RE: [Debatte-Grundeinkommen] Sozialneid und Lösungen

Reimund Acker reimund.acker at t-online.de
Sa Dez 17 23:32:49 CET 2005


Bernd Hückstädt schrieb:
> Herr Schumacher beschrieb den Sozialneid als einen der größten
> Vorbehalte gegen ein Grundeinkommen. Ich möchte dieses Thema gerne
> aufgreifen und untersuchen, welchen Beitrag unser Geld- und
> Steuersystem dazu leistet, Sozialneid schlicht weg zu provozieren.
> [...]
> Was hat das mit Sozialneid zu tun?
> In Deutschland sind zu Zeit etwa 50% der Bürger erwerbstätig. Das
> heißt, die eine Hälfte verdient kein Geld, die andere Hälfte muss für
> zwei verdienen. Sofern es sich bei den nicht Verdienenden um
> Familienangehörige, Alte, Kranke usw. handelt, ist das
> gesellschaftlich einigermaßen akzeptiert. Menschen, die ohne
> gesellschaftlich akzeptierten Grund erwerbslos sind, bekommen
> Repressalien zu spüren.

Nach vielen Diskussionen mit Freunden und Bekannten kann ich bstätigen,
daß viele auf die Idee eines BGE mit Unbehagen oder Ablehnung reagieren.
"Neid" ist wohl nicht der richtige Begriff, um dieses Gefühl zu beschreiben,
da man ja nicht auf etwas neidisch ist, das man selbst hat (und das BGE soll
ja jeder bekommen). Eher könnte man von Missgunst sprechen: Man gönnt dem
Anderen nicht das Privileg, ohne Arbeit Geld zu bekommen. Sicher, man könnte
diese Privileg auch selbst in Anspruch nehmen, aber man WILL ja arbeiten ...
Ich denke, im Grunde empfinden viele ein BGE als ungerecht. Zum Beispiel
mein Frisör Matthew: "Ein Bekannter von mir, so um die Vierzig, ist schon
viele Jahre arbeitslos, kommt aber anscheinend ganz gut über die Runden, und
ist auch nicht besonders daran interessiert, eine Arbeit zu finden. Sein
Hobby
ist Gesellschaftstanz, das nimmt den größten Teil seiner Zeit in Anspruch.
Ich hätte aber keine Lust hier im Frisörsalon acht Stunden täglich zu
schuften,
damit mein Bekannter tanzen kann."

> [...]
> Schauen wir uns ein einfaches Beispiel an. Zwei selbständige
> Dienstleister wollen für einander tätig werden mit Leistungen des
> privaten Bedarfs.
>
> A leistet an B für 100 €.
> Von den 100 € muss A ca. 50 € Steuern bezahlen, egal ob
> Einkommensteuern, Umsatzsteuern oder eine Kombination aus beiden.
>
> Nun will B an A für 100 € leisten.
> A hat aber nur noch 50 €

Natürlich wollen wir B's Leistungswillen nicht frustrieren. Da dieser
2-Personen-Staat vermutlich nicht vollautomatisch seine Dienste erbringt,
könnte B den Rest seiner Leistung dem Staat andienen (der sich nicht selbst
besteuert):

   Zustand 1.   A: 0   B: 100   Staat: 0    (Ausgangssituation des
Beispiels)
   Zustand 2.   A: 50  B: 0     Staat: 50   (A hat an B für 100 geleistet,
50 Steuern)
   Zustand 3.   A: 0   B: 25    Staat: 75   (B hat an A für 50 geleistet, 25
Steuern)
   Zustand 4.   A: 0   B: 100   Staat: 0    (B hat an Staat 75 geleistet,
steuerfrei)

Oder, der Staat gibt die 50 an C (Übergang zum 3-Personen-Staat), der nichts
leisten kann:

   Zustand 3'.  A: 50  B: 0     C: 50   Staat: 0   (C hat 50 vom Staat
erhalten)
   Zustand 4'.  A: 0   B: 50    C: 0    Staat: 50  (B je 50 an A und C
geleistet, 25+25 Steuern)
   Zustand 5'.  A: 0   B: 50    C: 50   Staat: 0   (C 50 vom Staat erhalten)
   Zustand 6'.  A: 50  B: 0     C: 0    Staat: 50  (A je 50 an B und C
geleistet, 25+25 Steuern)
   Zustand 3". A: 50  B: 0      C: 50   Staat: 0   (C 50 vom Staat erhalten)
   etc. (Zustand 3" = Zustand 3')

A und B können also weiterhin fröhlich für 100 € leisten.

> Vielleicht werden Sie sagen: das ist doch ganz normal! Ja, normal ist
> es, aber ist es auch sinnvoll?

Ja.

> Und was ist, wenn noch mehr Menschen sich entschließen, kein
> zusätzliches Geld zu verdienen? Oder wenn sie weniger verbrauchen?
> Werden dann nicht die Staatseinnahmen sinken?

Dann sinken Staateinnahmen, die Staatsausgaben, das Durchschnittseinkommen
und (damit) das BGE. Das erhöht den Anreiz zum Zuverdienst durch Arbeit.

> Genau wie jeder einzelne Mensch ein bedingungsloses Grundeinkommen
> braucht, braucht auch der Staat ein bedingungsloses Staatseinkommen
> proportional zu Anzahl seiner Bürger. Nur so ist er unabhängig von
> der wirtschaftlichen Produktivität und vom Konsum. Was wir für den
> einzelnen Menschen fordern, müssen wir auch für die Gemeinschaften,
> also die Staaten fordern. Es gibt Lösungen.

Ich sehe unseren Staat als Dienstleistungsunternehmen, das wir Bürger uns
leisten, um Gemeinschaftsaufgaben zu erledigen. Nur dazu statten wir diesen
Staat mit Geld aus, sein Einkommen ist also NICHT bedingungslos.

Reimund Acker




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