[IMI-List] [0582] Jahresrückblick & Spendenaufruf / Analyse: Bundeswehr & Corona-Einsatz / Ausdruck (Dezember 2020): Reserve / Neue Texte
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imi at imi-online.de
Do Dez 17 14:49:23 CET 2020
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0582 .......... 23. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos)........ https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste/
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) ein Jahresrückblick und ein Spendenaufruf;
2.) die neue Dezember-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK (Schwerpunkt:
Reserve);
3.) Links zu neuen Artikeln auf der IMI-Homepage, u.a. zu den neuesten
Entwicklungen in der Frage der Drohnenbewaffnung;
4.) eine neue IMI-Analyse zum Corona-Inlandseinsatz der Bundeswehr.
1.) Jahresrückblick & Spendenaufruf
Auch die Informationsstelle Militarisierung blickt auf ein schwieriges
Jahr zurück. Bereits am 16. März, als drastische Einschränkungen des
öffentlichen Lebens auch in Deutschland gerade absehbar wurden, hatten
wir uns Gedanken gemacht, was das für uns bedeuten könnte und am Tag
darauf einen kurzen Text unter dem Titel „(Antimilitaristische) Politik
in Zeiten der Pandemie“ veröffentlicht. Auch dadurch ist es uns
gelungen, unsere Arbeit unter diesen außergewöhnlichen Bedingungen auf
einem ähnlichen Niveau fortzuführen, wie in den vergangenen Jahren.
Leicht war das allerdings nicht. Auch wenn wir und unser Umfeld vom
Virus selbst bislang weitgehend verschont geblieben sind, haben uns –
wie alle – die damit verbundenen Konsequenzen auf verschiedene Arten
betroffen. Das gilt natürlich auf der individuellen und persönlichen
Ebene, aber auch im Hinblick auf eine gemeinsame Bestürzung über einen
zunehmend autoritativen Politikstil; über sich ständig wiederholende
Meldungen von rechtsextremen Netzwerken in Polizei und Militär und
ausbleibende Konsequenzen; über eine rechte Dominanz bei der Kritik an
der herrschenden Politik und über eine weitgehende Sprachlosigkeit der
Linken. Eine Hoffnung jedenfalls, die wir in o.g. Text formuliert
hatten, wurde bestenfalls in Ansätzen realisiert:
„Ausnahme- und Krisensituationen sind häufig eine Vorlage für gewaltige
Umverteilungsprogramme und Gesetzesverschärfungen. Auch und gerade dann
müssen die Stimmen für Solidarität und Völkerverständigung, gegen
Nationalismus, Militarisierung und Repression vorbereitet sein und
hörbar bleiben.“
Die Repression gegen soziale Bewegungen schien durch die Pandemie alles
andere als gebremst. Im vergangenen Jahr standen drei IMI-Autor*innen
wegen angeblichem Hausfriedensbruch und vermeintlichen Verstößen gegen
das Versammlungsrecht vor Gericht (jeweils ohne Corona-Bezug). Zwei
weitere waren als Beschuldigte bzw. Mitbewohnerin von einer
Hausdurchsuchung betroffen aufgrund eines Vorwurfs, der sich in kurzer
Zeit mit banalsten Mitteln ausräumen ließ. Ein weiterer Strafbefehl
wegen Hausfriedensbruch wird nächstes Jahr zur Verhandlung kommen. Zudem
gibt es Hinweise, dass der Staatsschutz weiterhin gegen etwa 20
Tübinger*innen ermittelt, die zu Ostern mit Friedensfahnen und kleinen
Schildern, mit Abstand und im Gänsemarsch ein Zeichen setzen wollten.
Bei der Feststellung fast aller Personalien kamen etwa ebenso viele
Polizist*innen – mit Mundschutz und ohne – sowie eine Polizeidrohne zum
Einsatz. Das war etwa eine Woche, nachdem die Landesregierung
Baden-Württemberg wegen vermeintlicher Überlastung der Polizei
grundgesetzwidrig Unterstützung der Bundeswehr für Wach- und
Sicherungsdienste angefordert hatte.
Trotz der widrigen Umstände ist es uns u.a. gelungen, im November einen
Kongress zu veranstalten, der im Internet und Radio durchgehend von über
100 Menschen mitverfolgt wurde. Dabei ging es u.a. um die weiteren
Aufrüstungspläne Deutschlands und der EU, die sowohl unabhängig von der
Pandemie, wie auch im Zuge der sog. Corona-Konjunkturpakete auf den Weg
gebracht wurden.
Damit sind einige der Themen angeschnitten, mit denen wir uns dieses
Jahr auseinandergesetzt haben und auch im kommenden auseinandersetzen
werden. Hoffentlich auch weiterhin mit Eurer und Ihrer Unterstützung!
IMI-Mitteilung
(Antimilitaristische) Politik in Zeiten der Pandemie
Eine erste Stellungnahme der Informationsstelle Militarisierung
http://www.imi-online.de/2020/03/17/antimilitaristische-politik-in-zeiten-der-pandemie/
IMI (17. März 2020)
IMI-Mitteilung
IMI-Kongress: Bericht und Dokumentation
https://www.imi-online.de/2020/12/03/imi-kongress-bericht-und-dokumentation/
IMI (3. Dezember 2020)
Möglichkeiten, die IMI zu unterstützen (Spenden und Mitgliedsbeiträge
sind steuerlich absetzbar):
https://www.imi-online.de/mitglied-werden/
Die Informationsstelle Militarisierung wird vom 18.12.2020 bis 7.1.2021
nicht oder allenfalls sporadisch erreichbar sein.
2.) AUSDRUCK (Dezember 2020): Schwerpunkt: Reserve
Ganze Ausgabe:
https://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Dezember-2020-Web.pdf
Links zu allen Einzelartikeln finden sich hier:
http://www.imi-online.de/2020/12/17/ausdruck-imi-magazin-dezember-2020/
SCHWERPUNKT: RESERVE
-- Editorial (Martin Kirsch und Christoph Marischka)
-- Vision Reserve 2032+ Zurück in die Zukunft eines neuen Kalten Krieges
(Martin Kirsch)
-- Cyber-Reserve der Bundeswehr. Nachschub für den Kampf um den
Informationsraum (Jürgen Wagner)
-- Reservist*innen vor Ort. Verbindungskommandos als Katalysatoren für
Inlandseinsätze (Martin Kirsch)
-- Action, Urlaub, Jobroutine. Darstellungsweisen von Reservist*innen im
Ausland (Thomas Rahmann)
-- Unbewusst Reserve. Warum uns der Krieg fern ist (Andreas Seifert)
-- Reserve International. Ein Blick in die USA, nach Südkorea und Israel
(Rudi Friedrich und Franz Nadler)
-- Sprachrohr der Reserve? Der Reservistenverband als Erfüllungsgehilfe
der Bundeswehr –(Jürgen Wagner)
-- Eine Hand wäscht die andere? Der strategische Einsatz von
Reservist_innen in der Wirtschaft (Emma Fahr)
-- Wille zur Macht. Von studierenden Reservisten zu studierten
Lobbyisten (Bernhard Klaus)
-- Königsbronner Gespräche. Die kleine Schwester der Münchener
Sicherheitskonferenz (Bernhard Kusche)
-- Reservisten mit Terrorplänen. Der Reservistenverband als
Wehrsportgruppe für Neonazis? (Luca Heyer)
MAGAZIN
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Historische und aktuelle Verbindungen zwischen Automobil- und
Rüstungsindustrie (Jule Steinert)
-- Bevölkerung dagegen: Neues Militärgelände bei Tannheim (Alexander Kleiß)
-- Der Digitale Tag der Bundeswehr. Mediale Inszenierung eines fragilen
Selbstbildes (Mario Pfeifer)
-- SPD in Gefechtsstellung. Beschaffung von Kampfdrohnen (Marius Pletsch)
-- NATO-Flagge zeigen! Kramp-Karrenbauers Transatlantischer New Deal
(Jürgen Wagner)
FRANKREICHS (NEO-)KOLONIALPOLITIK
-- Frankreichs Einfluss im Libyen-Konflikt (Lisa Sturm)
-- Libanon: Imperialismus im Gewand „humanitärer Hilfe“ (Nabil Sourani)
-- Wahlen in der Elfenbeinküste. Flecken auf dem Hemd des Saubermanns
des Westens (Pablo Flock)
NATO & UKRAINE
-- Nation, NATO, Krieg: Militärseelsorger nach US-Zuschnitt für die
Ukraine (Wladimir Sergijenko)
IMI-KONGRESS
Inmitten der Pandemie: Bericht vom IMI-Kongress „Politik der Katastrophe“
3.) Links zu neuen Texten auf der IMI-Homepage
IMI-Standpunkt 2020/069 - in: junge Welt, 17.12.2020
SPD enttäuscht Bellizisten
Nach vertagter Entscheidung von SPD-Fraktion zu Bewaffnung von Drohnen
gibt deren verteidigungspolitischer Sprecher seinen Posten ab
http://www.imi-online.de/2020/12/17/spd-enttaeuscht-bellizisten/
Tobias Pflüger (17. Dezember 2020)
IMI-Studie 2020/9
Fragiles Selbstbild
Kollektive Identifikation und deren affektive Aufladung als
Anwerbestrategie beim „Digitalen Tag der Bundeswehr“
http://www.imi-online.de/2020/12/17/fragiles-selbstbild/
Mario Pfeifer (17. Dezember 2020)
IMI-Standpunkt 2020/068
Regierende einig für völkerrechtswidrige Besatzungspolitiken
Der von Trump ausgehandelte Friedensvertrag zwischen Marokko und Israel
gefährdet die Hoffnungen auf ein Ende der Besatzungen in Palästina und
West-Sahara
http://www.imi-online.de/2020/12/15/regierende-einig-fuer-voelkerrechtswidrige-besatzungspolitiken/
Pablo Flock (15. Dezember 2020)
IMI-Analyse 2020/48
Die Bundeswehr im Corona-Einsatz
Inlandseinsatz historischer Dimension zum 65. Geburtstag
http://www.imi-online.de/2020/12/15/die-bundeswehr-im-corona-einsatz/
Martin Kirsch (15. Dezember 2020)
IMI-Standpunkt 2020/066
Aufrüstungshaushalt ablehnen!
http://www.imi-online.de/2020/12/10/aufruestungshaushalt-ablehnen/
Tobias Pflüger (10. Dezember 2020)
4.) IMI-Analyse Corona & Bundeswehr im Inneren
IMI-Analyse 2020/48
Die Bundeswehr im Corona-Einsatz
Inlandseinsatz historischer Dimension zum 65. Geburtstag
http://www.imi-online.de/2020/12/15/die-bundeswehr-im-corona-einsatz/
Martin Kirsch (15. Dezember 2020)
Der größte Einsatz der Bundeswehr findet aktuell nicht in Afghanistan
oder in Mali, mit jeweils über 1.000 Soldat*innen, sondern in
Deutschland statt. In gewohnt reißerischem Tonfall berichtete die
Bildzeitung bereits von der „Corona-Front“ der Bundeswehr und die FAZ
vom „Kampfeinsatz gegen das Virus”.
Seit April 2020 unterhalten die Streitkräfte ein eigenes
Einsatzkontingent „Hilfeleistung Corona”, das im November 2020 von
15.000 auf 20.000 Soldat*innen aufgestockt wurde.[1] Hinzu kommen
weitere Sanitätskräfte der Bundeswehr sowie Reservist*innen aller
Truppenteile.
Aus dem Gesamtkontingent von 20.000 sind aktuell über 9.000 Soldat*innen
für konkrete Aufgaben eingeplant. Zu den gut 6.000 mit Soldat*innen, die
zeitgleich aktiv sind kommen über 3.000 weitere, die als Ablösung im
Schichtdienst, v.a. in den Gesundheitsämtern, aber auch in
bundeswehrinternen Führungsstäben, eingesetzt werden. Arbeitsschwerpunkt
der Bundeswehr seit Herbst ist der Einsatz in den zivilen
Gesundheitsämtern, in denen aktuell rund 7.000 Soldat*innen mit
Kontaktnachverfolgung, Telefondienst, Verwaltungstätigkeiten und
weiteren Aufgaben betraut sind.
Die restlichen gut 2.000 Soldat*innen leisten ihren Dienst u.a. in
Teststationen, in 30 zivilen Krankenhäusern, vereinzelt in Altenheimen
und weiterhin in der Lagerung und Logistik zur Verteilung von Masken,
Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln und weiteren medizinischen Produkten.
Zwei aktuelle Einsatzbeispiele sind die Massentestung in Schulen und
Kindertagesstätten im thüringischen Hotspot Hildburghausen und der
Aufbau eines Corona-Behandlungszentrums mit rund 560 Betten auf dem
Berliner Messegelände durch Soldat*innen, Sanitätskräfte und
Reservist*innen der Bundeswehr.
Zudem ist eine weitere Steigerung der Einsatzzahlen zu Beginn des neuen
Jahres, wenn die Bundeswehr sich auch im Rahmen der Impfstrategie mit
Soldat*innen beteiligen wird, bereits absehbar.
Inlandseinsatz von historischer Dimension
Obwohl ein Ende der Corona-Pandemie noch nicht in Sicht ist, handelt es
sich im 65. Jahr nach Gründung der Bundeswehr bereits um einen
Inlandseinsatz von historischer Dimension.
Eine größere Anzahl an militärischem Personal wurde bisher nur bei den
sogenannten Jahrhundertfluten 2002 (45.000 Soldat*innen) und 2013 (über
20.000 Soldat*innen) mobilisiert. Diese Fluteinsätze blieben allerdings,
im Gegensatz zum aktuellen Corona-Einsatz, auf ein zeitlich und räumlich
klar umrissenes Ereignis beschränkt. Der bisher längste Inlandseinsatz
der Bundeswehr im Rahmen des langen Sommers der Migration dauerte ein
gutes Jahr vom Sommer 2015 bis Sommer 2016. Diesen Zeitrahmen wird der
aktuelle Corona-Einsatz absehbar überschreiten. Zudem werden aktuell,
nach 2015 erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundeswehr,
zeitgleich Soldat*innen in allen 16 Bundesländern eingesetzt.
Alle bisher bekannten Dimensionen sprengt der aktuelle Corona-Einsatz
allerdings im Bezug auf die Gesamtzahl der bereits von Kommunen, Ländern
und Bundesministerien gestellten Anträge auf Amtshilfe. Waren es 2015
noch 866 Amtshilfeanträge,[2] ist für 2020 davon auszugehen, dass sich
diese Zahl verdreifachen wird. So wurden laut dem für Inlandseinsätze
zuständigen General Schelleis bis zum 3. Dezember 2020 insgesamt 2.254
Anträge auf Amtshilfe bei der Bundeswehr gestellt, von denen 2.152 einen
direkten Corona-Bezug aufweisen.[3] Zudem geht Schelleis für den Rest
des Jahres davon aus, dass täglich Anträge im zweistelligen Bereich
hinzukommen. Damit ist bis Jahresende mit deutlich über 2.500
Amtshilfeersuchen zu rechnen. Vergleicht man diese Zahl mit den 249
Anträgen im Laufe des eher durchschnittlichen Jahres 2019 handelt es
sich um eine Verzehnfachung.
Rechtliche Grauzone – Soldat*innen in Gesundheitsämtern
Im April 2020 wurden erstmals Soldat*innen in überarbeitete
Gesundheitsämter in Brandenburg entsendet.[4] Die Bundeswehr nicht nur
punktuell, sondern als flächendeckende Aushilfe in die Gesundheitsämter
zu schicken, wurde von Kanzlerin Merkel sowohl bei ihrem Gipfeltreffen
mit den Oberbürgermeister*innen der elf größten Städte am 9. Oktober als
auch bei der Zusammenkunft der Ministerpräsident*innen der Länder am 14.
Oktober zu einem zentralen Baustein der Eindämmungsstrategie erklärt.
Gesagt, getan. Mittlerweile sind rund 7.000 Soldat*innen, z.T. im
Schichtsystem, in fast 300 der insgesamt 375 Gesundheitsämtern
eingesetzt. Viele von ihnen beteiligen sich direkt an der
Kontaktnachverfolgung. Dieser Einsatz ist allerdings problematischer,
als es die breite Debatte und der Aufschrei um die Verweigerung des
Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, Soldat*innen für eben diese
Tätigkeiten anzufordern, vermuten lässt.
Die 375 Gesundheitsämter in Deutschland sind die unterste ausführende
Ebene der staatlichen Gesundheitsverwaltung und damit auch für die
Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes vor Ort zuständig. Auf der
Grundlage dieses Gesetzes können repressive Eingriffe in die Grundrechte
von Bürger*innen angeordnet werden. Ein Amtsarzt kann bei hoch
ansteckenden Krankheiten z.B. infizierte Menschen und deren direkte
Kontaktpersonen in verpflichtende Quarantäne schicken. Dabei handelt es
sich um hoheitliche, quasi gesundheitspolizeiliche, Maßnahmen. Im Rahmen
von Hilfseinsätzen der Bundeswehr im Inland ist die Übernahme eben
dieser hoheitlichen Aufgaben – mit Ausnahme von wenigen Sonderfällen –
allerdings verboten.
Mit Verweis auf dieses Verbot hatte die Bundeswehr bereits Anfragen aus
Baden-Württemberg und Thüringen zurückgewiesen, Soldat*innen zur
Unterstützung der Polizei oder als Sicherheitskräfte in
Geflüchtetenunterkünften abzustellen.[5] Daher wurde zu Beginn der
Bundeswehreinsätze in Gesundheitsämtern im Frühjahr stark darauf
geachtet, eine klare Trennung – Soldat*innen verfolgen Kontakte und
befugte Mitarbeiter*innen des Gesundheitsamtes ordnen Quarantäne an –
einzuhalten oder diese zumindest nach außen so zu kommunizieren.
Mittlerweile wurde diese rechtlich bindende, im Arbeitsablauf aber
lästige, Trennung mit Hilfe einer „pragmatischen Lösung“ quasi
ausgehebelt. Der für die praktische Organisation von Inlandseinsätzen
zuständige General des Kommandos Territoriale Aufgaben, Carsten Breuer,
verkündete dazu im November 2020: „Ein wesentlicher Schritt war es, mit
Mitteilung bzw. Verweis auf Einzel- und Allgemeinverfügungen im Auftrag
des Gesundheitsamtes bei der Anordnung von Quarantänen unterstützen zu
können. Immer unter Aufsicht des Gesundheitsamtes.“[6] Die Soldat*innen
an den Telefonen im Gesundheitsamt teilen den infizierten Bürger*innen
oder deren Kontaktpersonen also nicht mit, dass sie in Quarantäne gehen
müssen, was sie nicht dürften, sondern weisen sie, nach Mittelung ihres
Testergebnisses oder Kontaktstatuses, lediglich darauf hin, wie die
Regelungen zur Quarantäne in ihrer Region aktuell lauten. Ein
geschickter Winkelzug in einem juristischen Graubereich, der es
Soldat*innen ermöglicht, Aufgaben zu übernehmen, für die sie eigentlich
nie vorgesehen war. Zudem bleibt fraglich, warum Panzersoldat*innen und
Automechaniker*innen in Uniform, ohne jegliche fachliche Qualifikation,
für Einsätze in Gesundheitsämtern, Teststationen, oder Pflegeheimen
überhaupt als geeignet angesehen werden.
Das Vorgehen, bei Einsätzen der Bundeswehr im Inland im rechtlichen
Graubereich zu agieren und die Einsatzspielräume damit faktisch
auszuweiten, ist allerdings keine Neuheit. Ähnliche Verhaltensweisen
sind sowohl in der politischen Debatte, in Planspielen und Übungen, als
auch bei konkreten Inlandseinsätzen der Bundeswehr in den letzten 15
Jahren bereits gängige Praxis.
Attraktivität der Helfer*innen in Flecktarn
Trotz aller politischen und praktischen Bedenken flächendeckend
Soldat*innen zur Eindämmung der Corona-Pandemie heranzuziehen gibt es
mehrere Gründe, warum dieses Vorgehen für Politiker*innen und Verwaltung
opportun zu sein scheint.
Die in der Pandemiebekämpfung aufgrund des föderalen Systems oft nicht
zuständige Bundespolitik kann Soldat*innen als „ihren Beitrag“
unkompliziert als Hilfe für Länder und Kommunen anbieten. Im Gegensatz
zur Entsendung von Verwaltungsangestellten, Lehrkräften, Polizei-,
Finanzbeamt*innen der Länder können Soldat*innen unkompliziert und
schnell, per Befehl, einsatzverpflichtet werden. Zudem reißt die
Abwesenheit dieser Soldat*innen von ihrem eigentlichen Job nicht
unmittelbar Löcher in die Umsetzung anderer staatlicher Aufgaben. Für
die Länder ist der Einsatz von Soldat*innen zudem attraktiv, weil sie,
im Gegensatz zu eigenem Personal oder Angehörigen des
Katastrophenschutzes, bisher keine Lohnkosten zahlen müssen. Die kommen,
bis sich das Verteidigungsministerium entscheidet Rechnungen zu stellen,
wovon aktuell nicht auszugehen ist, aus dem Bundeshaushalt für
Verteidigung. Zudem können Bürgermeister*innen, Landrät*innen und
Ministerpräsident*innen mit dem Einsatz von Uniformierten suggerieren,
dass die Situation einerseits ernst ist, sie aber mit der Aktivierung
der Bundeswehr alles in ihrer Macht stehende tun, um Abhilfe zu schaffen.
Sobald die Pandemie abflaut und die Soldat*innen abziehen, kann dann
wieder zum Normalbetrieb übergegangen werden. An grundlegenden
Problemen, z.B. einer langfristigen Ausfinanzierung des
Gesundheitssystems oder des Katastrophenschutzes, kann dann wieder
gespart werden. Sollte die Bundeswehr nicht in einen Krieg mit Russland
ziehen, stehen ja auch in der nächsten Krisensituation wieder
Soldat*innen zur Hilfe bereit.
Dieses Grundmuster wird auch in diesem Jahr, in dem fast alles von der
Corona-Pandemie überschattet zu sein scheint, in anderen Bereichen
sichtbar. Im Sommer 2020 waren, wie bereits in den letzten Jahren,
erneut Soldat*innen damit beschäftigt, Wälder nach Bäumen mit
Borkenkäferbefall zu durchkämmen und befallene Bäume nach der Fällung zu
schälen. Entsprechende Anträge kamen aus Baden-Württemberg,
Rheinland-Pfalz und Sachsen.[7] Aktuell sind fast 200 Soldat*innen in
Brandenburg und Sachsen damit beschäftigt Regionen, in denen die
Afrikanische Schweinepest aufgetreten ist, nach Wildschweinkadavern zu
durchsuchen und Wildzäune zu errichten. Dabei kommen v.a.
Reservist*innen aus neun der bundesweit 30 Regionalen Sicherungs- und
Unterstützungskompanien zum Einsatz.[8] Sollte sich die Schweinepest
weiter ausbreiten, wird auch hier mit weiteren Amtshilfeanträgen gerechnet.
Attraktiv ist der Hilfseinsatz allerdings auch für die Bundeswehr. Neben
dem häufig zitierten patriotischen Geschwafel, nach dem sich die
Soldat*innen als praktische Hilfe in die Eindämmung eines „nationalen
Dramas“ einbringen wollen, spielt die Imagepflege eine zentrale Rolle.
In einem Gefälligkeitsinterview mit Phoenix betont der Nationale
Territoriale Befehlshaber der Bundeswehr, General Schelleis, dass sich
die Soldat*innen über die ausgesprochene „Dankbarkeit“, „Anerkennung“
und „positive Wertschätzung“ freuen, die ansonsten häufig vermisst
werden würde.[9] Von der Ebene der/des individuellen Soldat*in
abstrahiert geht es also maßgeblich auch um Akzeptanzbeschaffung für den
Soldat*innenberuf und die Bundeswehr als Institution. In eben diesem
Interview betont Schelleis allerdings auch, dass die Auslandseinsätze
und damit das unmittelbare militärische Handwerk weiterhin die höchste
Priorität für die Bundeswehr hätten.
Auch Bundeswehr von Corona betroffen
Die zweite Welle an Corona-Infektionen in Deutschland macht sich auch
innerhalb der Bundeswehr bemerkbar. Bis Ende November 2020 wurden
Corona-Infektionen bei insgesamt knapp 2.000 Soldat*innen gemeldet. Über
500 galten als akut infiziert, während gut 1.400 als genesen aufgeführt
wurden.[10] Bereits im Frühjahr wurden ganze Dienststellen in
Deutschland vorübergehend geschlossen, weil es dort zu Infektionsfällen
gekommen war.
In der zweiten Oktoberhälfte wurde, aufgrund von Infektionsfällen, der
Flugbetrieb des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 in Neuburg an der
Donau für eine Woche eingestellt.[11] Dort sind Kampfjets vom Typ
Eurofighter stationiert, die neben weiteren Aufgaben auch für die
Aufrechterhaltung der Sicherheit des Luftraums in Süddeutschland
alarmiert werden können. Ende November konnte ein großes
Versorgungsschiff der Marine, der Einsatzgruppenversorger Berlin, nicht
wie geplant für eine Übung auslaufen, weil Crewmitglieder sich infiziert
hatten und weitere dadurch in Quarantäne gehen mussten.[12] Auch das
Einsatzkontingent “Hilfeleistung Corona” selbst hat es nach Fällen im
Frühjahr in der zweiten Novemberhälfte erneut selbst getroffen. Aufgrund
von Infektionsfällen unter den Soldat*innen, die im Gesundheitsamt in
Berlin Mitte eingesetzt waren, musste das gesamte Team der Bundeswehr
dort ausgetauscht werden.[13]
Seit dem Frühjahr kommt es zudem immer wieder zu Infektionsfällen unter
den Soldat*innen in den Auslandseinsätzen. Sowohl aus Litauen, Mali und
Afghanistan wurden über das Jahr bereits infizierte Soldat*innen und
Verdachtsfälle ausgeflogen. Im November waren Teile des deutschen
KFOR-Kontingents im Kosovo nicht mehr arbeitsfähig, weil 11 der
insgesamt 70 dort stationierten Bundeswehrangehörigen positiv auf den
Corona-Virus getestet worden waren.[14] Laut einer Meldung des
Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ruht seit dem 6. Dezember zudem
der gesamte deutsche Anteil der EU-Ausbildungsmission in Mali (EUTM),
weil nach Infektionsfällen in der Truppe für rund ein Drittel der
Soldat*innen des deutschen Kontingents Quarantäne angeordnet wurde.[15]
Berichte über weitere positive Testergebnisse in Auslandsmissionen
kommen zudem aus Afghanistan.
„Bundeswehr ist Teil der Impfstrategie“
Während diverse zivile Behörden, auch bedingt durch Unterfinanzierung
und Personalmangel, bereits seit dem Frühjahr an der Kapazitätsgrenze
Arbeiten,[16] nehmen sich die Führungskräfte der Bundeswehr die Zeit, um
strategisch vorauszuplanen. Bereits am 14. Oktober 2020 twitterte der
oberste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Eberhart Zorn, über
Diskussionen, „wie u.a. die #Bundeswehr unterstützen kann, wenn es einen
Impfstoff gegen #COVID19 gibt”.[17]
Bereits einen Tag nach der Ankündigung am 9. November, dass die
Zulassung eines ersten Corona-Impfstoffs kurz bevorstehen würde, bat
Bundesgesundheitsminister Spahn die Bundeswehr, die zentrale Lagerung
der Impfstoffdosen auf geschützten Kasernengeländen zu übernehmen.[18]
Eine knappe Woche später, am 15. November gab Verteidigungsministerin
Kramp-Karrenbauer in der ARD bekannt, dass die Bundeswehr eigene
Impfzentren aufbauen werde.[19]
Anfang Dezember berichtete die Bundeswehr stolz in einem Artikel auf
ihrer Website unter der Überschrift, „COVID-19: Bundeswehr ist Teil der
Impfstrategie”, dass am 26. November erstmals ein Vertreter des
Verteidigungsministeriums und zwei hohe Offiziere der Bundeswehr an der
regelmäßigen Telefonkonferenz des Bundesgesundheitsministeriums mit dem
Robert-Koch-Institut und den Gesundheitsministerien der Länder
teilgenommen hätten. Zentraler Inhalt der Konferenz seien die Planungen
für die bevorstehende Massenimpfung gewesen.
Mittlerweile ist bekannt, dass die Bundeswehr 26 eigene Impfzentren
aufbaut, die neben der Impfung von Soldat*innen und zivilen
Mitarbeiter*innen der Bundeswehr auch zur Unterstützung der Bundesländer
zur Verfügung stehen sollen. Hinzu kommen 26 mobile Impfteams der
Bundeswehr, die besonders für Impfungen der Bevölkerung in dünn
besiedelten, ländlichen Regionen genutzt werden könnten. Zudem plant die
Bundeswehr weitere Soldat*innen zur Unterstützung in weiteren, von den
Bundesländern betriebenen Impfzentren entsenden zu können. Neben diesen
vorausgreifenden Vorbereitungen ist seit dem 9. Dezember 2020 bekannt,
dass das Bundesgesundheitsministerium bereits einen formalen Antrag
gestellt hat, Kasernengelände der Bundeswehr als zentrale Lager- und
Verteilzentren für die Auslieferung der Impfstoffvorräte nutzen zu
können.[20]
Um diese kommenden Aufgaben erfüllen zu können, rechnet die Bundeswehr
bereits damit, 3.000 bis 7.000 zusätzliche Soldat*innen im Rahmen der
Impfkampagne einzusetzen.[21] Zusätzlich zur bereits erfolgten
Aufstockung des Einsatzkontingentes auf 20.000 im November wird daher
bereits über eine weitere Aufstockung im Januar 2021 diskutiert. Dann
könnten auch Soldat*innen hinzugezogen werden, die bis Jahresende für
die Eingreiftruppen der NATO (NATO Response Force) in Bereitschaft stehen.
Wie bereits zu Beginn der Aktivitäten der Bundeswehr in den
Gesundheitsämtern wird laut dem Bericht des Fachjournalisten Thomas
Wiegold auch für die Planungen der Streitkräfte im Rahmen der
Impfstrategie versucht selbst den Eindruck zu vermieden, es könne sich
um eine militärische Operation handeln, in der Soldat*innen hoheitliche
Aufgaben übernehmen würden.[22]
So sei aktuell geplant, dass sowohl die Sicherung der Transporte von
Impfstoffen als auch die Zugangskontrollen zu den Impfzentren von
Polizeikräften und privaten Sicherheitsdiensten und damit nicht von
bewaffneten Soldat*innen übernommen werden sollen. Außerdem werde
aktuell ausgeschlossen, dass die Datenverarbeitung in den Impfzentren
auf IT-Systemen der Bundeswehr stattfinden würde.
Ob diese Ankündigungen auch der Realität standhalten oder wie bereits in
den Gesundheitsämtern beim Auftauchen praktischer Probleme mit Hilfe von
Tricksereien bestehende Grauzonen ausgenutzt werden, gilt es in den
kommenden Monaten kritisch zu beobachten.
Anmerkungen
[1] Bundesregierung: Bundeswehr erhöht Hilfskontingent,
bundesregierung.de, 15. November 2020.
[2] Süddeutsche Zeitung (Christoph Hickmann und Cornelius Pollmer):
Das leistet die Bundeswehr schon jetzt im Inland, sueddeutsche.de, 03.
August 2016.
[3] Phoenix: corona nachgehakt - Welche Rolle spielt die
Bundeswehr?, via youtube.com, 04. Dezember 2020.
[4] Bundesministerium der Verteidigung, Barbara Gantenbein:
Corona-Krise: AKK besucht Unterstützungspersonal der Bundeswehr,
bmvg.de, 23.04.2020.
[5] Martin Kirsch: Die Bundeswehr und das Virus (II) Mitte März bis
Mitte Mai 2020, in Ausdruck 2/2020, imi-online.de, Juni 2020.
[6] Streitkräftebasis (Sebastian Grünberg): Amtshilfe Corona
- Wochenrückblick des KdoTerrAufgBw, bundeswehr.de, 06.11.2020.
[7] Beispielhaft: Sachsenforst: Auch 2020 - Soldaten gegen
Borkenkäfer, sachsen.de, 08. Juni 2020.
[8] Streitkräftebasis (Ralf Wilke): Bundeswehr kämpft gegen die
Afrikanische Schweinepest, bundeswehr.de, 03. Dezember 2020.
[9] Phoenix: corona nachgehakt, via youtube.com, 04. Dezember 2020.
[10] Thomas Wiegold: Coronavirus-Pandemie & Bundeswehr - Infektionen
in der Truppe gleichbleibend, augengeradeaus.net, 30. November 2020.
[11] Thomas Wiegold: Coronavirus-Pandemie und Bundeswehr: Höchststand
unter Soldaten, Flugbetrieb in Neuburg eingestellt, augengeradeaus.net,
22. Oktober 2020.
[12] Thomas Wiegold: Coronavirus-Pandemie & Bundeswehr: ‚Berlin‘
bleibt im Hafen, neue Infektions-Höchstzahl in der Truppe,
augengeradeaus.net, 27. Oktober 2020.
[13] Thomas Wiegold: Coronavirus-Pandemie & Bundeswehr: Infektionen
in der Truppe gleichbleibend, Auswirkungen auf Auslandseinsatz, immer
mehr Amtshilfe, augengeradeaus.net, 30. November 2020.
[14] Ebd.
[15] Bundeswehr im Einsatz: via twitter.com, 06. Dezember 2020.
[16] Katharina Pfadenhauer (BR): Kontaktnachverfolger spricht von
"katastrophalen" Zuständen, br.de, 02. Dezember 2020.
[17] General Eberhart Zorn: via twitter.com, 14. Oktober 2020.
[18] Reuters: Bundeswehr soll bei Zwischenlagerung von
Impfstoff helfen, reuters.com, 10. November 2020.
[19] bundeswehr-journal: Corona-Hilfe - Weitere 5000
Bundeswehrsoldaten zugesichert, bundeswehr-journal.de, 15.11.2020.
[20] Deutscher Bundeswehrverband: Corona-Impfstoffe werden zum Teil
in Bundeswehr-Kasernen gelagert, dbwv.de, 10. Dezember 2020.
[21] Thomas Wiegold: Coronavirus-Pandemie & Bundeswehr, 30. November
2020.
[22] Ebd.
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