[Debatte-Grundeinkommen] Kinder

Katrin Mohr kmohr at gwdg.de
Mo Dez 19 12:17:55 CET 2005


Hallo,

zur Debatte um das Menschenbild ein kleiner Beitrag von mir, der dem 
Wiener Kongress im Oktober entstammt und ein Zitat von Margit Appel 
(KSOE/Netzwerk Grundeinkommen Österreich):

"Grundsicherungs-Fragen [oder Grundeinkommens-Fragen, K.M.] sind Fragen 
nach dem Menschen- und Gesellschaftsbild. Das ist es, was sie so 
kontrovers und zäh macht."

Die übergroße Mehrheit innerhalb des Netzwerks Grundeinkommen teilt ein 
positives Menschenbild, das davon ausgeht, dass die meisten Menschen 
sich sinnvoll betätigen wollen und dies unter den entsprechenden 
materiellen Grundvoraussetzungen und Rahmenbedingungen auch tun würden, 
Bedingungen oder Zwang also überflüssig sind. Dies ist auch Bestandteil 
des Grundkonsenses des Netzwerks Grundeinkommen, der die gemeinsame 
Basis unserer Diskussion darstellt. Dass Rahmenbedingungen 
(Infrastruktur, Bildung etc) geschaffen werden bzw. umgestaltet werden 
müssen, damit Menschen die Freiheit, die ein BGE bieten würde, auch 
produktiv nutzen können, hat schon André Gorz gesagt, ist m.E. selbst 
redend und wird von den meisten in der BGE-Debatte geteilt. Hier wird 
also eine Pappkameraden-Diskussion angezettelt.

Beste Grüße,
Katrin Mohr

Ralf Westphal wrote:

> Hallo, Herr Schultz!
>  
> Ich verstehe, dass Sie sich nicht richtig verstanden fühlen, wenn ich 
> Pädagogikratgeber als Beleg für die Notwendigkeit einer Gegenleistung 
> für ein GE anführe. Und dass Sie den Staat als "Papi" nicht mögen, 
> verstehe ich natürlich auch. Wir sollten aber unterscheiden zwischen 
> vielleicht uns oder den Mitgliedern dieser Liste und vielen, vielen 
> anderen Menschen. Das mag arrogant klingen, soll es aber nicht sein. 
> Ich fühle mich bei dieser Aussage eher von einem Gefühl der Tragik 
> geleitet. Die Welt ist nicht einfach gut (sobald wir ein GE haben) und 
> Menschen feiern nicht einfach nur glücklich miteinander Feste, wenn 
> sie endlich der Knechtschaft der Erwerbsarbeit entflohen sind. Auch 
> wenn mir der Gedanke einer Erbsünde fern liegt, auch wenn ich sehe, 
> dass kleine Menschen zunächst einmal eigentlich nur lieb sind und lieb 
> gehabt werden wollen - so sehe ich doch, dass beim erwachsen werden 
> vieles schief läuft und am Ende Menschen heraus kommen, die eben nicht 
> mehr einfach nur lieb und hilfsbereit sind. Ob sie sich damit wohl 
> fühlen und nicht anders können, ist dann eine zweite Frage. Aber sie 
> verhalten sich nicht so. Ein Blick in den Straßenverkehr, ein Blick in 
> mobbende Abteilungen, ein Blick in die Gefängnisse zeigt das.
>  
> Und wenn Sie für Ihren Geschmack die Pädagogik falsch ist, wie wäre es 
> dann mit der Literatur für Erwachsene? "Edel sei der Mensch, hilfreich 
> und gut.": klingt richtig, ist aber eine Aufforderung und keine 
> Feststellung. Goethe hat nicht geschrieben "Edel ist der Mensch...", 
> sondern "sei (!) der Mensch". Der Mensch muss sich also noch 
> entwickeln. Wenn Sie "Erwachsener" sagen, dann nehmen Sie aber an, 
> dass die so bezeichneten Empfänger eines GE schon angekommen sind. Sie 
> sind entwickelt und müssen sich nicht mehr bewegen. Sie können schon 
> alles. Ist das aber so? Ich denke, nein. Wo schon das Führen eines 
> Fahrzeugs oft fehl schlägt, da ist es mit der Erziehung von Kindern 
> noch schlimmer bestellt. Und wo die Erziehung und anderer so oft fehl 
> schlägt, da ist es mit der eigenen Erziehung und Führung wohl auch 
> nicht so gut bestellt. (Lassen wir den Einfluss von Peer Groups mal 
> außen vor.)
>  
> Menschen, die sich selbst in Freiheit positiv in entfalten und keiner 
> Anleitung bedürfen... toll! Ich möchte davon auch Millionen zu einem 
> harmonischen Staatswesen zusammengesetzt sehen. Aber ich sehe diese 
> Menge an reifen Menschen nicht.
>  
> Und ich meine auch, dass das angesichts unserer zivilisatorischen 
> Entwicklung noch nicht anders sein kann. Menschenverachtend ist dann 
> nicht diese Erkenntnis, sondern die Behauptung des Gegenteils: denn 
> da, wo man Menschen zuviel aufbürdet (aus welchem idealistischen Grund 
> auch immer), überfordert man sie und "sieht" sich nicht als das, was 
> sie sind.
>  
> Menschen haben bisher immer unter dem Zwang zur Selbsterhaltung 
> gelebt. Das gehört - so meine ich - daher zu ihrer Natur. Feste und 
> Freiheit und Abwesenheit von Zwang sind die Ausnahme. 
> Interessanterweise macht das Menschen aber auch gar nichts aus. Die 
> Glücksforschung und die Etnologie zeigen, dass Menschen auch unter 
> widrigen Umständen zufrieden, ja glücklich sind. Sie betteln nicht 
> darum, dass ihnen der Ernährungszwang genommen wird - sondern nur der 
> Fall in den Abgrund nicht mehr so tief ist.
>  
> Menschen bringen sich gern ein, da wo sie sehen, dass es nötig ist. 
> Sie jagen zusammen, sie bauen zusammen Brücken oder bestellen Felder 
> oder pflegen einander. Das ist eine Sache.
> Eine andere ist es, ob jeder selbst in Abwesenheit jeder Notwendigkeit 
> (ein milderes Wort für Zwang) auch sieht, wo er sich einbringen kann. 
> Das (!) bezweifle ich mit Blick auf den Imbiss gegenüber, in dem 
> Menschen jeden Tag von morgens bis abends zusammen sitzen und ihr 
> Arbeitslosengeld vertrinken. Sie sind sozial dabei, sie geben sich 
> Wärme. Das ist gut. Nicht gut ist, dass sie keine Aufgabe haben. Und 
> die fehlt ihnen nicht, weil sie keine Arbeit haben, sondern weil sie 
> nicht fähig sind, sich selbst eine Aufgabe zu geben. Sie haben es 
> nicht gelernt. Wo denn auch? Die Gesellschaft hat sich darauf 
> zurückgezogen zu sagen: Wir geben dir die Arbeit, den Rest mach mal 
> selbst.
>  
> Und nun soll die Gesellschaft sagen: Wir geben dir das Geld und nehmen 
> dir die Arbeit - den Rest mal mach weiter selbst?????????
>  
> Das ist menschenverachtend!
>  
> Denn solange Menschen nicht gleichzeitig aktiv an die Hand genommen 
> werden, um ihnen beizubringen, wie sie mit dieser historisch 
> einzigartigen Freiheit umgehen, solange ist die Vorstellung eines 
> bedingungslosen (!) GE naiv, idealistisch und zum Scheitern verurteilt.
>  
> -Ralf Westphal
>  
>  
>
>     ------------------------------------------------------------------------
>     *From:* debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de
>     [mailto:debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de]
>     *On Behalf Of *Ernst Ullrich Schultz
>     *Sent:* Sonntag, 18. Dezember 2005 23:42
>     *To:* Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>     *Subject:* [Debatte-Grundeinkommen] Kinder
>
>     Lieber Ralf,
>     1.Nichts gegen Ihre Weisheiten aus einem Ratgeber für Kinder, aber
>     ich finde, man sollte sie nicht auf Erwachsene anwenden.
>     2. Der Staat sind _wir_ und er ist nicht der Papi, der uns ein
>     Taschengeld gibt. Außerdem steht in fast jedem Kinderratgeber,
>     dass man für Taschengeld keine Gegenleistung fordern sollte.
>     Das führt (nicht nur bei den Kindern!) dazu, Arbeit an sich als
>     etwas Schädliches zu kennzeichnen.
>      
>     Einen schönen Satz las ich neulich:
>     *Es gibt kein besseres Mittel, das Gute im Menschen zu wecken, als
>     sie so zu behandeln, als wären sie schon gut (Francois Rabelais).*
>      
>     In diesem Sinne,
>     herzlichst
>     Ernst Ullrich Schultz
>      
>     PS: Den Ton der politischen Erklärung des Sprecherkreises (des
>     ganzen?) finde ich auch ziemlich herbe und wenig
>     öffentlichkeitswirksam.
>      
>      
>
>------------------------------------------------------------------------
>
>_______________________________________________
>Debatte-grundeinkommen Mailingliste
>JPBerlin - Politischer Provider
>Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen
>  
>

-- 
Katrin Mohr (Dipl. Soz.)
Doktorandin am Graduiertenkolleg
"Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells"
Universität Göttingen
kmohr at gwdg.de
http://www.uni-goettingen.de/de/sh/3567.html

Adalbertstr. 20
10997 Berlin
Tel.: +49/(0)30/616 52 633 

-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20051219/4ce16a12/attachment.html>
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit Binärdaten wurde abgetrennt...
Dateiname   : Mohr_BGE_Inklusion_Wien.pdf
Dateityp    : application/pdf
Dateigröße  : 30529 bytes
Beschreibung: nicht verfügbar
URL         : <https://listi.jpberlin.de/pipermail/debatte-grundeinkommen/attachments/20051219/4ce16a12/attachment.pdf>


Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen