Kommission für  Zukunftsfragen 
der Freistaaten Bayern und Sachsen: Erwerbstätigkeit und  Arbeitslosigkeit in 
Deutschland. Teil III Maßnahmen zur Verbesserung der  Beschäftigungslage. Bonn 
1997 (vgl. auch Ulrich Beck: Schöne neue Arbeitswelt.  Frankfurt/Main 1999) 
 
Wir haben in Deutschland faktisch vier Bürgergeld - Modelle:
Becks Modell; 
FDP-Modell als Negative Einkommensteuer (also systemimmanent  
bedürftigkeitsgeprüft) und mit Arbeitsverpflichtung; 
Mitschkes Bürgergeld als Negative Einkommensteuer (also systemimmanent  
bedürftigkeitsgeprüft) und ohne Arbeitsverpflichtung; 
Englers Bürgergeld als bedingungsloses Grundeinkommen (also BGE,  
Sozialdividende). Früher nannte sich Pelzers Vorschlag Ulmer Bürgergeld, jetzt  wird es 
von Pelzer / Fischer BGE benannt  (Transfergrenzen-Modell).  
 
     
------------------
 
 
 
 

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von:  genugfueralle-ag-bounces at listen.attac.de
[mailto:genugfueralle-ag-bounces at listen.attac.de]  Im Auftrag von Johannes G.
Beisiegel
Gesendet: Freitag, 22. Juli 2005  09:00
An: genugfueralle-ag at listen.attac.de
Betreff: [Genugfueralle-ag]  U. Beck, München, zu Arbeit und Bürgerarbeit
sowie  Grundeinkommen

Das folgende Interview ist der 3. oder 4. Beitrag von  Bck zu dem Thema
"Grundeinkommen und Bürgerarbeit". Ich sehe dabei eine  inhaltliche Nähe zu
den konzepten der KAB Aachen, was das ehrenamtliche  Engagement anbetrifft.
Schwierigkeiten habe ich noch mit dem Begriff  "Bürgerarbeit", die aber nicht
grundsätzlich sind. Inzwischen sehe ich in  Beck einen wertvollen
Unterstützer für ein Projekt "Grundeinkommen", auf  den wir zugehen sollten.
Vielleicht wäre noch Platzn für ihn auf dem Wiener  Kongress?
Sehr gespannt bin ich auf Antworten von Münchner Attacies, wie  sie das
auftreten von Beck bewerten und ob sie einen Testballon mit ihm  steigen
lassen wollen.

Johannes 


Ulrich Beck: Wahl wird  Land nicht retten

22. Jul 07:15



Ulrich Beck 
Foto:  dpa 

Die Parteien haben Angst davor, sich den eigentlich drängenden  Problemen zu
stellen. Über mögliche Alternativen sprach die Netzeitung mit  dem Soziologen
Ulrich Beck.


Netzeitung: Horst Köhler hat den Weg  zu Bundestagswahlen freigemacht. Was
dann zur Wahl stehen wird, ist nicht  das, was zur Wahl gestellt werden
müsste, kritisieren Sie. Welche Probleme  werden von den Parteien denn
ausgespart?
Ulrich Beck: Ich meine, dass  die Alternativen, die die Parteien anbieten, um
aus dem gegenwärtigen  Schlamassel herauszukommen, auf diskussionswürdigen
Annahmen beruhen.  Erstens gehen fast alle davon aus, dass durch ein paar
Maßnahmen die  Vollbeschäftigungsgesellschaft wieder möglich wird. Zweitens
nimmt man an,  dass dies weitgehend durch einen nationalen Alleingang zu
verwirklichen  ist. Drittens soll das dank einer neoliberalen Medizin
geschehen, die nun  schon in den letzten vier, beziehungsweise sechs Jahren
angewendet  wurde.

Bei allen Gegensätzen, die zwischen den Parteien inszeniert  werden, machen
diese Prämissen deutlich, dass doch bei allen Parteien ein  relativ großer
Konsens herrscht. Dazu müssen Alternativen aufgeworfen  werden. Die Frage
etwa, wie ein sinnvolles Leben auch für Menschen möglich  wird, die keinen
Arbeitsplatz finden, wird kaum  diskutiert.

Netzeitung: Deutschland, so sagen Sie in Ihrem neuen Buch,  ist längst ein
Paradies. Allerdings nur für Unternehmer und Investoren.  Zugleich werde
durch Formeln wie «Ich-AG» und «Mini-Jobs» suggeriert, dass  sich ein jeder
noch am Rand der Erwerbslosigkeit selbst als Unternehmer  fühlen darf. Wenn
man den etablierten Parteien glaubt, gibt es dazu keine  Alternative.

Beck: So ist es. Die Aussage «es gibt dazu keine  Alternative» drückt aber
nur die Hilflosigkeit und Ideenlosigkeit aus, die  derzeit in der Politik
herrschen. Dabei wird seit den achtziger Jahren  nicht nur in Deutschland
darüber diskutiert, wie wir neue Aktivitäts- und  Identitätszentren jenseits
der Erwerbsarbeit schaffen müssen. Damit sind  natürlich große
Schwierigkeiten verbunden, allen voran die ständige  Gretchenfrage nach der
Finanzierbarkeit. 

Auf all diese Fragen gibt  es aber schon sehr interessante Antworten. Ich
selbst habe darüber mit  Gerhard Schröder diskutiert, kurz bevor er Kanzler
wurde. Jetzt aber, wo es  brennend wird, traut die Politik dem Wähler
offenbar nicht zu, über  Grundsatzfragen realistisch zu debattieren.

Netzeitung: Wie könnte eine  solche Alternative zur Erwerbsarbeit aussehen?

Beck: Ich war damals  Mitglied einer Zukunftskommission, die erstmals von
Edmund Stoiber und Kurt  Biedenkopf ins Leben gerufen wurde. Da wurde
festgestellt, dass wir als  zusätzliche Alternative zur Erwerbsarbeit die
Bürgerarbeit brauchen.  Bürgerarbeit heißt, dass die Menschen sich auf der
Grundlage einer  Basisfinanzierung für sinnvolle Projekte engagieren können. 

In Bayern  wird das schon praktiziert. So hat eine Gruppe von Menschen in
Deggendorf  in Supermärkten Lebensmittel gesammelt, die kurz vor dem
Verfallsdatum  sind, um sie Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Sie hat ein
kommunales  Café in Zusammenhang mit einem Theater aufgebaut und sich für
einen  jährlichen Jahrmarkt engagiert. Gleichzeitig wurden Initiativen  zur
Integration von Migranten ins Leben gerufen.

Es sind  Aktivitäten, die den Menschen häufig durchaus Spaß gemacht und gar
nicht so  viel gekostet haben. All das könnte durch eine Grundfinanzierung
angestoßen  werden. Es geht dabei nicht darum, Spielplätze für Arbeitslose zu
bauen, um  sie letztlich aus der Gesellschaft auszuschließen. Es geht um
attraktive  Alternativen für alle. Auch Menschen, die noch in die
Erwerbsarbeit  integriert sind, können daran teilnehmen, um einfach das zu
tun, was ihnen  Spaß macht.

Netzeitung: Die SPD hat sich Ihrer Ansicht nach durch eine  «Politik der
falschen Versprechungen» hervorgetan. Angela Merkel hingegen  bezeichnen Sie
als «neoliberale und neonationale Zwangsreformatorin». Lässt  sich in dieser
Konstellation ein kleineres Übel ausmachen?

Beck: Da  muss man jetzt sehr genau hinschauen. Eigentlich bräuchte
Deutschland  einmal eine Auszeit. Es kann diese rasende Geschwindigkeit, mit
der nun  relativ alternativlose Wahlen angeboten werden (man tauscht die
Regierung  durch die Opposition aus oder auch nicht) gar nicht gebrauchen.
Das wird  das Land nicht aus seinem Schlamassel befreien. 

Damit sich politisch  etwas bewegt, müsste sich zunächst grundsätzlich etwas
im Kopf bewegen. Die  Alternativen, die eingeklagt werden müssen, mögen
schmerzlich sein, sie  eröffnen dann aber wirkliche Chancen für den
Einzelnen. Erst wenn diese  Debatte geführt wird, wird es Anhaltspunkte
geben, welche Parteien sich  dafür am ehesten öffnen.

Wenig habe ich in meinem Buch über die Grünen  gesprochen. Dabei kann man,
bei aller Phantasielosigkeit, die auch für sie  die Etablierung in der
Regierung mit sich gebracht hat, nicht sagen, dass  sie sich für solche
Fragen völlig verschließen würden. Da gibt es Ansätze.  Aber auch bei
einzelnen Personen innerhalb von SPD und CDU. 

Was  allerdings die Programme angeht, da bin ich sehr enttäuscht. Gerade  auch
die Opposition propagiert eine Politik, die auf die Formel  'Neoliberalismus
plus Neonationalismus' zu bringen ist. Ich glaube, dass  das für die
globalisierte Situation, in der Deutschland sich wie ein auf  dem Rücken
liegender Käfer, der hilflos mit den Beinchen strampelt,  befindet, die
völlig unangemessene Perspektive ist.

Netzeitung:  Ausführlich beschreiben Sie die Machtfülle der transnationalen
Konzerne,  die nur dem Markt verantwortlich seien und Politiker durch  ihre
Investitionsstrategien erpressbar machten. Zugleich suggeriert die  Politik,
einschließlich der neuen Linkspartei, noch immer die Möglichkeit  stetigen
Wachstums innerhalb nationaler Grenzen. Ein unauflösbares  Dilemma?

Beck: Eine Politik, die sich vor allem im Rahmen  nationalstaatlichen Denkens
bewegt, wird auf die entscheidenden Fragen  keine Antworten mehr finden. Die
brennenden Fragen wie Geburtenrückgang,  Alterung der Gesellschaft,
Arbeitslosigkeit, Schwierigkeiten bei der  Versteuerung der Gewinne von
Unternehmen, die Billiglohnkonkurrenz aus  Osteuropa – das sind Fragen, die
über nationale Grenzen hinausgehen. Sie  beschäftigen alle Länder in Europa
und gehen auch über Europa  hinaus.

Wenn aber nationale Antworten hier kaum noch möglich sind,  heißt das nicht,
dass gar keine Antworten mehr möglich sind. Was man von  den Konzernen lernen
kann: Man muss sich in den transnationalen Raum der  Politik bewegen. Das
heißt konkret, eine Politik zu betreiben, die aus der  Kooperation zwischen
Staaten gemeinsame Interessen definiert, zum Beispiel  gegenüber dem mobilen
Kapital, wo es darum geht, Gewinne anders zu  versteuern. Hier eröffnen sich
ganz neue Chancen in allen  Politikbereichen.

Netzeitung: Als Gegenmacht zur internationalen  Konzernpolitik machen Sie
eine soziale Bewegung aus, die sich der Figur des  'politischen Konsumenten'
bedient. Wie müsste eine derartige Bewegung  organisiert sein, um eine
wirkliche politische Alternative  darzustellen?

Beck: Wir gehen immer davon aus, dass nur eine Verbindung  von Kapital und
Staat hier eine angemessene Antwort formulieren könnte. Das  ist die Vision
des neoliberalen Staates, in dem die Politik sich eigentlich  dauernd selbst
entmächtigen muss. Und das auch noch sehr machtvoll tut, wie  man jetzt
gerade bei Schröder beobachten kann. Die Alternative wäre, dass  sich Staaten
stärker mit sozialen Bewegungen verbünden. Das würde  eine
zivilgesellschaftliche Wende der Politik bedeuten, in der die  Machtchancen
einzelner Gruppen nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch  gegenüber den
Unternehmen eine neue Chance bekämen.

Was ist denn die  zentrale Macht der Unternehmen? Es ist, simpel gesagt, die
Macht, 'nein' zu  sagen. Also nicht hier, sondern dort zu investieren. Die
Macht der  Konsumenten ist aber dieselbe: 'nein' zu sagen, also nicht dieses,
sondern  jenes Produkt zu kaufen – das ist der Stimmzettel des Konsumenten,
mit dem  er über die Politik der Unternehmen entscheidet. Dagegen sind
Unternehmen  machtlos. Sie können schließlich nicht sagen, 'wir entlassen  die
Konsumenten', oder 'wir wandern aus und die bösen Konsumenten sollen  in
Zukunft ihre Produkte woanders kaufen'.

Die Konsumenten haben  also, im Unterschied zum Arbeitnehmer, eine sehr
wirksame Waffe gegen  transnationale Konzerne. Das Problem ist natürlich,
dass Konsumenten sehr  schwer zu organisieren sind. Sie sind ja keine
Mitglieder einer  Organisation. Und trotzdem fürchten sich transnationale
Konzerne vor der  schlafenden Macht des Riesen, die der Konsument für sie
darstellt. Diese  Furcht ist auch der Grund dafür, dass Konzerne die
Interessen ihrer  Konsumenten ernst zu nehmen vorgeben. Sie schreiben sich
die Menschenrechte  auf die Fahnen oder gehen in Zukunft vielleicht dazu
über, Billiglohnländer  nicht automatisch nur als Chance zu begreifen.

Netzeitung: Sie klagen  darüber, dass das Beharren auf nationalstaatlicher
Souveränität – wie es  sich in der französischen und holländischen Ablehnung
der europäischen  Verfassung zeigt – nichts sei als ein sentimentales
Gespenst. Gleichwohl  können Sie sich ein kosmopolitisches Europa nur als
Europa der Differenz  vorstellen. Wie geht das zusammen?

Beck: Zunächst einmal ist zu sagen,  dass das 'nein' in einem demokratischen
Europa durchaus auch dazu gehört.  Wer kann erwarten, dass 25 Länder
geschlossen ausgerechnet 'ja' sagen? Eine  solche Konsenserwartung hatten wir
zuletzt im Stalinismus. Wenn man genauer  hinschaut, haben wir hier ein
'nein' zu einem ausschließlich neoliberalen  Europa, das die Menschen als
Bedrohung empfinden. Und zweitens gegen ein  national interpretiertes Europa,
gegen eine Großnation, deren Entfaltung  darauf hinaus läuft, dass die
nationalen Identitäten abgebaut werden. Der  Ausbau Europas erscheint als ein
kultureller Selbstmord, weil er den  Verlust nationaler und regionaler
Besonderheiten bedeutet.

Europa  müsste aber im Sinne einer kosmopolitischen Perspektive definiert
werden.  Das heißt, dass gerade die Andersartigkeit der anderen anerkannt und
die  Identität der einzelnen Regionen über die Einheitlichkeit gestellt  wird.
Ein plurales Europa also, das seinen Stolz gerade aus der Vielfalt  der
Künste und Küchen gewinnt. Die politische Kunst dabei ist, Integration  unter
den Bedingungen der Vielfalt hinzubekommen.

Netzeitung: Was  halten Sie für wahrscheinlicher: Dass Jan Ullrich noch die
Tour de France  gewinnt oder dass Gerhard Schröder auch unser nächster
Bundeskanzler  wird?

Beck: Vielleicht, dass Jan Ullrich Bundeskanzler  wird.

Ulrich Beck: Was zur Wahl steht, Suhrkamp 2005. 128 Seiten, 7  Euro

Mit Ulrich Beck sprach Ronald Düker.  


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