[IMI-List] [0684] Broschüre: Betrieb entrüsten / Plakate IMI-Kongress / Analyse Psych. Diagnose als „Sicherheitsrisiko“
IMI-JW
imi at imi-online.de
Do Okt 23 14:32:02 CEST 2025
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0684 – 28. Jahrgang
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Liebe Freundinnen und Freunde,
In dieser IMI-List finden sich:
1.) Flyer und Plakate zum IMI-Kongress „Militärrepublik? Verweigern!“
(15./16.11.2025);
2.) Die brandneue Broschüre „Den Betrieb entrüsten – Aktiv gegen
Kriegstüchtigkeit. Handlungshilfe für Betriebsräte und gewerkschaftliche
Vertrauensleute“;
3.) Die neue IMI-Analyse „Psychiatrische Diagnosen als ‚Sicherheitsrisiko‘“.
1.) IMI-Kongress „Militärrepublik? Verweigern!“ (15./16.11.2025)
Der IMI-Kongress naht, hier nochmal das Programm und weitere Infos:
https://www.imi-online.de/2025/09/26/imi-kongress-2025-militaerrepublik-verweigern/
Speziell hinweisen möchten wir auf den nun hochgeladenen Flyer und das
Plakat des Kongresses.
Flyer: https://www.imi-online.de/download/Kongressflyer2025.pdf
Plakat: https://www.imi-online.de/download/KongressPlakat2025.pdf
Wer etwas die Werbetrommel rühren möchte, schicken wir gerne Flyer
und/oder Plakate zu, einfach per mail an uns wenden: imi at imi-online.de
2.) Neue Broschüre: Den Betrieb entrüsten
Soeben ist unsere neue Broschüre erschienen, die sich mit
gewerkschaftlichen Möglichkeiten beschäftigt, sich der Gegenkonversion
(Umstellung von Betrieben auf die Produktion von Rüstungsgütern)
entgegenzustellen.
Die Broschüre kann wie eigentlich immer gratis hier heruntergeladen
werden (wir freuen uns natürlich über Spenden!):
https://www.imi-online.de/download/Betrieb_entruesten_2025.pdf
Gedruckt kann die Broschüre gerne auch größerer Auflagen für eine
Schutzgebühr von 1,50€ pro Stück (ab 10 Ex. 1 €) + Porto bei uns
bestellt werden: imi at imi-online.de
IMI-Studie 2025/5 (Broschüre)
Den Betrieb entrüsten – Aktiv gegen Kriegstüchtigkeit
Handlungshilfe für Betriebsräte und gewerkschaftliche Vertrauensleute
https://www.imi-online.de/2025/10/20/den-betrieb-entruesten-aktiv-gegen-kriegstuechtigkeit/
Marcus Schwarzbach (20. Oktober 2025)
INHALTSANGABE
I. Vorwort: Gegen Militarisierung vorgehen – jetzt!
II. Krisenzeiten setzen Beschäftigte unter Druck
III. Alternativen zu den Planungen des Unternehmens entwickeln: Gegen
Militarisierung im Betrieb
IV. Gegenvorschläge gemeinsam mit der Belegschaft erarbeiten
V. Informationsbeschaffung: Planungen des Unternehmens durchschauen
VI. Verhandlungen zu Interessenausgleich und Sozialplan mit einem
Gegenkonzept führen
VII. Betriebliche Diskussionen über ein Gegenkonzept zuspitzen
VIII. Das kann nicht alles sein: Der Blick nach vorne
IX. Nachweise
Broschüre hier herunterladen:
https://www.imi-online.de/2025/10/20/den-betrieb-entruesten-aktiv-gegen-kriegstuechtigkeit/
3.) IMI-Analyse „Psychiatrische Diagnosen als ‚Sicherheitsrisiko‘“
IMI-Analyse 2025/33
Psychiatrische Diagnosen als „Sicherheitsrisiko“
Stigmatisierung, Echtzeitüberwachung und Repression gehen Hand in Hand
https://www.imi-online.de/2025/10/21/psychiatrische-diagnosen-als-sicherheitsrisiko/
Reza Schwarz (21. Oktober 2025)
Ende Juni schlug ein Video des offiziellen Accounts der CDU
Landtagsfraktion in Hessen hohe Wellen: Der Arzt und langjährige
CDU-Abgeordnete des hessischen Landtags Dr. Ralf-Norbert Bartelt sagte
in einem 30-sekündigen Video: „Es gibt Menschen, die sind schwer
psychiatrisch erkrankt. Sie sind eine Gefahr für sich selbst und die
Gemeinschaft. Da müssen wir vom Staat etwas tun. Deswegen bringen wir
einen Gesetzentwurf ein, der vorsieht, dass diese Personen den
Ordnungsbehörden gemeldet werden müssen. Zusammengefasst: Es geht um den
Schutz der betroffenen Menschen und der Gemeinschaft.“1 Als es für diese
Äußerungen viel öffentliche Kritik hagelte, ruderte Bartelt etwas zurück
und sagte, dass er so ein Video nicht mehr machen würde, so ein
„komplexer Sachverhalt“ sich in 25 Sekunden schlecht darstellen ließe
und es sich ja lediglich um „Einzelfälle“ handeln würde. Durch eine
bessere Überwachung dieser Personen sollen Amokläufe und Gewalttaten wie
in Aschaffenburg oder Magdeburg effektiver verhindert werden können.2
Die CDU scheint sich hier offensichtlich wieder eines altbekannten, gut
erprobten Musters zu bedienen: Minderheit auswählen, Feinbild
konstruieren und anschließend die Repressionsmaßnahmen Stück für Stück
hochzuschrauben aus „Sicherheitsgründen“.
Sehr ungeniert instrumentalisiert wurde beispielsweise hierfür der
Anschlag in Magdeburg auf einen Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024,
bei dem der damals als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
arbeitende Taleb A. mit einem Mietfahrzeug durch eine Menschenmenge
raste, dabei sechs Menschen tötete und 329 zum Teil schwer verletzte.3
Noch am selben Tag verbreiteten bekannte rechtsextreme Influencer wie
Martin Sellner (Identitäre Bewegung), Naomi Seibt und Markus Krall
gezielt Desinformationen, etwa dass es sich bei dem Täter um einen
syrischen Geflüchteten handele, er Hamas Anhänger sei und die Tat
islamistisch motiviert gewesen sei. Obwohl sich innerhalb kürzester Zeit
herausstellte, dass Taleb A. viele extrem rechte und islamfeindliche
Inhalte auf seinen Social Media Profilen teilte, offen sehr eindeutig
mit der AfD sympathisierte4 und sogar der Präsident des Thüringer
Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, vier Tage später von „gewachsene(r)
Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts“5 spricht,
entwickelte sich die Debatte in eine ganz andere Richtung.
Stigmatisierung und Stilisierung
Zehn Tage nach dem Anschlag, am 30.12.2024, führte der Deutschlandfunk
ein Interview mit dem CDU Generalsekretär Carsten Linnemann. Gleich in
seinem ersten Satz forderte er, dass es nicht nur Register Islamisten
und Rechtsextremisten geben sollte, sondern auch für „Psychisch Kranke
Gewalttäter“ und die Behörden in Zukunft mehr Befugnisse bräuchten, um
sich besser mit psychiatrischen Kliniken, Fachärzten und -ärztinnen,
sowie Psychotherapeut*innen austauschen zu können. Diese, vor allem auch
in Anbetracht der deutschen Geschichte hochgradig problematische
Äußerung wurde von der Journalist*in im weiteren Verlauf des Interviews
nicht kritisch hinterfragt, sondern einfach unkommentiert als
Meinungsäußerung stehen gelassen.6 Die angeblich vorhandene psychische
Erkrankung des Täters und seine Migrationsgeschichte wurden in den
Vordergrund gestellt, nicht seine rechtsextremen Motive, worunter zum
Beispiel unter anderem der Hass auf syrische Geflüchtete und die
beliebte Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“ 7zählen. Nach
Linnemanns Äußerung in diesem Interview gab es durchaus öffentliche
Kritik zum Beispiel von der Deutschen Depressionsliga, dem Landesverband
der LINKEN in Rheinland-Pfalz, der Nachrichtenplattform über
tagesaktuelle Entwicklungen in der Behindertenpolitik
kobinet-Nachrichten, sowie auf verschiedenen Social Media Plattformen.8
9 10 Selbst die alles andere als psychiatriekritische Fachgesellschaft
„Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik
und Nervenheilkunde“ (DGPPN) betont in einer Pressemitteilung
diesbezüglich, dass solche Register gefährlich sind, zur weiteren
Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen beitragen und
Betroffene nicht wesentlich gewalttätiger sind als Nicht-Betroffene.
Dass aber möglichst frühe psychiatrische Interventionen als „Allrounder
Lösung“ für psychisches Leiden und Prävention für fremdaggressives
Verhalten angepriesen werden11 und nicht die Überwindung von
leidbringenden gesellschaftlichen Umständen, war zwar zu erwarten, geht
natürlich aber weit an der „Lösung des Problems“ vorbei. Dennoch muss
Menschen, die sich in psycho-sozialen Notlagen befinden schnell,
barrierearm, diskriminierungsfrei und auf Augenhöhe geholfen werden
können. Beispiele für wirksame, selbstbestimmte und antipsychiatrische
Möglichkeiten, von denen es in Deutschland leider nur sehr wenige gibt,
sind sogenannte Weglaufhäuser in denen Menschen individuelle
Unterstützung finden, wenn sie von Wohnungslosigkeit betroffen oder
bedroht sind und sich außerdem in einem psychischen Krisenzustand
befinden.12 Diese Häuser werden überwiegend aus der Sozialhilfe, welche
im Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Achten Kapitel „Hilfe zur
Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“ geregelt ist,
finanziert.13 Wie lange diese Basisfinanzierung für Leistungsangebote
der kritischen Sozialarbeit bei einem so weitreichenden Sozialabbau
zugunsten von Aufrüstungszielen von mindestens 5% (siehe IMI-Studie
2025/1b Militärausgaben und Sozialabbau)14 noch erhalten bleiben kann,
ist ungewiss.
Viele Maßnahmen, kaum öffentlicher Aufschrei
Carsten Linnemanns Forderung nach einer zentralen Erfassung für
„psychisch erkrankte Gewalttäter“, war keine übertriebene
Einzelforderung eines CDU Hardliners in einem morgendlichen
Telefoninterview, sondern spiegelte lediglich die Haltung der Ständigen
Innenministerkonferenz (IMK) wider: Weil in der „[…] jüngsten
Vergangenheit oftmals Personen mit psychischen Auffälligkeiten als Täter
in Erscheinung getreten sind […], müssen personenbezogene
Verhaltensmuster und potentielle Risiken rechtzeitig erkannt, analysiert
und bewertet werden. Die IMK ist sich einig, dass es hierzu eines
gezielten und ganzheitlichen Ansatzes bedarf und eine bundesweite
Vernetzung der Erkenntnisse zwischen Sicherheits-, Gesundheits-, Waffen-
und ggf. Ausländerbehörden sichergestellt sein muss. […] Um ausreichende
Handlungsmöglichkeiten für eine wirksame Gefahrenabwehr sicherzustellen,
ist zu prüfen, wie die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten
insbesondere nach den Psychisch-Kranken-Gesetzen (PsychKGen) der Länder
angepasst bzw. erweitert werden können. Darüber hinaus ist zu prüfen,
wie den Sicherheitsbehörden ein Zugriff auf gefährdungsrelevante
Erkenntnisse zu psychisch Erkrankten bzw. eine Abfrage dieser
Informationen ermöglicht werden kann.“15
Dieser Beschluss von Ende Januar, der Patient*innen- und allgemeine
Menschenrechte bis zur Unkenntlichkeit zerstört, blieb weitestgehend
unbeachtet. Dies führte höchstwahrscheinlich auch dazu, dass Ende Mai
Hamburgs SPD Gesundheitssenator*in Melanie Schlotzhauer auf der
Gesundheitsministerkonferenz die mangelnden Befugnisse der
Sicherheitsbehörden beklagen konnte und die Innenministerkonferenz
schließlich im Juni das „Integrierte Risikomanagement durch
Gesundheits-,- und Ausländerbehörden“ verabschieden konnte. Statt
Menschen ohne Gewalt und Repression zu helfen, werden sie als reines
„Gefahrenpotential“ gehandelt und somit unter Generalverdacht gestellt.
Noch schlimmer jedoch ist, dass dieser Beschluss nun auch entgültig die
Ambulante Zwangsbehandlung, möglichst auf Bundesebene, verankern möchte.
Die Einnahme von Psychopharmaka (z.B. Neuroleptika,
Selektive-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) etc.) soll als
„rechtliche Verpflichtung eingeführt“ werden, „mit dem Ziel, dass
Patienten bei der Entlassung die Auflage erhalten, ihre Medikamente
täglich unter Aufsicht einzunehmen.“16 Bereits Ende 2023 gab es im
baden-württembergischen Zwiefalten eine „Ethiktagung zur Ambulanten
Behandlungsweisung“, initiiert durch das Zentrum für Psychiatrie (zfp)
Südwürttemberg. Hier durften vor allem ärztliche Direktoren,
Geschäftsführer von (sozial)-psychiatrischen Einrichtungen oder sogar
auch Landesgerichtspräsidenten zu Wort kommen, die vor allem für die
Einführung der Ambulanten Zwangsbehandlung, zur „Verhinderung von Leid
und selbst- oder fremdaggressiven Verhalten“ warben. Kritische
Gegenpositionen von Betroffenen selbst, wie vom Landesverband
Psychiatrieerfahrener Baden-Württemberg, waren zwar durchaus auch
vertreten, jedoch rein verhältnismäßig eher unterlegen.17
Die drohende Ausweitung der totalen Institution Psychiatrie in den
privaten Bereich der Betroffenen hinein tritt auch die
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die Deutschland 2009 selbst
ratifiziert hat, mal wieder mit Füßen. In einer Staatenprüfung
Deutschlands hinsichtlich der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
kritisierte die UN 2023, dass die BRD an menschenrechtsverletzenden
Praktiken wie „der Verwendung von physischen und chemischen
Beschränkungen, Isolationsmaßnahmen und anderen schädlichen Praktiken,
insbesondere in Pflege-und Integrationshilfeeinrichtungen sowie anderen
Einrichtungen, psychiatrischen Einrichtungen und forensischen
psychiatrischen Einrichtungen“ festhält.18
Kriminalisierung Betroffener auf Hochtouren
Anfang Juli 2025 wurde bekannt, dass das hessische Landeskriminalamt
Daten von über 1.600 Menschen ausgewertet hat, bei denen in der
Datenbank der Marker für „Psychische- und Verhaltensstörung“ (PSYV)
gesetzt wurde. Laut einem Bericht von netzpolitik.org schreibt das
hessische Innenministerium auf Anfrage, dass die Taskforce die
Datensätze der betroffenen Personen hinsichtlich einer „bestehende(n)
Gefahr“ oder eines „bestehende(n) Risiko(s) zur Begehung einer schweren
Gewalttat“ bewertet hat. Dabei wurde betont, dass es sich um Personen
handelt die „bereits polizeilich in Erscheinung getreten“ sind und bei
denen „eine ärztlich attestierte psychische Erkrankung“ vorliege.19 Wenn
Menschen als schuldunfähig nach §18-21 StGB eingestuft20 oder nach dem
hessischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) zwangsweise
untergebracht wurden21, landeten sie in der Datenbank. Personen mit
zusätzlichen Markern wie „gewaltaffin, suizidal, gewaltanwendend,
psychotisch, wahnhaft, substanzmissbrauchend“ oder wenn Drohungen gegen
andere ausgesprochen wurden, standen besonders im Fokus.
Mehr als jede*r dritte Deutsche im Erwachsenenalter, hat in seinem Leben
bisher mindestens eine dokumentierte psychiatrische Diagnose erhalten,
Tendenz steigend.22 Die Mitglieder der Taskforce beim hessischen
Landeskriminalamt hätten eine grundlegende Expertise in der Bearbeitung
von Gefährdungssachverhalten und „Erfahrungswissen im Umgang mit
psychisch auffälligen Personen“. In der Mitteilung wurde auch betont,
dass Hessen schon seit Jahren das „polizeiliche Bedrohungsmanagement“
bei Personen „von welchen konkrete Gefahren für andere Personen oder für
die Allgemeinheit ausgehen“ anwendet. Bewertungsvorlagen, mit denen die
fallbezogenen Einschätzungen bezüglich Gewalt- und Risikopotential
kriteriengeleitet vorgenommen werden sollen, wurden ebenfalls
entwickelt. Falls bei ausgewerteten Personen davon ausgegangen wird,
dass sie bald womöglich schwere Gewalttaten begehen könnten, sollen
andere Institutionen informiert werden, damit diese auch aktiv werden
können. Gegebenenfalls sind auch „Gefährder*innenansprachen“ denkbar,
sowie das Verhängen von Annährungs-, Kontakt- und, oder
Aufenthaltsverbote, als auch Observationen und Ingewahrsamnahmen. Nach
der Abarbeitung der 1.600 Personen mit dem Marker „PSYV“ soll die
Taskforce aufgelöst und in die Regelorganisation überführt werden. Die
Auswertung der Daten von Betroffenen soll also noch weiter gehen…
Mögliche Szenarien in der Zukunft
Laut Einschätzungen von netzpolitik.org können die Daten von Betroffenen
zukünftig in das Datenanalysesystem der hessischen Polizei „Hessendata“
überführt werden, welches auf der Gotham Software von Palantir basiert.
Die Nutzung von Gotham bei der Polizei soll dazu dienen, z.B. den
Standort, Kontakte (z.B. Anrufe, Nachrichten etc.), Datensätze bei
anderen Behörden (z.B. Ausländerbehörden), Bewegungs- und
Verhaltensprofile, sowie Inhalte auf sozialen Netzwerken fallspezifisch
zusammenzuführen und „schwere Straftaten zu verhindern“. Eine Form von
visualisierter und KI-gestützter Echtzeitüberwachung, die auch als
„Predictive policing“ (dt.: Vorhersagende Polizeiarbeit) bezeichnet
wird. Diese automatisierte Datenauswertung, auch Data-Mining genannt,
verletzt grundlegende Daten- und Persönlichkeitsrechte und wurde 2023 am
Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil für verfassungswidrig
erklärt.23 Das Hessische Landespolizeigesetz (Hessisches Sicherheits-
und Ordnungsgesetz HSOG), wurde trotzdem diesbezüglich nur geringfügig
novelliert und ermöglicht weiterhin Big-Data-Analysen, auch von völlig
unbeteiligten Menschen.24 In den USA wird Palantir-Software vor allem
dazu genutzt, um Migrationsbewegungen zu kontrollieren und der
Abschiebeeinheit der Immigration and Customs Enforcement (ICE) die
Arbeit zu erleichtern. Palantirs CEO und promovierter Sozialphilosoph
Alex Karp, sprach auch davon, das Ziel zu verfolgen, „Amerika tödlicher
zu machen“.25 All diese hochgradig bedenklichen Fakten und Äußerungen
bezüglich dieses Cybersicherheitsgiganten aus den USA, trugen leider
nicht dazu bei, dass Deutschland sich von der Nutzung abschrecken ließ.
Neben Hessen, Bayern und Nordrhein-Westphalen unterzeichnete
Baden-Württemberg voreilig einen millionenschweren, fünfjährigen
Nutzungsvertrag für Palantir-Software, jedoch ohne davor eine rechtliche
Grundlage für die Erlaubnis der Nutzung geschaffen zu haben.26
Wie geht es weiter?
Am 26.06.25 fand die erste Lesung und Beratung zur Novellierung des
Hessischen PsychKGH im Landtag statt, die von der Regierungskoalition
aus CDU und SPD eingebracht wurde. Ein Schwerpunkt der Novellierung soll
vor allem die Meldung von Personen an Polizei- und Ordnungsbehörden
sein, die aus der Psychiatrie entlassen wurden, deren Aufenthalt mit
Fremdgefährdung begründet wurde und bei denen „bei Entlassung weiterhin
aus medizinischer Sicht eine Gefahr für Dritte bestehen könnte. Dieser
Informationsaustausch dient dem Schutz der Bevölkerung und zugleich dem
Wohl der Betroffenen, die bei Bedarf erneut Unterstützung erhalten
sollen.“27 Interessante Fragestellungen hierbei könnte sein: Was wird
als „Gefahr für Dritte“ eingestuft und wer genau fällt letztendlich
diese Entscheidung?
Am 03. September tagte der gesundheits- und familienpolitische Ausschuss
(GFA) des Hessischen Landtags und behandelte vor allem die öffentliche
Kritik. Die SPD Fraktion Hessen, vertreten durch Dr. Daniela Sommer,
bezeichnete die drohende Einführung von Registern und Listen über
Betroffene, die z.B. Carsten Linnemann öffentlich forderte und die
ständige Innenministerkonferenz zunehmend forciert haben, als
Unterstellungen, die „schlichtweg falsch“ seien. Ohnehin stelle dies
„keine Verschärfung der Mitteilungspflichten“ dar, sondern präzisiere
lediglich „bereits bestehende Verfahren, ohne die Rechte der Betroffenen
zu beeinträchtigen“.28
Ein kleiner Lichtblick inmitten dieser düsteren Debatten, war der erste
„Mad Pride Day 2025“ in ganz Süddeutschland am 11.10.2025 in Stuttgart.
Viele Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung zogen „für ein Morgen ohne
Stigma“ laut und bunt durch die Straßen.29 Auf den Zwischenkundgebungen
gab es zahlreiche Berichte über Leid, welches oft durch jahrelange
Gewalt von Angehörigen verursacht wurde. Einige berichteten auch von
Diskriminierungserfahrungen, weil sie eine Migrationsgeschichte haben
oder machten deutlich, dass die Polizei oft gewalttätig mit Menschen in
psycho-sozialen Notlagen umgeht, sowie immer mehr Menschen in diesen,
welche durch Polizeibeamt*innen getötet werden. Im Jahr 2024 gab es mit
17 Menschen, die in Deutschland offiziell als Polizeitote galten, sogar
einen neuen Jahrhunderthöchststand.30
Anmerkungen:
1 Instagramaccount der CDU – Landesverband Hessen „cdu_hessen“, Reel vom
26.06.2025, instagram.com
2 Müller, Sandra; Schulmayer, Christiane & Kurth, Timo: CDU-Video über
Psychisch Kranke löst Welle der Empörung aus, hessenschau.de, 02.07.2025
3 Neues Gutachten – Anschlag in Magdeburg: Tatfahrzeug fuhr offenbar
kurze Zeit fast Tempo 50, mdr.de, 09.07.2025
4 Gilbert, Max: #Faktenfuchs – Wie Rechtsextreme die Tat von Magdeburg
umdeuten, br.de, 23.12.2024
5 Magdeburg: Extremismusbezüge nach Rechts, zdfheute.de, 24.12.2024
6 Schulz, Sandra: Anschlag in Magdeburg – Linnemann (CDU) spricht sich
für schneller Ausweisungen aus, deutschlandfunk.de, 30.12.2024
7 Engert, Marcus: Radikalisierungsforscher – Tat von Magdeburg in einer
Reihe mit Halle und Hanau, mdr.de, 22.12.2024
8 Deutsche Depressionsliga: Stellungnahme: CDU-Generalsekretär Linnemann
fordert Register für psychisch Kranke – ein gefährlicher Vorschlag,
depressionsliga.de, 06.01.2025
9 DIE LINKE Landesverband Rheinland-Pfalz: Ein Register für psychisch
kranke Menschen ist zutiefst menschenfeindlich, dielinke-rhlp.de, 31.12.2024
10 Ottmar, Miles-Paul: Kritik an Vorschlag zu einem Register psychisch
auffälliger Menschen, kobinet-nachrichten.org, 03.01.2025
11 DGPPN: Kein Zentralregister für Menschen mit psychischen
Erkrankungen, dgppn.de, 07.01.2025
12 Weglaufhaus Villa Stöckle: Konzeption der Kriseneinrichtung,
weglaufhaus.de, Oktober 2022
13 SGB XII: Achtes Kapitel „Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer
Schwierigkeiten“, Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz, gesetze-im-internet.de (letzter Abruf 18.10.2025)
14 Wagner, Jürgen: Militärausgaben und Sozialabbau: Rüstung statt Rente
– Kanonen statt Butter, IMI-Studie 2025/01b, imi-online.de, 25.06.2025
15 Ständige Konferenz der Innenminister und – senatoren der Länder:
Beschlussniederschrift über die Sondersitzung am 27.01.2025,
innenministerkonferenz.de, 27.01.2025
16 Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder:
Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 223.
Sitzung vom 11. bis zum 13.06.2025 in Bremerhaven: TOP 83 – Integriertes
Risikomanagement bei Menschen mit psychischen Erkrankungen,
innenministerkonferenz.de, 18.06.2025
17 ZfP Südwürttemberg: 33. Ethiktagung befasst sich mit komplexer
Problemlage, zfp-web.de, 13.10.2023
18 Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE) e.V.: Stellungnahme und
Faktencheck zur ambulanten Zwangsbehandlung in Baden-Württemberg,
bpe-online.de, 03.11.2023
19 Hessen: Polizei überprüft 1.600 psychisch erkrankte Menschen,
netzpolitik.org, 08.07.2025
20 Schuld, §§ 18-21 StGB, Universität Potsdam, uni-potsdam.de (letzter
Abruf: 18.10.2025)
21 Hessisches Gesetz über Hilfen bei psychischen Krankheiten
(Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – PsychKHG Hessen vom 04. Mai 2017),
rv.hessenrecht.hessen.de (letzter Abruf: 18.10.2025)
22 RKI: Psychische Störungen – Administrative Prävalenz (ab 18 Jahre),
gbe.rki.de, 20.11.2024
23 BVerfG: Urteil vom 16. Februar 2023, bundesverfassungsgericht.de,
16.02.2023
24 GFF erhebt Verfassungsbeschwerde gegen Gesetzesnovelle: Hessen setzt
verfassungswidrige Big-Data-Analyse fort, Gesellschaft für
Freiheitsrechte, freiheitsrechte.org, 25.06.2024
25 Schwaiger, Tobias: Palantir: Die Firma, die Amerika „tödlicher
machen“ soll, Der Standard-Analyse, derstandard.de, 30.06.2025
26 Steuerzahlern in BW droht Millionenverlust durch Kauf von
Polizei-Software, SWR-Aktuell, swr.de, 24.07.2025
27 SPD-Fraktion im Hessischen Landtag: PsychKHG: Bessere Versorgung für
Menschen mit Doppeldiagnosen und mehr Sicherheit bei Entlassungen,
spd-fraktion-hessen.de, 26.06.2025
28 SPD-Fraktion im Hessischen Landtag: Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz:
Hessen bietet Prävention und Hilfe – Öffentliche Diskussion geprägt von
Missverständnissen, spd-fraktion-hessen.de, 03.09.2025
29 Warrlich, Siri: „Mad Pride Day“ – Demo psychisch kranker Menschen in
Stuttgart: Habt keine Angst vor uns!“, swr.de, 11.10.2025
30 Monroy, Matthias: Höchststand bei Polizeitoten – Polizeilicher
Schusswaffengebrauch auf Jahrhunderthoch, neues deutschland,
nd-aktuell.de, 28.10.2024
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