[IMI-List] [0583] Studie: PTBS / Analyse: Abschiebungen Afghanistan

IMI-JW imi at imi-online.de
Mo Jan 18 15:08:04 CET 2021



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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0583 .......... 24. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) der Hinweis auf eine soeben erschienene IMI-Studie über 
Traumatisierung und PTBS bei der Bundeswehr;

2.) Hinweise auf weitere neu erschienene IMI-Texte (Mali, Bundeswehr, KI 
& Repression);

3.) eine IMI-Analyse über Abschiebungen nach Afghanistan.


1.) IMI-Studie: Traumatisierung und PTBS

IMI-Studie 2021/01
Der heilbare Krieg
Diskurse um Traumatisierung und PTBS bei Bundeswehr-Veteranen*
http://www.imi-online.de/2021/01/18/der-heilbare-krieg/
Thomas Rahmann (18. Januar 2021)


INHALTSVERZEICHNIS

1. DIE PTBS – EINE DIAGNOSE AUS MILITÄRISCHEM KONTEXT
PTBS – ein Teilbereich von Traumata
Zwischen Anerkennung und Diskriminierung
Entschädigungsanspruch und Begehrenswünsche
Zwischenfazit

2. MEDIALER DISKURS ZU PTBS IN DEUTSCHLAND
Selbstdarstellung der Bundeswehr: „Die verstehen das“
Darstellung in Funk und Fernsehen: Moment des Traumas
Stimmen betroffener Veteranen und aus der Psychologie

3. WEITERENTWICKLUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN DISKURSES UM PTBS
Das kranke Gewissen und der saubere Krieg
Traumatic brain injury

4. BLINDE FLECKEN UND PERSPEKTIVEN DES PTBS-DISKURSES
Krieg verletzt nicht nur Soldaten
Mali: Trauma und Krieg

5. EINSATZFÄHIGKEIT ODER FRIEDEN

Gesamte Studie zum herunterladen: 
http://www.imi-online.de/2021/01/18/der-heilbare-krieg/

Kriegerische Auseinandersetzungen können auch zu seelischen Verletzungen 
führen. Was auf den ersten Blick eine banale Erkenntnis zu sein scheint, 
ist bei genauerer Untersuchung ein politisch äußerst umkämpftes Gebiet.
Dass die Anerkennung solcher Verletzungen, im psychologischen Fachjargon 
'Psychotraumata' genannt, immer wieder öffentlich thematisiert wird, 
zeigt aktuell beispielsweise das Forderungspapier 'Mission Seele' des 
Deutschen BundeswehrVerbandes, das die Wehrbeauftragte des Deutschen 
Bundestages, Eva Högl, am 1. Oktober 2020 entgegengenommen hat. Hier 
geht es um Unterstützung und Anerkennung von seelisch verwundeten 
Soldaten. Die verteidigungspolitischen Sprecher von CDU/CSU, SPD, FDP 
und Die Linke äußern sich in kurzen Videos auf der Seite durchweg 
positiv und unterstreichen die Wichtigkeit dieses Papiers. Lediglich der 
Sprecher der Partei 'Die Linke' merkt neben einer Unterstützung des 
Forderungspapiers an, dass seine Partei grundsätzlich gegen die 
Auslandseinsätze der Bundeswehr sei.
Die Übergabe des Papiers wird fotografisch festgehalten und ein Kanon 
von Repräsentanten aus Politik und Bundeswehr bekräftigen die 
Wichtigkeit der Forderungen. Alle scheinen sich darüber einig zu sein, 
dass Soldaten, die schließlich offiziell im Namen der gesamten 
Gesellschaft in einen Auslandseinsatz geschickt werden, im Falle einer 
seelischen Verwundung ein Anrecht auf die Unterstützung seitens dieser 
Gesellschaft haben – wie auch immer die einzelnen Standpunkte bezüglich 
dieser Auslandseinsätze aussehen mögen. Wolfgang Hellmich, Vorsitzender 
des Verteidigungsausschusses, spricht von der Verantwortung des 
Dienstherren.

Bei diesem scheinbar allgemeinen Konsens fragt man sich allerdings, 
warum überhaupt ein umfangreiches Forderungspapier notwendig ist. Sollte 
noch nicht genügend bekannt sein über seelische Verletzungen, sodass die 
scheinbar unbefriedigende Situation traumatisierter Veteranen trotz der 
Bekundung guten Willens von allen Seiten auf ein Informationsdefizit 
zurückzuführen sei?
Um diese Frage zu klären, lohnt es sich, zunächst einen Blick in die 
Geschichte und Beschaffenheit jener psychiatrischen Diagnose zu werfen, 
die sich zentral mit seelischen Traumatisierungen beschäftigt und vor 
allem im Rahmen militärischer Auseinandersetzungen entstanden ist: die 
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Um die Verstrickung von 
Politik und Psyche in Bezug auf das Thema PTBS aufzuzeigen, werden 
anschließend mediale sowie wissenschaftliche Diskurse anhand von 
Beispielen beschrieben, analysiert und ausgewertet.
Ein zentrales Werk, das in dieser gesamten Studie eine Rolle spielt, ist 
dabei José Brunners 'Die Politik des Traumas', in der die enge 
Verstrickung von Politik und Therapie, auch in Bezug auf 
Auslandseinsätze der Bundeswehr, diskursanalytisch dargestellt wird. Die 
Auseinandersetzung mit diesem Werk hier kann sowohl als eine kritische 
Auseinandersetzung als auch eine Aktualisierung gesehen werden, denn das 
Buch erschien bereits 2014.

Gesamte Studie zum herunterladen: 
http://www.imi-online.de/2021/01/18/der-heilbare-krieg/


2.) Neue Texte auf der IMI-Homepage

IMI-Standpunkt 2021/003 - in: Telepolis (9.1.2021)
Allons Enfants? Umstrittene französische Luftangriffe in Mali
http://www.imi-online.de/2021/01/11/allons-enfants-umstrittene-franzoesische-luftangriffe-in-mali/ 

Christoph Marischka (11. Januar 2021)

IMI-Standpunkt 2021/002
Zorn vs. AKK?
Die Debatte um eine pandemiebedingte Absenkung von Fähigkeitsprofil und 
Militärhaushalt ist eröffnet
http://www.imi-online.de/2021/01/11/zorn-vs-akk/
Jürgen Wagner (11. Januar 2021)

IMI-Standpunkt 2021/001 - in: Graswurzelrevolution (Dezember 2020)
Umkämpfte Technologie
Künstliche Intelligenz und ihre militärische Verwendung - Prozess gegen 
Antimilitaristen
http://www.imi-online.de/2021/01/07/umkaempfte-technologie/
Christoph Marischka (7. Januar 2021)


3.) IMI-Analyse: Abschiebungen  nach Afghanistan

IMI-Analyse 2021/01
Keine Abschiebung nach Afghanistan
Ein Blick auf die aktuelle Lage im Einsatzgebiet der Bundeswehr
http://www.imi-online.de/2021/01/15/keine-abschiebung-nach-afghanistan/
Jacqueline Andres (15. Januar 2021)

Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland – ganz im Gegenteil. Das 
Institute for Economics and Peace stufte Afghanistan sowohl im Jahr 2019 
als auch 2020 in seinem Global Peace Index sogar als den unsichersten 
Staat weltweit ein.[1] Dennoch finden seit 2016 fast monatlich 
Sammelabschiebungen von Deutschland nach Afghanistan statt. Mit der 
seither 35. Sammelabschiebung am 12. Januar 2021 wurden 26 Menschen in 
Begleitung von insgesamt 84 Bundespolizist*innen nach Kabul geflogen.[2] 
Die afghanischen Behörden weigerten sich aus humanitären Gründen einen 
afghanischen Staatsangehörigen anzunehmen, den das Bundesland Hessen 
abschob. Etwa einhundert Menschen demonstrierten am Abend der 
Sammelabschiebung im Düsseldorfer Flughafen, von wo aus der Flug 
startete.[3] Damit wurden seit 2016 insgesamt 963 Männer nach 
Afghanistan abgeschobenen und in Gefahr gebracht.[4]

Die geplanten Abschiebungen im Zeitraum von März bis November 2020 
wurden pandemiebedingt und auf Bitte der afghanischen Regierung 
ausgesetzt.[5] Am 16. Dezember 2020 wurden sie jedoch wieder 
aufgenommen, d.h. just an dem Tag, an dem der Lockdown in der BRD 
ausgerufen wurde. Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein 
kritisierte: „Dass trotz des nun auch in Deutschland ausgerufenen 
Lockdowns eine bundesweite Charterabschiebung ausgerechnet in das vom 
Bürgerkrieg und einer grassierenden Pandemie heimgesuchte Afghanistan – 
wo ein Drittel der Bevölkerung als infiziert gilt – stattfinden soll, 
ist purer Zynismus.“[6]

Sogar die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern forderte im Dezember 
2020 aus Sorge um ihre Beamt*innen eine vorübergehende Einstellung der 
Abschiebungen nach Afghanistan, denn dabei komme es immer wieder zu 
Zwischenfällen. So würde die Polizei immer wieder bespuckt werden und es 
bestehe für sie eine hohe Infektionsgefahr. Zudem sieht selbst die GdP 
die Lage in Kabul als "sehr umstritten und teilweise unsicher"[7] an. 
David Förster vom Bayerischen Flüchtlingsrat kritisiert die 
Abschiebungen scharf und schlägt vor: „Sollte es Mitarbeiterinnen und 
Mitarbeiter bei den Ausländerbehörden und in den Innenministerien geben, 
denen langweilig wird, können sie sinnvoll die Gesundheitsämter bei der 
Kontaktnachverfolgung unterstützen. Der Infektionsschutz gebietet 
hingegen die drastische Reduktion direkter Kontakte und damit einen 
generellen Abschiebestopp!“[8]

Die wiederhergestellte Kooperationsbereitschaft der afghanischen 
Behörden in Hinblick auf die Abschiebungen könnte laut Thomas Ruttig in 
Zusammenhang mit der zugesagten Weiterfinanzierung der Entwicklungshilfe 
bis 2024 auf der Geberkonferenz in Genf vergangenen November 2020 stehen.[9]


Abschiebungen trotz Protesten

Die Entscheidung, Sammelabschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, 
obwohl sich im Jahr 2016 der bereits seit mehr als einem Jahrzehnt 
andauernde Kriegszustand verschlimmerte und es sich um ein Einsatzgebiet 
der Bundeswehr handelte, stellte einen Dammbruch dar.[10] Trotz 
zahlreicher Demonstrationen, Kundgebungen, Banneraktionen, Appelle, 
Petitionen und mutigem Einschreitens, wie im Falle der rund 300 
Berufsschüler*innen in Nürnberg, die sich mit ihrem spontanen Protest 
der Abschiebung ihres damals 20-jährigen Mitschülers in den Weg 
stellten, laufen die Abschiebungen weiter.[11]

Bereits vor Beginn der Pandemie wurden sie lediglich zeitweise 
verschoben bzw. ausgesetzt. Dies geschah z.B. auch mit dem 
Sammelabschiebungsflug, mit dem auch der besagte afghanische 
Berufsschüler aus Nürnberg im Jahr 2017 mitfliegen sollte. Dieser Flug 
vom 31. Mai 2017 musste wegen eines Anschlages in der Hauptstadt Kabul 
verschoben werden. An diesem Tag starben mehr als 150 Menschen bei der 
Explosion einer Autobombe im Diplomatenviertel Wasir Akbar Chan vor der 
deutschen Botschaft und mehr als 400 wurden verletzt. Das Gebäude der 
deutschen Botschaft wurde massiv beschädigt und ein afghanischer 
Sicherheitsangestellter der Botschaft wurde getötet. Aufgrund von 
„organisatorischen Fragen“ und aus „Rücksicht auf 
Botschaftsangehörige“[12] sei die Abschiebung verschoben worden – nicht 
etwa aus Sorge um die Sicherheit der Abgeschobenen. Sogar die 
Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit flog nur wenig später 
fast ihr gesamtes deutsches und internationales Personal aufgrund von 
Sicherheitsgründen aus[13], doch die Bundesregierung hielt weiterhin 
daran fest, dass das kriegszerrüttete Land sicher genug für 
Abschiebungen sei. Wissen kann sie das eigentlich nicht, denn abgesehen 
davon, dass die Vorstellung, Afghanistan sei ein sicheres Herkunftsland 
an Absurdität kaum zu überbieten ist, heißt es in einem dem NDR 
vorliegenden Asyllagebericht von Dezember 2020: „Seit dem Anschlag vom 
31. Mai 2017 ist die Funktionsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul 
massiv und anhaltend eingeschränkt.“ Aus diesem Grund sei auch „die 
Gewinnung korrekter Informationen [...] nach wie vor außerordentlich 
schwierig“. Die Botschaft kann damit keine zuverlässige Lageeinschätzung 
geben und „die Bundesregierung kann nicht zuverlässig beantworten, wie 
sicher Afghanistan ist“.[14] Anderen scheint dies zu gelingen, wenn sie 
den Stimmen vor Ort zuhören.


Erfahrungen abgeschobener Afghanen

Recht ausführlich und aufwendig zeigt die Sozialwissenschaftlerin 
Friederike Stahlmann in ihrer Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen 
abgeschobener Afghanen mit Hilfe von Interviews mit 55 der von 2016 - 
2019 bis dato insgesamt 574 abgeschobenen Menschen in Afghanistan, was 
sie bei einer Rückkehr erwartet. Zunächst ist die Ausgangslage in 
Afghanistan katastrophal: „Schon im Jahr 2016 war das Armutsniveau mit 
54,5 Prozent wieder so hoch wie zum Zeitpunkt des Sturzes der ersten 
Taliban-Herrschaft im Jahr 2001 und 86 Prozent der Stadtbevölkerung 
lebten in Slums. Die Zahl derer, die akut von humanitärer Hilfe abhängig 
sind, hat sich im letzten Jahr nahezu verdoppelt. Im Jahr 2018 hatten im 
Vergleich zum Vorjahr 6 Millionen Menschen mehr keinen ausreichenden 
Zugang zu Nahrung. Mehr Hungernde gibt es nur in Jemen, die 
Arbeitslosenrate ist die höchste weltweit und 80 Prozent der Arbeit ist 
nicht existenzsichernd.“[15]

Die Lage hat sich Covid-19-bedingt innerhalb der letzten Monate weiter 
verschlechtert: Die Auswirkungen der Pandemie drohen laut dem 
afghanischen Wirtschaftsministerium die Arbeitslosigkeit um weitere 40 % 
und die Armut um 70 % zu steigern. Die National Union of Afghanistan 
Workers & Employees schätzte im Mai 2020, dass etwa zwei Millionen 
Arbeiter*innen und Beamt*innen (bei rund 32 Millionen Einwohner*innen) 
aufgrund der Pandemie ihre Arbeit verloren haben.[16] Ärzt*innen vom 
Mirwais Hospital in Kandahar berichten, dass sie allein in ihrem 
Krankhaus etwa jeden zweiten Tag eine Frau nach einem gescheiterten 
Selbstmordversuch behandelten, als die Coronavirus-Infektionen im Mai 
und Juni stiegen. Dies begründet Heather Barr, die 
Interims-Ko-Direktorin der Frauenrechtsabteilung bei Human Rights Watch, 
mit der Wirtschaftskrise im Land.[17] Die Nahrungsmittelpreise stiegen 
im Vergleich zum Vorkrisenniveau um ganze 30%,[18] wodurch sich die 
Situation der Hungersnot im Land zuspitzt.

90,3% der Befragten berichteten von Gewalterfahrungen. So zum Beispiel 
„haben in einem Fall Taliban innerhalb einer Wochenfrist erfahren, dass 
der Betroffene zurückgekehrt war, haben ihn gefangen genommen und drei 
Tage lang misshandelt, um ihn für die Flucht zu bestrafen und zur 
Mitarbeit zu zwingen. Er konnte nur entkommen, weil ihm ein Bekannter 
half, der erst seit Kurzem bei den Taliban war. Anschließend verließ er 
sofort erneut das Land.“[19] 54% waren sogar von speziell gegen 
Rückkehrende gerichtete Gewalt betroffen, die entweder durch die Taliban 
oder auch durch das eigene soziale Umfeld erfolgt. Stahlmann erklärt: 
„Um der Verfolgung durch die Taliban zu unterliegen, genügt die 
Tatsache, in Europa gewesen zu sein. [...] Vorwürfe sind nicht nur 
»Ungläubigkeit«, sondern auch »Spionage« und »Verrat«. In zwei Fällen 
wurde in den Drohschreiben explizit auf die Zufluchtsländer in Europa 
Bezug genommen, in denen die Rückkehrer Asylanträge gestellt hatten. 
Eine Familie musste Nachbarn Schutzgeld zahlen, weil man ihnen angedroht 
hatte, den Taliban die Rückkehr des Sohnes zu verraten.“[20] Zum Teil 
sind die Taliban auch in der eigenen Familie präsent: „Ein weiterer 
Abgeschobener wurde durch den eigenen Vater bedroht, der auch bei den 
Taliban ist, und durch Informanten in der afghanischen Community in 
Deutschland herausgefunden hatte, dass sein Sohn in Deutschland eine 
Freundin hatte.“ Berichtet wurden auch von acht Vorfällen, „bei denen 
sie auf der Straße, in der Moschee und bei der Arbeitssuche von Fremden 
als »Verräter« oder »Ungläubige« bedroht, gejagt oder sogar angegriffen 
wurden.“[21]

Abgesehen davon stellen Kriegshandlungen und Anschläge eine Gefahr dar: 
„So gab es drei Vorfälle, bei denen Abgeschobene durch Anschläge so 
schwer verletzt wurden, dass sie im Krankenhaus auf Notfallbehandlungen 
angewiesen waren. Durch einen vierten Anschlag wurde die Unterkunft 
eines Abgeschobenen schwer beschädigt und er ist nur einer Verletzung 
entgangen, weil er zufällig nicht zu Hause war.“[22] Mindestens eine 
Person beging nach seiner Abschiebung Suizid. Vor dem Hintergrund dieser 
Gefahrensituation wird auch ersichtlich, warum 89.9% der Befragten 
angaben, versteckt zu leben. Abgesehen von der Gewalt erwartet die 
Abgeschobenen Obdachlosigkeit (18,4% waren davon betroffen) und Armut: 
„Der einzige Befragte, der hauptsächlich von seiner Arbeit leben konnte, 
hat diese durch die Vermittlung eines Onkels gefunden. Der Ladenbesitzer 
hätte um seine Abschiebung gewusst und wäre einer der wenigen gewesen, 
die verstanden hätten, dass man kein Verbrecher sein müsse, um 
abgeschoben zu werden. Er hätte jedoch mit dem Betroffenen striktes 
Stillschweigen über die Flucht und Abschiebung vereinbart, um keine 
Gefährdung für das Geschäft zu provozieren. Nachdem er diese Arbeit 
verloren hatte, weil das Geschäft schließen musste, gab ihm der Onkel zu 
verstehen, dass er ihm nicht mehr helfen könne und er das Land verlassen 
solle.“[23]


Sicherheitslage in Afghanistan seit 2017

Seit 2017 hat sich die Lage nicht verbessert, ganz im Gegenteil. Aus der 
im Dezember 2020 veröffentlichten Studie „Afghanistan’s Rising Civilian 
Death Toll Due to Airstrikes, 2017-2020“[24] von Prof. Neta Crawford 
geht hervor, dass das Pentagon seine Einsatzregeln für Luftangriffe im 
Jahr 2017 lockerte und in Folge dessen die Anzahl der Luftangriffe um 
ganze 330% stieg und damit auch die Zahl der zivilen Todesopfer. Einen 
Grund dafür sieht Crawford in der Reduzierung der US-amerikanischen 
Bodentruppen vor Ort und einen zweiten in der jahrzehntelangen Annahme 
in den USA, somit eine bessere Ausgangsposition am Verhandlungstisch 
einnehmen zu können. Hierfür stützt sie sich auf ein Zitat des U.S. 
Brigadier General Lance R. Bunch aus dem Juni 2018: „Der gesamte Zweck 
hinter unserer Luftkampagne ist es, die Taliban zur Versöhnung zu 
zwingen und ihnen zu helfen, zu erkennen, dass Friedensgespräche ihre 
beste Option sind.“[25] Im Jahr 2019 starben mindestens 700 
Zivilist*innen bei Luftangriffen – dies ist die höchste Zahl von 
getöteten Zivilist*innen seit Beginn des Krieges vor rund zwanzig 
Jahren. Doch diese Taktik wendet nicht nur das US-Militär an, so 
Crawford: „Alle Seiten – die afghanische Regierung, die USA und ihre 
Verbündeten sowie die regierungsfeindlichen militanten Gruppen – haben 
ihre Angriffe in verschiedenen Verhandlungsphasen eskaliert.“ So seien 
nach dem Friedensabkommen der USA und der Taliban (von dem die 
afghanische Regierung ausgeschlossen war) im Februar 2020 die 
NATO-Angriffe zurückgegangen, doch die weitergehenden Verhandlungen 
zwischen der afghanischen Regierung und der Taliban führten nun dazu, 
dass die Angriffe der Afghan Air Force (AFF) zunehmen. Zwischen Juli und 
September 2020 kamen 70 Zivilist*innen ums Leben – im Vergleich dazu 
starben 86 in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020.  Für die 
Ausbildung der AFF ist u.a. die Bundeswehr zuständig.[26]

Im Jahr 2020 starben laut der New York Times 3.378 Sicherheitskräfte und 
1.468 Zivilist*innen bei Kriegshandlungen in Afghanistan.[27] Alleine in 
der ersten Woche des Jahres 2021 kamen mindestens 49 weitere afghanische 
Sicherheitskräfte und 15 Zivilist*innen bei insgesamt 21 Angriffen ums 
Leben.[28]  Zwischen September 2014 und Januar 2019 seien laut dem 
afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani  45.000 afghanische 
Sicherheitskräfte – d.h. Polizist*innen und Soldat*innen – getötet 
worden.[29] Der staatliche Sicherheitssektor ist zusammen mit 
unterschiedlichen bewaffneten Gruppen zu einem der wenigen Branchen mit 
verfügbaren „Arbeitsplätzen“ avanciert – jedoch hat dies offensichtlich 
einen hohen Preis.

Wie in allen Kriegsgebieten trifft die Gewalt auch Minderjährige: Laut 
der UN wurden von 2005 bis 2019 mindestens 26.025 Kinder durch den Krieg 
in Afghanistan getötet oder verstümmelt und zudem gab es zwischen 2017 
und 2019 mehr als 300 Angriffe auf Schulen.[30]

Eine Verbesserung der Lage und ein kompletter Abzug der NATO-Truppen 
bzw. auch der Bundeswehr zeichnen sich auch mit Biden als nächsten 
US-Präsidenten nicht ab. Zwar soll die Truppenstärke reduziert werden, 
doch die Mission läuft weiter und die Wahrscheinlichkeit von verdeckten 
CIA-Operationen steigt.[31]


Fazit

Die Lage in Afghanistan ist desaströs und die Bundesregierung ist durch 
den anhaltenden Einsatz der Bundeswehr und durch ihre Beteiligung an der 
neoliberalen Umstrukturierung Afghanistans mitverantwortlich für die 
Gewalt und die ausufernde Armut. Die geringe Bereitschaft zur Übernahme 
von Verantwortung schien nicht zuletzt am 18. November 2020 durch, als 
das Bundesverfassungsgericht entschied, die BRD müsse keine 
Entschädigungen für die Opfer des vom damaligen Bundeswehr-Oberst Georg 
Valentin Klein angeforderten NATO-Luftangriff auf zwei gestohlene 
Tanklaster zahlen, bei dem im September 2009 mindestens 100 Menschen bei 
Kundus starben.[32] Geklagt hatten ein Familienvater, der bei dem 
Luftangriff zwei seiner Söhne verlor, und eine afghanische Frau, deren 
Ehemann und Vater der gemeinsamen Kinder getötet wurde. Für dieses 
Kriegsverbrechen erhielt Klein keine Sanktionierung und die Angehörigen 
keine gründliche Aufarbeitung, keine Entschädigung und damit auch keine 
Anerkennung. Während Oberst Klein innerhalb der Bundeswehr zunächst zum 
Brigadegeneral des Heeres und seit Oktober 2020 in die „militärische 
Spitzenposition“ als Abteilungsleiter und General Streitkräftegemeinsame 
Ausbildung im Streitkräfteamt in Bonn aufstieg, bleibt eine politische 
Aufarbeitung der begangenen Gewalttaten der Bundeswehr in Afghanistan 
aus und die Bundeswehr ist weiterhin vor Ort.

Nach UN-Angaben flohen allein im Jahr 2020  Hunderttausende Menschen vor 
den Kämpfen innerhalb Afghanistans. In den provisorischen Unterkünften 
der Camps sind sie der Kälte ausgesetzt – und die Temperaturen können in 
Teilen des Landes auf bis zu -20 Grad sinken: „Ohne angemessene 
Winterkleidung und Heizung seien mehr als 300.000 Kinder von Krankheit 
oder sogar Tod bedroht“[33]. Besser ist Lage für die Geflüchteten aus 
Afghanistan und anderen Ländern, die auf den griechischen Inseln oder in 
Bosnien in den Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen festsitzen, 
nicht. Bei ihrem Versuch, die sogenannte „Balkanroute“ zu durchqueren, 
sind die Geflüchteten systematischer – und zumeist straffreier – 
Gewalttaten von „Grenzbeamt*innen, Polizeikräften der Mitgliedsstaaten, 
Soldat*innen [und] sogar Wachhunden“ ausgesetzt, “die eindeutig als 
sadistische, gnadenlose, erniedrigende und entwürdigende Behandlung 
bezeichnet werden können“[34].

Innenminister Seehofer betont: „Wir alle stecken in dieser Krise. Und 
wir sollten uns gemeinsam und solidarisch heraus kämpfen.“[35] Seehofers 
Definition von „wir“ ist sehr eng gefasst und seine Verwendung des 
Begriffs „solidarisch“[36] entleert dessen Sinn, denn er ist es, der 
seit Monaten die Aufnahmen von Menschen aus den Lagern in der BRD 
blockiert, obwohl im Oktober 2020 bereits 200 Kommunen ihre 
Aufnahmebereitschaft verkündet haben.[37]

Wenn es afghanische Staatsangehörige in die BRD schaffen, dann scheinen 
sie eine fast 60% Chance zu haben, eine zu Unrecht negative 
Asylentscheidung zu bekommen: Deutsche Verwaltungsgerichte haben in den 
ersten neun Monaten des Jahres 2020 ganze 5.644 ablehnende 
Asylentscheidungen für afghanische Geflüchtete aufgehoben – d.h. 59,1% 
der insgesamt 9.557 überprüften Fälle erwiesen sich als fehlerhaft.[38] 
Doch selbst diejenigen, die eine „fehlerfreie“ Ablehnung erhalten haben, 
müssen bleiben dürfen. Weiterhin muss die Forderung erklingen: Keine 
Abschiebung nach Afghanistan!


Anmerkungen
[1]     Global Peace Index 2020, Measuring Peace in a complex world, 
economicsandpeace.org

[2]     Weiterer Abschiebeflug in Afghanistan gelandet, 
saarbruecker-zeitung.de, 13.1.2021

[3]     Thomas Ruttig: 26 Menschen auf Afghanistan-Abschiebeflug Nr 35, 
thruttig.wordpress.com, 13.1.2021

[4]     Weiterer Abschiebeflug in Afghanistan gelandet, 
saarbruecker-zeitung.de, 13.1.2021

[5]     Ralf Pauli: Abschiebungen sollen beginnen, taz.de, 15.12.2020

[6]     Erste Sammelabschiebung nach Afghanistan seit März, migazin.de, 
18.12.2020

[7]     Rüdiger Kronthaler: Afghanistan-Abschiebeflüge. Gewerkschaft der 
Polizei will Stopp, br.de, 16.12.2020

[8]     Corona-Ignoranz bei Innenministerien, fluechtlingsrat-bayern.de, 
11.1.2021

[9]     Ebd.

[10]   Christoph Marischka: Ein Dammbruch: Abschiebungen in 
Einsatzgebiete der Bundeswehr, IMI-Standpunkt 2016/42, imi-online.de, 
20.12.2016

[11]   Olaf Przybilla und Max Sprick: Geplante Abschiebung löst Tumulte 
an Nürnberger Berufsschule aus, sueddeutsche.de, 31.5.2017

[12]   Viele Tote nach Anschlag in Kabul, dw.com, 31.5.2017

[13]   Viele Tote bei Explosionen auf Beerdigung in Kabul, 
tagesspiegel.de, 3.6.2017

[14]   Gabor Halasz und Reiko Pinkert: Deutschland schiebt wieder nach 
Afghanistan ab, tagesschau.de, 17.12.2020

[15]   Friederike Stahlmann: Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen 
abgeschobener Afghanen, Beitrag aus dem Asylmagazin 8–9/2019, S.276–286, 
ecoi.net

[16]   Mir Haidar Shah Omid: Union. 2 Million Afghans Lose Jobs Amid 
COVID-19, tolonews.com, 1.5.2020

[17]   Sophie Cousins: A quiet crisis. As the economy fractures, 
violence soars for Afghan women, thenewhumanitarian.org, 16.12.2020

[18]   Aus guten Gründen: Immer wieder stoppen Gerichte Abschiebungen 
nach Afghanistan, proasyl.de , 7.1.2021

[19]   Friederike Stahlmann:  Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen 
abgeschobener Afghanen, 2019

[20]   Ebd.

[21]   Ebd.

[22]   Ebd.

[23]   Ebd.

[24]   Neta C. Crawford: Afghanistan’s Rising Civilian Death Toll Due to 
Airstrikes, 2017-2020, watson.brown.edu , 7.12.2020

[25]   Ebd.

[26]   „Des Weiteren berät ein Team [der Bundeswehr] (Joint Fire 
Support-Adviserteam – JFS-AT) den Air-Ground-Integration-Leader (AGIL) 
bei Planung und Durchführung der Ausbildung. Der AGIL ist für die 
Weiterbildung der in Kabul am TAAC-Air ausgebildeten Afghan Tactical Air 
Coordinator (ATAC) verantwortlich.“ Siehe: Drucksache 
Drucksache19/10143: Beteiligung der Bundeswehr am NATO-geführten Einsatz 
Resolute Support in Afghanistan, dip21.bundestag.de, 14.5.2019

[27]   Fahim Abed: Afghan War Casualty Report. December 2020, 
nytimes.com, 10.12.2020

[28]   Fahim Abed: Afghan War Casualty Report. January 2021, 
nytimes.com, 7.1.2021

[29]   Afghanistan's Ghani says 45,000 security personnel killed since 
2014, bbc.com, 25.1.2019

[30]   Afghanistan war: 26,000 Afghan children killed or maimed since 
2005, bbc.com, 23.11.2020

[31]   Kai Küstner: Letzte Soldaten haben Kundus verlassen, 
tagesschau.de, 26.11.2020

[32]   Keine Entschädigung für Kundus-Opfer, tagesschau.de, 16.12.2020

[33]   Bernd Musch-Borowska: Hunderttausende Kinder von Kälte bedroht, 
tagesschau.de, 1.1.2021

[34]   Border Violence Monitoring Network: The Black Book of Pushbacks, 
borderviolence.eu, 18.12.2020

[35]   Innenminister Seehofer: Keine Sonderrechte für Geimpfte, 
nordbayern.de, 27.12.2020

[36]   So definiert z.B. Aurora Levins Morales in ihrem Buch Medicine 
Stories „Solidarität“ aus dem Jahr 1998: „Solidarität entsteht aus der 
Unfähigkeit, den Affront gegen unsere eigene Integrität zu tolerieren, 
der in der passiven oder aktiven Kollaboration bei der Unterdrückung 
anderer liegt, und aus der tiefen Erkenntnis unseres expansivsten 
Eigeninteresses. Aus der Erkenntnis, dass, ob es uns gefällt oder nicht, 
unsere Befreiung mit der jedes anderen Wesens auf dem Planeten verbunden 
ist, und dass wir politisch, spirituell und im Herzen unseres Herzens 
wissen, dass alles andere untragbar ist.“

[37]   200 Sichere Häfen deutschlandweit – Treffen mit Merkel, 
seebruecke.org, 20.10.2020

[38]   Gerichte heben Tausende ablehnende Asylentscheidungen für 
Afghanen auf, zeit.de, 3.12.2020



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