[IMI-List] [0638] Studie: Zeitenwende heißt Sozialabbau / Analysen: Putsch im Niger / Artikel: Grenzen als Sortiermaschinen

IMI-JW imi at imi-online.de
Mo Aug 28 10:04:30 CEST 2023


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0638 .......... 26. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich der Hinweise auf

1.) neue IMI-Analysen zum Putsch im Niger;

2.) der Hinweis auf die neue IMI-Studie „Zeitenwende heißt Sozialabbau!“;

3.) ein Artikel über Grenzen als Sortiermaschinen als Vorgeschmack auf 
die bald erscheinende Ausdruck-Ausgabe mit diesem Schwerpunkt.


1.) Putsch im Niger

Mittlerweile sind eine ganze Reihe Artikel zum Putsch im Niger auf der 
IMI-Homepage erschienen:

IMI-Standpunkt 2023/031 - in: junge welt, 21.8.2023
Verzweiflung im Land, Selbstschutz im Palast
Im Niger weckt der Machtwechsel Hoffnung auf neue Ansätze im Kampf mit 
den Dschihadisten. Ambitiöse Generäle nutzen das aus.
https://www.imi-online.de/2023/08/22/verzweiflung-im-land-selbstschutz-im-palast/ 

Pablo Flock (22. August 2023)

IMI-Standpunkt 2023/030 - in: junge welt, 21.8.2023
Beliebte Putschisten. Eine postkoloniale Dialektik
https://www.imi-online.de/2023/08/22/beliebte-putschisten-eine-postkoloniale-dialektik/ 

Pablo Flock (22. August 2023)

IMI-Analyse 2023/38
Kommt nun der Showdown im Sahel?
ECOWAS droht mit Intervention im Niger. Frankreich und die EU evakuieren 
Bürger. Doch Nachbarländer zeigen sich solidarisch.
https://www.imi-online.de/2023/08/04/vorbereitung-eines-angriffkriegs/
Pablo Flock (4. August 2023)

IMI-Standpunkt 2023/028
Erste Einschätzungen zum Putsch in Niamey
https://www.imi-online.de/2023/07/27/erste-einschaetzungen-zum-putsch-in-niamey/ 

Christoph Marischka (27. Juli 2023)

Siehe auch zur langen Vorgeschichte unsere Seite zur Sahel-Region: 
https://www.imi-online.de/category/regionen/afrika/nordafrika/sahel/


2.) IMI-Studie: Zeitenwende heißt Sozialabbau!

IMI-Studie 2023/2
Zeitenwende heißt Sozialabbau!
Die Auseinandersetzungen über Sozialkürzungen zugunsten von 
Militärausgaben und 2%-Ziel sind eröffnet
https://www.imi-online.de/2023/08/28/zeitenwende-heisst-sozialabbau/
Jürgen Wagner (28. August 2023)

Einleitung

Im September 2023 beginnt auf Basis des Anfang Juli von Finanzminister 
Christian Lindner vorgelegten und vom Kabinett beschlossenen 
Regierungsentwurfs[1] die parlamentarische Debatte um den Haushalt 2024. 
Wie sich schon länger abzeichnete, sollen nahezu alle Ministerien 
Einbußen hinnehmen, verschont bleibt aber unter anderem das 
Verteidigungsministerium (BMVg), das sogar zusätzliche Gelder erhält. 
Erstmals sollen im kommenden Jahr Militärausgaben von 2% des 
Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht werden – gleichzeitig wurde auch 
die Finanzplanung bis 2027 vorgelegt, die vor allem eines zeigt: Die 
Zeitenwende bedeutet Sozialabbau!

Ganze Studie hier: 
https://www.imi-online.de/2023/08/28/zeitenwende-heisst-sozialabbau/

INHALTSVERZEICHNIS

Ein Sondervermögen für die chronisch kaputtgesparte Truppe?
Nebelkerzen und die Haushaltsplanung 2024
Schwarzes Rüstungsloch
Pistorius: Rüstung im Deutschland-Tempo
Vermeintliche Sachzwänge
Zeitenwende heißt Sozialabbau
Debatte eröffnet

Ganze Studie hier: 
https://www.imi-online.de/2023/08/28/zeitenwende-heisst-sozialabbau/

Dazu passend auch der Hinweis auf die Initiative „Sagt Nein! 
Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“, die 
auch von der IMI unterzeichnet wurde: 
https://www.imi-online.de/2023/08/10/sagt-nein/



3.) IMI-Analyse: Grenzen: High-Tech-Sortiermaschinen?

In Kürze erscheint die September-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK. Als 
diesmaligen Schwerpunkt haben wir das Thema „Grenzen“ gewählt. Der 
nachfolgende Beitrag ist einer der Artikel, der in diesem Schwerpunkt 
erscheinen wird und den wir als Vorgeschmack bereits jetzt veröffentlichen:

IMI-Analyse 2023/39
Grenzen: High-Tech-Sortiermaschinen?
Rezension zweier Publikationen
https://www.imi-online.de/2023/08/17/grenzen-high-tech-sortiermaschinen/
Christoph Marischka (17. August 2023)


Mau: „Sortiermaschinen“

Steffen Mau, der zu den bekannteren zeitgenössischen, deutschen 
Soziologen zählt, hat 2021 im Verlag C.H.Beck ein “kurzes Buch” 
veröffentlicht, welches – so der Untertitel – “Die Neuerfindung der 
Grenze im 21. Jahrhundert” unter dem Titel “Sortiermaschinen” beschreibt.

Dass Grenzen “Sortiermaschinen” sind, ist erst einmal keine so neue 
Feststellung. Jenseits ihrer geopolitischen und völkerrechtlichen 
Funktion zur Abgrenzung eines Territoriums erscheinen sie v.a. im 
westeuropäischen Denken den Individuen primär als Ort einer binären, 
manchmal lebenswichtigen Entscheidung: des Zugangs oder der 
Zurückweisung. Dass der Ort dieser Entscheidung nicht (mehr) nur der 
ikonische, ebenfalls westeuropäisch geprägte Schlagbaum ist, scheint 
auch keine besonders neue Erkenntnis. Vieles, das im Buch dargestellt 
wird, ist im Grunde der regelmäßigen Zeitungsleserin bekannt: Die 
Externalisierung der Kontrolle in Drittstaaten und an private Akteure, 
der zunehmende Einsatz biometrischer Daten, der Bau von Mauern und 
Zäunen und das Sterben im Mittelmeer. Letzteres steht bei Mau nicht im 
Mittelpunkt, sondern wird eher sachlich am gebotenen Ort erwähnt. Es 
handelt sich dabei schließlich nur um eine Zuspitzung der Kernaussage, 
wonach Grenzen als Filter über Lebenschancen entscheiden und diese 
anhand ziemlich banaler Kriterien wie Geburtsort bzw. Staatsbürgerschaft 
reproduzieren: “Die Grenze als Sortiermaschine ist ein 
Ungleichheitsgenerator”.

Etwas ausführlicher als die (ebenfalls irgendwie ikonisierten) 
Bootsflüchtlinge werden z.B. jene beschrieben, die sich Kraft Vermögen, 
teilweise unterstützt von entsprechenden Agenturen, für viel Geld Pässe 
anderer Staaten und damit Visafreiheit in ganzen Weltregionen einkaufen 
können. Hier könnte sich noch die diplomatische Klasse jener ergänzen 
lassen, die mit entsprechenden Pässen oder aufgrund ihrer Funktion in 
der UNO, anderen Internationalen Organisationen oder den Parlamenten 
mächtiger Staaten ebenfalls eine weitgehende globale Bewegungsfreiheit 
genießen. Dem stellt Mau die Hürden gegenüber, die sich für Angehörige 
ärmerer Staaten ergeben, wenn sie ein Visum z.B. für den Schengen-Raum 
beantragen wollen. Alleine diese sind für viele abschreckend oder aber 
gleich unüberwindbar. So werden Ausschlüsse bereits weit jenseits des 
Ziellandes produziert. Wer ohne Visum reisen will, stößt ebenfalls 
bereits weit jenseits des Ziellandes auf vielfältige Hindernisse und 
Barrieren, wobei private Dienstleister und Behörden von Drittstaaten in 
die Abwehrstrategien der reichen Staaten eingebunden werden. Auch diese 
im Grunde bekannte Externalisierung beschreibt Mau nüchtern und 
anschaulich, u.a. am Beispiel der von Europa an den Niger delegierten 
Abwehr von Migrant:innen: “Ganze Länder oder Landstriche können somit 
zur Grenzzone anderer zum Teil räumlich weit entfernter Länder 
umfunktioniert werden”. Hierin erkennt Mau auch den “Wunsch vor allem 
liberaler Staaten, sich ihrer eigenen, normativen Selbstbindung zu 
entledigen”, denn: „Exterritorialisierung führt dazu, dass Kontrolle und 
der Zugang zu Rechten auseinanderfallen“. Dabei verweist Mau auf den 
französischen Philosophen Étienne Balibar, der dafür plädiere, den 
analytischen Blick „von der Bewegung von mobilen Menschen über die 
Grenze hinweg auf die Bewegung von Grenzen auf mobile Menschen zu“ zu 
verlagern. Das ist zugleich ein Beispiel dafür, wie es dem Autor an 
verschiedenen Stellen gelingt, abstraktere und aktuelle 
wissenschaftliche Debatten unprätentiös mit einer ansonsten sehr 
anschaulichen Gesamtdarstellung der Funktionsweise von Grenzen zu 
verweben. Wenn es z.B. an anderer Stelle heißt, „[p]ortable 
Kontrollgrenzen zielen darauf, 'Unwillkommene' am Abreisen, Durchreisen 
oder Anreisen' zu hindern“, ist dies einerseits offensichtlich - und 
zugleich eine recht konkrete Anwendung von Balibars Forderung.

Die im besten Sinne populärwissenschaftliche Aufbereitung des Themas 
zeigt sich auch daran, dass Mau an mindestens drei Stellen 
Forschungsprojekte aus seinem Umfeld kurz vorstellt. Das gilt z.B. für 
ein Projekt, das die Fortifizierung von Grenzen zum Gegenstand hatte. 
Damit ist der Bau von Mauern und Zäunen gemeint, der seit den 1990er 
Jahren deutlich zugenommen habe. Die Beschreibung dieser 
„Grenzinfrastrukturen“ als „Bollwerke der Globalisierung“ erfolgt an 
einer frühen und zentralen Stelle im Buch und soll eine weitere 
Kernaussage unterstreichen, die sich gegen das von ihm zunächst 
ausgebreitete „Entgrenzungsnarrativ“ wendet: Der „Abgesang auf die 
Grenze, wie wir ihn bei den Hohepriestern der Globalisierung immer 
wieder hören konnten, war eine Illusion zu Lasten Dritter, die die 
Globalisierung nicht als ent-, sondern viel eher als Ausgrenzung erleben 
durften“. Die Öffnungsglobalisierung sei systematisch verbunden mit 
einer zugleich stattfindenden Schließungsglobalisierung, wobei die 
„Freizügigkeitsgewinne für die Einen mit Begrenzungen von 
Mobilitätsoptionen für die Anderen erkauft werden“. Das geht damit 
einher, dass für erstere die Grenze zunehmend unsichtbar werde. Die 
Hochmobilen, die „Sozialfigur des Trusted Travellers“ überfliegt Zäune 
und Mauern. Sie sind mittlerweile an die „Walk-Through-Grenze“, den 
Grenzübertritt als kurze „Mensch-Maschine-Interaktion“ gewöhnt. Für sie 
erscheinen Stacheldraht und Befragung an der Grenze tatsächlich als 
Anachronismus. Ganz am Anfang, wo er das „Entgrenzungsnarrativ“ 
nachzeichnet, nimmt er dabei auch seine eigene Zunft auf's Korn und 
spekuliert über eine „déformation professionelle der 
Konferenztouristen“. Die Grenze als „Ort  legitimer staatlicher 
Kontrolle auch ohne Verdacht“, als „Situation der Ohnmacht und des 
Ausgeliefertseins“ und des Tauschs „umfassender Eingriffs- und 
Kontrollrechte staatlicher Behörden gegen individuelle Eintritts- und 
Mobilitätsmöglichkeiten“ ist „keine Jedermann- oder Jederfraugrenze“, 
sondern eine „individualisierte Grenze“. Die flexibilisierte und 
deterritorialisierte Grenze als Sortiermaschine hingegen zielt darauf 
ab, die Trusted Travellers zu isolieren, während sie ganze 
Bevölkerungsgruppen nach Risikofaktoren bewertet, als 
Sicherheitsbedrohung einstuft und weit jenseits der territorialen Grenze 
aufzuhalten oder an dieser herauszugreifen und besonders zu 
durchleuchten sucht.

Hierbei spielen natürlich auch neue Technologien und sog. „Smart 
Borders“ eine Rolle. Die „Informationelle und biometrische Kontrolle“ 
beschreibt Mau in einem weiteren zentralen Kapitel. Neben den 
verschiedenen „Identitätsspeichern“, die gegenwärtig im Zuge des 
Grenzmanagements aufgebaut werden und sich zunehmend nicht auf 
Dokumente, sondern auf biometrische Identifikation („face passport“) 
beziehen, spricht Mau den Einsatz von KI und Algorithmen anhand weniger 
konkreter Beispiele an. Besonders wichtig scheint ihm dabei zu sein, 
dass in diesen Datenbanken „zuvor separierte gesellschaftliche Bereiche 
miteinander“ gekoppelt und „Informationen aus einem ganz anderen Kontext 
für die Einreise in ein anderes Land entscheidungsrelevant“ werden. Vor 
dem Hintergrund der Pandemie, in der das Buch offenbar geschrieben 
wurde, spielen hier u.a. Gesundheitsindikatoren eine Rolle, was – der 
Autor räumt das ein – nicht gänzlich neu ist. Mit wenigen anschaulichen 
Beispielen legt er jedoch nahe, dass zunehmend auch das Konsumverhalten 
und die Bonität in entsprechende Entscheidungssysteme einfließen und 
damit auch der private Sektor eingebunden wird, der solche Indikatoren 
erhebt.

An dieser Stelle wirkt das Buch appellativ und gewissermaßen 
mobilisierend. Es scheint dem Autor ein persönliches Anliegen, eine 
breitere Öffentlichkeit auf entsprechende Tendenzen und mögliche Folgen 
aufmerksam zu machen und zumindest zwischen den Zeilen auch zu warnen. 
Ansonsten ist das Buch, auch wenn es die hier wiedergegebenen Zitate 
vielleicht anders erscheinen lassen, nicht in dem Sinne politisch oder 
moralisierend, wie es beim Thema Grenzen ansonsten – und oft durchaus zu 
Recht – der Fall ist. Somit ist es nicht nur für ein Fachpublikum mit 
kritischer Haltung zu Grenzen als dichte und stimmige Zusammenfassung 
weitgehend bekannter Fakten empfehlenswert, sondern auch als Geschenk an 
Verwandte oder Kolleg*innen, denen es bislang an Empathie für diejenigen 
fehlt, denen die „Globalisierung“ vor allem als Ausschluss entgegentritt.

CILIP 131

Die „Sortiermaschinen“ von Steffen Mau bilden einen hervorragenden 
Hintergrund für die Lektüre der 131. Ausgabe der Zeitschrift 
„Bürgerrechte und Polizei“ (Cilip) vom März 2023 mit dem Titelthema „Mit 
Technologien gegen Migration“. Der Schwerpunkt besteht aus sieben 
Einzelbeiträgen zu verschiedenen Aspekten. Unter dem Titel 
„Migrationsabwehr als angewandte Wissenschaft“ stellt Norbert Pütter, 
thematisch geordnet, Projekte der deutschen und EUropäischen 
Forschungsprogramme für die „zivile Sicherheit“ vor, die einen 
expliziten Bezug zum EUropäischen Grenzregime aufweisen. Im Themenfeld 
Detektion geht es dabei um verschiedene Technologien, mit denen Menschen 
in Fahrzeugen oder Containern aufgespürt werden sollen. Hierzu werde 
u.a. mit dem Einsatz von Wärmebild- und Terahertzkameras experimentiert, 
die versteckte Personen auch im fließenden Verkehr identifizieren 
können. Ein weiteres Projekt habe demnach auch den Einsatz von 
Röntgenaufnahmen und anderen radiologische Untersuchungsmethoden 
untersucht, sei aber primär auf die Erkennung von Drogen oder 
Sprengstoff ausgerichtet. Zunächst eher skurril, aber womöglich durchaus 
anwendungsnah sollte auch ein „tragbares Meßsystem“ erforscht werden, 
mit dem Luft aus geschlossenen Fahrzeugen oder Containern abgesogen und 
auf „charakteristische Merkmale von menschlichen Ausdünstungen wie 
Atemluft oder Schweiß“ untersucht werden könne. Beispielhaft für den 
Bereich Grenzüberwachung wird das Projekt FOLDOUT vorgestellt, bei dem 
Satellitenaufnahmen mit der „Echtzeit-Überwachung durch Luftschiffe“, 
anlassbezogenen Flügen bemannter und unbemannter Systeme und einer 
Vielzahl von Sensoren am Boden verknüpft werden sollen. Vergleichbare 
Projekte werden auch im Themenfeld der Seegrenzen dargestellt. Unter der 
Überschrift „Identitätsprüfung an der Grenze und im Inland“ werden 
Forschungsprojekte genannt, welche u.a. durch Auslesen der Smartphones 
Geflüchteter Rückschlüsse auf deren Herkunft und die verwendeten Routen 
ermöglichen sollten. Weitere Projekte verfolgten das Ziel der Ermittlung 
des Herkunftslandes durch „Sprach- und Dialektanalyse“ oder der 
standardisierten Altersermittlung „mit den Mitteln Künstlicher 
Intelligenz“. Was Püttners kurzen Beitrag gegenüber anderen teilweise 
ausführlicheren Darstellungen der entsprechenden Programme auszeichnet, 
ist, dass in wenigen Sätzen auch die Dynamik der Forschungsförderung und 
die Verantwortung der Forschenden angesprochen wird. Letztere müssten 
„in ihren Anträgen erfolgreich bestehende Überwachungs- und 
Kontrolldefizite behaupten, die sie zu schließen versprechen“. Mit dem 
„technischen Fokus“ verbunden sei, dass „die Forschenden die 
Abschottungslogik als unhinterfragte Basis ihres Tuns (und 
Geldverdienens) bekräftigen und die Migrant*innen als zu polizierende 
Objekte behandeln“. Gut, das das mal in dieser Klarheit formuliert 
wurde. Zugleich würden viele der erforschten Technologien „das Potential 
zu einer totalitären Überwachung der gesamten Gesellschaft“ bergen.

Auf diesen Aspekt geht bereits die Redaktionsmitteilung ganz am Anfang 
des Heftes ein, in der auf Michel Foucaults Bild des „kolonialen 
Bumerangs“ verwiesen wird: „Bis heute sind die rassifizierten 'Fremden' 
das primäre Testfeld für neue Kontrolltechnologien“, die mit einiger 
Wahrscheinlichkeit früher oder später auf weitere Teile der Gesellschaft 
Anwendung finden würden. Viele der Autor*innen des Schwerpunkts greifen 
diese Argumentation auf, darunter Petra Molnar, die in der Vergangenheit 
viel zum Einsatz von KI im Migrationsmanagement geforscht hat. In ihrem 
Beitrag „Digitale Festungen und Roboterhunde – Technologische Gewalt an 
den Grenzen der EU und USA“ stellt sie fest: „Die Regulierungslücken im 
Hinblick auf Grenztechnologie sind beabsichtigt, um technologische 
Experimente zu ermöglichen, die andernorts nicht erlaubt wären“. Das 
„Andernorts“ ist dabei vermutlich nicht vorrangig räumlich zu verstehen, 
denn auch sie spricht – bezugnehmend auf Ayelet Schahar und deren Buch 
„Shifting Borders“ – davon, dass Grenzen „elastisch geworden“ und „nicht 
mehr an einen physischen Ort gebunden“, sondern „zu einer beweglichen 
Barriere, zu einem losgelösten rechtlichen Konstrukt“ geworden sind. 
Besonders stark hebt den Aspekt „Migrant*innen als Versuchssubjekte“ und 
die „Migrationssteuerung der EU als Versuchslabor für neuartige 
Technologien“ Lise Endregat Hemat in ihrem Beitrag „Wirklich nur 
Forschung?“ hervor: „Migration wird als eine Gefahr geframed […], wobei 
sich die Grenzen dessen, was als akzeptabel erachtet wird, verschieben. 
Solche Prozesse können die Entwicklung außergewöhnlicher Technologie 
befördern“.

Eine weitere Argumentation zieht sich durch einen Großteil der Beiträge, 
nämlich die Vorstellung eines gewinnträchtigen und profitorientierten 
„grenzindustriellen Komplex“ (Molnar) bzw. des „Geschäftsfelds 
Migrationskontrolle“. Verschiedene Beiträge nennen zwei- bis 
dreistellige Millionenbeträge für bestimmte Projekte, welche eine 
Zweck-Mittel-Relation jenseits der Förderung dieser Industrie kaum 
erkennen lassen. Auch jenseits der Fusion beider Gedanken liegt es 
durchaus in der juristisch-aktivistischen Tradition der „Cilip“, die 
aktive Verteidigung der Rechte insbesondere jener in den Mittelpunkt zu 
stellen, für die der Zugang besonders erschwert ist. So macht der 
Beitrag von Clemens Arzt durchaus Sinn, in dem er verschiedenste 
Rechtsquellen, von der Europäischen Menschenrechtskonvention über das 
Grundgesetz bis hin zum deutschen Strahlenschutzgesetz (was es nicht 
alles gibt…) nach Möglichkeiten durchforstet, entsprechende Praxen zur 
„Detektion von Flüchtenden in Fahrzeugen“ anzufechten. Auch der Beitrag 
von Lucie Audibert, „Warnungen aus Großbritannien“, beschreibt 
juristische Auseinandersetzungen um verschiedene Maßnahmen des 
britischen Innenministeriums, mit denen Handys von Asylsuchenden 
ausgelesen oder diese mit GPS-Tracking überwacht werden. Die so 
erhobenen Daten können in die Entscheidung über Aufenthaltsperspektive 
oder Abschiebung einfließen und damit natürlich „das Recht auf 
Privatsphäre, aber auch auf Vereinigungs-, Versammlungs- und 
Meinungsfreiheit verletzen“. Es gelingt der Autorin dabei sehr gut, die 
„weitverbreite Rechtswidrigkeit“, Regelverstöße und Regulierungslücken 
als bewusste Strategie des britischen Innenministeriums und die von 
Betroffenen und Menschenrechtsgruppen angestoßenen Verfahren als 
Gegenstrategie zu rekonstruieren.

Neben den Interessen der entsprechenden Industrie und einem scheinbar 
sich verselbstständigen Framing von Migration als Bedrohung sprechen die 
Autor*innen des ersten Beitrags (der den Charakter eines erweiterten 
Editorials hat) auch den technologischen Solutionismus als ideologische 
Grundlage dessen an, was beschrieben wird. Damit ist die Vorstellung 
bzw. Tendenz gemeint, für soziale Phänomene, die als „Problem“ definiert 
werden, technologische „Lösungen“ zu suchen und zu verfolgen. So heißt 
es dort u.a.: „Egal ob innenpolitisch oder wenn es um Migration auf 
EU-Ebene geht, reagiert der neoliberale Staat auf Krisen schnell mit 
autoritären Mitteln, die er nicht zuletzt technisch umgesetzt sieht. 
Dann bestimmt sich der Diskurs durch Diskussionen über technisch 
Machbares und nicht über politisch Umkämpftes“. Schön gesagt auch hier: 
„Ausgehend von der Idee des Krisenhaften, das mit Migrationsbewegungen 
einhergeht, verbindet sich vor allem mit vorausschauenden und 
vorhersagenden Technologien, samt ihrer mathematischen wie 
physikalischen Verfahren, das Versprechen einer berechenbaren Kontrolle 
über menschliche Verhaltensweisen“. Lise Endregat Hemat formuliert einen 
Gedanken, der daran sehr gut anknüpft: Sie fragt sich eher am Rande, was 
die „Datensammelsysteme“ und „enormen Datenmengen“ denn dazu beitragen 
(können), „um die strukturellen Probleme zu beheben, die Migration 
verursachen“. (Im Gesamtkontext ist dabei klar, das Hemat hier auf 
Fluchtursachen und globale Ungleichheit abzielt und nicht Migration per 
se als Problem kategorisiert)

Vergleich

Während es sich bei Maus „Sortiermaschinen“ und der Cilip 131 um 
grundverschiedene Publikationen handelt, weisen sie verschiedene 
Gemeinsamkeiten auf. Sowohl die Monographie des etablierten Soziologen 
Mau wie auch die (fast) aktuelle Ausgabe einer Zeitschrift aus dem 
aktivistischen Umfeld kritischer Jurist*innen (Cilip ist ein Verein, den 
man durch Mitgliedschaft unterstützen kann) kommen zu ähnlichen 
Schlussfolgerungen und ergänzen sich, vermutlich unfreiwillig. Beide 
werfen eher implizit die Frage auf, ob die technologische „Neuerfindung 
der Grenzen“ auch eine Neuerfindung der Staatlichkeit und ihrer 
Souveränität ist. Molnar schreibt in der Cilip etwa, dass „die Macht, 
Innovationen zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen“, „die Kluft 
zwischen Nord und Süd“ vergrößert. Das ist hier sehr verkürzt 
wiedergegeben, aber ein Satz, den es sich evtl. lohnt, zweimal zu lesen. 
Der Blickwinkel der Monographie ist globaler, die Cilip nimmt eher die 
EU in den Blick und geht hier in interessante Details. Beide liefern 
spannende Referenzen zu postkolonialen Ansätzen, ohne dass sie selbst 
diesen zugeordnet werden könnten. Inspiriert durch diese Ansätze gab 
sich bis vor etwa zehn Jahren die Theorie der (relativen) Autonomie der 
Migration, die in beiden Publikationen keine offenkundige Erwähnung 
findet. Zugespitzt besagte sie, dass staatliche Interventionen das 
Migrationsgeschehen nur begrenzt beeinflussen könnten und die 
Migrant*innen diese kontinuierlich herausfordern, mitgestalten und 
unterlaufen würden. Ihre Darstellung als „Versuchssubjekte“ wäre damals 
womöglich vehement kritisiert worden – die Argumente dafür waren und 
sind gut. Die „Sortiermaschinen“ waren da bereits Thema, deren 
Konkretisierung in den beiden behandelten Publikationen könnte jedoch 
auch Anreiz oder Provokation für ein Update sein zur „Autonomie der 
Migration“.



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