[IMI-List] [0527] Sig Sauer: Produktionsverlagerung / IMI-Artikel: Amazon, PESCO, KSK
IMI-JW
imi at imi-online.de
Di Nov 27 17:23:25 CET 2018
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0527 .......... 21. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) Neue IMI-Artikel u.a. zu AMAZON, PESCO und dem KSK;
2.) Ein Artikel zur Verlagerung der deutschen Waffenproduktion in die
USA, u.a. durch Sig Sauer, die kürzlich auch in den Medien thematisiert
wurde.
Zuvor aber noch einmal der Hinweis auf den kommenden IMI-Kongress
„Deutschlands Aufrüstung!“, der am 8./9. Dezember stattfinden wird
(Auftaktveranstaltung am Freitagabend).
Alle, die eine Übernachtungsmöglichkeit (Schlafsack und Isomatte)
benötigen, sollten sich bitte möglichst bald imi at imi-online.de melden.
Alle weiteren Infos zum Kongress finden sich hier:
http://www.imi-online.de/2018/09/07/imi-kongress-2018-deutschland-ruestet-auf/
1.) Neue IMI-Artikel zu AMAZON, PESCO und dem KSK;
In den letzten Tagen sind eine Reihe neuer IMI-Artikel erschienen, u.a.
zur Rolle von AMAZON und der kürzlich eingetüteten neuen Runde von
EU-PESCO-Rüstungsprojekten.
Aus aktuellem Anlass möchten wir auch noch einmal auf den IMI-Standpunkt
2018/033 hinweisen, der sich mit den rechten Umtrieben im KSK befasst:
https://www.imi-online.de/2018/09/28/sieg-heil-rufe-aber-keine-neonazis/
IMI-Analyse 2018/26
Mehr als nur Päckchen
Amazons Rolle in der Militärtechnik und dem Cyber Valley
https://www.imi-online.de/2018/11/23/mehr-als-nur-paeckchen/
Dominik Nicolaj Wetzel (23. November 2018)
IMI-Analyse 2018/25 (Update, 27.11.2018)
PESCO-Rüstungsprojekte
Runde Zwei auf dem Weg zur Europäischen Rüstungsunion
https://www.imi-online.de/2018/11/22/pesco-ruestungsprojekte/
Jürgen Wagner (22. November 2018)
Dokumentation, in: SWR, 21.11.2018
Waffen und Rüstungsgüter „Made in Südwest“
https://www.imi-online.de/2018/11/22/waffen-und-ruestungsgueter-made-in-suedwest/
(22. November 2018)
IMI-Standpunkt 2018/038
(Tarn-)Grüne Förderung von Sprunginnovationen
https://www.imi-online.de/2018/11/21/tarn-gruene-foerderung-von-sprunginnovationen/
Christoph Marischka (21. November 2018)
IMI-Standpunkt 2018/037 (Update, 27.11.2018)
Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der EU
Mit militärischen Mitteln gegen Fake News und Migration?
https://www.imi-online.de/2018/11/16/krisenmanagementuebung-hybrid-exercise-multilayer-18-der-eu/
Alexander Kleiß (16. November 2018)
IMI-Standpunkt 2018/036
Cloud-Anbieter für Bundeswehr, CIA und Pentagon
Ein erstes Update zur These der Transformation Tübingens in einen
Rüstungsstandort durch das Cyber Valley
https://www.imi-online.de/2018/11/05/cloud-anbieter-fuer-bundeswehr-cia-und-pentagon/
Christoph Marischka (5. November 2018)
2.) IMI-Artikel über die Waffenproduktionsverlagerung in die USA, u.a.
durch Sig Sauer
Vor wenigen Tagen berichteten die Medien, der Geschäftsführer der
US-Niederlassung von Sig Sauer, Ron Cohen, sei wegen des Verdachts
illegaler Geschäfte im Zusammenhang mit Produktionsverlagerungen
festgenommen worden.
Die nachfolgende Analyse beschäftigt sich ausführlich mit diesem
hochproblematischen Phänomen:
IMI-Analyse 2018/27
Deutsche Waffen made in USA
Die strategische Produktionsverlagerung von Klein- und Leichtwaffen in
die USA
https://www.imi-online.de/2018/11/27/deutsche-waffen-made-in-usa/
Carlos A. Pérez Ricart und Lotta Ramhorst (27. November 2018)
Deutschland steht in den Rankings der Exportländer von Klein- und
Leichtwaffen zwar noch immer an oberer Stelle, in der letzten Dekade hat
es im internationalen Vergleich allerdings an Bedeutung verloren. Im
gesamten Rüstungsexportbereich ist die deutsche Beteiligung am globalen
Markt in den letzten Jahren gesunken.[1] In der Sparte der Klein- und
Leichtwaffen zeigt sich diese Tendenz aber am deutlichsten: 2017 haben
deutsche Firmen ca. 33.000 Waffen dieser Kategorie exportiert – eine
deutlich geringere Anzahl als die 80.000 exportierten Einheiten im Jahr
2015.[2] Vor diesem Hintergrund beklagt die deutsche Industrie der
Klein- und Leichtwaffen, Deutschland verliere auf dem globalen Markt
seine Wettbewerbsfähigkeit. Das sei vor allem damit zu begründen, dass
die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern eine deutlich
restriktivere Rüstungsexportpolitik habe, was für die deutschen Firmen
einen Wettbewerbsnachteil darstelle.[3]
Einiges deutet allerdings darauf hin, dass sich die deutsche Klein- und
Leichtwaffen-Industrie statt in einer Krise in einem weitreichenden
Transformationsprozess befindet und sich angesichts der wachsenden
Restriktionen neue Wege der Produktion und des Exports sucht – ohne
dabei faktisch seine Vorreiterrolle auf dem globalen Markt zu verlieren.
Ein herausstechender Faktor ist in dieser Hinsicht die Verlegung der
Fabrikation in Rechtsgebiete mit weniger restriktiven
Rüstungsexportkontrollen – wie beispielsweise die USA. Dies geschieht
unter anderem über die Bildung von Holdings, d.h. Finanzgemeinschaften,
die einen Großteil der Aktionen einer Gruppe von Schwester- oder
Tochterfirmen besitzen bzw. kontrollieren. Die Verlegung der
Produktionsstätten ins Ausland vereinfacht für die Rüstungsfirmen
letztendlich den Export in krisengeprägte Drittländer bzw. Staaten mit
schlechter Menschenrechtsbilanz.
Deutsches vs. US-amerikanisches Rüstungsexportkontrollsystem
Deutschland verfügt über eines der strengsten
Rüstungsexportkontrollsysteme der Welt. Das langjährige Engagement
antimilitaristischer Gruppierungen hat dazu geführt, dass die
Bundesrepublik in den letzten Jahren wichtige Mechanismen zur –
zumindest teilweisen – Begrenzung des Waffenexports etabliert hat. Zwar
mangelt es nicht an Beispielen, in denen Vorschriften illegal umgangen
wurden oder die laxe Auslegung der bestehenden Regelungen Lieferungen in
kritische Regionen nicht verhindert haben[4], zumindest auf dem Papier
verfolgt Deutschland aber eine im Vergleich zu anderen Staaten relativ
restriktive Rüstungsexportpolitik. Diese Politik folgt einer Reihe
nationaler, europäischer und internationaler Vorschriften, an die
deutsche Rüstungsfirmen beim Export ihrer Produkte gebunden sind.
Im Gegensatz dazu sind die Regelungen und Kontrollen in den USA deutlich
milder – ein Umstand, der sich unter Donald Trump noch zu verstärken
scheint. So hat der Präsident der Vereinigten Staaten zu Beginn dieses
Jahres in einer offiziellen Stellungnahme die „ökonomische Sicherheit“
zum künftigen Leitfaktor seiner Rüstungsexportpolitik erklärt.[5] Es ist
davon auszugehen, dass speziell dieser Unterschied zwischen den
Rüstungsexportkontrollsystemen Deutschlands und der USA den Umstand
begründet, dass deutsche Firmen begonnen haben, ihre
Produktionsstandorte auf US-Territorium zu verlegen. Die Fälle zweier
Waffenbauer – Sig Sauer und Heckler & Koch – legen diese Interpretation
nahe.
Sig Sauer: Von Eckenförde nach Exeter
Das breite Firmen-Konglomerat um den Waffenproduzenten Sig Sauer – die
2001 gegründete Holding L&O Sig Sauer Verwaltungs-GmbH – besteht unter
anderem aus drei Sig Sauer-Produktionsfirmen in Deutschland, der Schweiz
und den USA: (1) der deutschen Filiale Sig Sauer GmbH & Co. KG mit Sitz
im deutschen Eckenförde; (2) der Schweizer SAN Swiss Arms AG; und (3)
der relativ jungen US-Filiale Sig Sauer, Inc. (ehemals Sigarms), die
1985 gegründet wurde und ihren heutigen Sitz in Newington hat. Die
Holding L&O Sig Sauer Verwaltungs-GmbH verkauft jährlich
Dienstleistungen und Produkte für hunderte Millionen von Euros und
beschäftigt insgesamt um die zweitausend Personen.[6] Ihr Steuersitz ist
das westfälische Emsdetten.
Die US-Firma Sigarms diente anfangs lediglich als Logistikzentrum zum
Vertrieb der vollständig in Deutschland produzierten Waffen auf dem
US-amerikanischen Markt. 1992 begann sie jedoch, in ihrer neuen Fabrik
in Exeter, New Hampshire, auch eines der Top-Sig Sauer-Produkte – die
Pistole P229 – herzustellen. Zunächst wurden die Waffen noch aus
importierten Einzelteilen aus Deutschland zusammengebaut – schließlich
ging man aber dazu über, einige Pistolenmodelle gänzlich in Exeter zu
produzieren.[7] Zu Beginn dieses Jahrhunderts lag die Produktion in
Exeter so bereits bei durchschnittlich 54.000 Pistolen jährlich.[8]
Die strukturelle Verlegung der Sig Sauer-Produktion von Deutschland in
die USA begann 2004 mit einer Reihe von Veränderungen: (1) der
Steigerung der Produktion in den USA, während die Waffenmanufaktur des
Schweizer und des deutschen Sig Sauer-Standortes reduziert wurde; (2)
der Bau einer produktionsstärkeren Fabrik auf US-amerikanischem Boden in
Newington, New Hampshire, der 2014 abgeschlossen wurde und die Fabrik in
Exeter ersetzte; (3) der Inbetriebnahme einer Munitionsfabrik in
Arkansas 2016 mit einer Produktionsfähigkeit von 200 Millionen Patronen
jährlich; und (4) der Umwandlung der alten Fabrikanlage in Exeter in ein
Zentrum für professionelle Schießtrainings (Sig Sauer Academy).
Nach den aktuellsten Zahlen fertigte Sig Sauer zwischen 2013 und 2016 in
den USA einen Jahresmittelwert von 505.000 Pistolen und 63.000
Gewehren.[9] Gleichzeitig wurde auch die Beschäftigtenzahl deutlich
erhöht: von 130 Personen im Jahr 2004 auf 900 im Jahr 2014.[10] Dem
entgegen hat der Standort Eckenförde in Folge des
Umstrukturierungsprozesses an Relevanz für die Produktion der Sig
Sauer-Holding verloren. Während die deutsche Fabrik 2009 noch über 450
Beschäftigte verfügte, sind es heute nur noch knapp 100 und es ist zu
erwarten, dass diese Zahl weiter sinkt.[11] Die Verlegung der Sig
Sauer-Produktion von Deutschland und der Schweiz in die USA ist also
evident.
Die Gründe dafür mögen multipel sein, zwei Erklärungsansätze stechen
aber hervor: einerseits das Streben nach einem besseren Zugang zum
Heimatmarkt der waffenaffinen USA und andererseits die Suche nach
günstigeren rechtlichen Rahmenbedingungen für den Export von Klein- und
Leichtwaffen. Ersteres hat damit zu tun, dass unter Präsident George W.
Bush (2001-2009) eingeführte Protektionsmechanismen internationale
Konzerne in der Vergangenheit vermehrt dazu bewegt haben, direkt in den
USA zu produzieren. Da aber die Protektionspolitik in diesem Sektor
bereits in die 1990er-Jahre zurückreicht, das Übergewicht des
US-Waffenabsatzmarktes ebenfalls kein neues Phänomen ist und der Export
deutscher Rüstungsgüter in die USA bislang nie ein Problem darstellte,
scheint der verbesserte Zugang zum US-Binnenmarkt nicht der Hauptfaktor
für die Verlegung des Sig Sauer-Produktionsstandorts zu sein. Vielmehr
ist anzunehmen, dass diese Entwicklung sich primär über die wachsende
Kluft zwischen den nationalen Rüstungsexportkontrollsystemen
Deutschlands und der USA erklären lässt.[12]
Illegale Dreiecksgeschäfte von Sig Sauer
In den letzten fünf Jahren sah sich der Sig Sauer-Konzern dem Problem
gegenüber, dass er einerseits eine hohe Nachfrage nach Schusswaffen aus
Drittstaaten mit extrem schlechter Menschenrechtslage und daher geringen
Aussichten auf legale Exportchancen aus Deutschland heraus erhielt, und
andererseits die Fabrik in Newington noch nicht fertig gestellt war,
während der Exeter-Standort eine zu geringe Erzeugungsrate aufwies. Die
Deckung der Nachfrage durch die Produktion in den USA und den Export von
US-Territorium aus war also noch nicht möglich. Im Versuch, dieses
Dilemma zu lösen, entwickelte Sig Sauer daher für den Waffenexport
vermutlich eine Struktur für illegale Dreiecksgeschäfte zwischen
Deutschland, den USA und dem jeweiligen Importland. Klarheit über die
Existenz solcher Praktiken wird die Antwort auf die Frage bringen, ob
wegen des illegalen Exports von Pistolen nach Kolumbien ein
Gerichtsverfahren gegen Sig Sauer eingeleitet werden wird oder nicht.
Nach vier Jahren der Ermittlung hat die Staatsanwaltschaft Kiel im April
2018 gegen fünf ranghohe Mitarbeiter des deutschen Sig Sauer-Konzerns
Anklage erhoben. Ihnen wird vorgeworfen, den US-amerikanischen Standort
verwendet zu haben, um zwischen 2009 und 2012 indirekt Pistolen nach
Kolumbien zu exportieren. Die für Rüstungsexportgenehmigungen zuständige
Behörde – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) –
hatte zuvor auf Grund der Sicherheitslage in Kolumbien schon seit 1993
keinen dahingehenden Exportantrag mehr positiv bescheinigt – der legale
Export aus Deutschland wäre also kaum möglich gewesen.
Den Auftrag für die Waffenlieferungen stellte das kolumbianische
Verteidigungsministerium im Rahmen eines Vertrages mit dem US-Militär
zur Ausrüstung der kolumbianischen Nationalpolizei. Auftragnehmer war
das Sig Sauer-Unternehmen in den USA. Die Beweislage deutet darauf hin,
dass die Sig Sauer-Filiale in New Hampshire – weil unfähig, die
Auftragsmenge in Exeter zu produzieren – die Pistolen allerdings aus
Eckenförde importierte. Zwar wurde dieser erste Export vom BAFA
autorisiert – jedoch unter der Auflage, dass der Endverbleibsort die USA
sein würden. Der Weiterexport in ein anderes Land war nicht gestattet.
Nichtsdestotrotz wurde das Geschäft wie geplant abgewickelt. Die genaue
Anzahl der nach Kolumbien exportierten Schusswaffen ist bisher noch
unklar. Während die Staatsanwaltschaft Kiel von 36.628 gelieferten
Waffen ausgeht, berichten kolumbianische Medien von bis zu 100.000
importierten Pistolen des Typs SP2022 und 500 Scharfschützengewehren des
Models SSG 3000.[13] Wie im Fall der Pistolen soll auch die Mechanik der
Gewehre komplett in Eckenförde gefertigt worden sein, während in Exeter
nur noch der Kunststoffschaft angebracht wurde. Die Schusswaffen trugen
zwar die Gravur „Exeter, NH“, die Behörden in Deutschland definieren sie
allerdings trotzdem als deutsche Waffen, die nicht hätten
weiterexportiert werden dürfen.[14]
In einem etwaigen Strafprozess gilt es nun zu klären, ob die
Führungsebene der deutschen Sig Sauer-Firma Kenntnis darüber hatte, dass
der Endabnehmer der exportierten Waffen die kolumbianische
Nationalpolizei sein würde. Viele Belege deuten darauf hin, dass dies
spätestens ab 2009 der Fall war.[15] Wenn auch das Gericht zu diesem
Schluss kommt, könnten fünf Sig Sauer-Manager zu jeweils fünf Jahren
Haft und die Firma zu einer Strafzahlung von bis zu zwölf Millionen Euro
verurteilt werden.[16] Nach neuesten Berichten der Süddeutschen Zeitung
wurde Mitte Oktober bereits einer der fünf Angeklagten – der
Geschäftsführer der US-Niederlassung von Sig Sauer, Ron Cohen –
festgenommen, gegen den seit August 2018 ein europaweiter Haftbefehl
ausgeschrieben war. Das Landgericht Kiel wollte Cohen auf diese Weise
davon abhalten, sich dem möglichen Prozess gegen ihn und seine
Mitangeklagten zu entziehen. Ende Oktober sei der Waffenhändler
allerdings in Folge einer Kautionszahlung in Millionenhöhe zunächst
einmal wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ob es
tatsächlich zu einem Gerichtsprozess gegen Sig Sauer kommt, ist
weiterhin unklar. Erst muss das Landgericht Kiel darüber entscheiden, ob
es die Hauptverhandlung eröffnet oder nicht.[17]
Während der potentielle Strafprozess gegen Sig Sauer nur den
kolumbianischen Fall betrifft, besteht die Vermutung, dass ähnliche
Exportmechanismen auch für die Lieferung von Klein- und Leichtwaffen
nach Kasachstan und in den Irak angewandt wurden. Nach Berichten der
Süddeutschen Zeitung wurden 2005 mehr als 5.000 Pistolen nach Bagdad
geliefert, indem zuvor ebenfalls der Umweg über die USA gewählt
wurde.[18] Für den kasachischen Fall wurde im Oktober 2012 gegen Sig
Sauer ein mittlerweile vor dem Tübinger Landgericht laufender
Justizprozess eingeleitet.[19] Auch für illegale Lieferungen nach
Brasilien, Pakistan und Indien soll Sig Sauer die Zwischenstation USA
gewählt haben, um deutschen Restriktionen zu entgehen.[20] Zudem soll
der Konzern über Phantomunternehmen in Rumänien Waffen nach Venezuela
exportiert haben.[21]
Sig Sauer-Lieferungen nach Mexiko
Den Rüstungsexportberichten der Bundesregierung zufolge hat es in den
letzten Jahren keine Exporte von Klein- und Leichtwaffen von deutschen
Rüstungsfirmen an Mexiko gegeben. Betrachtet man allerdings die
Exportzahlen der US-amerikanischen Sig Sauer-Zweigstelle nach Mexiko,
sieht der Fall anders aus. So wurden 2015 vom Standort in New Hampshire
7.400 Waffen an Mexiko geliefert – darunter über 3.000 Sturmgewehre,
rund 500 Maschinenpistolen und 3.814 Pistolen. Viele dieser Güter wurden
an mexikanische Polizeieinheiten übergeben, die in der Kritik stehen,
strukturell mit kriminellen Gruppen zu kollaborieren.[22]
Darüber hinaus wurde im Januar 2017 bestätigt, dass US-Behörden Anfang
2015 ein Abkommen zwischen der US-Filiale von Sig Sauer und der
mexikanischen Marine genehmigt hatten, in dem für einen Preis von 266
Millionen Dollar der Verkauf von Lizenzen für die Produktion von
Pistolen und Gewehren vereinbart wurde. Der Vertrag sieht den Transfer
von Fertigungstechnologien bis 2024 vor, sodass Sig Sauer-Schusswaffen
direkt in Mexiko produziert werden können.[23]
Der mexikanische Fall untermauert die Vermutung, dass Sig Sauer seine
Produktion zunehmend von Deutschland in die USA verlegt, um so
uneingeschränkter Schusswaffen in Regionen wie Mexiko liefern zu können,
für die es nach den deutschen Regelungen schwierig sein könnte,
Exportgenehmigungen zu erhalten. Zwar ist schwer zu sagen, wie viele Sig
Sauer-Waffen in Mexiko zirkulieren – klar ist aber, dass sie bereits in
aufsehenerregenden Mordfällen in verschiedensten Regionen des Landes zum
Einsatz kamen.[24] Dies unterstreicht einmal mehr die Relevanz, die die
Unternehmensumstrukturierung deutscher Klein- und
Leichtwaffenproduzenten aus friedenspolitischer Sicht hat.
Neue Heckler & Koch-Fabrik in den USA
Im internationalen Vergleich ist Heckler & Koch der zweitwichtigste
Produzent von Maschinenpistolen und der wichtigste für die Herstellung
von Gewehren, Granatwerfern und Militärpistolen.[25] Wie Sig Sauer ist
auch die 1949 im süddeutschen Oberndorf gegründete Heckler & Koch GmbH
inzwischen Teil einer internationalen Holding-Gesellschaft. Das
Firmenkonglomerat H&K AG besteht aus insgesamt acht Heckler &
Koch-Firmen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA.
Heckler & Koch ist in der Vergangenheit mehrfach wegen Korruptionsfällen
und illegalen Waffenlieferungen öffentlich in Kritik geraten. Aktuell
beschäftigen nicht genehmigte Rüstungsexporte des Konzerns nach Mexiko
die deutsche Justiz.
Im August 2017 kündigte die Aktionärsgesellschaft der Heckler & Koch
GmbH jedoch an, die Exporte künftig auf so genannte „grüne Länder“ –
d.h. Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) oder des Atlantischen
Bündnisses (NATO) bzw. gleichwertige Staaten – beschränken zu
wollen.[26] Diese Information wurde von vielen Medien als Versuch
interpretiert, die Reputation des Unternehmens wiederherzustellen.[27]
Der Vorsatz von Heckler & Koch GmbH ist allerdings wenig wert, wenn die
Zweigstelle in den USA, die kürzlich merklich ihre Produktionskraft
erhöht hat, weiterhin Schusswaffen in problematische Drittstaaten
exportiert.
Nur einen Monat nach dem aufsehenerregenden Beschluss einer neuen
Exportpolitik für Heckler & Koch GmbH – im September 2017 – begann die
US-amerikanische Schwesterfirma damit, in ihrem neuen
Produktionsstandort in Columbus, Georgia, halbautomatische Gewehre
herzustellen. Mehrere Anläufe der seit 1976 bestehenden US-Filiale mit
dem heutigen Namen Heckler & Koch Defense Inc., seine Zuständigkeit
neben dem Vertrieb und der Entwicklung auch auf die Produktion von
Heckler & Koch-Waffen zu erweitern, waren in der Vergangenheit
gescheitert. Inzwischen aber wird in der Fabrik in Georgia auch das
Modell HK MR762A1, eines der führenden Produkte von Heckler & Koch,
hergestellt[28], obwohl die Firma anfangs noch angekündigt hatte, den
neuen Standort nur zur Produktion von Sportwaffen nutzen zu wollen.[29]
Die Entscheidung, die Fabrik in Georgia zu errichten, fiel in einer Zeit
merklicher Gewinnverluste des Heckler & Koch-Konglomerats zwischen 2013
und 2015 sowie einer wachsenden Verschuldungsrate des Unternehmens.[30]
Beide Umstände waren neben anderen Faktoren durch die Schwierigkeit
bedingt, in Deutschland Exportgenehmigungen zu erhalten. Selbst jüngste
Großaufträge konnten der Krise nicht beikommen: der Verkauf von mehr als
100.000 Sturmgewehren an die französischen Streitkräfte und von mehreren
tausend G36-Gewehren an die litauische Armee[31] – zusätzlich zu den
Exporten in Millionenhöhe an Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate,
Jordanien und den Libanon.[32] Im Rahmen der Krise kündigte die Firma
schließlich einerseits den Bau der US-Produktionsstätte und andererseits
die Grüne-Länder-Strategie an – zwei Neuerungen, die in einem engeren
Zusammenhang zu stehen scheinen als auf den ersten Blick zu erwarten.
Heckler & Koch begründete seine Expansion in die Vereinigten Staaten wie
folgt: „Die USA sind als grünes Land einer der größten und wichtigsten
Absatzmärkte für die Heckler & Koch Gruppe. Eine logische Folge der
Grüne-Länder-Strategie, auf deren Grundlage wir uns in Form einer
freiwilligen Selbstverpflichtung aus zahlreichen Regionen und Ländern
dieser Welt zurückgezogen haben, ist, dass wir unsere Aktivitäten in den
grünen Ländern ausbauen.“[33] Die neue Strategie von Heckler & Koch
scheint klar: die Exporte aus den deutschen Standorten auf so genannte
„solide“ Staaten zu begrenzen und gleichzeitig die Produktion in den USA
zu erhöhen, wo die Rüstungsexportkontrollen deutlich weniger restriktiv
sind. Wenn Präsident Trump die Exportbedingungen für Klein- und
Leichtwaffen in Zukunft wie angekündigt zudem weiter lockert, erhöht
sich der Paradiescharakter der USA für die Industrie noch weiter:
Exporterleichterungen, ein enormer Binnenmarkt für Rüstungsgüter, eine
waffenaffine Regierung, Zugang zu Innovationstechnologien etc.
Zwar ist es noch zu früh, um mit Sicherheit sagen zu können, dass
Heckler & Koch eine ähnliche Strategie wie die Konkurrenz Sig Sauer
fährt und seine Produktion perspektivisch weitestgehend in die USA
verlegt, u.a. um von dort aus leichter in Drittstaaten exportieren zu
können – vieles deutet allerdings daraufhin. So ist zu erwarten, dass
die US-Filiale in der näheren Zukunft einen großen Teil der globalen
Nachfrage nach Heckler & Koch-Produkten decken wird. Anders ist die
Investition von 23 Millionen US-Dollar für den Bau der Fabrik in Georgia
kaum zu erklären.[34]
Suche nach neuen Aktionsformen
Das relativ funktionstüchtige deutsche Rüstungsexportkontrollsystem
bezieht sich auf traditionelle Exportmechanismen der Klein- und
Leichtwaffenfabrikanten. Mit langjährigem und strategischem Engagement
hat es die deutsche Zivilgesellschaft geschafft, den Kleinwaffenexport
zu einem zentralen Punkt auf der politischen Agenda zu erheben. In den –
nicht unbedingt seltenen – Fällen, in denen das staatliche
Kontrollsystem versagt, bilden sich soziale Koalitionen, die stark genug
sind, Skandale zu erzeugen, die oftmals in einem Strafprozess gegen die
Rüstungskonzerne enden – wenn auch mit erheblicher zeitlicher
Verzögerung. Wegen der zunehmend ungünstigen Bedingungen für die
Kleinwaffenindustrie in Deutschland reagieren die Unternehmen allerdings
mit neuen Strategien – wie der Verlegung der Produktion in die USA.
Angesichts dieser neuen Waffenexportpraktiken, die rein national
orientierte Kontrollmechanismen umgehen, müssen auch die
Rüstungsexportgegner_innen neue Formen des Aktivismus und der
juristischen Anklage entwickeln – auf lokaler, nationaler und globaler
Ebene. Lösungsansätze sollten insbesondere im Bereich des Völker- und
des Handelsrechts gesucht werden. Dabei bleiben einige Fragen offen: Wie
können bereits bestehende rechtliche Regelungen dazu genutzt werden,
Rüstungskonzerne an die Exportvorschriften zu binden, selbst wenn diese
in den USA produzieren? Wie weit reicht der Wirkungsgrad des deutschen
Rechts über eine zwar in den USA, aber mit deutschem Know-How und
Kapital produzierte Waffe? Und wie kann das deutsche System der
Rüstungsexportkontrolle angesichts der neuen grenzüberschreitenden
Exportlogiken wirksam angepasst werden? Hierbei ist ein breites,
transnationales Engagement aus Zivilgesellschaft, Journalismus,
Wissenschaft und nicht zuletzt der Politik gefragt. Gleichzeitig wird es
aber notwendig sein, vor Ort an den jeweiligen Standorten sichtbar zu
machen, dass deutsche Technologie, Kapital und Arbeitskraft ihre
Vor-reiterrolle auf dem internationalen Markt für Klein- und
Leichtwaffen nicht verloren haben und die Profite aus den genannten
Waffengeschäften weiterhin in Deutschland generiert werden.
Anmerkungen
[1] Vgl. Perlo-Freemann, Sam et al.: Trends in International Arms
Transfers, 2015, SIPRI, 02/2016, S. 2.
[2] Wir beziehen uns auf die Zahlen vom United Nations Register of
Conventional Arms für die Kategorie Small and Light Weapons (SALW),
https://www.unroca.org/.
[3] Vgl. Siebold, Sabine: Kaum Exportgenehmigungen mehr: So leidet die
deutsche Rüstungsindustrie, n-tv.de, 19.07.2014.
[4] Für eine Zusammenfassung siehe Friederichs, Hauke: Bombengeschäfte:
Tod made in Germany, St. Pölten: Residenz Verlag, 2012.
[5] Vgl. Trump; Donald J.: „National Security Presidential Memorandum
Regarding U.S. Conventional Arms Transfer Policy, 19.04.2018.
[6] Vgl. Hegemann, Gerhard: Pistolenproduzent setzt wieder auf deutschen
Markt, Die Welt, 22.07.2016.
[7] Vgl. Ferrari, Steve: Is my ‘Made in Germany’ (or West Germany) SIG
Really German?, Real Guns Review, 17.03.2016.
[8] Vgl. Annual Firearms Manufacturers and Export Report (AFMER) von
2002 bis 2004.
[9] Vgl. Annual Firearms Manufacturers and Export Report (AFMER) von
2013 bis 2016.
[10] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian:
Endstation Caracas, Süddeutsche Zeitung, 24.07.2014.
[11] Vgl. Friedrichsen, Matthias: Sig Sauer: in Eckenförde noch eine
Zukunft?, NDR 1 Welle Nord, 20.08.2014.
[12] Vgl. Pérez Ricart, Carlos A./Lindsay-Poland, John: Derechos Humanos
y exportación legal de armas: Estados Unidos y Alemania frente a la
crisis en México (im Druck), 2018.
[13] Vgl. Tagesschau: Illegale Waffenexporte nach Kolumbien, 25.05.2014;
Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian:
Scharfschützengewehre fürs Bürgerkriegsland, Süddeutsche Zeitung,
09.08.2014.
[14] Vgl. Becker, Sven et al.: Pistolen für den Diktator, Der Spiegel 30
(2014), S. 38.
[15] Vgl. Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Anklage gegen
Waffenhersteller, Süddeutsche Zeitung, 12.04.2018.
[16] Vgl. ebd.
[17] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian: Die
Kolumbien-Connection des Sig-Sauer-Chefs, Süddeutsche Zeitung, 22.11.2018.
[18] Vgl. Becker, Sven et al.: Pistolen für den Diktator, S. 39.
[19] Vgl. ebd.
[20] Vgl. ebd.
[21] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian:
Endstation Caracas.
[22] Vgl. Lindsay-Poland, John: Will The United States Massively Arm The
Mexican Military?, Huffington Post, 23.12.2016.
[23] Vgl. Kabisch, Volkmar/Obermaier, Frederik/Obermayer, Bastian:
Endstation Caracas; Secretaria de Marina: Respuesta a solicitud de
información, número de folio 0001300012417, 10.03.2017; bestätigt wurden
die Angaben am 18.01.2017 durch eine Aussage von Julia Friefield
(Assistant Secretary Legislative Affairs) gegenüber Senator Patrick Leahy.
[24] Vgl. Knight, Ben: German gunmaker Sig Sauer faces criminal charges
over Mexico drug killings, Deutsche Welle, 18.08.2015,
https://p.dw.com/p/1GOhQ.
[25] Vgl. Grässlin, Jürgen: Schwarzbuch Waffenhandel: Wie Deutschland am
Krieg verdient, München: Heine, 2013, S. 439.
[26] Vgl. Götz, Uschi/Schmale, Oliver: Waffen nur für Demokraten,
Deutschlandfunk, 12.11.2017.
[27] Siehe z.B. ebd.
[28] Vgl. Tactical-Life: HK to Build MR762A1 Rifles in New Georgia
Factory, 01.03.2018,
https://www.tactical-life.com/firearms/rifles/heckler-koch-mr762a1-rifle/.
[29] Vgl. Waffenbauer Heckler & Koch setzt auf USA, Deutsche Welle,
03.05.2017.
[30] Vgl. Nowak, Inge: Heckler & Koch baut das US-Geschäft aus,
Stuttgarter Zeitung, 15.05.2015.
[31] Vgl. Heckler & Koch: Heckler & Koch erhält G36 Großauftrag aus
Litauen, Pressemitteilungen, 31.08.2016; Heckler & Koch: Großauftrag aus
Frankreich. Heckler & Koch stellt künftiges Sturmgewehr der Franzosen,
Pressemitteilungen, 28.09.2016.
[32] Vgl. Kabinett billigt millionenschweren Waffendeal mit Oman, Zeit
Online, 09.11.2015.
[33] Vgl. Götz, Uschi/Schmale, Oliver: Waffen nur für Demokraten.
[34] Vgl. HK-USA Public Relations: Heckler & Koch to Expand in Columbus,
Georgia, 12.01.2017,
https://hk-usa.com/heckler-koch-expand-columbus-georgia/.
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