[IMI-List] [0503] Bericht IMI-Kongress / Artikel: „2026: Infokrieg NATO vs. Russland“
IMI-JW
imi at imi-online.de
Mi Nov 29 12:23:56 CET 2017
----------------------------------------------------------
Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0503 .......... 20. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
----------------------------------------------------------
Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List möchten wir uns zunächst einmal bei allen bedanken,
die auf die ein oder andere Weise zum Gelingen des aus unserer Sicht
sehr gut verlaufenen IMI-Kongresses „Krieg im Informationsraum“
beigetragen haben!
Für diejenigen, die leider nicht zum Kongress kommen konnten, hier der
Bericht über den Kongress, doch zunächst noch ein Hinweis auf einen neu
erschienenen Artikel, der auf einem beim Kongress gehaltenen Vortrag
basiert:
IMI-Analyse 2017/44
2026: (Informations-)Krieg NATO vs. Russland
http://www.imi-online.de/2017/11/28/2026-informations-krieg-nato-vs-russland/
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2017-44-2026-Infokrieg.pdf
Jürgen Wagner (28. November 2017)
Leider werden die Audios der einzelnen Kongressbeiträge derzeit noch
geschnitten, wir hoffen, sie vielleicht noch diese, spätestens aber
nächste Woche online stellen zu können.
Hier deshalb zunächst einmal die Zusammenfassung des Kongresses:
Bericht vom IMI-Kongress 2017
Krieg im Informationsraum
http://www.imi-online.de/2017/11/29/krieg-im-informationsraum-3/
IMI (29. November 2017)
Dass sich der jährliche Kongress der Informationsstelle Militarisierung
(IMI e.V.) im November 2017 dem „Krieg im Informationsraum“ widmete,
hatte verschiedene Gründe. Der augenfälligste Anlass dürfte die
Aufstellung des Kommandos Cyber- und Informationsraum Mitte 2017 gewesen
sein. Dem zugehörigen Organisationsbereich mit gut 13.000 Dienststellen
steht ein eigener Inspekteur vor, womit er den Teilstreitkräften Heer,
Marine und Luftwaffe nahezu gleichgestellt ist. Darüber hinaus zeigte
sich auch in der praktischen Arbeit der IMI in den letzten Jahren
verstärkt, dass gerade in der internationalen Politik und in Konflikten
wie in der Ukraine und Syrien mit vielfältigen, oft manipulierten
Nachrichten oder Informationen umzugehen ist. Spekulationen über die
Urheber und Motive von Cyberattacken und Leaks sind Teil der Geopolitik
und der verschärften Spannungen zwischen den USA und Russland geworden.
Immer deutlicher zeigen sie ihr Potential, auch zu handfesten
militärischen Konflikten zu eskalieren. Augenscheinlich wurden auch
viele Menschen von diesen Themen angesprochen, in der Spitze fanden bis
zu 140 Zuhörer*innen den Weg ins Tübinger Schlatterhaus.
Die Ausrufung des Informationskriegs...
Ein weiterer Anlass für die Themenwahl war ein wenig beachtetes
Dokument, welches das Europäische Parlament (EP) im November 2016
verabschiedet hatte und das einleitend vorgestellt wurde. Darin wird die
Behauptung aufgestellt, dass sowohl der Islamische Staat wie auch
Russland einen „Informationskrieg“ gegen die Europäische Union führen
würden und dass dieser Teil einer hybriden Kriegführung wäre, „die dazu
dient, die politische, wirtschaftliche und soziale Lage von im Fokus
stehenden Ländern zu destabilisieren, ohne ihnen formell den Krieg zu
erklären.“ Das EP fordert mit Nachdruck auf, diesen „Informationskrieg“
anzuerkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese reichen von der
Finanzierung von Maßnahmen, um im russischen Informationsraum
„unabhängige Medienunternehmen, Denkfabriken und nichtstaatliche
Organisationen insbesondere in der Muttersprache der Zielgruppe“ zu
unterstützen, bis hin zur verstärkten Mobilisierung der Geheimdienste
und der Strafverfolgungsbehörden gegen die Quellen „europafeindliche[r]
Propaganda“ innerhalb der EU. Sowohl bei der Beobachtung „feindliche[r]
Informationsmaßnahmen“ und damit zusammenhängender Finanzströme, als
auch bei der Erarbeitung von Fähigkeiten, diese zu unterbinden, sei eine
enge und kontinuierliche Zusammenarbeit mit der NATO anzustreben.
Die drei anschließenden Vorträge griffen Beispiele bereits jetzt
bestehender Schieflagen in der Berichterstattung durch klassische und
„neue“ Medien auf. Christopher Schwitanski zeigte zunächst anhand einer
Netzwerkanalyse von Uwe Krüger, dass führende Journalisten und
Redakteure sog. Leitmedien, insbesondere der Süddeutschen Zeitung, der
Welt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit eng mit
NATO-eigenen oder Nato-nahen Thinktanks vernetzt sind und sich hieraus
eine wohlwollende Berichterstattung zugunsten des transatlantischen
Bündnisses teilweise erkläre. In der anschließenden Diskussion wurde
ergänzt, dass sich viele Medienschaffende selbst als politische Akteure
verstehen und dabei eher der Elite zugehörig fühlen und deren
Standpunkte vertreten würden. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass
viele Nachrichten nicht auf eigener Recherche vor Ort, sondern auf
Meldungen einer sehr überschaubaren Zahl von Agenturen beruhe, was einer
genaueren Betrachtung hinsichtlich dadurch entstehender Schieflagen wert
wäre.
Joachim Guilliard verglich daraufhin die Berichterstattung über die
Kämpfe um die Stadt Mossul einerseits und Aleppo andererseits. Obwohl
die Stadt Mossul viel umfangreicher zerstört worden und bis heute ein
Großteil der Flüchtlinge nicht zurückgekehrt sei, hätten zivile Opfer
und sonstige Folgen der Luftangriffe in der Berichterstattung keine
große Rolle gespielt. Die schrittweise Einnahme der Stadt durch
Verbündete Deutschlands und der USA sei vielmehr mit Begriffen wie
„Fortschritt“ oder „Erfolg“ konnotiert worden und Bilder siegreicher,
vordringender Bodentruppen hätten dominiert. Ganz anders sei hingegen
die kurz zuvor begonnene Rückeroberung Aleppos durch die syrische Armee
und deren Verbündete dargestellt worden. Dass sich die Offensive nur auf
den Ostteil der Stadt beschränkte, sei zum Beispiel häufig
untergegangen. Im Mittelpunkt standen hier Berichte über zivile Opfer,
häufig von Bildern unterfüttert, die von Organisationen wie den White
Helmets geliefert wurden, die gemeinsame Sache mit den Islamisten
machten. Diese radikal-islamistischen und tw. Al-Kaida-nahen Kräfte
seien beispielsweise vom Spiegel als „Aleppos letzte Hoffnung“
bezeichnet worden.
Jacqueline Andres stellte anschließend eine Studie der NATO zu „sozialen
Medien als Instrument der hybriden Kriegführung“ vor. Darin würden
vorrangig Beispiele der Aktivitäten Russlands, seiner Verbündeten und
des Islamischen Staates in sozialen Medien beschrieben. So sei es der
Syrian Electronic Army gelungen, in den Twitter-Account der Associated
Press einzudringen und dort eine Meldung zu veröffentlichen, nach der
US-Präsident Obama bei zwei Explosionen im Weißen Haus verletzt worden
sei. Obwohl die Falschmeldung schnell entlarvt wurde, gab es an der
US-Börse daraufhin einen rapiden Kursverfall und Milliarden Verluste.
Über vergleichbare eigene Maßnahmen berichte die NATO deutlich weniger,
allerdings enthalte die Studie Angaben, die NATO habe soziale Medien
auch als Quelle für die Zielortung genutzt, so seien etwa im Libyenkrieg
Informationen über Truppenbewegungen von vor Ort an die NATO übermittelt
worden. Abschließend wurde anhand der zwei aus verschiedenen Kontexten
entstandenen Kampagnen zivilgesellschaftlicher Gruppen, „Kony 2012“ und
„#BringBackOurGirls“ beschrieben, wie – vermeintlich für die Betroffenen
vor Ort sprechend – Zustimmung für die umfangreiche Stationierung
US-amerikanischer Truppen auf dem afrikanischen Kontinent generiert wurde.
...die Geheimdienste...
Claudia Haydt sprach anschließend über Leaks und Whistelblowing als
Instrumente der Geopolitik und beschrieb zunächst die Schwierigkeit,
hier auf der Grundlage gesicherter Fakten zu sprechen. Sowohl Quelle,
Echtheit des Materials, Wahrheitsgehalt und tatsächliche Zielgruppe
seien meist unklar. Sie nannte deshalb v.a. Beispiele aus Südkorea, wo
die Einflussnahme der Geheimdienste auf innenpolitische
Auseinandersetzungen mittlerweile gut aufgearbeitet sei. Diese hätten im
Wahlkampf 2012 mit gefälschten Leaks über Twitter und Facebook den
Gegnern der konservativen Präsidentin Park die Zusammenarbeit mit
Nordkorea vorgeworfen. Aufgedeckt wurde dieser Skandal u.a. von einer
kleinen linken Partei, der UPP. Dieser sei daraufhin ihrerseits eine
„Verschwörung zum gewalttätigen Angriff auf den südkoreanischen Staat“
vorgeworfen worden, der mit vermeintlichen Leaks untermauert worden sei.
Es folgten ein Parteienverbot und die Inhaftierung führender Mitglieder.
Auf der anderen Seite seien Informationen über den Ausbau einer US-Basis
in Südkorea über eine US-amerikanische Plattform veröffentlicht worden,
was zu massiven Protesten führte. In die internationale Öffentlichkeit
hätten diese Auseinandersetzungen es kaum geschafft, dafür habe sich
diese zugleich intensiv mit dem sog. Sony-Hack beschäftigt, bei dem
angeblich die Produktionsfirma eines Films in den USA gehackt wurde, der
den nordkoreanischen Machthaber lächerlich machte. Haydt stellte anhand
dieses Beispiels die Frage, ob man nicht viele Themen und Nachrichten
auch als (bewusst oder unbewusst erzeugtes) „Rauschen“ verstehen müsste,
in dem relevantere Nachrichten, wie der Konflikt um den Ausbau von
US-Militärbasen in Südkorea, untergehen.
Anschließend stellte Moritz Tremmel verschieden Aktivitäten der
westlichen Geheimdienste v.a. auf der Grundlage der Snowden-Leaks vor.
Einerseits gäbe es bei westlichen Geheimdiensten die Mentalität „alles
zu sammeln“, also sämtliche Kommunikation zu verfolgen und möglichst
lange zu speichern. Hierzu würden einerseits Kommunikationsdienstleister
wie Microsoft, Google, Yahoo etc. zur Offenlegung der Daten ihrer
Nutzer*innen angehalten bzw. gezwungen. Andererseits würden zentrale
Knotenpunkte weltweiter Kommunikation, wie etwa in Frankfurt, abgehört.
Da es vielen Geheimdiensten untersagt sei, Daten über die „eigenen“
Bürger*innen selbst zu sammeln, würden diese Daten meist über die
Kooperation der Dienste gewonnen und gegenseitig ergänzt. Selbst wenn
diese Überwachung meist auf die Metadaten (Absender, Adressat, Zeit,
Dauer, usw.) fokussiert und nicht die Inhalte der Kommunikation umfasst,
sei dies nicht zu unterschätzen, da Metadaten viel besser automatisiert
auszuwerten seien und auch diese zumindest in einigen Teilen der Welt
Grundlage für Tötungsentscheidungen werden könnten. Neben dieser anlass-
und verdachtsunabhängigen Massenüberwachung existiere noch das gezielte
Hacking, bei dem sich Geheimdienste Sicherheitslücken zunutze machen, um
in die Systeme von Gegner*innen einzudringen und dort u.a. nach
belastendem oder diskreditierendem Material zu suchen. Während man sich
gegen die Massenüberwachung mit Verschlüsselung recht einfach zur Wehr
setzen könnte, erfordere das gezielte Hacking einen äußerst
professionellen Umgang mit IT-Systemen und sei nie vollständig
auszuschließen.
… und der NATO.
Ein weiterer Programmpunkt setzte sich mit der Perspektive der NATO auf
den Informationsraum auseinander. Hierzu wurde von Sven Wachowiak
einführend ein Strategiedokument aus dem Jahr 2007 vorgestellt, in dem
führende Militärs im Bündnis bereits davor gewarnt hatten, dass die
Mitgliedsstaaten die Kontrolle der Informationsflüsse und die Hoheit bei
der Gestaltung der öffentlichen Meinung zu verlieren drohten. Durch eine
eigene Informationsstrategie bzw. Informationsoperationen sei es nötig,
„das Ruder wieder zu übernehmen“, um der Weltöffentlichkeit klar zu
machen, dass es sich bei der NATO um „eine Macht des Guten“ handele für
die es zentral sei, nach einem Ereignis „auf den Bildschirmen präsent zu
sein, bevor es der Gegner ist“.
Hieran knüpfte Jürgen Wagner mit Strategiedokumenten jüngeren Datums an,
in denen ganz klar von „Informationen als Waffe“ die Rede ist. So habe
eine eigene Konferenz stattgefunden, wie mit „Informationskampagnen“
gegen Luftkriegführung umzugehen sei. Als wichtiger Akteur werde dabei
eine sog. „Lawfare-Bewegung“ ausgemacht, die den Einsatz bestimmter
Waffen verbieten will und angeblich von Russland unterstützt werde, weil
dieses die Überlegenheit der NATO-Luftwaffen fürchte. Auch
terroristische Gruppen versuchten, Luftangriffe zu verunglimpfen, indem
sie behaupteten, dass Luftangriffe viele Zivilisten töten würden. Als
dritter Akteur wurden NGOs ausgemacht, von denen einige dazu tendierten,
„jeglichen Einsatz von Gewalt negativ darzustellen“. Diese Konstellation
sei kürzlich auch bei einer gemeinsamen Übung von EU und NATO mit dem
Kürzel PACE durchgespielt worden, bei der simuliert wurde, dass die
zunehmende Präsenz der jeweiligen Seestreitkräfte im Mittelmeer
wachsender Kritik und Cyberangriffen ausgesetzt wären. Akteure waren
hier eine an Russland angelehnte Nation namens Froterre, ein
terroristischer Pseudostaat namens NEXTA und die von Froterre
unterstützte Antiglobalisierungsgruppe AGG, die auf sozialen Medien
gegen die NATO gehetzt und regelmäßig „Krawalle im Gewand von
Demonstrationen“ vorbereitet habe. Über die Gegenmaßnahmen von NATO und
EU gebe das entsprechende Szenario wenig Aufschluss, nach Angaben der
Bundesregierung seien jedoch einzelne Informationsmaßnahmen der Gegner
als Bündnisfall nach Artikel fünf des NATO-Vertrages behandelt worden.
(Un-)Sagbarkeit von Widersprüchen
Den Samstag beendete der Bildende Künstler Franz Wanner mit einem
videografischen Vortrag, der Ausschnitte seiner Filme einbezog. Wanner
hatte sich mit mehreren Rüstungsunternehmen und militärischen
Forschungseinrichtungen auseinandergesetzt und war nach eigenen Angaben
dabei sehr schnell „an Grenzen gestoßen“, solange er sich „an
herkömmliche Quellen gehalten“ hatte. Am Beispiel des Ludwig Bölkow
Campus in Ottobrunn bei München zeigte er, wie die
nationalsozialistische Geschichte und der militärische Charakter des
Ortes verschleiert werden. Während der Campus öffentlich damit werbe,
Studiengänge für „grüne Luftfahrt“ anzubieten, die in Wirklichkeit nicht
existierten, würden hier u.a. Bundeswehrpilot*innen ausgebildet und an
militärischen Drohnen geforscht. Grundsätzlich gehe er der Frage nach,
wie es gelinge, „sich als Gesellschaft selbst als friedfertige
Demokratie zu erleben und gleichzeitig einen ganz expansiven
Militarismus zu betreiben, der sehr viele Felder betrifft.“ In diesem
Zusammenhang verwies er darauf, dass NATO und Bundeswehr bereits seit
Jahren versuchten, eine „Battle Management Language“ zu entwickeln, eine
Sprache für Mensch-Maschine Systeme, die keine Mehrdeutigkeiten und
keine Widersprüche erlaube bzw. kenne.
Cyberwar...
Der Sonntag widmete sich zunächst im engeren Sinne der militärischen
Sicht auf Cyberkrieg und Kommunikationstechnik. Hans-Jörg Kreowski,
emeritierter Professor für theoretische Informatik, gab zunächst einige
Beispiele für erfolgte Cyberattacken, etwa im Kontext des
Georgienkrieges oder Stuxnet, der iranische Gaszentrifugen manipulierte.
In diesen Fällen legt der konkrete Kontext eine Urheberschaft – einmal
Russlands, einmal der USA – nahe, grundsätzlich ließe sich diese jedoch
kaum eindeutig nachweisen. Der Cyberwar bzw. die Vorbereitung hierauf
setze voraus und beinhalte, dass mit viel Geld Sicherheitslücken
aufrechterhalten und gehandelt werden. Die Folgen reichten von
Unbequemlichkeiten etwa durch Verschlüsselungstrojaner auf
Privatrechnern bis hin zu Angriffe „in dramatischem Umfang“ und mit
enormen Ausmaßen, auch hinsichtlich „der Vernichtung von Menschenleben“.
Die hierfür notwendigen Fähigkeiten müssten entwickelt werden und
prägten bereits teilweise das Fach Informatik. „Die ganze Welt rüstet
gigantisch auf“, so Kreowski. Demgegenüber warb er für das Konzept des
„Cyberpeace“. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Fähigkeiten und
Ressourcen, die aktuell in die Vorbereitung des Cyberkriegs fließen, für
die Beseitigung von Sicherheitslücken aufgebracht würden. Das würde
sowohl Gesellschaften und kritische Infrastrukturen wie auch private
Anwender*innen vor militärischen, staatlichen und kriminellen Angriffen
schützen. Abschließend ging Kreowski auf die Begriffsgeschichte ein.
Spionage und Propaganda habe es immer gegeben, im Zweiten Weltkrieg
hätte das Ver- und Entschlüsseln elektronisch übermittelter Daten an
Bedeutung gewonnen und die Grundlage heutiger Geheimdienste gelegt. Die
Absicherung von und Angriffe auf militärische Führungssysteme wären bis
in die 1990er Jahre unter der Bezeichnung „Informationskrieg“ und dann
als „Cyberkrieg“ bezeichnet worden. Heute kehre der Begriff des
Informationskrieges zurück und meine neben der Absicherung militärischer
Kommunikation zunehmend auch Aktivitäten, die auf die Beeinflussung der
öffentlichen Meinung zielen.
… und militärische Landschaften.
Hieran anschließend stellte Christoph Marischka v.a. anhand historischer
Beispiele und mit einem räumlichen Ansatz die
Kommunikationsinfrastruktur von Bundeswehr und NATO vor. Dabei zeige
sich, dass diese bereits in der Vergangenheit einen hybriden Charakter
aufgewiesen habe, indem sie öffentliche Infrastruktur, wie Kabel und
Richtfunkstrecken der Bundespost genutzt und durch zusätzliche eigene
Richtfunkstrecken ergänzt habe. Außerdem sei auch der Strategiewechsel
von NATO und Bundeswehr an der Infrastruktur der Kommunikation
erkennbar. So sei das Führungssystem der Luftwaffe früher deutlich
defensiver ausgerichtet gewesen und habe darauf abgezielt, eindringende
Flugzeuge von Osten zu erkennen und von im Westen Deutschlands gelegenen
Kommandozentralen Gegenmaßnahmen einzuleiten. Heute würde versucht, die
Führungssysteme der verschiedenen Teilstreitkräfte und
NATO-Mitgliedsstaaten zu vereinheitlichen und diese über Satelliten aus
der Ferne zu koordinieren. Auch in diese offensive
Kommunikationsstruktur seien privatwirtschaftliche Unternehmen wie
Airbus und das Deutsche Zentrum Luft- und Raumfahrt (DLR), das sich
gerne einen zivilen Anstrich gibt, eingebunden.
Andreas Seifert stellte sich daraufhin der Frage: „Wer verdient
eigentlich am Cyberkrieg“ und fokussierte sich dabei auf eher kleinere
und unbekannte Firmen. Hierzu stellte er zunächst den Branchenverband
AFCEA vor. In Deutschland stelle sich dieser als „Anwenderforum für
Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung“ vor,
eigentlich stehe die Abkürzung jedoch für „Armed Forces Communications
and Electronics Association“. Viele der beteiligten Unternehmen befänden
sich neben dem Großraum München in Köln und Bonn. AFCEA veranstalte pro
Jahr 20 bis 30 Messen, Konferenzen und Fachforen, an denen sich Menschen
aus dem Militär, der Politik, der Forschung und der Wirtschaft
beteiligen. Kürzlich etwa habe ein solches Forum unter dem Titel
„Automatisierte Meinungsbeeinflussung – Manipulation in offenen Medien“
stattgefunden. Vorgetragen hätten u.a. ein Vertreter des
Verfassungsschutzes zu Social Engineering und ein Soldat des Zentrum für
Operative Kommunikation zum Thema „Bundeswehr und Katzenvideos – Social
Media als militärisches Wirkmittel“. Tatsächlich seien bei AFCEA neben
den Produzenten von Hardware und eingebetteten Systemen auch Firmen
vertreten, die kleinteilige Dienstleistungen im Bereich der Prüfung, des
Managements und der Kommunikation für die Bundeswehr erbringen, wie
Seifert an vielen Beispielen veranschaulichte. Am Beispiel der Drohne
Eurohawk und eines mit DLR und Airbus durch Satelliten erstellten
Höhenmodells der Erde wurde jedoch auch auf IT-Großprojekte eingegangen,
mit denen Unternehmen auf einem Schlag hunderte Millionen Euro
verdienten. Bei einer drastischen Erhöhung des Rüstungsetats sei v.a.
auch davon auszugehen, dass viel Geld in die Ausbildung und zusätzliches
Personal fließen dürfte. Dies bedeute angesichts der Suche nach neuen
Formen der Rekrutierung und des angestrebten „atmenden Personalkörpers“
eben auch die engere Zusammenarbeit mit teilweise kleinen Unternehmen,
die besser – und verstärkt auch personell – einbezogen werden sollten.
Spontan wurde das letzte Panel durch einen Beitrag von Emanuel Matondo
erweitert, der die Folgen des Exports von Überwachungstechnologie aus
Deutschland nach Angola sehr persönlich veranschaulichte. Seit 2005 habe
die angolanische Regierung die zunehmenden Aktivitäten von
Zivilgesellschaft, Opposition und Journalist*innen zunehmend mit Sorge
betrachtet. 2008 sei dann die technische Infrastruktur des
Militärgeheimdienstes spürbar ausgebaut worden und es sei immer wieder
die Rede von deutschen Ingenieur*innen gewesen, die Installationen und
Schulungen in Angola durchführten. Seit dieser Zeit würde auch der
Mobilfunk im Umfeld des Präsidenten gestört, was die Bevölkerung
frustriere. Mittlerweile werde davon ausgegangen, dass Siemens / Nokia
Networks und Rohde & Schwarz aus München führend am Ausbau des
Überwachungsapparates in Angola beteiligt seien. Die Menschen in Angola
wären spürbar eingeschüchtert, gingen seither bei Telefonaten davon aus,
abgehört zu werden, und fühlten sich auch bei ihren Aktivitäten in
sozialen Netzen eingeschränkt.
Widerstand und Gegenöffentlichkeiten
Zum Abschlusspodium „Widerstand im Zeitalter von Cyberwar und
Strategischer Kommunikation“ waren Personen geladen, die im weiteren
Sinne als Medienschaffende zu bezeichnen wären. Anna Hunger, von der
Wochenzeitung „Kontext“, beschrieb die eher klassische journalistische
Arbeit in einer Redaktion, die allerdings klein ist und somit den engen
persönlichen Austausch innerhalb der Redaktion ermögliche. Auch aus
finanziellen Gründen habe diese keine Agenturen abonniert und suche sich
seine Themen dadurch neben der sonstigen Presse auch durch Anrufe und
Schreiben von Leser*innen aus, denen dann nachgegangen werde.
Judith Lauterbach, vom freien Radio Wüste Welle, sah den Unterschied zu
herkömmlichen Medien darin, dass in den Sendungen des freien Radios
unmittelbar betroffene und aktive Menschen zu Wort kämen. Dadurch sei
die Berichterstattung vielleicht einseitig bzw. parteiisch, aber auch
authentisch und glaubwürdig. Auf sog „soziale Medien“ sei zumindest sie
dadurch gar nicht angewiesen und damit auch nicht so stark gefährdet,
Falschmeldungen aufzusitzen. Freie Radios seien ein „Mitmach-Medium“ und
damit Teil einer Demokratisierung der Öffentlichkeit.
Tobias Pflüger als IMI-Vorstandsmitglied, Aktivist und
Bundestagsabgeordneter bezeichnete gründliche Recherche als
Voraussetzung politischer Arbeit, die eben häufig in der Aufbereitung
von Informationen bestehe. Es sei auch immer wichtig, sich Standorte und
Firmen vor Ort anzusehen. Andererseits müsse man auch als
Informationsquelle damit rechnen, von Medien instrumentalisiert zu
werden und sich genau überlegen, wem man z.B. Interviews gibt.
Dass man auch kreativ mit Informationen umgehen kann, zeigte
anschließend ein Aktivist auf, der über Adbusting sprach. Dabei werden
Werbeplakate manipuliert, um ihre ursprüngliche Nachricht umzukehren
oder zu pervertieren. Die Bundeswehr sei hierfür ein sehr dankbarer
Kooperationspartner, sobald sie an die Öffentlichkeit gehe. Sie operiere
mit sehr einfachen Slogans auf der Grundlage positiv besetzter Begriffen
wie „verteidigen“. Würden diese mit negativ konnotierten Begriffen wie
„Ausbeutung“ kontrastiert, wäre das zwar eine Verfälschung der
eigentlichen Nachricht, die der Wirklichkeit aber vielleicht sogar näher
kommt. Als Quelle seien die Aktivist*innen auf alternative Medien
angewiesen und das Adbusting könne diese auch nicht ersetzen, da es auf
sehr kurze, prägnante Aussagen angewiesen wäre, die nicht als Grundlage
für politisches Handeln ausreichten oder den persönlichen Kontakt
ersetzen könnten.
Einen größeren Raum nahmen auch sog. Verschwörungstheorien, die oft von
rechten Spektren verbreitet und vermarktet werden, ein und wie diese von
„verschleierten Wahrheiten“ unterschieden werden könnten. Wenn
Darstellungen Angst machen, Hilflosigkeit vermitteln und eine kleine
Gruppe von Menschen für alles verantwortlich machen, wären das
tendenziell Hinweise auf eine Verschwörungstheorie, so etwa Hunger.
Zugleich handele es sich hier auch um einen Kampfbegriff, der Positionen
und Personen diskreditieren kann und manchmal auch soll. Mehrdeutigkeit
sei jedoch – anders als vom Militär gedacht – ein wesentliches Merkmal
menschlicher Sprache und deshalb der Umgang hiermit eine Notwendigkeit
und ein Teil der Medienkompetenz, die man u.a. in demokratischen Medien
wie freien Radios erlernen kann, wie Lauterbach ergänzte. Dass auch
staatliche Repression mittlerweile spürbar in den öffentlichen Diskurs
einwirkt, sprach Pflüger am Beispiel des Internetportals „Linksunten“
an. Das vage Konstrukt eines nicht existierenden Vereins, der dann
verboten wurde, sei mit Berichten über vermeintliche Waffenfunde
flankiert worden. Die zugrunde liegende Argumentation, dass
strafrechtlich relevante Aussagen hier geduldet wurden, wäre ebenso z.B.
auf Facebook anzuwenden, wo Aufrufe zur Gewalt gerade auch aus der
rechten Ecke alltäglich wären, niemand aber jemals ein Verbot in
Betracht ziehen oder gutheißen würde.
Überraschende Gemeinsamkeiten
In der anschließenden Diskussion wurde u.a. dazu aufgerufen, das
existierende Bild von Medien auf den Kopf zu stellen und dass sich jeder
Mensch als Journalist*in fühlen sollte. Dem wurde allerdings auch im
Sinne einer notwendigen Qualitätssicherung widersprochen. Natürlich
konnte die Abschlussdiskussion keine endgültige Klärung dahingehend
bringen, wie Widerstand in Zeiten des Informationskriegs zu gestalten
sei, jedoch gelang es das gegenseitige Verständnis von Medienschaffenden
und Aktivist*innen zu erhellen. Auch was das Thema „Krieg im
Informationsraum“ anging, wurde während des gesamten Kongresses mehrfach
betont, dass die IMI nur erste Ansätze zu dessen Verständnis sammeln
wollte und konnte. Trotzdem zeigten sich unabgesprochene und
überraschende Parallelen zwischen den einzelnen Zugängen, von denen
einige hier abschließend genannt werden sollen:
1. Dass Gegner, denen Propaganda bzw. Informationskrieg vorgeworfen
wird, identifiziert werden, setzt die Annahme einer eigenen moralischen
Überlegenheit und Wahrheitstreue voraus, die inhaltlich kaum
unterfüttert, sondern eben durch den Verweis auf die Manipulation durch
den Gegner ersetzt wird.
2. Obwohl sich die aktuell mit dem Begriff des Informationsraums
vollzogene Fusionierung von Cyberkrieg und Propaganda bereits länger
vollzieht, werden die Aktivitäten des IS und Russlands derzeit als
wesentliche Legitimationsfigur verwendet, wobei keine qualitative
Differenzierung zwischen beiden Akteuren erfolgt. Westliche und
internationale zivilgesellschaftliche Akteure und ihre Argumente werden
in frappierender Klarheit als deren Komplizen und Werkzeuge dargestellt
und als Feinde im Informationsraum identifiziert.
3. Argumente gegen die eigene Regierung, die EU oder die Nato werden als
bezahlte und gesteuerte Propaganda der Gegner disqualifiziert und in
keiner Weise inhaltlich adressiert.
4. Die Strategische Kommunikation (Propaganda) von EU und NATO wird eher
als „Rauschen“ wahrnehmbar, das Akteure kontinuierlich positiv oder
negativ konnotiert und von Ereignissen größerer Relevanz ablenkt.
5. Beim „Cyber“- und „Informationsraum“ handelt es sich um eine hybride
Infrastruktur, die bereits seit ihrem Entstehen von einem Wechselspiel
staatlicher, privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure
geprägt ist. Der Krieg im Informationsraum politisiert diese Akteure im
Sinne Carl Schmitts: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und wir (egal
wer) sind die Guten.
Mehr Informationen über die Mailingliste IMI-List