[IMI-List] [0553] Analyse: AKK-Rede / Analyse: EU KI-Rüstung / Analsye: Schweden

imi imi at imi-online.de
Mi Nov 13 15:35:27 CET 2019


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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0553 ………. 22. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Martin Kirsch
Abo (kostenlos)…….https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: …….http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich

1.) der Hinweis auf eine neue IMI-Analyse, zum designierten
EU-Generaldirektion für Verteidigung und Weltraum und seine Rolle bei
den französischen Rüstungskonzernen;

2.) der Hinweis auf eine IMI-Analyse, zum Strategiepapier „Värnkraft
2021-2025“, zur Neuausrichtung des schwedischen Militärs;

3.) eine IMI-Analyse zur Grundsatzrede von Verteidigungsministerin
Kramp-Karrenbauer und ihren Plänen für Deutschland als
interessengeleitete Militärmacht.


1.) IMI-Analyse:  EU-Generaldirektor für Verteidigung und Weltraum

In der neuen EU-Komission (von der Leyen) soll erstmals eine
Generaldirektion für Verteidigung und Weltraum eingerichtet werden.
Frankreich hat den (Rüstungs-)Manager Thierry Breton für diesen Posten
vorgeschlagen, der bereits wichtige industrielle Weichenstellungen für
die Digitalisierung der Streitkräfte begleitet hat. Könnten damit Thales
und Atos zukünftig in einem europäischen Großkonzern für Künstliche
Intelligenz nach dem Vorbild von Airbus aufgehen und wer wären die
deutschen Partner hierbei?

IMI-Analyse 2019/38
(Diese) Industriepolitik ist Rüstungspolitik - Mit Thierry Breton zum
KI-Airbus?
https://www.imi-online.de/2019/11/13/diese-industriepolitik-ist-ruestungspolitik/
Christoph Marischka (13. November 2019)


2.) IMI-Analyse:  Schwedische Aufrüstungsstrategie

Im Mai 2019 legte der schwedische Verteidigungsausschuss den
Abschlussbericht „Värnkraft“ vor. In der darin beschrieben Agenda für
2021-2025 wird die „größte militärische Veränderung der schwedischen
Sicherheits- und Außenpolitik seit 2004“ umrissen. Hauptmerkmale des
Vorschlages umfassen die materielle, personelle und finanzielle
Aufrüstung der schwedischen Streitkräfte.

IMI-Analyse 2019/36
Värnkraft 2021-2025 - Die Neuausrichtung des schwedischen Militärs
https://www.imi-online.de/2019/11/06/vaernkraft-2021-2025/
Christina Boger (6. November 2019)


3.) IMI-Analyse: Sicherheitspolitische Grundsatzrede von
Kramp-Karrenbauer in München

IMI-Analyse 2019/37b
Erneuter Alleingang oder Münchner Konsens 2.0?
Kramp-Karrenbauers Grundsatzrede und ihre Visionen für Deutschland als
globale Militärmacht
https://www.imi-online.de/2019/11/08/grundsatzrede-zur-sicherheitspolitik-erneuter-alleingang-oder-muenchner-konsens-2-0/
Martin Kirsch (8. November 2019/ Überarbeitet am 12. November 2019)

Nach einem eher missglückten Start als Verteidigungsministerin ging
Annegret Kramp-Karrenbauer am 7. November mit einer „Grundsatzrede zur
Sicherheitspolitik“[1] in die sicherheitspolitische Offensive. Im
Audimax der Bundeswehruniversitär in München skizzierte sie ihre
Visionen für „Deutschlands Rolle in der Welt“. Sie erhob Forderungen für
neue Einsätze auf dem afrikanischen Kontinent und im
Indo-Pazifischen-Raum, für die Schaffung eines Nationalen
Sicherheitsrats und die Verstümmlung des Parlamentsvorbehalts – ein
Versuch den vor gut fünf Jahren auf der Sicherheitskonferenz 2014
beschworenen „Münchner Konsens“[2] wieder zu beleben und die Kultur der
(militärischen) Zurückhaltung endgültig zu begraben. Finanziert werden
soll die offensive Sicherheitspolitik durch das Erreichen des 2%-Ziels
der NATO bis spätestens 2031. Ein giftiger Cocktail, der Deutschland als
interessengeleitete, globale Gestaltungs- und damit Militärmacht
positionieren soll.

Persönliche Vorwärtsverteidigung

Seit ihrem Amtsantritt im Juli 2019 war Verteidigungsministerin
Kramp-Karrenbauer mit eher blassen Initiativen, zu freien Bahntickets
für Soldat*innen und zu bundesweiten öffentlichen Gelöbnissen zum
Geburtstag der Bundeswehr am 12. November, in ihr Amt gestartet. Großes
nationales und internationales Aufsehen erlangte Kramp-Karrenbauer dann
Ende Oktober mit ihrem politischen Alleingang, eine Schutzzone in
Nordsyrien einrichten zu wollen. Dabei hatte sie nicht nur auf die
Formulierung konkreter Rahmenbedingungen, sondern auch auf die
Koordination mit internationalen Verbündeten und dem Koalitionspartner
in Berlin verzichtet, was ihr massive Kritik einbrachte. Diese Kritik
bezog sich allerdings zumeist auf die Form ihres Vorstoßes. Inhaltlich
befürwortete die Mehrheit der journalistischen und politischen
Kommentator*innen eine deutsche Initiative im Syrienkrieg.
Die Inszenierung ihrer Grundsatzrede erinnert an die Rede von
US-Präsidenten Obama an der Militärakademie Westpoint im Jahr 2009 –
wenn auch mit deutlich schlechterer Beleuchtung.
Vor zukünftigen Bundeswehroffizier*innen machte Kramp-Karrenbauer ihre
Ambitionen klar, die weit über das Amt der Verteidigungsministerin
hinausreichen. Sie positionierte sich, mit der Erläuterung strategischer
Eckpunkte für eine zukünftige deutsche Sicherheitspolitik, auch im
Rennen um die Kanzlerkandidatur. Die „Ability to Act“ (dt.
Handlungsfähigkeit) benannte sie als zentrale Herausforderung einer
neuen, interessengeleiteten deutschen Sicherheitspolitik. Damit
versuchte sie wohl nicht nur einem sich zunehmend militärisch
gebärdenden deutschen Staat, sondern auch sich ganz persönlich, neue
Ellenbogenfreiheit zu verschaffen.

Freunde, Feinde und Herausforderungen

In ihrer Grundsatzrede schickt sich Kramp-Karrenbauer an „Deutschlands
Rolle in der Welt“ zu bestimmen. Einer Welt, die nach ihrer Auffassung
„aus den Fugen geraten ist.“
Einen relevanten Grund dafür findet sie in der „Rückkehr der Konkurrenz
großer Mächte um Einflusssphären und Vorherrschaft.“ Eine zutreffende
Analyse, der sie allerdings damit begegnen will Deutschland für eben
diesen globalen, machtpolitischen Konkurrenzkampf als großen Player in
NATO und EU fit zu machen.
Als zentrale sicherheitspolitische Herausforderungen nennt sie neben der
„russische[n] Aggression in der Ukraine“ und den „weltumspannenden
Netzwerke[n] des Terrorismus, insbesondere des islamistischen
Terrorismus“ als alten Bekannten auch den „machtpolitische[n] Aufstieg
Chinas“, der im Weißbuch 2016 noch ausschließlich unter ökonomischen
Gesichtspunkten betrachtet worden war. Weitere Herausforderungen seien
gesellschaftliche Phänomene wie „ Klimawandel, Demographie und
Digitalisierung“. Im Bereich der Digitalisierung sieht sie den Cyberraum
als einen Austragungsort neuer Machtkämpfe an. Dieser sei einerseits
durch seine Beschaffenheit ohne „physische Dimension“ per se
geographisch entgrenzt, andererseits allerdings menschengemacht und
durch die notwendige physische Infrastruktur wie Router, Rechenzentren,
Datenleitungen und Satelliten gekennzeichnet. „Und all das verschafft“,
so Kramp-Karrenbauer, „Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gestaltung des
Cyberraums, verschafft Macht und Einfluss, nicht nur auf die digitale
Welt.“ Aufgrund der benannten Bedrohungen und Herausforderungen sei es
Deutschlands Pflicht und Interesse die liberale Ordnung zu schützen, von
der es nach dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein anderes Land profitiert
habe. Daher müsse Deutschland seine Rolle als „Gestaltungsmacht“
annehmen, die es allerdings „nicht zum Nulltarif“ gebe.
In der Aufzählung der Verbündeten Deutschlands räumt Kramp-Karrenbauer
den USA den ersten Platz ein. Mit einem pathetischen historischen Abriss
dessen, was die Vereinigten Staaten für Deutschland getan hätten, kommt
sie zu einem klaren transatlantischen Bekenntnis. So hätten die USA in
den letzten Jahrzehnten einen übergroßen Beitrag für Deutschland
geleistet, das sich auf seiner sicheren Lage im Herzen Europas ausgeruht
habe. Daher sei es auch aus deutschem Interesse an der Zeit die Lasten
jetzt neu zu verteilt.
Erst an zweiter Stelle bringt die Verteidigungsministerin die EU ins
Spiel, für die sie klare Ziele formuliert. Schwerpunkt der deutschen
Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 sei es, „die europäische
Zusammenarbeit in der Verteidigung [zu] verstärken.“ In Abgrenzung zu
Forderungen nach strategischer Autonomie, die nicht nur in Paris,
sondern auch in Berliner Thinktanks gestellt werden, sieht die
Verteidigungsministerin darin die Stärkung des „europäischen Arms
innerhalb der Nato“. So sei „die Europäische Verteidigungsunion immer
auf die Zusammenarbeit mit der NATO ausgerichtet, die der Anker der
Sicherheit Europas“ bleibe. Neben der starken Anbindung an die NATO
brauche eine „selbstbewusste Europäische Verteidigungsunion“ allerdings
einen „Kompass“, um die wirtschaftliche, politische und auch
militärische Stärke der EU zu behaupten. Während die EUropäischen
Institutionen und die kleinen Mitgliedsstaaten – die sie mit keinem Wort
erwähnt – bei dieser Überlegung außen vor bleiben, beschwört sie die
Notwendigkeit eines „starken deutsch-französischen Tandem“, um das
„verzwergen“ EUropas zu verhindern.
Zusätzlich zu diesem EU-Führungsduo sei es eine zentrale Aufgabe trotz
Brexit „kreative Wege [zu] finden, Großbritannien weiter in die
Sicherheit Europas einzubinden.“ Dafür schlägt sie das „E3-Format“,
bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland vor, das sich
für die Atomverhandlungen mit dem Iran gebildet hatte. Dieses will sie
auf der Ebene der Verteidigungsminister*innen als „ Scharnier zwischen
NATO und EU“ weiter institutionalisieren.

Interessen, Gestaltungsmacht und die Ability to Act

Lange wurde in politischen und politikwissenschaftlichen Debatten
behauptet, Deutschland würde sich außen- und verteidigungspolitisch
nahezu ausschließlich werteorientiert verhalten. Eine Floskel, die
intensiv gepflegt wurde, aber nie der Realität entsprach. Dennoch
brauchte es immer eine unterdrückte Minderheit, Frauenrechte oder
sonstige moralisierende Begründungen, um in der Öffentlichkeit einen
Kriegseinsatz der Bundeswehr zu legitimieren. Laut Kramp-Karrenbauer
habe Deutschland deswegen vor allem ein Handlungsproblem. „Wir Deutschen
sind oft besser darin, hohe Ansprüche, auch moralisch hohe Ansprüche zu
formulieren, an uns und an andere, als selbst konkrete Maßnahmen
vorzuschlagen und umzusetzen. Das gilt insbesondere für unsere
militärischen Beitrage, geht aber darüber hinaus.“ Daher sei es jetzt an
der Zeit, ausgehend vom Münchner Konsens mehr „Verantwortung“ zu
übernehmen und das hinter den Aussagen von 2014 stehende Versprechen
einzulösen – die Kultur der (militärischen) Zurückhaltung endgültig zu
begraben.
Während das Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ von 2013, als
sogenannter Elitenkonsens für eine neue deutsche Außenpolitik und
Grundlage für den Münchner Konsens 2014 noch mühevoll versuchte Werte
und Interessen zusammenzuführen, verzichtet Kramp-Karrenbauer auf diese
Anstrengung. Stattdessen positioniert sie sich klar: „natürlich hat
Deutschland wie jeder Staat der Welt eigene strategische Interessen. Zum
Beispiel als global vernetzte Handelsnation im Herzen Europas. Wir
vertreten jeden Tag unsere Interessen. Aber wir müssen endlich anfangen,
das zuzugeben.“ So nutzt sie das Wort „Interessen“ in ihrer Rede
zehnmal, während andere Schlagworte wie „Werte“(4) oder
„Verantwortung“(3) klar in den Hintergrund treten. Um diese Interessen
durchsetzen zu können, gelte es, gerade in Zeiten von Umbruch und
Ungewissheit „wirklich zu führen – und so die Zukunft zu formen.“

Militärische Präsenz von Osteuropa über Afrika bis Ostasien

Bezogen auf die Einsatzgebiete der Bundeswehr ging Kramp-Karrenbauer auf
die Landes- und Bündnisverteidigung, die unter ihrer Vorgängerin von der
Leyen zur strategischen Priorität deutscher Verteidigungspolitik erhoben
wurde, nur am Rande ein. Zwar erwähnte sie, dass Deutschland als
zweitgrößter Truppensteller der NATO und als „einzige
kontinentaleuropäische Nation [mit] Führungsrolle bei der Enhanced
Forward Presence zum Schutz Osteuropas“ Verantwortung übernehme. Dann
widmete sie sich aber vor allem den Auslandseinsätzen.
Hier hob sie deutsche Verdienste in Afghanistan, Mali und dem Irak
hervor – kam aber zu dem Schluss, dass Deutschland mehr leisten müsse.
Zu oft wäre die deutsche Rolle im internationalen Rahmen angezweifelt
worden. Gegen Ende ihrer Rede stellte die Verteidigungsministerin
heraus: „Für Abenteuer war die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik nie
zu haben, und das bleibt auch so.“ Dazu passt weder ihre Forderung aus
dem September, eine europäische Marinemission in der Straße von Hormus –
direkt vor der iranischen Küste – einzurichten, noch ihr Vorstoß aus dem
Oktober bis zu 2.500 deutsche Soldat*innen nach Nordsyrien zu entsenden.
In der Begründung für weitere mögliche Abenteuer betont die
Verteidigungsministerin Frankreichs hervorgehobene Rolle in der
sogenannten Terrorbekämpfung in der Sahelregion, obwohl Deutschland doch
gleichermaßen vom Terrorismus betroffen sei. Am 6. November, einen Tag
vor der Grundsatzrede hatte Kramp-Karrenbauer bereits in einem Interview
mit der Süddeutschen Zeitung betont: „Die Sicherheit in der Sahelzone
ist Teil unserer Sicherheit“.[3] Diese Aussage erinnert nicht zufällig
an die Worte des damaligen Verteidigungsministers Struck, der 2002 zur
Begründung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan behauptete: „Die
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch
verteidigt.“ Der gut informierte Fachjournalisten Thomas Wiegold
vermutet, dass sich hinter dieser Aussage die Vorbereitung weiterer
Bundeswehreinsätze auf dem afrikanischen Kontinent verbirgt.[4] So sind
beispielsweise im Niger, einem Nachbarland von Mali, aktuell deutsche
Elitesoldat*innen ohne Bundestagsmandat mit der Ausbildung nigrischer
Spezialeinheiten beschäftigt. Im Schlepptau einer französischen
Initiative, die sich in Vorbereitung befinde, könnten daraus im Niger
und weiteren Nachbarländern eine sogenannte Mentoring Mission werden.
Wie bereits in Afghanistan würden deutsche Soldat*innen sich nicht mehr
nur auf die Ausbildung in geschützten Lagern konzentrieren, sondern mit
ihren Auszubildenden auch in den Kampf ziehen. Eine perfide Strategie,
um Kontrolle über Armeen in Regionen von strategischem Interesse zu
erhalten und damit auf die Kämpfe Einfluss nehmen zu können, den
deutschen Blutzoll aber extrem zu minimieren.
Ein weiteres mögliches Abenteuer begründete die Verteidigungsministerin
mit der Rolle Deutschlands als Handelsnation und – neben China –
Marktführer in der internationalen Containerschifffahrt. Daher gäbe es
ein besonderes Interesse an freien und friedlichen Seewegen, die
allerdings auch geschützt werden müssten. Hier wäre neben den eigenen
ökonomischen Interessen Deutschlands auch ein „klares Zeichen der
Solidarität“ mit den Partnerstaaten im Indo-Pazifischen-Raum, darunter
Australien, Japan und Südkorea, „aber auch Indien“ von Nöten. Diese
fühlten sich vom Machtanspruch Chinas in der Region zunehmend bedrängt.
Daher sei es „an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen
setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen.“
In dieser Aussage sieht Wiegold einen klaren Hinweis auf die
Vorbereitung einer deutschen „Freedom of Navigation-Mission im
Südchinesischen Meer“.[5]
Dahinter verbirgt sich eine Praxis der US-amerikanischen und der
französischen Marine, regelmäßig mit großen Kriegsschiffen Passagen im
Südchinesischen Meer zu befahren, die sie zum internationalen Seeraum
zählen, China diese aber für sich beansprucht. Sollte sich die
Bundesregierung dazu hinreißen lassen eine solche Mission einzurichten,
wäre dies, neben der Truppenpräsenz an der russischen Grenze, ein
weiteres gefährliches Muskelspiel, bei dem es auch unbeabsichtigt zu
Eskalationsdynamiken kommen könnte.
Während noch nicht absehbar ist, ob Kramp-Karrenbauer ihre Vorstöße für
Nordsyrien und die Straße von Hormus bereits endgültig begraben hat,
brachte sie in ihrer Rede neue Schauplätze für militärische Missionen
ins Spiel. Die jungen Offiziersanwärter*innen im Publikum dürfen also
gespannt sein, welche Abenteuer ihre Verteidigungsministerin für sie
parat hält.

Nationaler Sicherheitsrat und Vorratsbeschlüsse im Bundestag

Ganz im Sinne der von ihr ausgemachten deutschen Interessen, begibt sich
Kamp-Karrenbauer auf den Weg sich die Strukturen zu schaffen, die es für
eine solche neue Interessenpolitik braucht. Dabei beruft sie sich auf
eine Redewendung, die Barak Obama als US-Präsident gegenüber seinen
Mitarbeiter*innen genutzt haben soll: „Don’t admire the problem. Tell me
about solutions.“ (Bewundere nicht das Problem. Verrat mir etwas über
Lösungen.) So gäbe es laut Kramp-Karrenbauer kein „Erkenntnisproblem“,
da es eine Vielzahl von „ klugen Analysen und Strategiepapieren“ gebe.
Das Problem sei vielmehr die Umsetzung, mit der sich schwer getan werde.
Daher macht sie sich auf den Weg im Angesicht der „strategischen
Herausforderungen“ ein paar alte Zöpfe der demokratischen und durchaus
in antifaschistischer Motivation entstandenen Nachkriegsordnung der
deutschen Außenpolitik abschneiden zu wollen.
So will sie den Bundessicherheitsrat,[6] der bisher hinter
verschlossenen Türen ausschließlich über Rüstungsexporte entscheidet, in
einen Nationalen Sicherheitsrat und damit zur sicherheitspolitischen
Schaltzentrale der Bundesregierung umbauen. Dabei beruft sie sich auf
Wolfgang Ischinger, den Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz,
der entsprechende Forderungen schon länger erhebt. Dieser Nationale
Sicherheitsrat solle dann deutsche „Beiträge zur internationalen
Krisenbewältigung schneller und effektiver zur Wirkung bringen.“
Um den Nationalen Sicherheitsrat aber nicht handzahm dastehen zu lassen,
will Kramp-Karrenbauer mit einem weiteren Vorschlag auch die
parlamentarische Kontrolle von Bundeswehreinsätzen auf ein Minimum
zurückstutzen. Ziel dessen sei es, keine „Verzögerungen und
Unsicherheiten über unsere Leistungsbereitschaft entstehen“ zu lassen.
Dafür solle das Parlament dann, das deutet sie zumindest an, für alle
von der UN, NATO oder einer EUropäischen Initiative geführten
internationalen Operationen mit völkerrechtlicher Legitimation
Vorratsbeschlüsse bereithalten – z.B. jährlich die Hand heben, um alle
kommenden Missionen per Wette auf die Zukunft zu beschließen. So soll
der Parlamentsvorbehalt zwar auf dem Papier erhalten bleiben, die
lästige Zeit und Mühe eines Parlamentsbetriebs allerdings eingespart
werden. Zudem ist die parlamentarische Debatte über Mandate – und
Mandatsverlängerungen – für Auslandseinsätze zumeist der Punkt, an dem
eine breitere gesellschaftliche Diskussion stattfindet – über Für und
Wieder des jeweiligen Einsatzes verhandelt wird und auch Gegner*innen
die Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen. An die
Parlamentsdebatten sind darüber hinaus Informationsrechte der
Parlamentarier*innen gebunden, die über Ziele, Zahlen, Orte, Strukturen
und weiteres vor einer solchen Abstimmung informiert werden müssen –
Informationen, auf die eine wirksame Opposition gegen
Interventionspolitik angewiesen ist. Sollten diese Schritte tatsächlich
umgesetzt werden, könnte der Nationale Sicherheitsrat, nach Absprachen
mit Verbündeten und auf Grundlage der parlamentarischen
Vorratsbeschlüsse, deutsche Truppen von einem Tag auf den anderen in
alle Welt entsenden – ohne unmittelbare parlamentarische Kontrolle und
ohne institutionalisierten Aufhänger für eine demokratische Debatte über
deutsche Kriegsbeteiligungen.

Und die Rechnung? – zwei Prozent des BIP bis 2031

Um diese vonseiten der politischen Kontrolle entsicherte Bundeswehr für
die neuen Aufgaben fit zu machen, fordert die Verteidigungsministerin
 mehr Geld – deutlich mehr Geld. Nachdem sich die Regierungskoalition,
getrieben von der CDU, bereits auf einen Verteidigungshaushalt von 1,5%
des BIP in 2024 – nach Prognosen rund 58 Milliarden Euro – „geeinigt“
hat, will Kramp-Karrenbauer mehr. Bereits als CDU-Vorsitzende hatte sie
im Sommer gefordert, die vollen 2% des BIP in Verteidigung zu
investieren. Nun stellte sie von der Regierungsbank einen Zeitplan vor.
Ab 2024 solle der Verteidigungshaushalt kontinuierlich ansteigen, um
dann spätestens 2031 das NATO-Ziel von 2% des BIP zu erreichen.
Korrespondieren würde dieser Anstieg der Rüstungsausgaben dann auch mit
den Rüstungsplänen für die Bundeswehr. Auf der Grundlage von Konzeption
und Fähigkeitsprofil der Bundeswehr von 2018[7] ist geplant bis
spätestens 2031 die Truppenstärke zu steigern und die Vollausstattung
der gesamten Truppe mit neustem Material umzusetzen. Auf diesem Weg
scheint die Verteidigungsministerin, nach Angaben der Zeit, bereits für
2020, die Summe von 50,36 Milliarden Euro als für die NATO relevante
Ausgaben der Bundesregierung nach Brüssel gemeldet zu haben.[8] Damit
wäre die Schallmauer von 50 Milliarden Euro durchbrochen. Der Vorsatz,
bis  2031  das 2%-Ziel der NATO zu erfüllen, würde die Rechnung um
weitere zweistellige Milliardenbeträge erhöhen. Grobe Schätzungen für
diesen Fall ergeben für 2031 Verteidigungsausgaben von rund 75
Milliarden Euro.[9] Neben der verheerenden Wirkung der Aufrüstung, die
mit diesen Unsummen betrieben werden soll, werden die zusätzlichen
Milliarden im Verteidigungsetat in anderen Bereichen der öffentlichen
Finanzen, vermutlich besonders im Sozialbereich, fehlen.

Fünf Jahre nach dem Münchner Konsens

Als Bühne für ihre Sicherheitspolitische Grundsatzrede hatte sich die
Verteidigungsministerin nicht ohne Grund die Universität der Bundeswehr
in München ausgewählt. Einerseits sprach sie dort vor dem
Offiziersnachwuchs der Bundeswehr, den jungen Soldatinnen und Soldaten,
die in Zukunft die Geschicke der Bundeswehr leiten werden. Andererseits
ist die Stadt München seit 2014 zu einem Symbol einer neuen, offensiven
Außen- und Militärpolitik Deutschlands geworden. Hier wurde auf der
2014er Sicherheitskonferenz der sogenannte „Münchner Konsens“ verkündet,
auf den sich Kramp-Karrenbauer offensiv bezieht. Außenminister
Steinmeier, Verteidigungsministerin von der Leyen und Präsident Gauck
einigten sich damals auf die Formel, dass Deutschland sich
sicherheitspolitisch „früher, entschiedener und substantieller
einbringen“ solle. So heißt es in der Grundsatzrede: „Und dieser
parteiübergreifende sogenannte Münchner Konsens prägt auch das Weißbuch
der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der
Bundeswehr aus dem Jahr 2016. Das alles bleibt nach wie vor gültig und
richtig.“ Während die mittlerweile ins Stocken geratenen Vorstöße von
2014, nach der Verweigerung deutscher Bundeswehreinsätze in Libyen und
Syrien, zu versuchen die langjährige „Kultur der (militärischen)
Zurückhaltung“ zu beerdigen, ist Kramp-Karrenbauer in München
angetreten, um sich als tatsächliche Totengräberin zu profilieren. Damit
schlägt sie nicht nur im Bereich der deutschen Außenpolitik Pflöcke ein,
sondern geht auch persönlich volles Risiko, um dem Umfragetief einen
politischen Befreiungsschlag entgegenzusetzen. In Anbetracht dessen
stellt sich die Frage, ob sich die Grundsatzrede als weiterer Alleingang
herausstellt, oder Kramp-Karrenbauer in der Lage ist, diesen Vorstoß zu
nutzen, um den Koalitionspartner unter ihren Vorzeichen an den
Verhandlungstisch zu zwingen. Sollte sich daraus, gut fünf Jahre nach
dem Münchner Konsens ein erneuerter und erweiterter Elitenkonsens
ergeben, wäre dies ein weiterer großer Schritt Deutschlands, sich nach
dem Zweiten Weltkrieg wieder als „handlungsfähige“, interessengeleitete,
globale militärische Macht zu restaurieren.

Anmerkungen

[1] Annegret Kramp-Karrenbauer, Rede der Ministerin an der Universität
der Bundeswehr München, 07.11.19. bmvg.de
[2] Mehr zum „Münchner Konsens“ im Abschnitt „Fünf Jahre nach dem
Münchner Konsens“. Oder: IMI-Analyse 2014/004, Jürgen Wagner, Münchner
Sicherheitskonferenz: Generalangriff der Kriegstreiber, 01.02.2014,
imi-online.de
[3] BMVg, „Die Sicherheit in der Sahelzone ist Teil unserer Sicherheit“,
Interview der Süddeutschen Zeitung mit der Verteidigungsministerin,
06.11.19, bmvg.de
[4] Augen geradeaus!, Thomas Wiegold, Bundeswehr im Sahel:
Wahrscheinlich länger, vielleicht auch anders?, 06.11.2019,
augengeradeaus.net
[5] Augen geradeaus!, Thomas Wiegold, AKK skizziert ihre
Sicherheitspolitik: Mehr Verantwortung, mehr Einsätze, mehr Geld,
06.11.2019, augengeradeaus.net
[6] Der Bundessicherheitsrat ist ein Gremium zur geheimen Abstimmung
über die Genehmigung von Waffenexporten. Er setzt sich zusammen aus
Verteidigungs-, Innen-, Außen-, Wirtschafts-, Finanz-, und
Justizminister*in, sowie Minister*in für Wirtschaftliche Zugsamenarbeit
und Entwicklung, Kanzler*in und Chef*in des Kanzleramtes. Weitere
Ministerien, der Generalinspekteur der Bundeswehr und der Chef des
Bundespräsidialamtes können beratend hinzugerufen werden.
[7] IMI-Analyse 2018/29, Jürgen Wagner, Konzeption und Fähigkeitsprofil:
Bundeswehr-Umbau für den Neuen Kalten Krieg, 10.12.2018, imi-online.de
[8] Zeit Online, Verteidigungsetat könnte auf mehr als 50 Milliarden
Euro steigen, 16.10.19, zeit.de
[9] Ausgehend vom BIP für 2018, mit einer angenommenen jährlichen
Steigerung um ein Prozent, lässt sich ein Näherungswert bilden, der
allerdings nur zur groben Veranschaulichung dienen kann.






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