[IMI-List] [0530] IMI-Analyse: Vertrag Bahn & Bundeswehr / EU-Buch
IMI-JW
imi at imi-online.de
Mo Jan 7 14:04:53 CET 2019
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0530 .......... 21. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser ersten IMI-List im neuen Jahr findet sich
1.) eine IMI-Analyse zum neuen Rahmenfrachtvertrag zwischen Bahn und
Bundeswehr, der es in sich hat;
2.) noch einmal der Hinweis auf das kurzzeitig vergriffene Buch „Die
Militarisierung der EU“.
1.) Buch: Die Militarisierung der EU
Kurzzeitig gab es leider einige Lieferschwierigkeiten für das Mitte
November erschienene Buch „Die Militarisierung der EU“, die aber nun zum
Glück endlich behoben sind. Das Buch kann nun wieder zum Preis von 14,99
Euro (inkl. Porto) gerne unter imi at imi-online.de bestellt werden.
Claudia Haydt/Jürgen Wagner
Die Militarisierung der EU: Der (un)aufhaltsame Weg Europas zur
militärischen Großmacht (BEBUG-Verlag Berlin, 304S)
Weitere Infos (Inhaltsangabe, Rezensionen etc.):
https://www.imi-online.de/2018/12/05/buch-die-militarisierung-der-eu/
2.) Vertrag Bahn & Bundeswehr
IMI-Analyse 2019/01
Bahn frei für die Bundeswehr
Der Rahmenfrachtvertrag für internationalen Schienentransport zwischen
Bahn und Bundeswehr
https://www.imi-online.de/2019/01/07/bahn-frei-fuer-die-bundeswehr/
https://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2019-1-Bahn.pdf
Claudia Haydt (7. Januar 2019)
Seit 1. Januar 2019 führt die Bundeswehr für einen Zeitraum von zwölf
Monaten die „Speerspitze“ der Nato im Baltikum. Zeitgleich trat ohne
größere öffentliche Aufmerksamkeit ein Vertrag in Kraft, der deutlich
macht, mit welcher Entschlossenheit die NATO-Staaten und die
Bundesregierung Vorbereitungen für eine kriegerische Konfrontation mit
Russland treffen. Erstmals sichert sich die Bundeswehr bei der Deutschen
Bahn Transportkapazitäten für Panzer und andere Rüstungsgüter bis an die
Grenze Russlands. Es geht dabei nicht um einzelne Wagen, die an
Güterzüge angehängt werden, sondern um vollständige Züge, von denen im
Verlauf des Jahres 2019 weit über tausend Richtung Osten rollen könnten.
Zu den „Highlights“ des mit fast 100 Millionen Euro dotierten Vertrags
zwischen Bahn und Bundeswehr gehören u.a. die zusätzliche Vorhaltung von
300 Waggons und Lokomotiven mit dem Potenzial für über 1300 jährliche
Transporte sowie die Umkehrung der „Vorfahrt-Regel“: Künftig soll
Militärtransporten erstmals gegenüber dem zivilen Personenverkehr
Priorität eingeräumt werden. Zivile Bahnkunden können sich in diesem
Kontext also möglicherweise auf noch mehr Verspätungen als bisher
einstellen.
Transporte für die NATO-Speerspitze
Die Panzerlehrbrigade 9 aus Munster (Niedersachen) stellt den
Leitverband der NATO-Speerspitze, die im NATO-Jargon VJTF (Very High
Readiness Joint Task Force) genannt wird. Damit stehen 5.000
Bundeswehrsoldaten für einen schnellen Nato-Einsatz gegen Russland
bereit und deutsche Soldaten stünden bei einer kriegerischen
Auseinandersetzung an vorderster Front. Die Bundeswehr stellt für die
NATO-Speerspitze rund 4000 Angehörige des Heeres und 1000 Kräfte anderer
Organisationsbereiche bereit. Um den Aufmarsch nach Osten logistisch
abwickeln zu können, schloss das Verteidigungsministerium noch im
Dezember 2019 einen Vertrag in Höhe von beinahe 100 Millionen Euro mit
der DB Cargo AG (DB) ab.
Der Vertrag[1] wurde auf zwei Jahre abgeschlossen (1.1.2019 bis
31.12.2020) und kann je drei Mal um ein Jahr verlängert werden. Im
Anschluss an die Versorgung der deutschen VJTF Kräfte werden mit diesen
Schienentransportkapazitäten sollen ab 2020 Verlegungen der Initial
Follow-on Forces Group (IFFG) und weitere grenzüberschreitende
Transporte für die Bundeswehr oder für Ihre Verbündeten durchgeführt
werden können. Der Vertrag erwähnt dabei sowohl Transporte für die NATO,
für Staaten, die Mitglied des NATO-Programms Partnerschaft für den
Frieden sind, für die Europäische Union oder die Vereinten Nationen. Es
geht also, jenseits der aktuellen Unterstützung der VJTF-Kräfte, um ein
logistisches Infrastrukturprojekt mit dem internationale
Schienentransporte an unterschiedlichste Ziele – aber besonders im Osten
– durchgeführt werden sollen.
Schneller Transport in den Krieg?
Insgesamt sollen im Rahmen der deutschen VJTF-Führung 2019 etwa 9.700
Soldaten, 150 Kettenfahrzeuge, 3.300 Radfahrzeuge, 1.500 Anhänger und
1.370 Container Richtung Osten verlegt werden. Ein großer Teil dessen
soll auf der Schiene transportiert werden – wie viel genau, gilt als geheim.
Der Vertrag mit der DB soll hohe Verlegegeschwindigkeiten sicherstellen.
Im Jahr 2020 gilt für die VJTF-Phase eine Zielvorgabe von 2 bis 7 Tage,
wobei innerhalb von drei bis vier Tagen die ersten Kräfte das
Einsatzgebiet erreicht haben sollen. Die vertragliche Vorgabe an die DB
sieht Rüstungstransporte innerhalb von maximal 5 Tagen vor.
Ab 2021 soll es dann etwas langsamer aber kontinuierlich weitergehen.
Transporte zur Verlegung von IFFG-Kräften (die jeweils zur Unterstützung
auf VJTF-Kräfte folgen sollen) sind für Zeiträume von maximal 30 Tagen
projektiert.
Die Bundeswehr verfügt für den Materialtransport bereits heute über
Gütertransportkapazitäten. Zu diesen 280 Flachwagen werden nun 300
geeignete Waggons und Lokomotiven von der DB zur Verfügung gestellt und
durchgehend bereitgehalten.
Ziviler Bahnverkehr wird ausgebremst
300 zusätzliche Waggons fürs Militär – das klingt nach einer
übersichtlichen Größenordnung. Doch der Vertrag hat möglicherweise
spürbare Auswirkungen auf den zivilen Gütertransport. Bereits vor
Abschluss des Vertrages scheiterten Bemühungen, den zivilen
Schienenverkehr im Verhältnis zum LKW-Transport stärker auszubauen, an
der maroden Bahninfrastruktur und an der fehlenden Verfügbarkeit von
Bahnwaggons. Immer wieder beklagt die Industrie[2], dass die DB Cargo
nicht genügend Wagen für einen geregelten Materialtransport zur
Verfügung stellt. Eine ökologische Verkehrswende wird unter der
Bedingung, dass nun laut der Beschlussvorlage für den Haushaltsausschuss
des Bundestages zwölf Prozent des europaweit verfügbaren Bestandes an
Flachwagen für die Bundeswehr reserviert sind, wohl noch schwieriger
umsetzbar als zuvor schon. Dennoch haben sich in der entscheidenden
Dezembersitzung im Verteidigungsausschuss, laut Berichten aus diesem
Gremium, nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern auch grüne
Vertreter für den Transportvertrag ausgesprochen.
Darüber hinaus reserviert die DB Transportslots für die Bundeswehr.
Konkret werden für zwei grenzüberschreitende Transporte pro Tag (und
Richtung) Gleistrassen freigehalten und im Fahrplan eingeplant.
Auch im Bereich des zivilen Personenverkehrs könnte der Vertrag damit
Auswirkungen haben – und das in einer Zeit, in der von einem
funktionierenden Bahnverkehr ohnehin nur noch extrem eingeschränkt die
Rede sein kann. Derzeit hat der Personenverkehr auf der Schiene Vorrang
vor dem Güterverkehr. Wenn ein Personenzug unterwegs ist, müssen
Güterzüge auf ein Ausweichgleis. Egal, ob der Personenzug fahrplanmäßig
unterwegs ist oder verspätet. Dieser Vorrang für die zivilen
Personenzüge scheint laut vorliegendem Vertrag gegenüber der Bundeswehr
nun nicht mehr zu gelten. Müssen Bahnfahrer zukünftig aufs Abstellgleis,
damit das Militär fristgerecht seine Kriegsvorbereitungen treffen kann?
Für die VJTF-Phase enthält der Vertrag einen „Express-Zuschlag“ von 5,9
Millionen Euro. Dadurch hat die Bundeswehr grundsätzlich Vorrang. Die
einzige Ausnahme sind Hilfszüge und Rettungszüge.
Beladen werden die Züge an den Standorten Bergen (Niedersachsen; dort
werden auch die 280 Bundeswehr-Flachwagen bereitgestellt) und Deuten
(NRW) und die Entladung der VJTF- und IFFG-Transporte ist in Sestokai
(Litauen) geplant. Von Deuten und Bergen soll pro Tag je ein mit Panzern
und anderen Rüstungsgütern beladener Zug starten können. Als
Grenzübergänge sind zwischen Deutschland und Polen Frankfurt an der Oder
beziehungsweise Kunovice vorgesehen. Zwischen Polen und Litauen geht die
Route über Trakiszki und Mockava. Unternehmen der litauischen und
polnischen Staatsbahn werden als Subunternehmen verpflichtet.
Insgesamt wird für zwei Jahre privilegierten Schienentransport eine
Summe von fast 100 Millionen Euro fällig. Der größte Teil der Kosten
sind Fixkosten, die für die Vorhaltung von Material, Personal und
Trassen anfallen (71 Mio.). Der Expresskostenzuschlag in 2019 kostet wie
bereits erwähnt 5,9 Mio. Euro. Dazu kommen nutzungsabhängige Kosten für
jeden Zug (etwa 21 Mio.). Der Vertrag beläuft sich somit auf insgesamt
97,5 Millionen Euro.
Neue Dimension der Kriegsvorbereitung
Laut Rahmenfrachtvertrag fallen pro Zug 7.942 Euro nutzungsabhängige
Kosten an. Damit wären pro Jahr bis zu 1.322 Zugtransporte möglich. Die
Bundeswehr sichert sich kurzfristige, prioritäre und termingerechte
Schienentransportkapazitäten, die sogar noch deutlich über die
Versorgung der eigenen Kräfte im Baltikum hinausgehen. Diese
Vorbereitungen für einen Aufmarsch nach Osten sind eine
sicherheitspolitisch gefährliche Entwicklung, die zur weiteren
Vertiefung der Konfrontation mit Russland führen kann. Hier wird
offensichtlich auch für den weiteren Aufmarsch von NATO- und
EU-Verbündeten eine Infrastruktur geschaffen. Dass es sich hierbei um
eine Priorität deutscher Politik handelt, zeigte sich bereits in der
Einrichtung des neuen NATO-Kommandos in Ulm und in der deutschen Rolle
beim EU-Programm zum Ausbau der militärischen Mobilität („Military
Schengen“). Mehr Sicherheit bringt dies auf keinen Fall und das Risiko
einer militärischen Konfrontation mit Russland wächst weiter.
Anmerkungen
[1] Griephan Briefe, Ausgabe 50-52/18
[2] DB Cargo hat zu wenig Waggons für Salzgitter AG, Redaktionsnetzwerk
Deutschland, 16.6.2017.
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