[Debatte-Grundeinkommen] Kinder

Ralf Westphal ralfw at ralfw.de
Mo Dez 19 12:32:55 CET 2005


Vielen Dank für die Klarstellung, Frau Mohr.
Ich beende daher hiermit die Pappkameraden-Diskussion von meiner Seite und
schließe mich der alten Weisheit an: contra principia negantem non est
disputandum.
 
-Ralf Westphal



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Of Katrin Mohr
Sent: Montag, 19. Dezember 2005 12:18
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Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Kinder


Hallo,

zur Debatte um das Menschenbild ein kleiner Beitrag von mir, der dem Wiener
Kongress im Oktober entstammt und ein Zitat von Margit Appel (KSOE/Netzwerk
Grundeinkommen Österreich):

"Grundsicherungs-Fragen [oder Grundeinkommens-Fragen, K.M.] sind Fragen nach
dem Menschen- und Gesellschaftsbild. Das ist es, was sie so kontrovers und
zäh macht."

Die übergroße Mehrheit innerhalb des Netzwerks Grundeinkommen teilt ein
positives Menschenbild, das davon ausgeht, dass die meisten Menschen sich
sinnvoll betätigen wollen und dies unter den entsprechenden materiellen
Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen auch tun würden, Bedingungen oder
Zwang also überflüssig sind. Dies ist auch Bestandteil des Grundkonsenses
des Netzwerks Grundeinkommen, der die gemeinsame Basis unserer Diskussion
darstellt. Dass Rahmenbedingungen (Infrastruktur, Bildung etc) geschaffen
werden bzw. umgestaltet werden müssen, damit Menschen die Freiheit, die ein
BGE bieten würde, auch produktiv nutzen können, hat schon André Gorz gesagt,
ist m.E. selbst redend und wird von den meisten in der BGE-Debatte geteilt.
Hier wird also eine Pappkameraden-Diskussion angezettelt.

Beste Grüße,
Katrin Mohr

Ralf Westphal wrote: 

Hallo, Herr Schultz!
 
Ich verstehe, dass Sie sich nicht richtig verstanden fühlen, wenn ich
Pädagogikratgeber als Beleg für die Notwendigkeit einer Gegenleistung für
ein GE anführe. Und dass Sie den Staat als "Papi" nicht mögen, verstehe ich
natürlich auch. Wir sollten aber unterscheiden zwischen vielleicht uns oder
den Mitgliedern dieser Liste und vielen, vielen anderen Menschen. Das mag
arrogant klingen, soll es aber nicht sein. Ich fühle mich bei dieser Aussage
eher von einem Gefühl der Tragik geleitet. Die Welt ist nicht einfach gut
(sobald wir ein GE haben) und Menschen feiern nicht einfach nur glücklich
miteinander Feste, wenn sie endlich der Knechtschaft der Erwerbsarbeit
entflohen sind. Auch wenn mir der Gedanke einer Erbsünde fern liegt, auch
wenn ich sehe, dass kleine Menschen zunächst einmal eigentlich nur lieb sind
und lieb gehabt werden wollen - so sehe ich doch, dass beim erwachsen werden
vieles schief läuft und am Ende Menschen heraus kommen, die eben nicht mehr
einfach nur lieb und hilfsbereit sind. Ob sie sich damit wohl fühlen und
nicht anders können, ist dann eine zweite Frage. Aber sie verhalten sich
nicht so. Ein Blick in den Straßenverkehr, ein Blick in mobbende
Abteilungen, ein Blick in die Gefängnisse zeigt das.
 
Und wenn Sie für Ihren Geschmack die Pädagogik falsch ist, wie wäre es dann
mit der Literatur für Erwachsene? "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.":
klingt richtig, ist aber eine Aufforderung und keine Feststellung. Goethe
hat nicht geschrieben "Edel ist der Mensch...", sondern "sei (!) der
Mensch". Der Mensch muss sich also noch entwickeln. Wenn Sie "Erwachsener"
sagen, dann nehmen Sie aber an, dass die so bezeichneten Empfänger eines GE
schon angekommen sind. Sie sind entwickelt und müssen sich nicht mehr
bewegen. Sie können schon alles. Ist das aber so? Ich denke, nein. Wo schon
das Führen eines Fahrzeugs oft fehl schlägt, da ist es mit der Erziehung von
Kindern noch schlimmer bestellt. Und wo die Erziehung und anderer so oft
fehl schlägt, da ist es mit der eigenen Erziehung und Führung wohl auch
nicht so gut bestellt. (Lassen wir den Einfluss von Peer Groups mal außen
vor.)
 
Menschen, die sich selbst in Freiheit positiv in entfalten und keiner
Anleitung bedürfen... toll! Ich möchte davon auch Millionen zu einem
harmonischen Staatswesen zusammengesetzt sehen. Aber ich sehe diese Menge an
reifen Menschen nicht.
 
Und ich meine auch, dass das angesichts unserer zivilisatorischen
Entwicklung noch nicht anders sein kann. Menschenverachtend ist dann nicht
diese Erkenntnis, sondern die Behauptung des Gegenteils: denn da, wo man
Menschen zuviel aufbürdet (aus welchem idealistischen Grund auch immer),
überfordert man sie und "sieht" sich nicht als das, was sie sind.
 
Menschen haben bisher immer unter dem Zwang zur Selbsterhaltung gelebt. Das
gehört - so meine ich - daher zu ihrer Natur. Feste und Freiheit und
Abwesenheit von Zwang sind die Ausnahme. Interessanterweise macht das
Menschen aber auch gar nichts aus. Die Glücksforschung und die Etnologie
zeigen, dass Menschen auch unter widrigen Umständen zufrieden, ja glücklich
sind. Sie betteln nicht darum, dass ihnen der Ernährungszwang genommen wird
- sondern nur der Fall in den Abgrund nicht mehr so tief ist.
 
Menschen bringen sich gern ein, da wo sie sehen, dass es nötig ist. Sie
jagen zusammen, sie bauen zusammen Brücken oder bestellen Felder oder
pflegen einander. Das ist eine Sache.
Eine andere ist es, ob jeder selbst in Abwesenheit jeder Notwendigkeit (ein
milderes Wort für Zwang) auch sieht, wo er sich einbringen kann. Das (!)
bezweifle ich mit Blick auf den Imbiss gegenüber, in dem Menschen jeden Tag
von morgens bis abends zusammen sitzen und ihr Arbeitslosengeld vertrinken.
Sie sind sozial dabei, sie geben sich Wärme. Das ist gut. Nicht gut ist,
dass sie keine Aufgabe haben. Und die fehlt ihnen nicht, weil sie keine
Arbeit haben, sondern weil sie nicht fähig sind, sich selbst eine Aufgabe zu
geben. Sie haben es nicht gelernt. Wo denn auch? Die Gesellschaft hat sich
darauf zurückgezogen zu sagen: Wir geben dir die Arbeit, den Rest mach mal
selbst.
 
Und nun soll die Gesellschaft sagen: Wir geben dir das Geld und nehmen dir
die Arbeit - den Rest mal mach weiter selbst?????????
 
Das ist menschenverachtend!
 
Denn solange Menschen nicht gleichzeitig aktiv an die Hand genommen werden,
um ihnen beizubringen, wie sie mit dieser historisch einzigartigen Freiheit
umgehen, solange ist die Vorstellung eines bedingungslosen (!) GE naiv,
idealistisch und zum Scheitern verurteilt.
 
-Ralf Westphal
 
 


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Of Ernst Ullrich Schultz
Sent: Sonntag, 18. Dezember 2005 23:42
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Subject: [Debatte-Grundeinkommen] Kinder


Lieber Ralf,
1.Nichts gegen Ihre Weisheiten aus einem Ratgeber für Kinder, aber ich
finde, man sollte sie nicht auf Erwachsene anwenden.
2. Der Staat sind wir und er ist nicht der Papi, der uns ein Taschengeld
gibt. Außerdem steht in fast jedem Kinderratgeber, dass man für Taschengeld
keine Gegenleistung fordern sollte. 
Das führt (nicht nur bei den Kindern!) dazu, Arbeit an sich als etwas
Schädliches zu kennzeichnen.
 
Einen schönen Satz las ich neulich:
Es gibt kein besseres Mittel, das Gute im Menschen zu wecken, als sie so zu
behandeln, als wären sie schon gut (Francois Rabelais).
 
In diesem Sinne,
herzlichst
Ernst Ullrich Schultz
 
PS: Den Ton der politischen Erklärung des Sprecherkreises (des ganzen?)
finde ich auch ziemlich herbe und wenig öffentlichkeitswirksam.
 
 



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-- 

Katrin Mohr (Dipl. Soz.)

Doktorandin am Graduiertenkolleg

„Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells“

Universität Göttingen

kmohr at gwdg.de

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