[Debatte-Grundeinkommen] Nochmal Finanzierungsgedanken

Ralf Westphal ralfw at ralfw.de
Do Dez 8 14:48:50 CET 2005


Hallo, Herr Schuhmacher!

Sie haben um Erklärung zu meinem

> Wenn schon die Marktwirtschaft für 
> Selbstregulation steht,
> >warum dann nicht wirklich Selbstregulation "ins System" einbauen?

gebeten. Also versuche ich´s mal:

Verhalten und Lernen werden durch Rückkopplungsschleifen bestimmt. Je
unmittelbarer diese Rückkopplungen, desto besser. Und je weniger Feedback
nötig, um ein Verhalten "in der Spur zu halten", desto besser.

Wenn ich ein Formel 1 Auto mit 400 km/h steuere, dann kann ich mein Lenkrad
nicht so bewegen, wie bei einem Pkw. Das ist eine unmittelbare Rückkopplung,
es sind mit unmittelbare Grenzen auferlegt. Viel weniger effektiv wäre es,
wenn ich das Lenkrad im Grunde drehen könnte, wie ich will, dabei aber immer
im Hinterkopf haben müsste, dass ich zuhause bestraft werde, wenn ich von
der Rennstrecke abkomme.

Auf die Marktwirtschaft oder unseren Umgang mit Geld übertragen:

Wenn unser Problem ist, dass nicht genügend konsumiert wird, weil die Leute
auf dem Geld sitzen, dann sollte man nicht versuchen, sie irgendwie über
Steuererleichterungen oder andere Formen von "Zuckerbrot und Peitsche" dahin
zu bringen, ihr Geld auszugeben. Solche Art von Feedback halte ich für zu
indirekt.

Viel besser wäre es doch, wenn Geld selbst eine Eigenschaft hätte, die mich
motiviert, es auszugeben. Eine heißte Herdplatte hat die Eigenschaft "heiß",
die mich unmittelbar motiviert, meine Hand wegzuziehen. Das ist erwünscht.
(Und ich habe Rezeptoren, die diese Eigenschaft wahrnehmen.)

Für Geld gibt es aber keine in der Bevölkerung eingebauten Rezeptoren, die
die Notwendigkeit zu mehr Geldausgabe wahrnehmen könnten. Oder: Der Rezeptor
Intellekt ist so unterschiedlich ausgeprägt bzw. kann das komplexe System
Markwirtschaft/Gesellschaft nur so schlecht wahrnehmen, dass er die
Notwendigkeit einfach nicht sieht.

Wenn es nun also gut ist, dass Geld in den Umlauf kommt statt darauf zu
sitzen, dann sollte das Geld eine Eigenschaft erhalten, die ich unmittelbar
und sehr einfach wahrnehmen kann und die mich motiviert, es eben nicht
festzuhalten, sondern es auszugeben, damit andere Werte schöpfen. Das Geld
selbst sollte mich motivieren, einen Stuhl beim Tischler zu kaufen, der dann
Holzteile zu einem Ganzen zusammenfügt, dass mehr ist als seine Teile und
einen Wert für mich darstellt.

Insofern würde ich sagen: Geld sollte stinken :-) Denn wenn Geld stinkt,
dann will ich es nicht lange behalten.

In der Agrargesellschaft war gesichter, dass der Bauer immer ein Auskommen
hat, weil seine Produkte irgendwann anfingen zu stinken bzw. aufgebraucht
waren. In der heutigen Gesellschaft sind wir inzw. auch wieder da angelangt,
dass Produkte nicht so lange "frisch" bleiben, wie sie es könnten. Wir
könnten sicherlich Kühlschränke bauen, die 50 Jahre halten. Aber das tun wir
nicht. Weil irgendwann der Markt dann gesättigt wäre. Jeder Haushalt kann
vielleicht nur 1-2 Kühlschränke gebrauchen. Also bauen wir Kühlschränke
weniger robust, als wir könnten - und schüren dann auch noch Modetrends:
Kühlschränke mit Fernseher, mit Eiswürfelautomat usw.

Nur beim Geld verhalten wir uns anders herum. Das finde ich merkwürdig. Das
alles, was (wert-geschöpft) wird auch wieder vergeht bzw. vergehen muss, das
haben wir inzwischen sogar beim Plastik begriffen.

Geld dagegen kann ich unbegrenzt konservieren und nicht nur das, je länger
ich es konserviere, desto mehr habe ich davon. Ich werde also ermutigt, Geld
nicht auszugeben. (Die Inflation als Verfall von Geld halte ich für
vergleichsweise vernachlässigbar.)

Da Geld im Zentrum unserer Marktwirtschaft im Grunde nun so widernatürlich
ist, erscheinen mir Lösungen für die gegenwärtige Misere, die diese
Widernatur nicht wahrnehmen und versuchen aufzulösen, als reine
Symptomkuren.

Mit dieser Einschätzung wende ich mich nicht dagegen, dass jeder nach mehr
Geld streben könne sollte. Nein, nein, das halte ich für sehr wichtig. Jeder
soll Werte schöpfen nach Lust und Laune und dafür Geld bekommen soviel der
Markt hergibt. Aber man soll halt dann nicht auf seinen Millionen
sitzenbleiben können. Denn das verhindert andere, Werte zu schöpfen, die sie
gern schöpfen würden.

Von mir aus sollen alle Geldgierig sein. Sie sollen darüber aber nicht
vergessen können, dass es anderen genauso geht. Geld, das durch sich selbst
mich motiviert, es wieder in Umlauf zu bringen, ist - überspitzt gesagt -
eine Hilfe zur praktischen Nächstenliebe :-)

-Ralf Westphal


> -----Original Message-----
> From: debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.de 
> [mailto:debatte-grundeinkommen-bounces at listen.grundeinkommen.d
> e] On Behalf Of Werner Schumacher
> Sent: Mittwoch, 7. Dezember 2005 18:38
> To: Ralf Westphal
> Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Nochmal Finanzierungsgedanken
> 
> Lieber Herr Westphal,
> 
> >Aber: Je länger ich darüber nachdenke, desto stärker 
> beschleicht mich ein
> >Gefühl, dass bei diesen Vorschlägen etwas sehr grundsätzlich 
> noch nicht
> >stimmt. Für eine so radikale Idee wie das GE scheinen sie 
> mir immer noch zu
> >sehr mit dem Bisherigen verhaftet. Das ist verständlich - 
> aber vielleicht
> >nicht zielführend. 
> >
> Das geht mir ebenso.
> 
> >Denn wenn sich das GE aus Steuern finanziert wie letztlich auch die
> >Sozialhilfe heute - egal, ob das nun 1 Steuer ist oder 2 
> oder 3 -, dann ist
> >das Resultat wieder ein komplexes System wie heute, in dem 
> es auferlegten
> >(!) Zwang und Kontrolle geben muss.
> >
> >Mein Gefühl ist: Wenn schon die Marktwirtschaft für 
> Selbstregulation steht,
> >warum dann nicht wirklich Selbstregulation "ins System" einbauen?
> >
> Können Sie erklären, was Sie damit meinen? Denn Sie machen auf einen 
> wichtigen Unterschied aufmerksam, nämlich auf den den Steuerung und 
> Regelung. Das sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. Wie und 
> womit kann 
> eine Selbstregulation funktionieren?
> 
> Werner Schumacher
> 
> 
> >Liebe Liste,
> >
> >ich bin den Gedanken zum Thema GE-Finanzierung gefolgt 
> (soweit ich das als
> >nicht-BWLer kann). Sie scheinen mir mal mehr, mal weniger 
> plausibel. Auch
> >die 1 Steuer von Götz Werner finde ich von der Idee her ersteinmal
> >interessant.
> >
> >Aber: Je länger ich darüber nachdenke, desto stärker 
> beschleicht mich ein
> >Gefühl, dass bei diesen Vorschlägen etwas sehr grundsätzlich 
> noch nicht
> >stimmt. Für eine so radikale Idee wie das GE scheinen sie 
> mir immer noch zu
> >sehr mit dem Bisherigen verhaftet. Das ist verständlich - 
> aber vielleicht
> >nicht zielführend.
> >
> >Die Amerikaner sagen: You can´t have the cake and eat it. So 
> scheint es mir
> >im Bezug auf die Finanzierung auch zu sein. Man kann soetwas 
> wie das GE
> >nicht haben - glaube ich -, wenn man ansonsten im Grunde "das System"
> >beibehalten will. Mit "das System" meine ich: das GE 
> finanziert sich aus
> >Steuern.
> >
> >Denn wenn sich das GE aus Steuern finanziert wie letztlich auch die
> >Sozialhilfe heute - egal, ob das nun 1 Steuer ist oder 2 
> oder 3 -, dann ist
> >das Resultat wieder ein komplexes System wie heute, in dem 
> es auferlegten
> >(!) Zwang und Kontrolle geben muss.
> >
> >Mein Gefühl ist: Wenn schon die Marktwirtschaft für 
> Selbstregulation steht,
> >warum dann nicht wirklich Selbstregulation "ins System" einbauen?
> >
> >Solange aber der Staat noch Steuern eintreiben muss, solange 
> reguliert sich
> >das System nicht selbst. Solange der Staat zwischen "gewünschter"
> >Wertschöpfung und "ungewünschter" unterscheiden muss, d.h. zwischen
> >Wertschöpfung, die innerhalb des Systems stattfindet und zu 
> Steueraufkommen
> >führt, und solcher, die kein Steueraufkommen produziert 
> ("Schwarzarbeit"),
> >solange ist das System nicht wirklich selbstregulierend und 
> die Menschen
> >darin nicht wirklich frei.
> >
> >Außerdem ist dem System nicht die "Notwendigkeit" zum 
> Konsum. Und wo Steuern
> >erhoben werden, ist immer auch der Keim gelegt für den 
> Wunsch, genau diese
> >Steuern zu umgehen (legal mit Sonderregelungen oder illegal).
> >
> >Insofern erscheinen mir derzeit Finanzierungsvorschläge, die 
> im Grunde das
> >existierende System beibehalten wollen und nur ein GE 
> einführen, als zu
> >kurzgreifend. Allemal, da wir ja im Grunde alle Freiheiten 
> haben den Umgang
> >mit Geld zu gestalten, wie wir wollen. Geld ist nur eine 
> Konvention und
> >seine Eigenschaften folgen keinem Naturgesetz. Wir können es also
> >modellieren, wie wir wollen.
> >
> >Gruß
> >
> >Ralf Westphal
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