[Debatte-Grundeinkommen] [Fwd: Fw: [Debatte.bag.wirtschaft] DER LOHN DER ANGST (aus der aktuellenbrand eins)]
Katrin Mohr
kmohr at gwdg.de
Mo Aug 29 17:42:48 CEST 2005
Anbei einer der Artikel aus der aktuellen brandeins, "Der Lohn der
Angst" von Wolf Lotter.
Grüße,
KM
*-----Ursprüngliche Nachricht-----*
*Von: *Rasmus Prieß <rasmus.priess at gmx.org <mailto:rasmus.priess at gmx.org>>
*An: *debatte.bag.wirtschaft at gruene.de
<mailto:debatte.bag.wirtschaft at gruene.de>
<debatte.bag.wirtschaft at gruene.de <mailto:debatte.bag.wirtschaft at gruene.de>>
*Datum: *Samstag, 27. August 2005 12:59
*Betreff: *[Debatte.bag.wirtschaft] DER LOHN DER ANGST (aus der
aktuellenbrand eins)
*brand eins* 7/2005
DER LOHN DER ANGST
Automation und Fortschritt, Wissensarbeit und Kapitalismus
vernichten Arbeitsplätze. Und das ist gut so.
Es geht nämlich auch anders.
*Text:* Wolf Lotter
I. Die Maßnahme
Wer heute nicht ans Paradies glaubt, kommt nicht in den Himmel, sondern
nach Eidelstedt. Dort, im kleinbürgerlichen Stadtteil im Nordwesten
Hamburgs, wird noch hochgehalten, was immer weniger bringt: Erwerbsarbeit.
Dort kämpfen die letzten Helden der Vollbeschäftigung für den Endsieg
der Vollerwerbsgesellschaft. Der Arbeitslose, an sich ein funktionsloses
Glied der Arbeitsgemeinschaft aller Deutschen, soll nicht verlernen,
worauf Wohl und Wehe des Vaterlands gebaut sind: Arbeiten. Koste es, was
es wolle.
Und das geht nach den Aufzeichnungen eines Arbeitslosen so: "Zuerst
haben wir alle Arbeitsbekleidung erhalten. Blaue Latzhosen und eine
Jacke, auf der groß draufsteht: HAB Eidelstedt - Hamburger
Arbeits-Beschaffung Eidelstedt heißt das." Die Montur müsse sein,
erklärt der Fallmanager der Bundesagentur für Arbeit, die mit 58
Milliarden Euro Jahresbudget rund fünf Millionen "Kunden", wie die
Erwerbslosen neuerdings heißen, verwaltet. Schließlich soll der Bürger
draußen sofort merken, dass etwas geschieht. Aber was? Das ist noch
unklar, wie vieles, Dialektik des modernen Sozialstaats eben. An die
Ein-Euro-Jobber, die hier für ihren künftigen Einsatz üben sollen,
werden jedenfalls dicke Monturen ausgegeben, obwohl sie in Innenräumen
für den Ernstfall trainieren - "damit sie sich schon mal an
Arbeitskleidung gewöhnen". Gewöhnung ist überhaupt das A und O des
Arbeitslebens, und deshalb rücken die Erwerbslosen im Alter von 40 bis
55 Jahren bereits um sechs Uhr früh an, zum Morgenappell. Jobs gibt es
keine und auch nichts zu tun, was für irgendjemanden Sinn ergeben
könnte. Stattdessen lässt der Fallmanager eine Gipswand aufstellen, die
er von den potenziellen Ein-Euro-Jobbern mal in Blau, mal in Weiß
streichen lässt, so lange, bis die dünne Platte die Farbe nicht mehr
trägt. Eine Wand weiter üben sich Arbeitslose im Fliesenlegen - Kachel
rauf, bis die Wand voll ist, Kachel runter, ratsch. Eine Frau schnipselt
mit einem Teppichmesser Auslegeware klein, die Stückchen kommen in einen
Müllsack. Am Ende des Tages gibt's zum Dank ein klein wenig Hoffnung.
Möglicherweise, sagt der Fall-manager, gäbe es demnächst ein paar
richtige Jobs. Vielleicht.
All das spielt, wie gesagt, nicht in einer Irrenanstalt, sondern in
Deutschland. Viele im Arbeits-Trainings-Camp in Eidelstedt haben Kinder,
die gute Chancen haben, demnächst eine ähnliche Maßnahme zu erhalten.
Sie alle hier haben Familie, Freunde. Was kostet es, haben zu wollen,
was es nicht mehr gibt? In Eidelstedt und anderswo ist der Preis klar:
die Würde.
II. Die Arbeitslüge
"Walt Disneys Lustige Taschenbücher" sind, wenn es um die Familie Duck
aus Entenhausen geht, ein grandioses Sittenbild einer wirren
Gesellschaft. Die drei klügsten Köpfe in diesen Geschichten - wer würde
das bestreiten? - sind die Neffen des trostlosen Systemerhalters Donald
Duck. Sie heißen Tick, Trick und Track. In fast jedem Abenteuer, das sie
bestehen müssen, finden sie die richtige Lösung. Die drei Jungenten sind
gewiss nicht faul. Aber sie kennen den Unterschied zwischen Arbeit und
Tätigkeit, zwischen sturer Routine und kreativem Problemlösen. Sie sind
eine Entscheidungselite, und sie können das auch sehr klar ausdrücken.
Ihr Motto lautet: "Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, ist
verrückt."
Mit dieser Einstellung würden die drei pubertierenden Enten hier zu
Lande nicht alt. "Sozial ist, was Arbeit schafft", behauptet die CDU,
für die SPD sind Arbeitsplätze die schönsten Plätze in Deutschland. Die
Besserverdienenden von Bündnis 90/Die Grünen singen "Brüder, durch Sonne
zur Arbeit", und die FDP quengelt: "Arbeit muss sich wieder lohnen." Am
Ende der ideologischen Verirrungen steht die Linkspartei: "Arbeit soll
das Land regieren."
Mit diesem Slogan kommen diese Neo-Stalinisten der Wahrheit, wenngleich
ungewollt, ziemlich nah: Ohne Arbeit, das ist der letzte gemeinsame
Nenner der politischen Psychologie, kein Staat, keine Gesellschaft. Und
folgerichtig auch kein Leben.
Schon die Phrase von der Rückkehr zur Vollbeschäftigung ist eine Farce.
Zu keinem Zeitpunkt des Industriekapitalismus, der seit fast zwei
Jahrhunderten währt und der ohne Zweifel die meisten Beschäftigten aller
Zeiten generierte, gab es so etwas Ähnliches wie Vollbeschäftigung für
mehr als einige kurze, außergewöhnliche Jahre. Was die Arbeitswütigen
meinen, umschreibt den Zeitraum von Anfang der fünfziger bis Ende der
sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das ist die Zeit, die bis
heute als unverrückbares Ziel dieser Gesellschaft beschworen wird: das
deutsche Wirtschaftswunder. Es stützt sich allerdings auf 60 Millionen
Tote, die Opferzahl des Zweiten Weltkriegs.
Ein Land, in dem praktisch alles neu aufgebaut werden musste, wofür
zudem kaum männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen, hat zu tun -
keine Frage. Doch nie gab es Vollbeschäftigung in ganz normalen Zeiten.
Bereits 1966 musste der Konstrukteur der Währungsreform und des
mystischen Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, von seiner Kanzlerschaft
zurücktreten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik war es
nicht gelungen, das Bruttoinlandsprodukt zu steigern. Und die
Arbeitslosigkeit, die seit 1949 als besiegt galt, stieg auf 0,7 Prozent.
Seither herrscht eine Allparteien-Einigkeit, über die Wirklichkeit
hartnäckig hinwegzureden. "Ein Schweigegelübde unseres Establishments",
hat das der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz genannt.
Glotz gehörte in den achtziger Jahren zu den ersten Vertretern dieses
Establishments, der dieses Schweigen brach.
Seine These von der Zwei-Drittel-Gesellschaft besagte, dass immer
weniger Menschen gebraucht würden, um die sagenhaften
Produktivitätsgewinne der modernen Ökonomie zu erwirtschaften. "Der Rest
kann das Spiel nicht mitspielen oder will es nicht. Die leben von
Vermögen, Erbschaften, Sozialhilfe, Schwarzarbeit, Omas Rente - kurz und
gut, sie bringen sich irgendwie über die Runden." Die These des
einstigen SPD-Vordenkers ist heute bestätigt: Gut 15 Millionen
Bundesbürger leben in den Verhältnissen, die Glotz beschrieb - ein
Drittel davon registriert als Arbeitslose, der Rest lebt vom Ersparten
oder schlägt sich mit Gelegenheitsarbeit und Schwarzarbeit durch, die
ein knappes Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beträgt.
Das Gerede von Vollbeschäftigung, sagt Glotz, ist nichts weiter als
"sinnloses Geschwätz".
III. Die Mühe
In der Welt der Arbeit ist nichts, wie es scheint. Arbeit, genauer:
Erwerbsarbeit, galt den antiken Denkern als so ziemlich das Letzte. Man
unterschied, wie heute wieder, Arbeit und Tätigkeit. Das eine sicherte
die nackte Existenz und entsprang immer den Notwendigkeiten. Das andere
hingegen beschrieb, was Menschen gern und freiwillig tun, selbst dann,
wenn es besonderer Leistungen und Anstrengungen bedurfte. Bei den alten
Germanen wurde das Wort für Knecht und Arbeit schließlich eins: orbu.
Das englische Wort Labour hat seinen Ursprung im lateinischen labor.
Labor heißt: Mühe.
Seit der Apostel Paulus sein "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen"
verkündete, ist die tägliche Mühe zur Pflicht geworden. Im sechsten
Jahrhundert gründet Benedikt von Nursia den einflussreichsten Orden der
Kirchengeschichte, den der Benediktiner. Ora et labora heißt deren Motto
- beten und arbeiten. Sonst nichts. Darauf bauten die Erfolge des
Abendlandes für viele Jahrhunderte. Doch trotz der allerchristlichsten
Beschwörungen war Erwerbsarbeit bis zur Industrialisierung keineswegs
der Mittelpunkt des menschlichen Lebens. Dass sich die herrschende
Klasse dem Müßiggang ergab, verstand sich von selbst, aber auch die
Bevölkerung schuftete, allen Legenden zum Trotz, nicht wie verrückt. Im
Mittelalter gab es wenigstens 50 strikt arbeitsfreie Tage im Jahr.
Anstrengenden Arbeitsphasen, etwa in der Erntezeit, folgten längere
Abschnitte, in denen nur wenig gearbeitet wurde.
Die Industrialisierung beendete das schlagartig. Zwischen 1830 und 1860,
den ersten ungehemmten Jahren der neuen Ökonomie, betrug die
durchschnittliche Arbeitszeit am Tag zwischen 14 und 16 Stunden, pro
Woche 85 Stunden. Dazu kamen oft stundenlange Wegzeiten in die Fabrik.
Eine gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit auf maximal 48
Wochenstunden gab es erst in der Weimarer Republik. Die
Nationalsozialisten hoben alle Beschränkungen wieder auf, erst 1948
wurden die Verhältnisse von vor 1933 wiederhergestellt. In den sechziger
Jahren wurde in den meisten Tarifverträgen die 40-Stunden-Woche
festgeschrieben.
Zu diesem Zeitpunkt aber begann sich die Arbeitsgesellschaft, die das
gesamte Leben regelte, fundamental zu ändern. In den Industriestaaten
wurde die Zahl der Erwerbsarbeiter in der Industrie erstmals durch die
im Dienstleistungsbereich übertroffen. Im Jahr 2000 spielte die
Produktion in Deutschland keine größere Rolle als die der Landwirtschaft
Ende der fünfziger Jahre: Kaum ein Drittel der Beschäftigten stellt noch
etwas Gegenständliches her.
Auch für das, was wir für Arbeit halten, gilt: Die Veränderungen sind
dem Bewusstsein weit voraus. Nach wie vor hält sich der Mythos der
Arbeit als Schaffen, Schuften und Rackern. Je fleißiger eine Nation, so
glauben wir, desto erfolgreicher ist sie. Hart arbeiten - und alles wird
gut. Für einige stimmt das auch. Doch längst nicht mehr für die Mehrheit.
IV. Was ist "neue Arbeit"?
Der Industrialismus ist die Ursache des Arbeitswahns - und in ihm liegt
gleichsam auch der Keim für das unausbleibliche Ende der
Vollbeschäftigungsgesellschaft. Das Ziel jeder Produktivitätssteigerung
ist es, mehr Ergebnis mit weniger Aufwand zu erzeugen, von den Physikern
auch Arbeit genannt. Automation ist die Folge intensiven Nachdenkens.
Die logische Folge: Je mehr Kopfarbeiter schuften, desto weniger bleibt
für Handarbeiter übrig. Das liegt daran, dass Kopf- oder Wissensarbeiter
nahezu immer darüber nachdenken, welche Prozesse in der Entwicklung oder
Produktion verbessert werden können. Man kann das durch simple
Beobachtung leicht nachvollziehen: In Branchen, in denen stupide
körperliche (und einfache geistige) Arbeit durch Maschinen und Systeme
ersetzt werden, etwa in der Informations- und Kommunikationstechnologie,
schuften die Gestalter dieser Automations-Verfahren besonders intensiv.
Ein 14-Stunden-Tag gilt hier als normal, so viel also, wie noch vor fünf
Generationen den Proletariern der frühen Industriegesellschaft
abverlangt wurde.
Das ist die wirkliche "neue Arbeit", eine Tätigkeit, die körperliche
oder auch nur routinemäßige Arbeit ersetzt. Diese Arbeitseliten, die es
auch in der fortschrittlichen Produktion, in der Biotechnologie und
anderen Automationsbranchen gibt, werfen zwei Schatten: einen echten,
der sie als Liquidatoren der Arbeit erscheinen lässt. Schemenhaft aber
wird eine zweite Kontur sichtbar: die des Vorbilds, das wie verrückt
schuftet, das die Arbeit noch hochhält - und damit die Wertvorstellungen
der alten Arbeitsgesellschaft. Während also, ganz nach Plan, die alte
Plackerei durch Technik, Fortschritt und Wissensarbeit beendet wird,
haben all jene, die sich nicht mehr plagen müssen, ständig ein
schlechtes Gewissen. Schizophrene Wahrnehmungen sind in Zeiten des
Wandels, der Transformation, unvermeidlich.
Der Übergang vom Leistungsträger zum Leistungsempfänger ist fließend.
Bereits in den neunziger Jahren, schreibt der Wirtschaftshistoriker
Wolfgang Reinhard, "wurden nur noch 25 Prozent der erwachsenen
Lebenszeit auf die Arbeit verwendet". Frauen und Männer also, die
physisch und psychisch in der Lage gewesen wären zu arbeiten,
verbrachten im statistischen Mittel nur noch ein Viertel ihres Lebens
mit dem, was sie bis heute als wichtigstes Bürgerrecht begreifen: mit
Erwerbsarbeit.
Diese Realität wird hartnäckig übersehen. Und die Konsequenz daraus,
dass mit Arbeit künftig kein Staat mehr zu machen ist, wird vom
Establishment geleugnet. Die schlichte Ursache: Macht. Wer einstellen
und entlassen kann, hat Macht über das Leben anderer.
Noch größer ist die Macht von Politikern, die mit Gesetzen und Reformen
diese Prozesse regeln. Ein Kanzler, der Arbeit schafft, ist mächtig,
einer, der das nicht schafft, nutzlos.
V. Arbeitslosigkeit ist Erfolg
Schlimm ist die aktuelle Lage nur, weil wir sie immer nur von einer
Seite sehen: Ohne Erwerbsarbeit ist der Mensch kein Mensch. Dabei ist
das Fiasko der Arbeitsgesellschaft nichts weiter als der Erfolg des
Kapitalismus. Seine Fähigkeit, mit immer weniger Leistung immer bessere
Ergebnisse zu erzielen, schafft Arbeitslosigkeit. Von Übel ist das nur,
weil wir unsere wirklichen Siege nicht wahrnehmen.
Die Automation ist Segen, nicht Fluch. Sie ist höchst erfolgreich,
wenngleich die Auswirkungen im alten Sozialsystem nicht mehr ankommen
können. Denn die Quelle des alten Sozialstaates war Arbeit, die man in
Geld tauschte. Heute wird Arbeit durch technologischen Fortschritt immer
mehr überflüssig; Erträge und Profite entstehen dadurch, dass wir
arbeiten lassen. Warum ist es so schwer, daraus die richtigen Schlüsse
zu ziehen?
In den Zeiten des Wirtschaftswunders stieg die Produktivität allein
zwischen 1948 und 1965 um fast 300 Prozent. Nach Abzug der
Sonderkonjunktur erlebte die Bundesrepublik zwischen 1970 und 1995 immer
noch eine Produktivitätsverdoppelung. Das geschah aber bereits vor dem
Hintergrund steigender Massenarbeitslosigkeit und des Zusammenbruchs
großer Teile der alten Industrien, also gebremst.
Tatsächlich ist es keineswegs nötig, dass in Deutschland noch 26,5
Millionen unselbstständig Erwerbstätige ihrer Erwerbsarbeit nachgehen.
Lothar Späth und der frühere McKinsey-Manager Herbert A. Henzler haben
im Jahr 1993 eine Berechnung angestellt: Was würde passieren, schöpfte
man das technisch machbare Automationspotenzial in der Bundesrepublik
voll aus? Die Antwort: Eine Arbeitslosigkeit von 38 Prozent wäre normal.
Eindrucksvoll bestätigte eine weitere Studie der Universtität Würzburg
im Jahr 1998 die Annahme der Autoren: Allein im Bankensektor liegt das
Automationspotenzial bei mehr als 60 Prozent, im Handel immer noch bei
mehr als der Hälfte des gegenwärtigen Beschäftigungsstands. In diesen
und vielen anderen Sektoren ist es nur eine Frage der Zeit, bis die
Potenziale ausgenutzt werden.
Die Kräfte, die sich am Vollerwerbsmodell festkrallen, rechnen mit
Wundern. Umverteilung der Arbeit soll das Schlimmste verhindern. Das ist
schon oberflächlich betrachtet grober Unfug. Selbst in längst
vergangenen Zeiten, als die meisten Menschen nur stupide, leicht
einstudierbare Arbeit in Fabriken leisteten, ließ sich das kaum
realisieren. Wenn Arbeit aber vor allem geistige Tätigkeit ist, also
Wissensarbeit - wie sollte Umverteilung dann funktionieren? Durch
Gehirntransplantationen?
VI. Das Recht auf Zuchthaus
Bereits vor einem guten Jahrhundert war diese Entwicklung absehbar und
eine Lösungsidee auf dem Tisch. Im Jahr 1912 erschien ein Buch des
österreichischen Ingenieurs und Schriftstellers Joseph Popper-Lynkeus,
der unter den Intellektuellen aller Nationen für Furore sorgte. In mehr
als 30 Sprachen übersetzt, formulierte Popper-Lynkeus darin seine
Theorie von der "Allgemeinen Nährpflicht", die nichts anderes besagt,
als dass Teile der durch Automation erzielten Produktivitätsgewinne zu
einer Grundsicherung aller Staatsbürger führen müssten. Die Idee eines
an keine Bedingungen geknüpften Grundeinkommens, das mit minimalem
bürokratischem Aufwand verteilt und zur Vermeidung der elementarsten
Existenzsorgen dienen sollte, faszinierte etwa Albert Einstein, der im
"Recht auf Arbeit" nichts anderes erkennen konnte als das "Recht auf
Zuchthaus".
Ökonomen und Sozialwissenschaftler plädieren seit Jahrzehnten dafür, die
vorhersehbaren Folgen der ausklingenden Arbeitsgesellschaft durch ein
Grundeinkommen für alle Bürger abzufedern. Der Unterschied zur
Sozialhilfe und ihre vielfältigen Erscheinungsformen ist einfach: Ein
Grundeinkommen, auch Bürgergeld genannt, wird ohne Prüfung,
bedingungslos sozusagen, jedem Staatsbürger zuerkannt. Es dient der
Sicherung der Existenz. Es wird bezahlt wie ein Gehalt und ersetzt in
fast allen bekannten Modellen die Vielzahl öffentlicher Almosen, die den
Sozialstaat heute so heillos überfrachten.
Die Idee vom Geld für alle lässt sich ideologisch nicht verorten. Der
amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman propagierte sie
schon 1962: Wer unterhalb einer bestimmten Einkommensschwelle bleibt,
erhält vom Staat einen festen Betrag. Finanziert wird diese negative
Einkommenssteuer durch Steueraufkommen. Eine klassische
Transfer-leistung, die allerdings in den USA nur zum Teil realisiert
wurde. So erhalten US-Bürger mit einem Einkommen unter 12 000 Dollar
Geld über die negative Einkommenssteuer zurück - empfangsberechtigt ist
jedoch nur, wer regelmäßiger Erwerbsarbeit nachgeht.
Neben dem Nobelpreisträger Friedman, der gern auch als Vater des
Neoliberalismus bezeichnet wird, ist der französische Philosoph André
Gorz ein bekannter Verfechter des Grundeinkommens. Gorz, langjähriger
Mitstreiter Jean-Paul Sartres, argumentiert für das Grundeinkommen
genauso wie der liberale Soziologe Lord Ralf Dahrendorf: "Eine
Grundausstattung für alle muss garantiert sein. Ein Gesellschaft braucht
einen Fußboden, unter den niemand geraten darf."
Die Motivlage mag bei linken und liberalen Befürwortern des
Grundeinkommens auseinander klaffen. Für die einen ist es die
konsequente Fortsetzung der Umverteilung, die Sozialdividende, die jedem
zusteht, der Bürger ist. Für die anderen geht es um die Möglichkeit, die
volle Dynamik der Rationalisierung und Automation auszuschöpfen - quasi
dem ungezügelten Fortschritt freien Lauf zu lassen und gleichzeitig die
Sozialbürokratie auf ein Minimum zu beschränken. Denn wo ein
Grundeinkommen den Lebensstandard sichert, braucht man weder Sozialhilfe
noch Arbeitslosengeld, kein Rentensystem oder Kindergeld - und auch
nicht die unzähligen weiteren Hilfen und Subventionen, die heute nach
dem Gießkannenprinzip verteilt werden.
VII. Das Recht der Bürger
Der Frankfurter Sozialwissenschaftler Sascha Liebermann ist einer der
Initiatoren der Platt-form "Freiheit statt Vollbeschäftigung", in der
Wissenschaftler aller Disziplinen Argumente für ein bedingungsloses
Grundeinkommen zusammentragen. Er sieht die gegenwärtige Lage nicht
tiefschwarz, im Gegenteil: Langsam sei die Voraussetzung geschaffen,
dass sich die Energie verzehrenden Existenzängste und Nöte der Menschen
in positive Bahnen lenken lassen: "Die Arbeitslosigkeit ist das Resultat
eines riesigen Erfolges - des gelungenen Projektes, mit immer weniger
Arbeit immer mehr zu produzieren. Und es ist doch ganz klar, dass wir
nur einen Mechanismus brauchen, damit möglichst viele davon profitieren.
Sehen Sie mal, was wir mit jungen Menschen machen: Der Druck, der auf
Jugendlichen lastet, ist der Feind jedes Wagnisses. Die werden von allen
Seiten angelabert, dass sie sich einen der wenigen noch verfügbaren
Vollerwerbs-Arbeitsplätze erkämpfen sollen. Deshalb riskieren sie
nichts. Sie haben Angst, unter die Räder zu kommen."
Die Frage, sagt Liebermann, sei nicht: Wie schaffe ich es, das alte
System weiterhin zu finanzieren? Die Frage lautet: Wir kriegen wir ein
System hin, bei dem die ungeheuren Möglichkeiten der Automation ihren
Nutzen entfalten? Statt Milliarden an Steuergeldern und praktisch alle
Energie auf die sinnlose Debatte um den Erhalt der
Vollbeschäftigungsgesellschaft zu lenken, wäre es dringlicher, die
Grundlagen einer sozialen Grundsicherung für alle auszuarbeiten. "Das
ist die wichtigste Arbeit, die wir in der Transformation zu leisten
haben. Dabei entsteht ein kleiner, aber starker Staat, dessen einzige
Aufgabe die Sicherung des Rahmens ist. Und in dem man keine riesige
Sozialadministration mehr braucht."
Von den links-alternativen Grundeinkommens-Debatten der achtziger Jahre
grenzt sich Liebermann ab: "Da ging es eigentlich nur darum, dass einige
wenige etwas mehr Kohle von einem Staat wollten, den sie im Grunde nicht
leiden konnten. Die Voraussetzung dafür, dass wir ein bedingungsloses
Grundeinkommen bezahlen können, ist, dass wir akzeptieren, dass der
Bürger weiß, was ihm gut tut. Und dazu müssen wir in Deutschland erst
einmal den Bürger - den Citoyen - als eigenständig handelndes Wesen
begreifen."
Das sagt auch der Historiker Paul Nolte von der Freien Universität
Berlin oft und gern. Allerdings schlägt der konservativ-grüne
Geschichtsprofessor das Kreuz, wenn er von bedingungslosem
Grundeinkommen hört: "Die Erwerbstätigkeit bleibt ein tragender Teil
unserer Gesellschaft." Die Debatte um ein Grundeinkommen, das den
Wildwuchs an sozialen Zuwendungen ersetzt, ist für ihn eine "alte
Intellektuellenvision aus den sechziger Jahren. Da stehen ein paar
Weißkittel in der Fabrik, dort schuften Roboter, und der Rest lässt sich
die Sonne auf den Bauch scheinen". Auf die Mündigkeit der Bevölkerung,
so viel steht für Nolte fest, sei kein Verlass. Dass sich die Bürger auf
der Basis eines Grundeinkommens besonders gesellschaftlich engagieren
oder - ohne existenziellen Druck - auf die Suche nach mehr Chancen im
Leben gehen würden, glaubt er nicht. "Das kriegen die Leute kulturell
nicht geregelt", sagt er. Kein Zweifel: Nolte hält das Gros der
Bevölkerung für faul und willenlos. Die Masse entwickle Engagement
bestenfalls darin zu fordern - stets Neues und immer mehr.
Druck und Zwang, meint Nolte, blieben zuverlässige Gesellen beim Aufbau
eines neuen Wertekanons einer künftigen Erwerbsgesellschaft. Dazu gehört
die Bereitschaft, in den vorhandenen Rahmen zu denken und zu parieren:
"Die Formel 8-8-8 hat sich historisch enorm bewährt." Paul Nolte redet
nicht über Kabbalistik oder esoterischen Zahlenzauber, sondern über die
klassische Zeiteinteilung der Industriegesellschaft, der ordentlichen
Welt von gestern. Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht
Stunden pennen. Und dann wieder von vorn. Für Nolte ist das "eine
anthropologisch logische Sache".
Der Historiker steht mit dieser Meinung einer wachsenden Zahl von
Ökonomen gegenüber, die im Konsum nicht das Problem, sondern die Lösung
der Krise sehen. Genauer: in der höheren Besteuerung von Konsum aller
Art. Fast jedes europäische Land hat deutlich höhere Verbrauchs- oder
Konsumsteuern als Deutschland. In den neuen osteuropäischen
EU-Mitgliedsstaaten gilt praktisch durchgängig das Prinzip, Arbeit und
Produktion, also die Wertschöpfungskette, gering zu besteuern. Umso
stärker wird zugelangt, wenn es um Konsum geht. Die Methode hat mehrere
Vorteile.
Steuern werden dort erhoben, wo Waren und Dienstleistungen gekauft
werden. Egal, wo die Maschine steht, auf der sie produziert wurden.
Unerheblich, ob die Idee aus Japan oder den USA stammt. Und ganz
nebensächlich, ob der dazugehörige Kapitalist in einem Steuerparadies
sitzt oder vor Ort. Bezahlt wird hier und jetzt. Damit brechen die
wesentlichsten Argumente gegen die Globalisierung zusammen. Zugleich
wäre es durchaus nützlich, wenn eine Volkswirtschaft, die auf
Konsumsteuern setzt, auch der Automation freien Lauf lässt. Der
Kapitalismus könnte ungebremst produzieren, also tun, was er kann.
Zwei Argumente werden dagegen immer wieder angeführt: Durch höhere
Verbrauchssteuern reduziere sich der Konsum. Das lässt sich, bei einer
ausgewogenen Entlastung bei den Kapital- und Arbeitssteuern, in keiner
anderen Nation beobachten. Und: Eine Grundsicherung, Bürgergeld,
Grundeinkommen, zerstöre die Erwerbsarbeitsmoral. Aber taugt ein so
eindeutig schwindender Wert wirklich noch zur Leitkultur?
VIII. Tätigkeit
Peter Glotz, der in den achtziger Jahren zu den schärfsten Kritikern
eines bedingungslosen Grundeinkommens zählte, hat inzwischen Zweifel:
"Ich weiß wirklich nicht, wie man ein Grundeinkommen, das den Namen auch
verdient, finanzieren sollte. Aber dass sich die Verhältnisse seit den
achtziger Jahren dramatisch geändert haben, kann man nur absichtlich
übersehen." Seine Hauptsorge damals, sagt Glotz, war "schlicht die
Tatsache, dass es ernsthafte Aggressionen gegen die Bezieher eines
kleinen, aber sicheren Grundeinkommens durch die gibt, die weiterhin im
Erwerbsprozess stecken". Heute sieht er die Sache anders: "Kein Mensch
würde nur auf die Grundsicherung vertrauen. Die würden schon weiterhin
was tun." Doch ein Problem sei geblieben: "Keine Partei findet das gut.
Denn an der Arbeit hängt auch die Macht der Parteien und
Organisationen." Das Gerede von der Arbeit als einzigem Sinnstifter
unserer Existenz ist ein "Herrschaftsinstrument", wie Ralf Dahrendorf
schon vor mehr als zwei Jahrzehnten erkannte: Nicht um die Arbeit gehe
es den Machthabern, sondern um sich selbst, um die Möglichkeit, den
Reichtum der Bürger so zu verteilen, wie es ihnen passt. Deshalb sind
die Mächtigen um die Arbeit besorgt, sagt Dahrendorf: "Wenn sie ausgeht,
verlieren die Herren der Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht."
IX. Arbeiten unter Polizeischutz
Doch dieses Fundament bröckelt längst. Denn bleibt alles, wie es ist,
werden immer mehr Erwerbslose - die Chiffre für Bürger zweiter Klasse -
unter uns leben. Sie werden immer weniger aus dem alten
Umverteilungssystem erhalten. Ihr Leben ist unsicher und zunehmend
brutal. Selbst wer dabei nur an sich denkt, sollte wissen, was das
bedeutet. "Solange das Drittel, das kaum mehr etwas hat, ruhig gestellt
wird, gibt es keine wirklichen Probleme", sagt Peter Glotz. Doch das
gelinge nicht mehr lange: "Wenn wir so weitermachen, treiben wir das
untere Drittel der Gesellschaft in Kriminalität und Chaos. Das wird vor
allem auch für die ungemütlich, die etwas besitzen. Wollen wir die
Leute, die in zehn, zwanzig Jahren bei Siemens arbeiten, mit
Polizeischutz zur Arbeit bringen, damit sie nicht ausgeraubt werden?" Es
gehe vor allem auch um die Rechte der anderen.
Das wichtigste Argument für ein Grundeinkommen ist nicht moralischer
Natur - es ist schierer Egoismus, der Wille derer, die vorankommen
wollen. Deshalb sprechen sich heute vor allem Marktbefürworter für ein
Grundeinkommen aus: Es passt zum Kapitalismus. Es ist gut für den Markt.
Georg Vobruba, Professor für Soziologie in Leipzig, gefällt die
Entwicklung. Er hat sich schon in den späten siebziger Jahren für ein
Grundeinkommen stark gemacht - und über Applaus aus dem falschen Lager
geärgert. Denn Grundeinkommen sei keineswegs eine karitative,
gutmenschelnde Veranstaltung: "Vieles in der Debatte um ein
Grundeinkommen ist einfach zu moralisierend. Natürlich hat niemand ein
Recht darauf - woher sollte das auch kommen? Es geht mir um andere
Fragen: Was nützt ein Grundeinkommen denen, die noch in der
Erwerbstätigkeit sind, und was nützt es Unternehmen?"
Die nahe liegendste Antwort ist: eine weit billigere Sozialbürokratie
als heute, bei der die Kosten für die Verwaltung zuweilen die der
ausgezahlten Mittel übertreffen. Darüber hinaus könnte ein
Grundeinkommen dafür sorgen, dass aus Mc-Jobs und Gelegenheitsarbeiten
ganz normale, durchaus sozialverträgliche Tätigkeiten werden können.
X. Ein echter Arbeitsmarkt
Für Vobruba sind die Antworten in den vergangenen Jahren noch klarer
geworden: "Das Grundeinkommen ist ein ziemlich sinnvolles Instrument der
Veränderung. Man bringt die Leute nur dazu, über das ihnen
vorgeschriebene Maß hinauszugehen, wenn man sie materiell unterfüttert."
Das gelte in Zeiten der Globalisierung stärker als je zuvor. 120 Jahre
lang hätten sich der Kapitalismus und der Sozialstaat ganz gut
aneinander gewöhnt und vertragen: "Sozialpolitik hat vor allem den Job,
den Kapitalismus, das Marktgeschehen, von systemfremden Aufgaben zu
entlasten. Unser ökonomisches System ist ausgezeichnet für eine
effiziente Produktion geeignet, für das Schaffen technischen
Fortschritts, der allen nützt. Das Verteilungsproblem aber kann es
weniger gut lösen. Der Markt und das Soziale gehören zusammen, als sich
ergänzende Systeme, die man nicht vermischen sollte."
Ein System entlastet ein anderes, von dem es letztlich lebt: "Die, die
leistungsfähig sind, können sich voll und ganz auf ihre Leistung
konzentrieren. Die Grundeinkommens-Bezieher wiederum müssen nicht einer
Vielzahl an Unterstützungen hinterherlaufen, sondern können sich, wenn
sie wollen, auf einen Arbeitsmarkt begeben, der diesen Namen verdient."
Mehr Effizienz hilft aber vor allem, das Überleben jenes Faktors zu
sichern, der im Sozialen eine so große Rolle spielt: der Moral. Die
Würde des Menschen ist auch davon abhängig, ob das Gesetz der Arbeit -
was kann ich für andere tun? - Widerhall findet. Einen Markt.
Was Langzeitarbeitslose heute in den Amtsstuben der Bundesagentur und
anderswo vorfinden, hat mit Markt nichts zu tun: "Ein Markt lebt davon,
dass Anbieter und Nachfrager weitgehend gleich stark sind. Wo ist das
heute noch der Fall?" Bei einem Grundeinkommen etwa auf der Basis der
heutigen ALGII-Unterstützung könnten sich jene, die nicht mehr wollen,
von diesem künstlich aufgeheizten, einseitigen Markt verabschieden.
Andere, die durch Erwerbsarbeit mehr wollen, hätten bessere Chancen.
"Waffengleichheit" nennt das Vobruba, und zwar eine, die allen dient:
"Wir müssen nicht nur das Dogma der Vollerwerbsgesellschaft beseitigen -
wir müssen die Psychologie durchbrechen. Eine Gesellschaft nach unten
abzusichern dient dem sozialen Frieden, und gleichzeitig bleibt der
Ökonomie Luft zum Atmen."
XI. Der Preis der Vernunft
Bleibt die Frage, was das kostet. Selbst wenn man nur das heute
gesetzlich festgelegte Existenzminimum - 7664 Euro pro Jahr und Kopf -
als Mindesteinkommen garantierte, machte das für 82 Millionen
Bundesbürger die gewaltige Summe von 620 Milliarden Euro aus: rund 200
Milliarden mehr, als der Staat an Steuereinnahmen zusammenkratzt. Auf
den ersten Blick scheint das vollkommen unfinanzierbar. Doch die
gesamten Sozialausgaben der Bundesrepublik betragen bereits heute
jährlich mehr als 720 Milliarden Euro. Zieht man davon die Aufwendungen
für die Krankenversicherung ab, verbleiben 580 Milliarden Euro für
Leistungen, die ein Grundeinkommen langfristig ersetzen könnte. Und all
jene, die weiterhin in Erwerbsarbeit blieben, würden nur potenzielle
Empfänger des geregelten Einkommens ohne Arbeit werden. Tatsächlich ist
nur nicht finanzierbar, dass alles so bleibt, wie es ist.
7664 Euro, vielleicht etwas mehr, vielleicht etwas weniger, sind
überdies nicht das Paradies, nicht mal ein kleines Stück davon. Aber es
wäre ein großer Schritt weg von dem alten Aberglauben, dass der Mensch
nur etwas wert ist, wenn er leidet.
Wie verrückt dieses Dogma ist, wussten nicht nur Tick, Trick und Track.
Schon in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts schrieb ein gewisser
Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, ein kleines, kluges Buch
über "Das Recht auf Faulheit". Darin beklagte sich Lafargue bitter über
die Dummheit seiner Genossen, die nichts im Kopf hatten, als das Recht
auf Arbeit zu fordern. Und er knöpft sich jene guten Christenmenschen
vor, die allen, die nicht arbeiten wollen, das Recht auf Essen
verweigerten: "Jehova, der bärtige und sauertöpfische Gott, gibt seinen
Verehrern das erhabenste Beispiel idealer Faulheit: Nach sechs Tagen
Arbeit ruht er auf alle Ewigkeit aus" und weiter: "Das Proletariat hat
sich (...) von dem Dogma der Arbeit verführen lassen. Hart und
schrecklich war seine Züchtigung."
Der britische Mathematiker Bertrand Russell greift, fast 70 Jahre nach
Lafargues Tod, in seinem Essay "Lob des Müßiggangs" die Gedanken des
Marx-Schwiegersohns auf. "Mit den modernen Produktionsmethoden ist die
Möglichkeit gegeben, dass alle Menschen behaglich und sicher leben
können. Bisher sind wir noch immer so energiegeladen arbeitssam wie zur
Zeit, da es noch keine Maschinen gab. Das war sehr töricht von uns. Aber
sollten wir nicht auch irgendwann mal gescheit werden?"
Die Arbeit hoch? Nein. Kopf hoch. --
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"Everything should be made as simple
as possible, but not one bit simpler."
- Albert Einstein
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Rasmus Priess
rasmus.priess at gmx.org <mailto:rasmus.priess at gmx.org>
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Katrin Mohr (Dipl. Soz.)
Doktorandin am Graduiertenkolleg
"Die Zukunft des Europäischen Sozialmodells"
Universität Göttingen
kmohr at gwdg.de
http://www.uni-goettingen.de/de/sh/3567.html
Adalbertstr. 20
10997 Berlin
Tel.: +49/(0)30/616 52 633
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