[Debatte-Grundeinkommen] Mindestlohn
j.behncke
j.behncke at bln.de
Sa Apr 30 09:04:12 CEST 2005
Lieber Peter Voss, liebe Liste!
Ich sehe das Grundeinkommen ( eher Grundsicherung, also ein nicht unbedingtes, sondern Einkommens- und vermögensabhängiges Grundeinkommen ) als ein Art Mindestlohn an, insbesondere dann, wenn man - wie in unserem Grünen Modell - die Zuverdienstregeln für den Erwerbstätigen günstig regelt ( 50% Anrechnung bis zum doppelten Grundsicherungsbetrag ): Egal, wie niedrig der Lohn ist, zu dem der Erwerbstätige arbeitet, er hat immer mindestens die Grundsicherung und dann noch etwas mehr.
Statt also in die Marktwirtschaft einzugreifen und einen Mindestlohn festzulegen oder auch, wie in anderen Modell ( Magedeburger Alternative! ) auch noch den Unternehmern Subventionen zu zahlen, und das ganze Lohnsubventionen zu nennen, kriegt der Erwerbsfähige immer seine Grundsicherung, die mehr als existenzsichernd sein sollte.
Der argumentative Hintergrund ist der, daß ich ( das tun nicht alle ) den Faktor Arbeit als eine resource im Markt ansehe wie auch Kapital und Rohstoffe: In einer Marktwirtschaft werden Preise nach Angebot und Nachfrage festgelegt: Hohes Angebot: Kleiner Preis. Da in einer globalisierten und durchrationalisierten Arbeitswelt der Preis ( Lohn ) für gering qualifizierte Arbeit ( hier kommt das Bildungselement ins Spiel ) immer niedriger werden wird, kann ein gering qualifizierter von seinem Lohnerwerb nicht mehr leben ( Höher qualifizierte sind heute auch schon in zunehmendem Maße von der Arbeitslosigkeit betroffen, aber unser Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit der geringqualifizierten: Schüler, die keinen Schulabschluß haben etc. ). Da wir aber schwerlich eine Gesellschaft von Spitzenkräften haben werden ( dieses Wunder will bei uns die Bundesagentur für Arbeit vollbringen, indem sie Arbeitslose schult und schult und schult ), ist die Grundsicherung der einzige menschenwürdige und sozialen Ausgleich schaffende Weg. Es gilt nach wie vor die Formel:
Mindestlohn = Existenzsicherung durch Arbeit
Grundsicherung = Existenzsicherung ohne Arbeit
Lohn + Grundsicherung = Mehr als Existenzsicherung
Und nun sind wir beim Thema Steuern:
Diese Leistungen müssen natürlich steuerfinanziert erbracht werden ( wie heute auch unser ALG II, besser bekannt unter Hartz IV ) und je
nach dem wie die Grundsicherung ausgestaltet wird, kostet das auch zusätzliches Geld über Steuererhöhungen, nicht Senkungen, wie unsere Regierung meint. Durch Unternehmenssteuern werden eben auch Unternehmen am sozialen Ausgleich beteiligt und nicht durch Münterferingsche Apelle zur sozialen Verantwortung nach dem Motto: jetzt haben wir was getan, jetzt müßt Ihr Unternehmer auch mal etwas tun: So funktioniert das kapitalistische System nicht: Der Kapitalismus ist wie der Geist in der Flasche: Er kann Wunder tun, aber er ist auch potzgefährlich und nur durch (internationale ) Gesetze und nicht durch Apelle wird er gebändigt.
Die Konsumsteuer ist natürlich auch eine Steuer, ich nenne sie immer "arme Leute" Steuer: Denn nur, wer den größten Teil seines Einkommens für Konsum ausgibt, ist wirklich von ihr betroffen: Ein Herr Ackermann mit 12 Mio. € Jahreseinkommen lacht darüber und steckt sein Geld in private-equity-fonds, die Münterfering wohl Heuschreckenbanden nennt.
Deshalb habe ich extreme Bedenken gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wenn auch im Europäischen Verbund und durch die geringen Sätze Deutschland in seiner Finanznot über kurz oder lang zu diesem Mittel greifen wird: Das ist paradox: Unternehmenssteuern senken und die Steuern für den kleinen Mann erhöhen!
In dem Zusammenhang ist interessant, das im Mutterland des Kapitalismus, in den USA, konkret über die Abschaffung der Einkommenssteuer nachgedacht wird zu Gunsten einer allumfassenden Konsumsteuer. An dieser Stelle kann auch ich dem Argument des Drogeriemarkt-Managers nicht folgen.
Zu guter letzt: Ich esse gerne Spargel und kann ihn mir auch leisten, wenn er teurer ist. Aber wirtschaftlich wirksam ist der Spargelanbau, wenn er nicht für eine Minderheit betrieben wird, sondern viele Menschen Spargel essen können: Das gibt nämlich auch mehr Spargelbauern Lohn und Brot und auch den darauf spezialisierten Erntehelfen aus Polen ( Ein Deutscher schafft 3 Kilo Spargel in der Stunde, ein Pole mehr als 5 Kilo ) der Stundenlohn, auch der war hier mal angefragt, beträgt ungefähr 3 € und deckt damit, zumindest in Deutschland nicht das Existenzminimum: Also bildet unsere Bundesagentur jetzt deutsche Spargelernter aus und zahlt dafür 1€ die Stunde (übrigens entgegen den Regeln steuerfrei; deshalb wurde der 1€ Lohn auch MAE, Mehr Aufwands Entschädigung getauft, da üblicherweise im Steuerrecht Aufwandsentschädigungen ( z.B. bei Bundestagsabgeordneten ) nicht zu versteuern sind, guter Trick!
Grüße
Joachim Behncke, Berlin
Mitglied bei Bündnis90/Die Grünen ud des AK Grundsicherung/Grundeinkommen
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Peter Voss <vossp at tdcadsl.dk>
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Datum: Samstag, 30. April 2005 00:07
Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] Mindestlohn
Sehr geehrter Dr. Behnke,
da ich ein Beführworter des Mindestlohnes neben einem hohen Grundeinkommen bin, will ich Sie fragen, von welchem Modell Sie ausgehen, wenn Sie das Nebeneinander beider
Lohnformen verneinen?
Es waren in den letzten Tagen mehrere denkwürdige Einträge im Forum, teils als Buchbesprechungen, Zeitungsartikel und Beiträge im 5. Informationsblatt, die mich vorläufig in meiner Vorstellung ein wenig unsicher sein lassen.
Nur will ich als Globalantwort geben, dass ich nicht daran glaube, dass der Arbeitsmarkt total verschwindet: der öffentliche Sektor wird grösser werden, die Industrie wird mehr und mehr in der Tiefe spezialisierte Produkte herausbringen, die vielfach gewandelt und verändert auf den Markt gebracht werden. Trotz zunehmender Automatisierung oder - besser noch - Robotterisierung, werden auch die Lieferanten entsprechende Entwicklungen durchmachen. Anfangs ist das schwierig und erfordert Datalogen und IT-Science-Mitarbeiter, dann aber schliessliche auch nur noch normal ausgebildete. Aber die Innovation geht weiter - und es gibt noch viele unerschlossene und nicht entdeckte Bereiche, die noch erschlossen werden wollen. Und ich denke da am wenigsten an Biotechnologie, deren Fehlleistungen jedoch in der Zukunft noch viel Erfindungsreichtum fordern wird, um schreckliche Folgen in den Griff zu bekommen. Dann gibt es den Servicebereich, in dem
Personen ohne weitere Ausbildung und Handwerker viel mehr Arbeit finden könnten als jetzt unter der Vorraussetzung des BGE.
Obwohl ich also nicht an das Verschwinden der Arbeit glaube, so glaube ich auch nicht daran dass man die Bezahlung alleine über die Konsomsteuer hereinbekommt. Hierfür gibt es viele Gründe. Einer von diesen ist, dass viele Konsumtransfers garnicht im näheren Umfelt getätigt werden und zunehmend mehr auch aus dem Ausland pr Internet bestellt wird.
Da sieht es bei den geltenden Bestimmungen nicht gut aus für die Konsumsteuer. Wenn z.B. die Kinesen und Inder stärker in den Angebotsektor zu deren Preisen handeln, dann würde selbst bei einer Transferierung von Konsumsteuern aus diesen Ländern an unsere Steuerbehörden wenig dabei herauskommen. Ferien im Ausland sind ein anderes Problem kann man das alles fixen. Darum setze ich ja auch auf die Vergrösserung der öffentlichen Sektors, wobei auch die Differenzierung von Gesundheitsleistungen diverser Art stark mit- spielen werden.
Im Gegensatz zu vielen Anderen sehe ich nicht recht, dass die Menschen sehr viel Lust haben sollten zu arbeiten, wenn der Mehrlohn gegen Null geht. Hingegen ist mir eingängig, dass fürchterliche Jobs in Zukunft sehr teuer bezahlt werden müssen.
Wenn ich jetzt noch hinzunehme, worauf der bm-drogist (Entschuldigung) mit seinger natürlichen Unterscheidung von Betriebs- und Nationalwirtschaft hinweist, dann bin ich
sehr führ eine Kombination von Einkommensbesteuerung aller Formen von Geldtransfers von einer Einheit zu einer anderen Einheit, was bedeutet kann: von einer Firma zu ihrem Mitarbeiter, von einem Vermögen zu einem Erben oder Nutzniesser oder von einer Person zu irgendeiner anderen, aus welchen Gründen auch immmer - abgesehen von Taschengeld aus besteuerten Einkünften jeder Art. Als Bruttosteuer vorgesehen ohne jegliche Abzüge, würde sich wohl ein Prozentsatz von 35 mit der Zeit auf 25 % fallend vorstellen lassen.
Bevor Ihnen vor Schreck der Atem vergeht, ist hinzuzufügen, dass damit auch die Renten-, die Kranken- und Pflegekosten und so weiter mit abgedeckt werden sollen, um mit dem Kokus-Pokus der viel zu teuren System aufzuräumen. (In meinem Lande (DK) bekommt der gesamte Gesundheitssektor etwa 8, 3 % vom Nationalprodukt und nicht sehr viel Eigenbeitrag ausser bei Zähnen (70 - 80 %) und Optik (85%) (Klammerwerte sind Schätzungen auf Grundláge eigener Erfahrungen).
Dazu käme dann die MwSt, nun als Verbrauchsteuer von 20 bis 30 Procent, aber graduiert nach grünen Gesichtpunkten auch wesentlich niedriger und höher.
Wenn man also vorraussetzt, dass die Arbeitsmenge gross bleiben wird, und man ein kalkulierbares Steueraufkommen haben will, dann wird man auch einen relativ hohen Mindeststundenlohn fordern müssen.
Mir persönlich würde es dabei wenig ausmachen, wenn der Spargel teuer wäre. Vielleicht sollte er garnicht in Deutschland angebaut werden.
Ich bin mir Klar darüber, dass mein Beitrag keine durchdiskutierte Begründung ist, aber
er gibt doch einen Grund an bei einer anderen gedanklichen Vorraussetzung als gemeinhin in diesem Forum vertreten wird. Ist nur noch hinzuzufügen, dass auch ich für eine teilweise Entkoppelung von Arbeit und Einkommen eintrete; es soll nämlich keine Gegenrechnung für
ein steuerfreies Grundeinkommen geben, sodass es sich wirklich lohnen kann zu arbeiten, insbesondere wenn der Stundenlohn hoch zu sein hat.
Mit freundlichem Gruss
Peter Voss
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