[Pirateninfo] taz: Biobanken in Deutschland

Martin Sundermann Martin.Sundermann at ruhr-uni-bochum.de
Die Jul 27 13:33:33 CEST 2004


Hallo Miteinander!
Die taz griff am Freitag die Diskussion über Biobanken zur Erfassung des nationalen Genoms auf, wie es letzte Woche auch in der Sendung "Leben außer Kontrolle" thematisiert wurde. Dort wurde im Zshg. mit der Frage nach Patenten auf Lebensformen auch über den Verkauf der Daten der isländischen Bevölkerung an die Fa. DeCode berichtet (größter Anteilseigner ist der Pharma-Konzern Hoffmann-La Roche).
Soweit so schlecht, herzliche Grüsse - martin

BLUT UND GEWEBE
"Biobanken" nennen Genforscher Sammlungen von Blut, Zellen und Gewebe. Die Körperstoffe werden molekulargenetisch analysiert und mit persönlichen Daten der "Spender" verknüpft, etwa über Erkrankungen, Behinderungen oder Lebensstilen. Erklärtes Ziel ist es, genetische Risikofaktoren und deren Träger zu entdecken; zudem sollen die von Universitäten und Pharmafirmen angelegten Sammlungen helfen, Diagnostika, Therapien und Arzneien zu entwickeln. Unbekannt ist, wie viele Biobanken hierzulande existieren - sie müssen weder gemeldet noch genehmigt werden. Die meisten konzentrieren sich auf bestimmte Krankheiten. Die erste auf eine ganze Bevölkerung bezogene Biobank entstand Ende der Neunzigerjahre in Island; ähnliche Großprojekte mit hunderttausenden Proben etablieren derzeit Estland und Großbritannien. Vorreiter in Deutschland will das Kieler Uniklinikum mit seinem Projekt "popgen" werden. KPG

taz Nr. 7416 vom 23.7.2004, Seite 18, 32 TAZ-Bericht KPG
http://www.taz.de/pt/2004/07/23/a0228.nf/textdruck
 

Nur eine kleine Blutprobe
In Schleswig-Holstein entsteht die größte Biodatenbank Deutschlands. Wissenschaftler der Uniklinik in Kiel wollen mit ihr nach weit verbreiteten Krankheitsgenen suchen. Gefragt sind auch persönliche Daten über Krankheitsgeschichte und -verlauf
VON KLAUS-PETER GÖRLITZER
Rund eine Million Menschen leben im nördlichen Teil Schleswig-Holsteins, den Forscher des Kieler Uniklinikums zum popgen-Bereich erkoren haben. "popgen" steht für "populationsgenetische Rekrutierung von Patienten und Kontrollgruppen". "Wir beabsichtigen, alle an bestimmten Krankheiten leidenden Menschen im Untersuchungsgebiet zu kontaktieren und um Mitarbeit zu bitten", sagen die Projektmacher um Professor Stefan Schreiber. Der Magen-Darm-Spezialist hatte bereits im Oktober 2002 auf einer Tagung des Nationalen Ethikrats gefordert: "Wir wollen eine zentrale Biobank."

"Mitarbeiten" - das bedeutet, sich 30 Milliliter Blut entnehmen zu lassen, das dann molekulargenetisch getestet wird. Außerdem füllen die Probanden einen umfangreichen Fragebogen aus. Ihre Antworten sollen mit den Resultaten der Genanalysen in Verbindung gebracht werden.

Gefragt werden die Studienteilnehmer zum Beispiel nach Herkunft, körperlicher Verfassung und Arbeit, akuten und früheren Erkrankungen, Einnahme von Medikamenten, Konsum von Alkohol und Zigaretten; angeben sollen sie auch die Zahl ihrer Kinder sowie Alter, Erkrankungen und Todesursache ihrer Eltern. Zusätzlich soll ein Teil der Probanden alle sechs Monate über den Verlauf ihrer Erkrankung befragt werden. Und wer will, kann als Zugabe noch Verwandte, Freunde und Bekannte benennen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und womöglich ebenfalls bereit sind, bei der Erhebung mitzumachen.

Bei der "Rekrutierung", die seit Anfang des Jahres läuft, helfen Kliniken und niedergelassene Ärzte, indem sie Patienten gezielt auf das Projekt hinweisen. Gesucht werden Menschen mit weit verbreiteten Krankheiten wie etwa Krebs, Beeinträchtigungen der Herzkranzgefäße, Parodontitis, neurologische Leiden wie Epilepsie und Morbus Parkinson, Erkrankungen von Darm, Haut und Atemwegen.

Neben akut Kranken benötigen die popgen-Forscher auch Versuchspersonen, die als gesund gelten: "Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, müssen die Daten der Patienten mit denen einer Kontrollgruppe verglichen werden." Dafür baue man eine "populationsrepräsentative Stichprobe" auf. Erfassen soll sie Blutproben und Informationen von mehr als 25.000 Menschen, die mit Unterstützung der Einwohnermeldeämter zufällig ausgewählt werden.

Ein gesundheitlicher Nutzen wird den Teilnehmern nicht versprochen. Das popgen-Werbefaltblatt appelliert vielmehr an die Schleswig-Holsteiner, "mit einer kleinen Blutprobe und einer halben Stunde Zeit" künftigen Generationen zu "helfen". "Unsere Kinder", orakeln die Kieler Sammler, "können das Risiko, an Asthma, Herzinfarkt oder Krebs zu erkranken, schon von uns erben. Wenn die Mediziner diese Risikofaktoren in Zukunft frühzeitig erkennen, kann vielen Menschen geholfen werden." Die Ergebnisse der Genforschung würden breiten Patientengruppen verfügbar gemacht, "eine ganze neue Medizin" könne so entstehen: "Therapien", verheißt der popgen-Flyer, "können exakt auf die Anlagen eines erkrankten Menschen abgestimmt werden."

Ob die Initiatoren der Kieler Biobank die Realisierung ihres Szenarios jemals erleben werden? Sicher ist jedenfalls: Was sie mit ihren Werbemethoden beschafft haben, möchten sie auch lange behalten und beforschen: Mindestens 20 Jahre sollen die gesammelten Proben und Daten aufbewahrt werden.

Das Nahziel der popgen-Macher kann im Merkblatt zur Einwilligungserklärung nachgelesen werden: "Es ist der Zweck der Untersuchung, eine Risikoabschätzung für bestimmte genetische Erkrankungen in der ,Durchschnittsbevölkerung' zu erstellen." Überprüft werden sollen Forschungserkenntnisse "zur genetischen Veranlagung von weit verbreiteten Krankheiten". Am Ende werde eine "deutschlandweit einmalige" medizinische Informationssammlung stehen, die dem Gesundheitssystem "wichtige und wertvolle Zukunftsdaten liefern wird".

Einmal veröffentlicht, wären derartige Abschätzungen auch für nichtmedizinische Zwecke nutzbar: Versicherungen könnten, mit Verweis auf Resultate populationsgenetischer Studien, höhere Prämien für Angehörige von "Risikogruppen" verlangen; Arbeitgeber könnten vermeintlich genetisch belastete Beschäftige aussortieren. Den Krankenkassen preisen die Kieler Forscher ihr Projekt als Beitrag zur Vorbeugung an: "Manche Therapien erzeugen (zu) viele Nebenwirkungen. Marker erkennen, die Nebenwirkungen vermeiden und gewollte Wirkungen optimieren helfen, schafft mehr Gesundheit zu weniger Kosten."

Welche Forschungsvorhaben im Einzelnen stattfinden sollen, steht nicht in dem Merkblatt - eine Unbestimmtheit, die auf der Linie des Nationalen Ethikrats liegt (siehe Artikel unten). Dabei dürfen auch "wissenschaftliche Kooperationspartner" die von popgen akquirierten Blutproben und Daten nutzen. Namentlich benannt werden sie jedoch nicht; gedacht ist wohl vornehmlich an Teams, die im Rahmen des "Nationalen Genomforschungsnetzes" agieren, dem auch die Kieler Biobanker angehören.

Laut Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD) hat das von der Bundesregierung geförderte Genomnetz binnen drei Jahren 80 Patentanmeldungen, 1.500 wissenschaftliche Publikationen und - in Zusammenarbeit mit der Industrie - 90 Ideen für Produkte hervorgebracht. Ziel der Forscher sei die "Entschlüsselung von Krankheitsgenen"; therapeutische Erfolge kann Catenhusen bislang allerdings nicht aufzählen.

Kommerzielle Potenziale hat popgen durchaus im Blick: "Es kann sein", heißt es im Merkblatt zur Einwilligung, "dass im Rahmen zukünftiger Forschungsergebnisse Patente entstehen, die auf Erkenntnissen basieren, die aus Ihren Proben gewonnen wurden." Solche Patente seien Voraussetzung für die Entwicklung neuer Medikamente. "In diesem Fall", erklären die Sammler den Spendern vorsorglich, "besteht kein individueller Patentanspruch, basierend auf Ihrem individuellen biologischen oder genetischen Material." Ob und mit welchen Firmen popgen zu kooperieren gedenkt, steht nicht im Aufklärungspapier.

taz Nr. 7416 vom 23.7.2004, Seite 18, 204 TAZ-Bericht KLAUS-PETER GÖRLITZER
http://www.taz.de/pt/2004/07/23/a0227.nf/textdruck
 

Eine vollständige Anonymisierung ist nicht möglich
Der Ethikrat betont zwar das Selbstbestimmungsrecht der Spender. Aber die Forschung mit Gewebeproben soll auch ohne Einwilligung erlaubt sein
Wer Biobanken aufbauen und vermarkten möchte, braucht nicht nur Körperstoffe, persönliche Daten und viel Geld. Notwendig sind auch Regelungen, die solche Sammlungen fördern und langfristig absichern helfen. Eine Vorlage für den Bundestag, die in ein - seit langem angekündigtes - Gentestgesetz einfließen könnte, hat der Nationale Ethikrat im Frühjahr geliefert.

Die vom Bundeskanzler persönlich berufenen Experten betonen das "Selbstbestimmungsrecht des Spenders", der demnach in Entnahme sowie Speicherung von Körpersubstanzen und Daten grundsätzlich einwilligen müsse.

Die Einwilligung, die der Ethikrat wünscht, ist eine Blankoermächtigung. "Spender" sollen "ganz allgemein" und unbefristet zustimmen, dass ihre Daten und Proben zu Forschungszwecken genutzt werden. Begründung: Das Potenzial von Biobanken könne "häufig nur ausgeschöpft werden, wenn deren Verwendung nicht auf einzelne, im Vorhinein spezifizierbare Forschungsvorhaben begrenzt bleibt". Mittels Genchips ist es technisch machbar, eine einzige Blutprobe auf etliche Merkmale hin zu analysieren.

Wer einmal Ja gesagt hat, muss nach dem Ethikrat-Modell damit rechnen, dass seine Daten und Substanzen kursieren: Sie dürften auch an andere Forscher transferiert und verkauft werden, sofern sie zuvor anonymisiert oder codiert worden sind; sogar komplette Biobanken dürfen die Besitzer wechseln. Immerhin wird "Spendern" das Recht zugestanden, ihre Einwilligung "jederzeit zu widerrufen". Trotzdem sollen Forscher die Materialien dann nicht vernichten müssen - sondern, anonymisiert, weiter nutzen dürfen.

Wer eine vollkommene Anonymisierung von Blutproben suggeriert, verspricht zu viel: "Das Ergebnis einer einzelnen Genomanalyse", erläuterten die Datenschutzbeauftragten Ende 2000 der Enquetekommission zur Medizinethik, "kann auch ohne die beigefügte Zuordnung zu einer Person oder einer personenbezogenen Probe immer durch eine spätere Referenzanalyse wieder re-individualisiert werden ebenso wie ein Fingerabdruck."

Vielen Menschen wird aber gar nicht bewusst sein, dass Körpersubstanzen, die ihnen einst zwecks Diagnose oder Therapie entnommen wurden, womöglich auch für wissenschaftliche und kommerzielle Ziele weiter verwertet werden. Gleichwohl ist der Ethikrat entschieden dagegen, die "Spender" nachträglich zu informieren und entscheiden zu lassen, ob ihre Probe verwendet oder vernichtet werden soll.

Bestehende Sammlungen, fürchten die Experten, "wären für die Forschung verloren, wenn man sie rückwirkend nach heutigen Kriterien beurteilen und für ihre Nutzung eine wirksame Einwilligung und Aufklärung fordern würde". Dass Genforschung mit Biobanken Risiken in sich birgt, weiß auch der Ethikrat. Potenzielle "Fehlentwicklungen in der Gesellschaft" sollten aber "nicht Gegenstand der Aufklärung durch den Forscher sein". Zwar könnten aus Analysen individueller Proben "Aussagen über die genetischen Besonderheiten und Risiken" ganzer Patienten- und Bevölkerungsgruppen abgeleitet werden. Mitbestimmen dürfen sollen sie aber nicht. "Die Betroffenheit dieser Gruppen", findet der Ethikrat, "kann nicht dazu führen, dass zusätzlich zur Einwilligung der Spender eine Gruppeneinwilligung erforderlich ist." 

"KLAUS-PETER GÖRLITZER

taz Nr. 7416 vom 23.7.2004, Seite 18, 112 TAZ-Bericht KLAUS-PETER GÖRLITZER
http://www.taz.de/pt/2004/07/23/a0225.nf/textdruck
 

informationspflicht 
Pauschale Voraberklärung
Der Grundsatz gilt für jede Forschung am Menschen: Wer an einer klinischen Studie teilnimmt, muss wissen können, worauf er sich einlässt. Zwingend ist eine verständliche Aufklärung über Zweck, angestrebte Verwertung und Gesundheitsrisiken. Nur so ist realisierbar, was Juristen "informierte Einwilligung" nennen. Dass Versuchspersonen damit oft überfordert sind, spricht nicht unbedingt gegen das Prinzip - es ist aber Indiz für mangelnde Beratung, Transparenz und Kontrolle im Studienalltag.

Wer Blutproben und persönliche Daten an Biobanken abgibt, kann überhaupt nur dann "informiert" in Forschung einwilligen, wenn Projekte, Ziele und Beteiligte zum Zeitpunkt der "Spende" bekannt sind. Dies ist aber in der Regel nicht der Fall: Zweck solcher Sammlungen ist es ja gerade, Körperstoffe und Daten jahrzehntelang bereitzuhalten - als Ressource für Genforscher.

In ihrem Interesse und um Biobanken abzusichern, plädiert der Nationale Ethikrat nun für eine kuriose Variante informierter Einwilligung: "Wenn die Spender jedoch über die Unsicherheit der konkreten zukünftigen Verwendungen aufgeklärt worden sind, sind sie sich darüber im Klaren, dass sie sich auf eine Ungewissheit einlassen." Deshalb reiche eine Voraberklärung, die pauschal und unbefristet jeder Forschung zustimmt.

Solchen Einflüsterungen sollte der Gesetzgeber nicht folgen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gebietet das Gegenteil: Wer Daten und Körperstoffe nutzen möchte, muss verpflichtet werden, vor jedem Projekt Einwilligungen der "Spender" einzuholen und diese auch während der Studie auf dem Laufenden zu halten.

Dies muss auch bei der Anonymisierung von Substanzen und Daten gelten. Denn Forschungsergebnisse wirken nicht nur auf die Probanden. Kommt etwa ein Gentest auf den Markt, entwickelt auf Basis verschlüsselter Blutproben und Daten von Menschen mit einer bestimmten Behinderung oder Krankheit, müssen alle Betroffenen mit Konsequenzen rechnen. Spätestens wenn Krankenkassen, Versicherungen und Arbeitgeber den Test zwecks "Risikoselektion" einsetzen. "KLAUS-PETER GÖRLITZER

taz Nr. 7416 vom 23.7.2004, Seite 18, 73 TAZ-Bericht KLAUS-PETER GÖRLITZER
http://www.taz.de/pt/2004/07/23/a0224.nf/textdruck
 
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"Wir brauchen keine Bio-Terroristen, wenn wir Gentechniker haben."
Independent Science Panel (www.indsp.org; dt.Ü. www.indsp.org/ISPgerman.pdf)
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