[IMI-List] [0624] Bericht IMI-Kongress Zeitenwenden
IMI-JW
imi at imi-online.de
Mo Nov 28 14:54:47 CET 2022
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0624 .......... 25. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich der Bericht vom IMI-Kongress
„Zeitenwenden: Ukraine-Krieg und Aufrüstung“.
Es war der mittlerweile 26. IMI-Kongress – und wahrscheinlich auch der
bislang bestbesuchte, was leider zeigt, wie Besorgnis erregend die
aktuelle Lage ist.
Wir möchten uns an dieser Stelle bei all denen bedanken, die zum
Gelingen des Kongresses beigetragen haben!
Der Beitrag von Franz Nadler zu Desertion im Ukraine-Krieg findet sich
bereits online
(https://www.imi-online.de/2022/11/24/sand-im-getriebe-rekrutierung-widerstand-und-asyl-im-ukraine-krieg/).
In Kürze werden wir auch die Audios der Vorträge veröffentlichen. Wer
bis dahin einen Eindruck über die Inhalte erhalten möchte, empfehlen wir
den nachfolgenden Bericht:
IMI-Mitteilung
Kongressbericht: Zeitenwenden – Ukraine-Krieg und Aufrüstung
https://www.imi-online.de/2022/11/25/kongressbericht-zeitenwenden-ukraine-krieg-und-aufruestung/
IMI (25. November 2022)
Unter dem Motto „Zeitenwenden: Ukraine-Krieg und Aufrüstung“ fand der
26. Kongress der Informationsstelle Militarisierung in diesem Jahr am
19. und 20. November 2022 in der Tübinger Herrmann-Hepper-Halle statt.
Rund 150 Zuhörer*innen fanden den Weg zum Kongress, insgesamt tauschten
sich mehr als 200 Menschen bei der zweitägigen Veranstaltung aus. Vor
allem zwei Kernbotschaften standen dabei im Zentrum: Dass ungeachtet
aller möglicherweise unterschiedlichen Sichtweisen auf den Ukraine-Krieg
ein gemeinsamer Nenner darin bestehen muss, auf eine sofortige Aufnahme
von Verhandlungen zu drängen; und dass das Bundeswehr-Sondervermögen und
viel mehr noch die Pläne zu dessen Verstetigung kategorisch abzulehnen
sind.
Wegen der unmittelbar zuvor stattfindenden Kundgebung im Rahmen des
dezentralen Aktionstages „für Frieden und ein gutes Leben für alle“, zu
der auch ein Tübinger Bündnis aufgerufen hatte und an der viele
Kongressteilnehmer*innen teilnahmen, begann der Kongress mit einer
Verspätung von etwa 20 Minuten.
Den Auftakt bestritt IMI-Vorstand Jürgen Wagner zum Themenkomplex
„Ukraine-Krieg: Vorgeschichte, Interessen, Verlauf“. Gleich zu Anfang
war es ihm wichtig zu betonen – da es ja durchaus auch innerhalb der
Friedens- und Antikriegsbewegung teils kontroverse Diskussionen gebe -
dass er den russischen Angriff auf die Ukraine für einen klaren Bruch
des Völkerrechts halte. Russland sei demzufolge hier der Aggressor und
trage einen Großteil der Schuld – allerdings, so Wagner weiter, hätte
auch der Westen durch seine aggressive Expansionspolitik eine
Mitverantwortung für die katastrophale Lage.
Wagner zeichnete daraufhin die jahrelange Zuspitzung der Konfrontation
nach und kritisierte anschließend die russischen Kriegsbegründungen
ebenso wie die westlichen Waffenlieferungen. Durch die nahezu
kategorische Absage an Gespräche, die zu einer Beilegung der
Kampfhandlungen führen könnten, sei es offensichtlich, dass aktuell
westlicherseits das Ziel verfolgt werde, durch Waffenlieferungen eine
maximale Schwächung Russlands herbeizuführen. Es sei nicht damit zu
rechnen, dass die ukrainische Seite Russland militärisch werde besiegen
können, sie mache dies aber derzeit zur Vorbedingung für die Aufnahme
von Verhandlungen, wobei sie vom Westen unterstützt werde.
Würde dieser Kurs beibehalten, werde dies zwangsläufig zu einem
jahrelangen blutigen Zermürbungskrieg mit unzähligen Opfern auf beiden
Seiten führen, was unbedingt vermieden werden müsse. „Bei allen
Kontroversen, über die wir auch diskutieren müssen“, so Wagner
abschließend: „Ich halte es für wesentlich, dass wir von der deutschen
Regierung fordern, dass sie sich endlich für die bedingungslose Aufnahme
von Verhandlungen einsetzt.“
Das folgende Panel „Über den Tellerrand“ bestand aus zwei Teilen.
Zunächst berichtete Ben Müller über die drohenden Konflikte in der
Arktis. Durch den Klimawandel würden neue Routen schiffbar.
Anrainerstaaten wie Russland und Kanada hätten jedoch entsprechend
internationalem Seerecht ihre Basislinien so definiert, dass die
Abschnitte dieser Routen durch ihre Inneren Gewässer führen, wo sie
einzelnen Staaten oder Schiffen die Durchfahrt untersagen können. Andere
Staaten wie die USA oder Großbritannien widersprächen dieser Auffassung
und wollten die Ansprüche Russlands in der Arktis herausfordern.
Insgesamt sei eine deutliche Remilitarisierung der Region zu beobachten,
wobei viele Standorte zugleich militärische wie wissenschaftliche oder
zivilen Zwecke (z.B. Seenotrettung) verfolgten.
Daran anschließend beschrieb Merle Weber noch deutlich stärkere
Tendenzen der Remilitarisierung der Ostsee. Noch vor wenigen Jahren sei
diese in Deutschland v.a. als Tourismusgebiet wahrgenommen worden. Vor
dem Hintergrund des ukrainischen Bürgerkriegs sei die Ostsee allerdings
in der wieder aufkeimenden Großmachtkonfrontation zu einer
militärstrategischen Schlüsselregion geworden. Schon im Jahr 2014 hätten
NATO und auch Deutschland damit begonnen, ihre militärische Präsenz in
der Region massiv auszubauen. Den Aufmarsch gegen Russland habe der
NATO-Block dann 2020 das erste mal mit dem Großmanöver Defender Europe
20 geprobt – mit einem Schwerpunkt auf die Ostseeregion. In den 1990ern
noch überwiegend umringt von Staaten des Warschauer Paktes, werde die
Ostsee heute als NATO-Binnenmeer wahrgenommen. In Bezug auf die seit
2014 zunehmend militärisch unterfütterte Ostexpansion des Westens kam
Weber zu der Einschätzung, dass der Krieg in der Ukraine auch als
Defensivkrieg Russlands gegen die NATO verstanden werden müsse – eine
Einschätzung, die im Publikum nicht nur auf Zustimmung stieß.
Daraufhin betraten Jacqueline Andres und Pablo Flock die Bühne. Andres
beschrieb Wahrnehmungen des Krieges im arabischsprachigen Raum. Hier
bestehe viel Unverständnis, warum dieser Krieg in Europa so viel mehr
Empörung auslöse, als Kriege in anderen Regionen, die bereits seit
vielen Jahren anhalten. Tatsächlich seien teilweise Bilder aus diesen
Kriegen zur Illustration von Artikeln über russische Angriffe in der
Ukraine verwendet worden. Dass hier zweierlei Maß angelegt werde, zeige
auch der Umgang mit Geflüchteten aus dem Ukraine-Krieg. So positiv
dieser grundsätzlich zu bewerten sei, offenbare er zugleich die Kälte
und Härte, mit der sich Europa gegen Geflüchtete aus anderen Kriegen
abschotte. Das werde völlig zu Recht als Rassismus wahrgenommen.
Pablo Flock zeigte die Folgen auf, welche die unterbrochenen und neu
geordneten Lieferketten für Energie und Lebensmittel im Globalen Süden
auslösen. Während die Konsequenzen für die Masse der Bevölkerung negativ
und teilweise dramatisch ausfielen, gebe es durchaus auch Profiteure,
betonte Flock. So suche u.a. Deutschland nun Energiepartnerschaften mit
anderen Autokratien, wie den ebenso undemokratischen und Krieg
füherenden Golfstaaten, und passe seine Haltung z.B. auch in der Frage
der völkerrechtswidrigen Besetzung der Westsahara durch Marokko
entsprechend an. Schwieriger ist es die Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt
zu ersetzen. Die Großproduzenten Indien und Indonesien hätten bereits
ihre Ausfuhren an Weizen bzw. Palmöl einschränken müssen, weil durch die
international massiv gestiegene Nachfrage auch die Preise auf den
heimischen Märkten explodiert seien. Die Idee einer Neuordnung der
Wirtschaft wegen dem Angriffskrieg stößt deshalb auf wenig Gegenliebe in
den ärmeren Ländern der Welt. Die Verweise auf doppelte Standards
beziehen sich dabei nicht nur auf die Kriege des Westens, sondern auch
auf die Unsummen, die für Waffen ausgegeben werden, während versprochene
Milliarden für Klimaanpassung nie ankamen.
Der inhaltliche Abschluss des ersten Kongresstags war ein Panel zu den
Alternativen zur militärischen Konfliktlösung. Der erste Vortrag wurde
uns als Videoaufnahme von Victoria Kropp zugesendet, die
Vorstandsmitglied beim Bund für soziale Verteidigung und Beirätin der
IMI ist. Sie zeigte sich bestürzt, dass in der aktuellen Debatte
Waffenlieferungen oft als einziger Weg der Verteidigung dargestellt
werden. Gewaltfreie Formen des sozialen Widerstands, bei denen die
Gewalt gegen Gewaltlose auf den Aggressor zurückfällt, seien in vielen
Situationen erprobt worden und waren nach einer Untersuchung von 323
Aufständen zwischen 1990 und 2006 rund doppelt so oft erfolgreich, wie
gewaltvolle Proteste (53% zu 26%). Die Erfolgszahlen beider Formen des
Widerstands sanken zwar bei Aufständen zwischen 2010 und 2019 erheblich,
der Abstand von erfolgreichen gewaltfreien Aufständen (34%) vergrößerte
sich jedoch relativ zum Erfolg von Aufständen, die sich gewalttätiger
Mittel bedienten (9%). Soziale Verteidigung ist dabei eine besondere
Form des zivilen Widerstands, die sich gegen eine Besatzung richtet und
auf eine Verteidigung der Lebensweise statt des Territoriums
konzentriert. Auch in der Ukraine gab es eine Viezahl gewaltfreier
Aktionen, wie das unbewaffnete Blockieren von Panzern, das Austauschen
von Straßenschildern und an die russische Öffentlichkeit gerichtete
Bürgernachrichten über die sozialen Medien, die die Narrativen der
russischen Regierung entkräften.
Danach sprach Franz Nadler vom Verein Connection e.V., der
Kriegsdienstverweigerer und Deserteuere in aller Welt unterstützt.
Anschaulich stellte er dar, wie schwer es den Regierungen beider Länder
fällt, willige Kämpfer an die Front zu bekommen, obwohl große Mehrheiten
in den Bevölkerungen Russlands und der Ukraine für die Fortführung des
Krieges sind. Trotz restriktiver Zwangsmaßnahmen in beiden Ländern, wie
das Ausreiseverbot und Zwangsrekrutierung, wehren sich die Menschen in
beiden Ländern und fliehen in großen Zahlen. So hätten je über 100.000
junge Männer die beiden Länder verlassen, bei der Ukraine kämen weitere
100.000 junge Männer hinzu, die Selenskiys Ruf, in die Heimat
zurückzukehren und zu kämpfen, nicht nachkamen. Nadler kritisierte
jedoch, dass sich Politiker fast aller Parteien quer stellten,
Kriegsdienstverweigerern aus Russland und Belarus vereinfachte
Asylverfahren bereit zu stellen. Mit der jetzigen Regelung sei es den
jungen Männern bisher kaum möglich, ihr Menschenrecht auf
Kriegsdienstverweigerung wahrzunehmen – und bisher wurde auch noch
keinem russischen Kriegsdienstverweigerer Asyl gewährt. Er warb deswegen
für eine Petition, die die Aufnahme russischer und belarussischer
Verweigerer und ein Ender der Strafvervolgung von
Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine fordert. Diese ist auf der
Webseite des Vereins Connection e.V. zu finden.
Zum Abschluss führte uns René Jokisch wieder auf die Staatsebene. Er
zeigte, wie durch den Bedeutungsverlust integrativer Organisationen, wie
den Vereinten Nationen (VN) oder der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE), militärische Bündnisse wie die NATO und
andere, einseitige Bündnisse (z.B. G7), die heutigen Mittel der Wahl zu
sein scheinen. Die Konzentration auf einen Aspekt der existenten
Sicherheitsarchitektur, der „Bündnis-Sicherheit durch Abschreckung“ geht
dabei auf Kosten eines anderen Hauptaspekts, der „gemeinsamen Sicherheit
durch Entspannung“ – wie auch schon an der Erosion eben solcher
Sicherheitskonstruktionen, wie den Abrüstungsverträgen, sichtbar ist.
Der dritte Hauptaspekt, die völkerrechtliche Sicherheitsordnung, die im
Sinne der Großmächte gestaltet ist, ist in diesem Konflikt wirkungslos
und wird auf Dauer auch von den aufstrebenden Mächten untergraben. Eine
alternative Sicherheitsarchitektur müsste diese einbeziehen, um
Stabilität zu erlangen – was auch in der Lösung dieses Konflikts schon
von Vorteil sein könnte.
Den Auftakt zum Panel „Das Sondervermögen: Projekte – Struktur –
Ideologie“ am Sonntagmorgen machte IMI-Vorstand Tobias Pflüger. Im
Zentrum seines Vortrags stand das Sondervermögen der Bundeswehr im
Umfang von 100 Mrd. Euro. Der Begriff Sondervermögen sei allerdings eine
Nebelkerze, in Wahrheit handele es sich um Schulden, die per Kredit
aufgenommen würden. Deutschland habe schon lange den Anspruch, eine
militärische Führungsmacht zu werden, mit dem Sondervermögen stünden nun
auch die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung. Pflüger beschrieb
daraufhin die wichtigsten Projekte, die nun aus dem Sondervermögen
finanziert werden. Abschließend wies er noch darauf hin, dass die
zentralen Auseinandersetzungen um das Sondervermögen erst noch
anstünden: Die 100 Mrd. Euro seien auf fünf Jahre angelegt, das bedeute,
dass spätestens 2026 darüber entschieden werden müsse, ob diese
dramatische Erhöhung des Militärhaushaltes auch in den Folgejahren
beibehalten werde, was es unbedingt zu verhindern gelte.
Daran anschließend beschrieb IMI-Beirat Martin Kirsch den Umbau der
Bundeswehr. Mit dem NATO-Gipfel in Madrid sei ein neues
Streitkräftemodell eingeführt worden, mit dem die Fähigkeit erlangt
werden solle, innerhalb von 30 Tagen 300.000 Soldat*innen verlegen zu
können. Die Bundeswehr habe zugesagt, hierfür 30.000 Soldat*innen zu
stellen und einen ersten schweren Großverband nicht wie ursprünglich
geplant 2027, sondern bereits 2025 der NATO zur Verfügung zu stellen.
Die Bundeswehr werde konsequent darauf getrimmt, einen Krieg mit
Russland führen zu können, ihre Strukturen würden derzeit daran
angepasst und auch mit Hilfe des Sondervermögens das entsprechende
Material beschafft. Wo es allerdings noch hapere, sei beim
entsprechenden Personal.
Hier setzte der letzte Vortrag des Panels an, den IMI-Beirat Thomas
Haschke hielt. Die Bundeswehr wolle in ihrer „Mittelfristigen
Personalplanung“ schnellstmöglich von aktuell rund 180.000 Soldat*innen
auf 203.000 anwachsen. Sie scheitere damit aber regelmäßig und stehe
demzufolge vor erheblichen Rekrutierungsproblemen. Auch der
Altersdurchschnitt der Truppe erhöhte sich in 18 Monaten um über ein
Jahr auf 33,8 Jahre (Stand 2. Halbjahr 2021). Aus diesen Gründen sei mit
einem massiven Anstieg der diesbezüglichen Anstrengungen zu rechnen –
und ebenso wichtig sei es deshalb auch, dass die Friedens- und
Antikriegsbewegung hier mit Präsenz und Protesten gegenhalte.
„Auf dem Weg zum Rüstungskomplex: Das Handbuch Rüstung“ nannte sich das
anschließende von IMI-Vorstand Andreas Seifert bestrittene Panel. Die
Entwicklung der Rüstungsindustrie aus einer industriepolitischen
Perspektive stand im Zentrum des Beitrags. Seit dem Wegfall der
Ost-West-Konfrontation Anfang der 1990er Jahre habe sich die
Rüstungsindustrie umorientiert – sie sei nicht nur kleiner geworden,
auch die Schwerpunkte der Produktion hätten sich von schwerem Geräte und
Waffen zu einer High-Tech-Orientierung hin verschoben. Sie zeichne damit
auch den Umschwung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee hin zu
einer globalen Interventionsarmee nach. In den letzten 20 Jahren sei bei
steigendem Bundeswehretat immer weniger reales Material beschafft worden
– immer weniger für immer mehr Geld. Mit den schuldenfinanzierten
100-Milliarden-Sondervermögen werde diese Entwicklung nicht rückgängig
gemacht, vielmehr entpuppe sich bei näherem Besehen das Programm als ein
Versuch, Industriepolitik und Aufrüstung miteinander zu verbinden. Von
den 100 Mrd. würden nur wenige größere Unternehmen profitieren, die mit
Zukäufen weiter gewachsen wären. Das Programm werde genutzt, um den
fragmentierten Rüstungsmarkt zu verschlanken, was zwar schon seit Jahren
versucht worden sei, aufgrund nationaler Vorbehalte jedoch nicht
erfolgreich gewesen wäre. Die (Groß-)Industrie werde weiter dadurch
unterstützt, dass Prozesse der Beschaffung verkürzt werden sollen und
indem die bisherige keinesfalls restriktive Rüstungsexportpraxis auch
durch eine entsprechend offene Gesetzgebung abgesichert werde. Der
Ukrainekrieg biete die Folie, vor der „endlich“ die Hürden bei der
Umgestaltung des Rüstungsmarktes beseitigt werden könnten und liefere
mit dem 100-Mrd.-Programm auch den finanziellen Rahmen, dies voran zu
treiben.
Hingewiesen wurde auf die drei Publikationen, die im Kontext der IMI
2022 erschienen sind. Jürgen Wagners Buch „Im Rüstungswahn“ der
Ausdruck-Schwerpunkt Rüstung in der Septemberausgabe, sowie das Handbuch
Rüstung – womit die IMI Material für eine informierte Debatte über den
Komplex Rüstung bereitgestellt hat.
Auf dem abschließenden Podium unter dem Titel „Die Zeitenwende und die
Folgen – Herausforderung für die sozialen Bewegungen“ saßen Norbert
Heckl, der stellvertretende Bezirksvorsitzende von verdi, Milica
Kurtovic, eine Klimaaktivistin der Gruppe Ende Gelände, Malte Lühmann,
IMI-Beirat und Aktivist aus Kassel, Tobias Pflüger, IMI-Vorstand und
ehemals verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke sowie
Thomas Haschke, seit längerem gegen die Rekrutierungsbemühungen der
Bundeswehr aktiv und v.a. bei der DFG-VK in Stuttgart organisiert.
Es ging v.a. um verbindende Elemente der Gruppen und darum, wie es
gelingen könnte, die jeweiligen Kämpfe zusammenzuführen. Norbert Heckl
betonte, die Gewerkschaften stünden traditionell an der Seite der
Friedensbewegung. Kritik seitens der Klimaaktivistin Milica Kurtovic,
die Gewerkschaften seien in manchen Fragen zu moderat, konterte er mit
der Feststellung, die Beschäftigten fühlten sich teilweise auch von
Klimaaktivist*innen angegriffen. Dennoch sei es wichtig, den
Schulterschluss zu suchen. Auch die Klimaaktivistin sah starke
Gemeinsamkeiten zwischen den auf dem Podium vertretenen Bewegungen und
die Notwendigkeit, Kämpfe gemeinsam zu führen.
Malte Lühmann betonte, ein verbindendes Element der Bewegungen müsse
auch die Forderung nach Vergesellschaftung großer Konzerne, v.a. im
Energie-, Automobil- und Rüstungsbereich sein. Er wies darauf hin, dass
es oft einfacher und wirkungsvoller sei, sich auf lokaler Ebene zu
organisieren und hier auch entsprechende Bündnisse zu schmieden.
Tobias Pflüger äußerte sich v.a. zu internen Problemen der
Friedensbewegung: Seit dem russischen Angriff sei zu beobachten, dass
häufig entweder die Rolle der NATO ausgeblendet oder der
völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands verharmlost werde. Die
Friedensbewegung müsse aber den Angriffskrieg als völkerrechtswidrig
benennen und diesen genauso kritisieren wie sie dies bei den Kriegen des
Westens gemacht habe. Gleichzeitig müsse die Friedensbewegung aber auch
die Rolle der NATO und die Lieferung schwerer Waffen kritisieren. Eine
Friedensbewegung, die für Waffenlieferungen auf die Straße gehe, hätte
diese Bezeichnung nicht verdient.
Thomas Haschke betonte, man müsse neben den Problemen der
Friedensbewegung auch die erfolgreichen Aktionen sehen: Beispielsweise
sei es in den letzten Jahren stets gelungen, den Tag der Bundeswehr
massiv zu stören und der Bundeswehr die Show zu vermiesen. Es gebe viele
Möglichkeiten, gegen das Militär aktiv zu werden. Er lade alle herzlich
ein, dies gemeinsam zu tun.
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