[SAV-newsletter] Stellungnahme der SAV zur Revolution in Tunesien und Ägypten
Sascha Stanicic
sst at sav-online.de
Do Feb 17 17:54:45 CET 2011
Tunesien, Ägypten, ... Die Revolution muss weiter gehen!
*Wirkliche Demokratie und soziale Rechte wird es im Kapitalismus nicht
geben *
**
*Stellungnahme der SAV vom 17.2.2011 (auch als PDF
<http://www.sozialismus.info/z/2011-02-17-die-revolution-muss-weitergehen.pdf>)
*
Die Massen Tunesiens und Ägyptens haben es bewiesen: selbst die
mächtigsten Diktatoren können gestürzt werden, wenn eine Massenbewegung
entschlossen kämpft!
In den 18 Tagen der revolutionären Bewegung in Ägypten gingen sechs
Millionen Menschen auf die Straße. Sie ließen sich nicht durch die
brutalen Angriffe der Mubarak-Schergen einschüchtern, sondern
verteidigten erfolgreich ihren Protest auf dem Tahrir-Platz.
Entscheidend für den Sturz des "Pharaos" war die Entschlossenheit der
DemonstrantInnen in Kairo, der Beginn einer Solidarisierung von
einfachen Soldaten und Unteroffizieren mit den revolutionären Massen und
der Eintritt der Arbeiterklasse durch Streiks und Betriebsbesetzungen in
die revolutionäre Bewegung. Mubarak musste weg, um einen Aufstand zu
verhindern, der nicht nur ihn, sondern das ganze Regime hätte
hinwegfegen können.
Kein Vertrauen in die neuen, alten Machthaber!
Doch die Revolution hat erst einen ersten Schritt vollbracht -- den
Sturz des Diktators, ein Element einer politischen Revolution. Das Volk
ist damit jedoch noch nicht an der Macht, wirkliche Demokratie ist noch
nicht gewonnen. Frei nach dem Motto "es muss sich etwas ändern, damit
alles beim Alten bleibt", hat die Militärführung die Kontrolle
übernommen, nicht einmal die alte, von Mubarak eingesetzte Regierung,
wurde abgesetzt. Wahlen sollen erst in sechs Monaten stattfinden, aber
erst nachdem das Militär die neue, durch eine von ihr eingesetzte
Kommission auszuarbeitende, Verfassung akzeptiert haben wird. Das sind
sechs Monate, in denen die Militärführung und die reichen Eliten des
Landes versuchen werden, die Dynamik der Revolution zu brechen und sich
"demokratisch geläutert" zu reorganisieren. Sie versuchen sich unter
Anwendung demokratischer Rhetorik an die Spitze der Bewegung zu stellen,
um dieser ihres Inhalts zu berauben. Die Militärführung selbst gehört
zum "System Mubarak" und zur reichen Elite des Landes. Den Generälen
gehören große Teile der privatisierten ehemaligen Staatsbetriebe. Sie
werden ihren Reichtum und ihre Macht als Teil der herrschenden
kapitalistischen Klasse verteidigen wollen. Sie haben damit begonnen,
indem sie die DemonstrantInnen auffordern den Tahrir-Platz zu räumen,
Demonstrationen und Streiks zu unterlassen.
Die Massen forderten Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Dem
Januar 2011 ging in den letzten Jahren eine enorme Zunahme von Streiks,
Arbeiter- und Jugendprotesten voraus. Unabhängige Gewerkschaften wurden
gegründet als Alternative zu den mit dem Regime verbundenen offiziellen
und undemokratischen Gewerkschaften. Soziale Gerechtigkeit und wirkliche
Demokratie kann es nicht geben solange die sozialen und wirtschaftlichen
Verhältnisse unangetastet bleiben. Solange weiterhin einhundert Familien
neunzig Prozent des Reichtums Ägyptens besitzen, kann es keine soziale
Gerechtigkeit geben. Solange die Betriebe in den Händen dieser Familien
und multinationaler Konzerne sind, wird auch die Demokratie am
Betriebstor enden.
Auch eine von Teilen der Oppositionsbewegung propagierte Regierung "der
nationalen Einheit", eine Koalition von bürgerlich-prokapitalistischen,
linken und ggf. auch islamistischen Kräften kann keine Perspektive für
die Erfüllung der sozialen und demokratischen Aspirationen der Massen
sein. In einer solchen Regierung würden zwangsläufig die linken Kräfte
die Zugeständnisse an die prokapitalistischen Kräfte machen und eine
grundlegende gesellschaftliche Veränderung verhindert. Linke Kräfte
sollten sich nicht an einer solchen Regierung beteiligen.
Für demokratische Arbeiterräte
Der einzige Garant dafür, dass die Ziele der Revolution nicht verraten
werden, ist die Aufrechterhaltung der revolutionären Bewegung selbst!
Es müssen erstens unabhängige, demokratische und kämpferische
Gewerkschaften in allen Betrieben gegründet werden. Dieser Prozess hat
begonnen, er muss aber unter der demokratischen Kontrolle der
ArbeiterInnen selber stattfinden. Die Hilfe, die gerade von
VertreterInnen der bürokratischen westlichen Gewerkschaften angeboten
wird, sollte mit Vorsicht begegnet werden. Diese wollen Gewerkschaften
nach ihrem prokapitalistischen Vorbild schaffen.
Zweitens sollten demokratische Räte und Milizen in den Betrieben,
Nachbarschaften und unter einfachen Soldaten gebildet werden, die die
Kontrolle über die Gesellschaft in die Hand nehmen können, so wie in den
Tagen der Massenbewegung Nachbarschaftskomitees die Kontrolle über ganze
Stadtviertel ausübten und in Betrieben begonnen wurde durch Besetzungen
die Kontrolle auszuüben. Sie könnten VertreterInnen zu lokalen,
regionalen und nationalen Kongressen entsenden, in denen demokratisch
über die Zukunft des Landes entschieden wird. Die dorthin entsendeten
VertreterInnen müssten jederzeit Rechenschaft ablegen, wähl- und
abwählbar sein und dürften keine materiellen Privilegien genießen,
sondern auf der Basis eines durchschnittlichen Arbeiterlohns das Leben
derjenigen leben, die sie vertreten -- und damit auch deren Interessen
teilen.
Eine Versammlung von Eisen- und Stahlarbeitern in Helwan hat eine
Erklärung mit folgenden Forderungen verabschiedet:
1.Die Beschlagnahmung aller Konten und des Eigentums aller
Repräsentanten des Regimes und aller der Korruption überführten Personen.
2.Eisen- und Stahlarbeiter (...) rufen alle ArbeiterInnen auf, gegen die
mit dem Regime und der herrschenden Partei verbundenen
Gewerkschaftsföderation zu revoltieren, diese aufzulösen und neue,
unabhängige Gewerkschaften zu gründen, ohne die Erlaubnis und Zusage des
Regimes, das jede Legitimität verloren hat.
3.Die Beschlagnahmung aller früheren Betriebe des öffentlichen Dienstes,
die verkauft, geschlossen oder privatisiert wurden und deren
Verstaatlichung im Namen des Volkes und deren Verwaltung durch
ArbeiterInnen und TechnikerInnen.
4.Die Formierung von Arbeiterkontrollkomitees in allen Betrieben zur
Überwachung der Produktion, Preise, Verteilung und Löhne.
5.Eine allgemeine Versammlung aller Bereiche und politischen Strömungen
des Volkes zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Wahl
wirklicher Volkskomitees ohne auf die Zustimmung unter auf Verhandlungen
mit dem Regime zu warten.
Solche Forderungen weisen den Weg, den die Revolution gehen muss, um
siegreich sein zu können. Ein von oben eingesetzter Verfassungsrat soll
nun eine neue Verfassung ausarbeiten. Dies muss zurückgewiesen werden!
Es muss Sache des ägyptischen Volks selber sein, eine neue Verfassung
auszuarbeiten -- zu diskutieren und zu entscheiden, in was für einem
Staat es leben will. Dazu sollte die freie und demokratische Wahl zu
einer revolutionären Verfassunggebenden Versammlung gefordert werden.
Diese müsste unter der Kontrolle der Arbeiter- und Nachbarschaftsräte
durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass wirkliche VertreterInnen
des Volks gewählt werden und ArbeiterInnen, BäuerInnen und Arme die
Mehrheit in einer solchen Versammlung stellen.
Für eine Regierung der ArbeiterInnen und BäuerInnen
Auf der Basis solcher Maßnahmen kann die Macht der Repräsentanten des
alten Regimes, die nun zu demokratischen Wendehälsen werden, der
Kapitalisten und Militärs gebrochen werden und eine Regierung der
ArbeiterInnen und der einfachen Bäuerinnen und Bauern gebildet werden.
So können wirkliche demokratische Rechte und tatsächliche Unabhängigkeit
von den westlichen imperialistischen Staaten erreicht werden. In diese
darf kein Vertrauen gesetzt werden. Das einzige Ziel von Obama, Merkel
und Co. ist die Aufrechterhaltung der Ausbeutungsverhältnisse in der
arabischen Welt. Will man diese abschaffen, muss die Wirtschaft in die
Hände des Volkes übergehen. Dazu ist die Verstaatlichung unter
demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch Arbeiterräte der Banken
und großen Unternehmen des Landes nötig. Eine Regierung der
ArbeiterInnen und einfachen Bäuerinnen und Bauern könnte auf dieser
Basis einen demokratischen Plan zum Aufbau der Wirtschaft, der Hebung
des Lebensstandards und zum Ausbau des Sozial-, Bildungs- und
Gesundheitswesens entwickeln.
Die ägyptische Revolution muss in die zweite Phase eintreten: den
sozialen und wirtschaftlichen Umbau des Landes. Die Massen haben die
große Chance wirkliche Demokratie, sozialistische Demokratie, zu
erkämpfen -- ein System, in dem die Interessen der Menschen in den
Mittelpunkt rücken und nicht die Profitinteressen einer kleinen
Minderheit. Um diese Chance zu nutzen, muss die Mehrheit der Bevölkerung
für ein solches Programm gewonnen werden. Dazu ist der Aufbau einer
revolutionär-sozialistischen Arbeiterpartei nötig, die in den
Bewegungen, Betrieben und Gewerkschaften solche Vorschläge vertritt und
an ihrer Umsetzung arbeitet.
Dann könnte der Aufbau eines neuen Ägyptens zum Ausgangspunkt für die
Veränderung der ganzen Region werden. Der revolutionäre Funke springt
gerade nach Algerien, Libyen, Bahrain, Jemen und andere Staaten über.
Die SAV und das Komitee für eine Arbeiterinternationale treten für eine
freiwillige, demokratische und sozialistische Föderation der arabischen
Ländern ein, die Demokratie, Freiheit und einen angemessenen
Lebensstandard für alle garantieren kann.
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