[Pirateninfo] taz: Das Jahr des Reis

Martin Sundermann Martin.Sundermann at ruhr-uni-bochum.de
Sam Jan 3 18:09:06 CET 2004


Betreff: 
        taz 02.01.04: Das Jahr des Reises
 Datum: 
        Sat, 03 Jan 2004 02:06:00 +0100
    Von: 
        Jan Michael Ihl <jm.ihl at gaia.de>
  Firma: 
        Gaia eV Stuttgart
  Foren: 
        gp.intern.themen.gentechnik

..und ein frohes Neues in die Runde - martin


TAZ Nr. 7247 TAZ-Bericht v. 02.01.2004, S. 14, 336 Z. von HILJA MÜLLER

Das Jahr des Reises

Das Internationale Reisforschungsinstitut IRRI setzt bei der Bekämpfung des
Hungers ganz auf Gentech-Pflanzen. Die Laborpflanzen sollen die grüne
Revolution ablösen. Besonders engagiert ist das IRRI bei der Entwicklung des
Goldenen Reises

AUS MANILA HILJA MÜLLER

Zwei Stunden Autofahrt von der philippinischen Hauptstadt Manila entfernt
scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Statt der trübbraunen Dunstglocke,
die permanent über dem Millionenmoloch hängt, weht in der bergigen Provinz
um den Mount Makiling eine frische Brise. Kaum jemand vermutet in dieser
abgelegenen Region eine weltweit einzigartige Forschungseinrichtung: Das
International Rice Research Institute, kurz IRRI, ist gerüstet für das Jahr
2004, das auf Antrag der Philippinen von der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nation (FAO) zum "Year of the
Rice" erklärt wurde. Geplant sind internationale Konferenzen und drei Tage
der offenen Tür.

Besucher lernen bereits am Eingang, worum es im mit öffentlichen Geldern
finanzierten IRRI geht: "Reisforschung für eine bessere Welt" heißt es auf
einem Schild. Seit der Gründung im Jahre 1960 arbeiten auf dem etwa 250
Hektar großen Gelände internationale Wissenschaftler an der Optimierung
bekannter Reissorten. Denn "Reis ist Leben" - das gilt für etwa drei
Milliarden Menschen auf unserem Globus, obgleich es harte Arbeit und 5.000
Liter Wasser braucht, um ein Kilo Reis zu produzieren.

In Asien ist das kleine Korn dennoch Hauptnahrungsmittel. Und die
Bevölkerungszahl vor allem im armen Südostasien wird Prognosen zufolge
drastisch ansteigen: 2025 müssen 732 Millionen mehr Menschen als 1995
ernährt werden. Der Bedarf an Reis wird nach Angaben des IRRI auf den
Philippinen um 65, in Bangladesch um 51 und in Indien um 46 Prozent. Die
ärmsten Menschen in diesen Ländern geben bis zu 40 Prozent ihres Einkommens
aus, um ihre Reisschüssel zweimal täglich zu füllen.

Seit der Gründung des Instituts haben die Forscher vor allem ein Ziel: "Wir
wollen Reis entwickeln, der mit weniger Wasser gedeiht und dennoch höhere
Erträge bringt", sagt IRRI-Direktor Ronald P. Cantrell. In den 70er- und
80er-Jahren gelangen spektakuläre Erfolge: Der Ernteertrag pro Hektar konnte
verdoppelt werden, die grüne Revolution auf dem Reissektor war geboren. An
die Schattenseiten wie Monokulturen und steigende Abhängigkeit der Bauern
von Saatgutlieferanten dachte in der ersten Euphorie niemand.

Neben der Forschung hat es sich das IRRI zur Aufgabe gemacht, Verwalter von
kleinen Kostbarkeiten aus mittlerweile 85 Ländern zu sein. Nahezu 110.000
Reisvarianten werden in einer Genbank für die Nachwelt erhalten. Gerade ist
eine Lieferung aus Nepal eingetroffen, Frauen trennen mit Holzstäbchen
geschickt die schlechten von den guten Körnchen. Letztere kommen in die
Kältekammern. "Bei drei Grad Celsius können wir den Reis bis zu vierzig
Jahre konservieren, bei Minus 19 Grad sogar bis hundert Jahre", erklärt
IRRI-Sprecher Duncan Macintosh.

Obgleich die Reisproben feuer-, erdbeben- und taifunsicher untergebracht
sind, will man auf Nummer sicher gehen. In Fort Collins (USA) lagern
Duplikate in so genannten Blackboxes, deren Siegel nur von IRRI-Mitarbeitern
geöffnet werden darf.

Wozu der riesige Aufwand um das winzige Korn? Duncan Macintosh lacht, zu oft
hat er die Frage schon gehört. "Wir sind keine verschrobenen Reisliebhaber,
die öffentliche Gelder verplempern", versichert er. Bestes Beispiel für die
Bedeutung der Genbank sei der Fall Kambodscha. Nach dem Bürgerkrieg waren
die Felder verwüstet und viele der an Klima und Boden angepassten Reissorten
ausgestorben. Das IRRI schickte 1988 die dringend benötigten Saatkörner in
das zerstörte Land. Seit den 90er-Jahren wächst auf den "killing fields"
wieder Reis.

Derzeit hat das IRRI vor allem finanzielle Sorgen: 1993 betrug das Budget
des Instituts noch 40 Millionen US-Dollar, jetzt muss es mit 25 Millionen
pro Jahr auskommen. "Wir mussten die Zahl unserer Mitarbeiter von 2.400 auf
700 verringern", klagt Instituts-Chef Cantrell.

Doch trotz knapper Kassen wächst in einem hermetisch abgeschotteten
Treibhaus eine optisch unscheinbare Reispflanze, die dem IRRI internationale
Schlagzeilen bringt wie einst die grüne Revolution: Der so genannte Goldene
Reis lässt Emotionen nicht nur in Asien hochkochen, denn er ist
genmanipuliert. Das Besondere: Im Gegensatz zu bekannten Sorten enthält der
Reiskern Betacarotin, aus dem der menschliche Organismus Vitamin A gewinnen
kann.

Mit Goldenem Reis, so die Befürworter, könnte dem "versteckten Hunger", wie
Experten Vitaminmangel bezeichnen, der Garaus gemacht werden. Unter dem
"Deckmantel der Humanität", so kontern Gegner, werde versucht, ein
genmanipuliertes Produkt auf dem asiatischen Markt zu etablieren.

Dass Mangel an Vitamin A in armen Ländern ein Problem ist, ist unbestritten.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden mehr als 100
Millionen Kinder daran. Ein Defizit mit dramatischen Folgen: Jedes Jahr
erblinden 250.000 bis 500.000 Kinder, die Hälfte davon sterben innerhalb von
zwölf Monaten. Auch Frauen sind betroffen, in Asien und Afrika sterben pro
Jahr 600.000 Schwangere im Zusammenhang mit Vitamin-A-Mangel.

Nichts scheint also näher zu liegen, als das fehlende Vitamin in die
Hauptnahrung von Milliarden Menschen einzupflanzen. Dieses ehrgeizige Ziel
setzte sich der deutschstämmige Forscher Ingo Potrykus, der Anfang der
90er-Jahre mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller-Stiftung - die
1960 zusammen mit der Ford-Stiftung das IRRI gegründet hat- seine Arbeit am
Technologischen Institut in Zürich begann. Jahre später gelang der
Durchbruch: Zwei Gene der Osterglocke und ein Gen des Bakteriums Erwinia
uredovora geben dem Goldenen Reis nicht nur seine gelbe Farbe, sondern
liefern Betacarotin. Allerdings hatte Potrykus die Gene in die japanische
Reissorte Tempura eingeimpft, die im tropischen Klima Südostasiens nicht
gedeiht. Ein Manko, das Potrykus dazu bewegte, seine Forschung am IRRI
vorantreiben zu lassen.

Zuvor musste er harte Verhandlungen mit internationalen Biotech-Unternehmen
wie Monsanto und Syngenta führen, die im Besitz der Patente und Rechte auf
die bei der Entwicklung von Goldenem Reis verwandten Gene und Technologien
sind. Dass die "Wunderwaffe" tatsächlich den Sprung von den Schweizer Alpen
an den Fuß des Mount Makiling schaffte, ist nur einem Deal zu verdanken,
über dessen Details die Öffentlichkeit im Unklaren gelassen wird.

Auch IRRI-Sprecher Macintosh mag keine konkrete Auskunft geben. Wichtig sei
nur das Ergebnis der Absprache: Geplant ist, Bauern mit einem
Jahreseinkommen von weniger als 10.000 US-Dollar das genmanipulierte Saatgut
umsonst zu überlassen.

Umweltschützer wittern dahinter nur eines: "Der Großmut der Konzerne
entspringt nur der Hoffnung, die Akzeptanz für Gentechnologie in den
Industrieländern zu vergrößern und ihr Produkt in Asien zu etablieren",
ärgert sich Manny Yap von der philippinischen Gruppe Masipag. Der
Zusammenschluss aus Wissenschaftlern und Farmern beobachtet das Treiben im
IRRI mit großer Skepsis. Damit sind sie nicht allein. "Wir sind sehr besorgt
über die möglichen Auswirkungen. Es gibt keine Garantie, dass
genmanipulierter Reis nicht andere Felder mit traditionellen Sorten
verunreinigt, ganz zu schweigen von den möglichen Bedrohungen für die
Gesundheit der Konsumenten", warnt die Chemikerin Len Berroya von Mother
Earth, einer in Manila aktiven Umweltgruppe.

Mit einer Studie will Masipag belegen, dass Goldener Reis keineswegs eine
Wunderwaffe gegen den "versteckten Hunger" ist. Darin heißt es, der Verzehr
von 300 Gramm des genmanipulierten Reises decke lediglich 20 Prozent des
Tagesbedarfs eines Erwachsenen an Vitamin A "Das ist einfach lächerlich",
ärgert sich Manny Yap. "Viel wichtiger wäre es, den Armen wieder
beizubringen, dass einheimisches grünblättriges Gemüse, Mangos und süße
Kartoffeln billige Lieferanten von Vitamin A sind." Natürlich würde auch
brauner Naturreis mehr Vitamine enthalten als der in Asien übliche polierte
weiße Reis. Zudem bräuchte der menschliche Körper Fett etwa aus Fleisch, um
das Vitamin überhaupt nutzbar zu machen - "und dafür hat ein Großteil der
Bevölkerung in Südostasien kein Geld".

Solche Vorwürfe lassen Swappan Data kalt. Der Inder, dem es am IRRI gelang,
die Gene in mehrere in Südostasien populäre Reissorten einzuschleusen, ist
sich sicher: "Dies ist eine der wichtigsten Entwicklungen unseres Instituts,
und sie wird einen dramatischen Einfluss haben, wenn sie in drei bis vier
Jahren auf die Felder kommt". Für den Genforscher bedeuten die kleinen
Reiskörner, die unter seiner Aufsicht heranreifen, die "goldene Hoffnung"
für die Armen Asiens. Der 51-Jährige hat kein Verständnis für Einwände von
Umwelt- und Konsumentenschützern. "Wir tun alles, um Risiken auszuschließen,
und bisher hat es keinen einzigen Fall gegeben, wo genmanipuliertes Getreide
irgendeinen Schaden angerichtet hat."

Auch der Erfinder des Goldenen Reises hat von der hitzigen Debatte
offensichtlich genug. Potrykus wetterte jüngst bei einer Vortragsreihe in
Australien, wenn es nach ihm ginge, "sollten die Gegner von genmanipuliertem
Getreide vor Gericht gestellt werden". Es sei unmoralisch, den Armen dieser
Welt nicht mit moderner Technologie zu helfen.

So weit will IRRI-Direktor Cantrell freilich nicht gehen. Er sieht die
Aufregung gelassener und lenkt das Augenmerk auf den zunehmenden Einfluss
internationaler Konzerne. "Früher hatten sie am Reis kaum Interesse,
vermutlich weil die Konsumenten arm sind. Doch das hat sich massiv
geändert", so der Texaner. Immer intensiver widme sich der "private sector"
dem Reis und führe mit Patentrechten ganz neue Spielregeln ein.

"Bisher gab es eine Balance zwischen privatem und öffentlichem Sektor,
dieses Gleichgewicht ist gestört. Ohne wirksame Kontrolle könnte Forschung
auch auf dem Reissektor bald total kommerzialisiert sein."

Vom "Internationalen Reisjahr" erhoffen sich die Forscher in der
philippinischen Provinz daher nicht nur mehr öffentliches Interesse, sondern
auch einen deutlichen finanziellen Schub. Denn, so versichert Sprecher
Macintosh, am Institut gelte nach wie vor das Motto "Reisforschung für eine
bessere Welt".

TAZ Nr. 7247 TAZ-Bericht v. 02.01.2004, S. 14, 336 Z. von HILJA MÜLLER

Seitenanfang  Jahre  Monate  Tage
Tagesübersicht  Voriger Artikel  Nächster Artikel 

Copyright: Contrapress media GmbH - Vervielfältigung nur mit Genehmigung des
taz-Verlags



~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
"Wir brauchen keine Bio-Terroristen, wenn wir Gentechniker haben."
Independent Science Panel (www.indsp.org)
-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde geschreddert...
URL: http://ilpostino.jpberlin.de/pipermail/info-mail/attachments/20040103/6713fea0/attachment-0001.html