[Pirateninfo] Fw: Gegen den Hunger, ohne Gennahrung
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Mon Mar 8 16:46:52 CET 2004
Original Message -----
From: "Antônio Andrioli" <andrioli13 at hotmail.com>
Sent: Friday, March 05, 2004 4:10 PM
Subject: Gegen den Hunger, ohne Gennahrung
Gegen den Hunger, ohne Gennahrung
von Antônio Inácio Andrioli*
Manche Meinungsbildner behaupten, gentechnisch veränderten Lebensmitteln
kämen bei der Bekämpfung des Hungers angesichts des weltweiten
Bevölkerungswachstums und der Notwendigkeit von Produktionssteigerungen in der Ernährung eine
entscheidende Rolle zu. Manche Sojaproduzenten behaupten sogar, das Programm
"Fome Zero" ("Null Hunger") wäre nur unter Einsatz genetisch manipulierter
Lebensmittel durchführbar. Aber birgt gentechnisch veränderte Soja wirklich einen
Nutzen und kann sie zum Kampf gegen den Hunger beitragen? Welche Alternativen
gäbe es, um den Hunger in Brasilien und der Welt zu bekämpfen? Könnte das von der
Regierung Lula geschaffene Programm Fome Zero ein Modell für andere Länder
sein?
Hunger ist ein soziales Problem, das aus der ungerechten Verteilung des
Reichtums entsteht, nicht aus dem Mangel an Nahrung. Die Menschheit lebt in
einer Situation der Überproduktion, in der jedes Jahr das Eineinhalbfache
ihres Gesamtbedarfs produziert wird. In dieser Produktionsform sind die
Kosten der Ausbeutung nicht erneuerbarer Ressourcen als Energiequelle nicht
tragbar, und eine höhere Produktivität ist keine Alternative im Kampf gegen den
Hunger. Dasselbe Argument wurde anlässlich der Einführung chemischer
Schädlingsbekämpfungsmittel von den multinationalen Chemiekonzerne vorgebracht, und
heute sehen wir, dass der Hunger mit ihrer Anwendung in der Landwirtschaft
zugenommen und nicht abgenommen hat.
Im Bereich der Genforschung widmen sich nur 2% der weltweiten Projekte zur
genetischen Veränderung der Produktivitätssteigerung, 74% dagegen dienen der
Entwicklung von herbizidresistenten Pflanzen und 19% der Insektentoleranz.
In Ländern, in denen schon seit längerem genetisch veränderte Pflanzen
angebaut werden, sind die Produktionskosten und die Abhängigkeit der
Landwirte gestiegen. Dadurch wird Landwirtschaft in Familienbetrieben
unmöglich - die in Brasilien die Mehrheit in der Nahrungsmittelproduktion
ausmachen -, die Landflucht und die Konzentration des Landbesitzes werden
verstärkt. Da ein bedeutender Teil der Armut besonders auf dem Land herrscht,
führt dies zu einer Zunahme des Hungers. Kleinbauern können mit gentechnisch
veränderter Soja nur verlieren, das räumen sogar deren Verteidiger ein. Monokultur
ist nur auf großen Flächen durchführbar, sie senkt die Preise und erfordert
zugleich hohe Investitionen - wodurch sich
teilweise die Insolvenzen und die Landflucht erklären. Mit genetisch
veränderten Pflanzen verschlimmert sich die Situation noch, denn die
Landwirtschaft im Familienbetrieb stützt sich hauptsächlich auf die zur
Verfügung stehende Arbeitskraft, die beim Anbau gentechnisch veränderter
Produkte an Bedeutung verliert. Die Alternative für diese Familien liegt im
ökologischen Anbau unter Einsatz ange messener Technologien. Doch können
ökologische und gentechnische Landwirtschaft nicht nebeneinander existieren, und
daher leiden die Kleinbauern nochmals unter der Einführung gentechnisch
veränderter Pflanzen.
Hunger ist in letzter Konsequenz eine Folge der Konzentration der
Produktionsmittel, die die Einkommensverteilung verhindert. Wie gesagt fehlt
es nicht an Nahrung, sondern am Zugang der armen Bevölkerung zur vorhandenen
Nahrung. Eine Lösung des Problems erfordert die Aufteilung der
Produktionsmittel, welche für das Land aufgrund seines Produktionspotentials
von strategischer Bedeutung ist. In Brasilien stellt
eine tief greifende und substanzielle Agrarreform in Verbindung mit einer
Stärkung der Familienlandwirtschaft einen Pfeiler für ein anderes
Entwicklungsmodell dar, das Millionen ausgeschlossenen Menschen die
Möglichkeit gibt, zu produzieren und sich zu ernähren.
Diese Frage erfordert ein entschlossenes Handeln des Staates und sein
Bekenntnis zur nationalen Souveränität in der Ernährungspolitik. Mittel für
Kredite, technische Hilfe, den Aufbau kleiner Landwirtschaftsbetriebe und
direkter Vertriebsnetze sind von grundlegender Bedeutung. Sie verringern die
Abhängigkeit der Bauern von den großen multinationalen
Landwirtschaftsunternehmen und ihrer Technologie. Die Einrichtung neuer
Vertriebswege und die Wiederaufnahme einer Politik der Nahrungsreserven
seitens der Regierungen sind entscheidend, um den gegenwärtig
ausgeschlossenen potentiellen Konsumenten die Nahrungsmittelproduktion
zugänglich zu machen. Außerdem sind politische Maßnahmen zur Schaffung von
Arbeitsplätzen und die Erhöhung des Einkommens in den Städten, die Unterstützung
von Arbeiterinitiativen und die Ausweitung und Stärkung der Solidarwirtschaft
wichtige Strategien für die gesellschaftliche Integration.
Doch es ist klar, dass zunächst auch unmittelbar wirksame Maßnahmen
notwendig sind. In dieser Hinsicht erfüllen die Fonds für den Kampf gegen
den Hunger eine wesentliche, strukturierende Rolle. Das gleich zu Beginn der
Amtszeit von Präsident Lula vorgestellte Programm Fome Zero ist ein
konkreter Schritt, der die Tragweite des Hungers verdeutlicht und dadurch
die Notwendigkeit eines neuen Entwicklungsprojekts für Brasilien aufzeigt.
Das Programm geht in seiner ersten Phase direkt gegen den Hunger vor, um auf
dieser Grundlage in der zweiten Phase ein Paket politischer Maßnahmen
umzusetzen, das die - für die soziale Ungleichheit im Land verantwortliche
Struktur - wirklich verändern kann.
In seiner ersten Phase mindert das Programm gegenwärtig den Hunger von
Millionen Familien. Doch es läuft Gefahr, zu einer Art Hilfspolitik zu
werden. Fome Zero und die Landreform, die beide von der Regierung als
Prioritäten ausgerufen werden, stehen gegen ihre makro-ökonomische Politik,
die auf der Steigerung des primären Bilanzüberschusses und den Zinszahlungen
ruht. Daraus folgt ein drastischer Rückgang der Mittel für soziale Programme.
Einerseits muss die aktuelle Wirtschaftspolitik sich ändern, um die sozialen
Vorhaben der Regierung voran zu bringen, anderseits muss auch Fome Zero soziale
Maßnahmen in derselbe Perspektive integrieren und zugleich die
Zivilgesellschaft massiv mobilisieren. Der Aufbau und die Methoden des
Programms können anderen Ländern in ähnlicher Lage als Beispiel dienen, doch
müssen die Widersprüche überwunden werden, die im Innern der Regie rung zu
seiner Isolierung und dem wachsenden Unglauben führen, dass es ein wirksames
Mittel im Kampf gegen den Hunger sein könne.
* Doktorand der Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück.
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