[contraste.netz-bb] Fwd: 3. März - jour fixe initiative berlin - zu Gast in der NGBK

Elisabeth Voss post at elisabeth-voss.de
Do Feb 28 11:15:29 CET 2013


-------- Original-Nachricht --------
Betreff: 	3. März - jour fixe initiative berlin - zu Gast in der NGBK
Datum: 	Thu, 28 Feb 2013 08:33:36 +0100
Von: 	NGBK Presse <no_reply at ngbk.de>
An: 	post at elisabeth-voss.de



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Zu Gast in der NGBK:


*jour fixe initiative berlin*

/*ZU VIEL VOM SCHLECHTEN – VON WACHSTUMSIDEOLOGIE, KRISENÖKONOMIE UND
GUTEM LEBEN*/

Sonntag | 3. März 2013 | 20 Uhr


*Jean-Marie Harribey | Bordeaux*


Welchen Reichtum brauchen wir? Welchen Reichtum entzieht uns der
Kapitalismus?
Der Kapitalismus befindet sich in einer grundsätzlichen strukturellen
Krise, weil sich zur klassischen Überakkumulationskrise eine schwere
ökologische Krise gesellt. So stößt der Kapitalismus auf zwei wachsende
Schwierigkeiten: die Ausbeutung der Arbeit noch weiter zu steigern und
die Verknappung der Rohstoffe zu überwinden. Diese beiden Probleme
verhindern eine unendliche Akkumulation. Angesichts dessen versucht der
Kapitalismus eine Flucht nach vorne, indem er die nicht verwertbaren
Räume vernichtet, um das Feld der Kapitalverwertung zu erweitern, egal,
ob es sich dabei um soziale Räume oder um Natur handelt. Doch Reichtum
ist nicht nur Wert, der für Profit produziert wird. Vielmehr schaffen
bestimmte menschliche Tätigkeiten authentische Gebrauchswerte, ohne
deshalb rentabel zu sein, ebenso wie die Natur jenseits des
kapitalistischen Rahmens von Nutzen sein kann. Menschliche
Grundbedürfnisse zu befriedigen, erfordert den Ausstieg aus dem
Kapitalismus.

Der Gedanke an eine bessere Gesellschaft war oft mit der Aufhebung der
kapitalistischen Produktionsweise und der Weiterentwicklung der
Produktivkräfte verbunden. In diesem Sinne bemerkte Asger Jorn, Maler
und Mitglied der Situationistischen Internationale, launig, er mache
schließlich keine Revolution, um arm zu werden. Doch der Umschlag der
Produktivkräfte in Destruktivkräfte ist unabweisbar geworden. Der
Kapitalismus hat es geschafft, seine zwei Voraussetzungen, Natur und
Mensch, so in die Enge zu treiben, dass zwar nicht unmittelbar deren
Existenz, doch deren Reproduktion gefährdet ist. Wie es scheint,
unwiderruflich. Das Überschreiten ökologischer und sozialer Grenzen
gehört zur Logik des Kapitalismus wie seine immer wiederkehrenden
Krisen. Obwohl sich in den letzten Jahren die Erkenntnis verbreitet hat,
dass das kapitalistische Wachstum auch den Kapitalismus selbst
gefährdet, lautet die Antwort auf die aktuelle Wirtschaftskrise
unverändert: Wachstum. Dagegen wollen wir auf dem Zusammenhang von
ökonomischer, ökologischer und sozialer Krise des Kapitalismus beharren.
Die profitorientierte Produktionsweise erzwingt die Ausweitung der
Akkumulation von Kapital. Der Akkumulationszwang ist die Triebkraft des
Wirtschaftswachstums. Akkumulations- und Wachstumszwang sind folglich
kapitalistischer Produktionsweise innewohnende Eigenschaften, die sich
systemimmanent nicht abstellen lassen. Um den Wachstumszwang zu brechen,
der die aktuellen ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen
bedingt, sind der Austritt aus der Wertproduktion und die Entwicklung
einer Gebrauchswertproduktion notwendig.
Die kapitalistische Produktionsweise hat etwas in der
Menschheitsgeschichte ökologisch noch nie Dagewesenes eingeleitet.
Bedingung ihrer zeitlich und örtlich ungebundenen Ausweitung war die
Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, später Gas und Öl. Der
mittlerweile offensichtlich gewordenen Begrenztheit dieser Energieträger
und damit des „fossilen Kapitalismus“ steht die immer größer werdende
Müllkippe in der Atmosphäre gegenüber, die unter anderem für den
Treibhauseffekt verantwortlich ist. Die Grenzen des Ökosystems der Erde
sind überschritten. Bekannt ist dies seit einigen Jahrzehnten für den
Klimawandel, den Stickstoffkreislauf und die biologische Diversität.
Weitere bevorstehende ökologische Brüche sind die chemische
Verschmutzung, der stratosphärische Ozonmangel, der weltweite
Frischwasserverbrauch, die veränderte Landnutzung, die atmosphärische
Aerosolaufladung und die Übersäuerung der Ozeane.
Dieser Zusammenhang von Wertproduktion und der damit einhergehenden
Zerstörung der Lebensgrundlagen ist Kritiker_innen des Kapitalismus seit
langem vertraut. Einer der bekannteren von ihnen warnte schon
frühzeitig: „Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen
Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größere Flüssigmachung der
Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst.
Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein
Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst,
den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner
Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist ist zugleich ein Fortschritt
im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land,
wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen
Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher
dieser Zerstörungsprozess. Die kapitalistische Produktion entwickelt
daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles
Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx 1864)
Gleichwohl gründet 150 Jahre später die gewerkschaftliche Strategie
ihren Anspruch auf Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum noch
immer auf kapitalistisches Wachstum – als ginge es nur um eine Erhöhung
des Wohlstands für alle. Sie bleibt damit selbst dort in einer
politischen Defensive, wo der Wert der Ware Arbeitskraft seit Jahren
permanent gesenkt wurde. Während die Löhne vielerorts stagnierten, wurde
die Arbeit im Neoliberalismus in neuer Form intensiviert – die
Forderungen der Arbeitskämpfe der 1970er Jahre, Autonomie, Kreativität,
Selbstbestimmung, verkehrten sich so in Flexibilität,
Individualisierung. Scheinselbständigkeit. Damit haben Burnout,
Depressionen und andere Symptome der psychosozialen Zerstörung rapide
zugenommen, übrig bleibt ein überfordertes Selbst. Nicht nur aufgrund
der globalen Ökokrise muss der sozialdemokratischen Strategie der
Teilhabe eine Diskussion um Bedürfnisproduktion im Kapitalismus
entgegengestellt werden, wie sie schon in den 1960er-Jahren von André
Gorz angeregt wurde: Was wollen wir wie produzieren? Welche Bedürfnisse
erscheinen vor der kapitalistischen Bedürfnisproduktion als
„berechtigt“? Inwiefern kann man von einer Entfremdung von Bedürfnissen
und Arbeit reden? Was bedeutet ein besseres Leben, ein anderes Arbeiten?
Und wie sehen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung in einer befreiten
Gesellschaft aus?
Eine  Kritik am Wachstum schließt  angesichts erbärmlicher
Lebensverhältnisse im Trikont  das Recht auf Entwicklung keinesfalls
aus. Aus emanzipatorischer Perspektive geht es  darum, ein Konzept
qualitativer Entwicklung vom kapitalistischen Wachstumsmodell zu
entkoppeln – denn letzteres ist gegenüber den Folgen des Naturverbrauchs
systembedingt blind. Zahlreiche Mahner, die vor der finalen Ökokrise
warnen, malen die unwiederbringliche Zerstörung des Planeten an die
Wand, als ob die öko-soziale Krise alle Menschen gleich beträfe. Doch
auch in diesem Fall sind die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen
Produktionsweise regional und klassenspezifisch verteilt. Es stellt sich
demnach die Frage, wer die sozialen Träger des Kampfes gegen die
ökologischen Verwerfungen des Kapitalismus sind und ob die wachsende
globale Naturzerstörung mit ihren sozialen Folgen nicht zu einer neuen
Form der Klassenspaltung und einer Herausbildung eines
„Umweltproletariats“ führt. Diese ökologische Klassenspaltung verläuft
auch entlang der Grenze zwischen Metropolen und Peripherie, deren
Bewohner_innen am stärksten von der weltweiten Naturzerstörung betroffen
sind. Formieren sich hier neue bzw. aktualisierte postkoloniale
Widerstandssubjekte, die eine emanzipatorische Gegenkraft zum aktuellen
Kapitalismus und seiner systemimmanenten Wachstumsideologie bilden?
Entsprechend geht es uns in der Diskussion der gegenwärtigen Krise um
eine Erweiterung der Perspektive: Sie muss in den Kontext einer
fundamentalen Krise sowohl der Ökologie als auch der Reproduktion
gestellt werden, die mit den Existenzbedingungen des Kapitalismus auch
diejenigen einer befreiten Gesellschaft grundsätzlich infrage stellt.
Der globalisierte Kapitalismus kann schon lange nicht mehr als
Voraussetzung für gesellschaftlichen Reichtum und sozia¬le Befreiung
betrachtet werden. Aus der Perspektive der Lohnabhängigen war jede
kapitalistische Krise auch eine Krise der Reproduktion. Die Krise des
aktuellen Akkumulationsregimes ist gekennzeichnet durch neue Schübe
kapitalistischer Landnahme, beispielsweise durch Landgrabbing oder
Privatisierung. Das neoliberale Projekt betrachtet sozialstaatliche
Institutionen nicht mehr als notwendig, sondern unterwirft sie der Logik
des Marktes, d. h. streichen und kürzen. Zugleich wurden jahrelang
Kredite an Privathaushalte vergeben, die private Zahlungsfähigkeit
massenhaft über ihre Grenzen erweitert und damit kapitalistisches
Wachstum simuliert. In dem Moment, in dem die Immobilienblase platzte,
wurden deshalb auch die Reproduktionsbedingungen ganzer
Bevölkerungsschichten zur Disposition gestellt.
Die Krise sozialer Reproduktion ist immer auch eine Krise der
geschlechtlichen Arbeitsteilung, die aus der Unvereinbarkeit von
Reproduktionsarbeit und Erwerbstätigkeit resultiert. Reproduktive
Tätigkeiten werden weder sozialisiert bzw. verstaatlicht noch zwischen
den Geschlechtern umverteilt, sondern meist von schlecht bezahlten
Migrantinnen übernommen. Die Neuorganisierung der Reproduktion kann
deswegen nur auf globaler Ebene erfasst werden. Die geschlechtliche
Arbeitsteilung steht deswegen ebenso wie die Vielfalt der globalen
Klassenzusammensetzungen im Zentrum einer zeitgemäßen Kapitalismuskritik.
Wenn von der ökonomischen Dimension der gegenwärtigen Krise gesprochen
wird, darf die politische Dimension nicht außer Acht gelassen werden.
Die staatliche Politik hat – weit davon entfernt durch „anonyme
Finanzmärkte“ erpresst worden zu sein – die Bedingungen geschaffen,
unter denen sich das gegenwärtige Akkumulationsregime entwickeln konnte.
Daher sind die ökonomischen Zwänge ebenso politisch gewollt, wie sie
zugleich die Möglichkeiten von Politik begrenzen. Letzteres wurde seit
Beginn der Krise in Europa mehrfach demonstriert: Wahlen werden
verschoben, sogenannte Expertenregierungen eingesetzt, deren Expertise
darin besteht, die „ökonomischen Sachzwänge“ zu exekutieren. In dieser
polit-ökonomischen Gemengelage verschärfen sich nicht nur Konflikte
zwischen sozialen Klassen, sondern auch zwischen Kapitalfraktionen sowie
zwischen Staaten. Obwohl das deutsche Kapital und der deutsche Staat die
aktuelle Krise mit verursacht haben und von ihr profitieren, bleibt ihre
Legitimität bislang unhinterfragt. Während im Süden Europas Revolten
ausbrechen gegen die herrschende Krisenpolitik, herrscht in Deutschland
immer noch trügerische Ruhe.
Der dagegen unabweisbar notwendigen Ruhestörung soll diese
Veranstaltungsreihe dienen.

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