[IMI-List] [0497] Aufrüstung im Wahlkampf / Neues KSK-Gelände
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imi at imi-online.de
Do Sep 21 14:01:14 CEST 2017
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0497 .......... 20. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Liebe Freundinnen und Freunde,
bereits in der vergangenen IMI-List haben wir zum diesjährigen
IMI-Kongress „Krieg im Informationsraum“ eingeladen, der von 17.-19.
November, wie immer in Tübingen, stattfinden wird:
http://www.imi-online.de/2017/09/20/krieg-im-informationsraum/
In dieser IMI-List möchten wir auf zwei Texte hinweisen, die sich mit
dem Ausbau bzw. der Neuerschließung von Bundeswehrliegenschaften
beschäftigen:
1.) die Sommerreise der Bundesverteidigungsministerin;
2.) Analyse zum Ausbau des Kommandos Spezialkräfte.
1.) Die Ministerin im Wahlkampf
Auf ihrer „Sommerreise“ besuchte die Bundesverteidigungsministerin
zahlreiche Bundeswehrstandorte und versprach dort jeweils
„Investitionen“ in Millionenhöhe. Die zahlreichen Skandale und
ungeklärten Vorfälle bei der Bundeswehr machten ihr dabei dank
erfolgreicher Informationspolitik nur wenig zu schaffen.
IMI-Analyse 2017/37
Die Ministerin im Wahlkampf
Die „Sommerreise“ und die ungeklärten Vorfälle bei der Bundeswehr
http://www.imi-online.de/2017/09/15/die-ministerin-im-wahlkampf/
Bernhard Klaus (15. September 2017)
2) Neues Übungsgelände für das Kommando Spezialkräfte bei Nagold
Scheinbeteiligung oder „Politik des Gehörtwerdens“?
Das Kommando Spezialkräfte und die Suche nach einem neuen Absprunggelände
http://www.imi-online.de/2017/09/21/scheinbeteiligung-oder-politik-des-gehoertwerdens/
Alexander Kleiß (21. September 2017)
Das Kommando Spezialkräfte (KSK) sucht momentan nach einem neuen
Übungsgelände für Fallschirmsprünge. Der Umgang von Bund und Land mit
den betroffenen Bürger_innen sorgt dabei für Diskussionen. Dieser Text
soll einen Einblick in die politischen Auseinandersetzungen in der
ländlich geprägten Region geben, wobei zunächst auf das KSK, seine
Verflechtungen mit der Bevölkerung und der lokalen Wirtschaft sowie
seine Besonderheiten eingegangen wird, um vor diesem Hintergrund
anschließend die Suche nach einem neuen Absprunggelände und die Politik
der baden-württembergischen Landesregierung und des Bundes zu betrachten
und zu bewerten.
Tief im Nordschwarzwald, zwischen Pforzheim und Stuttgart, liegt die von
23.000 Einwohner_innen bewohnte Kleinstadt Calw. Direkt an die Stadt
angrenzend befindet sich die Graf-Zeppelin-Kaserne und der
Standortübungsplatz, auf dem die Soldat_innen[1] der
Bundeswehr-Elitetruppe KSK stationiert sind. 1.540 Angehörige der
Bundeswehr tun hier ihren Dienst.[2] Der Anteil der Kommandosoldaten ist
nicht genau bekannt, wird jedoch mit ungefähr 400 beziffert. Das KSK
wurde 1996 gegründet und ist offiziell vor allem für die Evakuierung
deutscher Staatsbürger_innen in Krisengebieten, Kommandoeinsätze im
feindlichen Gebiet, die Festnahme von Kriegsverbrecher_innen, Aufklärung
und Militärberatung zuständig. Tatsächlich wurde es in den letzten
Jahren jedoch hauptsächlich im „Krieg gegen den Terror“ eingesetzt.
Terrorverdächtige werden dabei gezielt getötet – die Unschuldsvermutung
gilt in diesem Fall nicht.[3] Operationen, Training, Identität und Zahl
der Elitekämpfer unterliegen strengster militärischer Geheimhaltung. Die
Öffentlichkeit und selbst der Bundestag werden nur unzureichend über
Einsätze des KSK informiert.[4] Über Tötungen gegnerischer Kämpfer_innen
oder Zivilist_innen durch das KSK und eigene Verluste gibt es keine
offiziellen Angaben. Eine parlamentarische Kontrolle, wie sie eigentlich
gesetzlich vorgesehen wäre, ist somit nicht möglich. Durch die
Geheimhaltung gibt es auch kaum Verflechtungen zwischen KSK und den
Einwohner_innen Calws. Die Kommandosoldaten, die zum Teil mit ihren
Familien in Calw leben, gehen mit ihrer Tätigkeit sehr diskret um.[5]
Calw blickt auf eine lange Tradition als Militärstandort zurück. Vor der
Gründung des KSK war in der Graf-Zeppelin-Kaserne ab 1961 die
Luftlandebrigade 25 stationiert, die 1996 aufgelöst wurde und daraufhin
teilweise im KSK aufging. Vor 1996 gab es mehr Kontakt zwischen
Soldat_innen und Calwer Bürger_innen.
Bedeutung des Militärs für die lokale Wirtschaft
Sowohl Lokalpolitiker_innen und Gewerbetreibende als auch KSK-Vertreter
betonten in der Vergangenheit immer wieder die wirtschaftliche Bedeutung
des KSK für Calw und die Region. Inwiefern das weitgehend isolierte KSK
tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft der Kleinstadt
hat, ist u.a. wegen der Geheimhaltung schwer nachvollziehbar. Das
Militärgelände blockiert wirtschaftlich nutzbare Flächen im Osten der
Stadt und ob das KSK „ein weltweiter Werbeträger für die Stadt“[6] ist,
wie vom Vorsitzenden des Calwer Gewerbeverbandes behauptet, ist
angesichts des eher negativen Images des KSK, das auch immer wieder
durch rechtsradikale Entgleisungen auffällt[7], zweifelhaft. Dennoch
profitiert die lokale Wirtschaft vom KSK, vor allem von Neubauten auf
dem Kasernengelände. Entsprechende Aufträge würden bevorzugt „an
Unternehmen in der Region“ vergeben, wenn dies „zulässig und erlaubt“
sei, so der damalige KSK-Kommandeur Dag-Baehr bei der Verleihung des
Calwer Löwen, einer Auszeichnung durch den Calwer Gewerbeverband im
Januar 2017.[8] Die Würdigung des KSK durch die lokale Wirtschaft
verdeutlicht die Verflechtungen zwischen Militär und regionalen
Unternehmen, die von der Militärpräsenz profitieren. In Calw ist in Form
der Kissling Elektrotechnik GmbH auch ein Unternehmen ansässig, dessen
Produkte in Panzern und gepanzerten Fahrzeugen der Bundeswehr verbaut
werden. Ob es eine Kooperation zwischen dem KSK und Kissling
Elektrotechnik gibt, ist nicht bekannt. Es wäre jedoch durchaus möglich,
da das KSK sich selbst als eine Art „Versuchslabor“ der Bundeswehr
betrachtet, in dem neue Waffensysteme als erstes erprobt werden
sollen.[9] In der Gesamtheit profitieren von der KSK-Präsenz jedoch vor
allem einzelne Unternehmen im Bau- und Rüstungsbereich. Es ist jedoch zu
bezweifeln, ob das KSK darüber hinaus substanziell für nachhaltige und
branchenübergreifende Gewinne in der Region sorgt.
Ausbau des Militärstandorts Calw
Der Standort Calw war neben den Standorten Donaueschingen und Stetten am
kalten Markt der einzige Militärstützpunkt, der im Zuge des neuen
Stationierungskonzepts 2011 eine Aufwertung erfuhr. Während
Donaueschingen von 750 auf 870 Dienststellen nur geringfügig anwuchs und
sich Stetten am kalten Markt nur wegen der Verlegung von Bataillonen,
die zuvor in den mittlerweile aufgegebenen Standorten Immendingen und
Sigmaringen stationiert waren, vergrößerte, erfuhr Calw eine Erhöhung
von 1330 auf 1540 Dienststellen, die nur auf eine allgemein gestiegene
Bedeutung von Spezialkräften zurückgeführt werden kann.[10] Das KSK ist
somit in Baden-Württemberg die einzige Einheit, der in ihrer Bedeutung
und den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen eine tatsächliche,
relevante Aufwertung zuteil wurde. Dies manifestiert sich auch in Form
zahlreicher Investitionen am Standort Calw. Der Bundestagsabgeordnete
Hans-Joachim Fuchtel schätzt, dass „in den vergangenen 20 Jahren mehr
als 100 Millionen Euro in den Standort Calw investiert worden sind“.[11]
Allein im Zeitraum zwischen 2012 und 2016 seien 17,5 Millionen Euro für
die Infrastruktur der Graf-Zeppelin-Kaserne ausgegeben worden, so das
Verteidigungsministerium. Laufende Kosten sind hier nicht mit
einberechnet.[12] Hinzu kommen nun neue Investitionen: Momentan entsteht
auf dem Gelände der Graf-Zeppelin-Kaserne ein multifunktionales
Trainingszentrum, das nicht nur Sporthallen und ein Hallenbad umfasst,
sondern ein komplexeres Bauvorhaben ist, in das eine erhebliche
Geldsumme fließt. So werden z.B. Möglichkeiten geschaffen, den Absprung
aus einem Hubschrauber in ein Gewässer – auch bei hohem Wellengang – zu
simulieren, wofür ein entsprechend großes und tiefes Becken, ein hoher
Sprungturm und moderne Technik benötigt wird. Außerdem sind
physiotherapeutische und sportmedizinische Einrichtungen Teil des neuen
Trainingszentrums. Auch der Rumpf eines Flugzeugs wurde zu
Trainingszwecken nach Calw gebracht. Außerdem werden momentan die
Unterkünfte der Spezialeinheit ausgebaut, da diese zu klein und nicht
ausreichend seien. Dieser Umbau soll bis 2023 dauern, was auf einen
hohen Umfang der Baumaßnahmen hindeutet. 2018 soll ein neues,
vorgelagertes Wachgebäude fertiggestellt werden, wodurch sich der
umzäunte Militärbereich vergrößert. Bisher zivil genutztes Stadtgebiet
wird zur militärischen Sperrzone.[13]
Die Suche nach einem neuen Übungsgelände für Fallschirmsprünge
Besonders kontrovers diskutiert werden jedoch die Planungen für ein
neues Gelände, auf dem die Kommando-Soldaten den Absprung aus Flugzeugen
und Helikoptern üben sollen. Bisher trainierte das KSK die Absprünge an
mehreren Orten, wie in Calw selbst oder auf anderen Truppenübungsplätzen
der Bundeswehr oder verbündeter Staaten, aber auch an Orten, die nicht
als militärische Sperrzone gelten, so z.B. an der Nagoldtalsperre oder
in Wendelsheim bei Tübingen. Offiziell wurden Absprungübungen aber vor
allem auf dem Flugplatz Renningen-Malmsheim im Kreis Böblingen
durchgeführt. Direkt angrenzend befindet sich jedoch das Zentrum für
Forschung und Entwicklung der Firma Bosch, das rund 1700
Arbeitnehmer_innen beschäftigt. Da das Forschungszentrum ausgebaut wird,
soll das KSK weichen und sucht nun nach einem neuen Absprunggelände.
Dabei wird verschwiegen, dass das KSK die Absprünge bereits an
zahlreichen anderen Orten trainiert und das auch zukünftig tun könnte.
Auf dem neuen Absprunggelände sollen das KSK und US-Streitkräfte jeweils
60 Tage im Jahr trainieren. Bei 120 Übungstagen pro Jahr würde dort
durchschnittlich jeden dritten Tag geflogen werden. Hauptsächlich sollen
die großen Transportflugzeuge Transall C-160 und Hercules C-160 sowie
Hubschrauber und kleinere Flugzeuge eingesetzt werden.[14] Die
Lärmbelastung für die benachbarten Gemeinden wäre voraussichtlich sehr
hoch, ist bisher jedoch kaum kalkulierbar.
Gemeinsam mit dem Bund machte sich das Land Baden-Württemberg auf die
Suche nach einem neuen Übungsgelände und nahm dabei 38 Standorte in die
engere Auswahl. Favorisiert wird der Segelflugplatz Haiterbach-Nagold,
der bisher durch den Flugsportverein Haiterbach/Nagold zivil genutzt
wird. An den Tagen, an denen die Bundeswehr den Flugplatz nicht durch
Militärübungen blockiert, könnte der Flugsportverein ihn weiterhin
nutzen. Dies wäre eine zivil-militärische Zusammenarbeit, die allerdings
asymmetrisch gestaltet wäre, weil die Bundeswehr letztendlich
entscheiden würde, wer wann den Flugplatz nutzen darf. Im Gegenzug würde
der Flugsportverein eine besser ausgebaute Start- und Landebahn
erhalten, die das KSK jedoch ohnehin benötigt.
Durch den Ausbau des Flughafens und den anschließenden Übungsbetrieb
könnte es zu Umweltschäden kommen. Im Zuge des
Planfeststellungsverfahrens ist eine Umweltverträglichkeitsstudie
geplant. Der Obst- und Gartenverein Haiterbach (OGV), der sich in
direkter Nachbarschaft zum Flugplatz befindet, lehnt das
KSK-Übungsgelände aus Natur-, Arten- und Lärmschutzgründen ab. Der OGV
habe selbst viele Naturschutz-Auflagen, wie einen 800 Meter breiten
Pflanzenring für Brutvögel, erfüllen müssen. Der Fluglärm löse
Fluchtinstinkte bei mehreren vom Aussterben bedrohten Vogelarten – vor
allem Greifvögeln und Streuobstvögeln – aus. Außerdem habe sich der OGV
als direkt betroffener Verein nach eigenen Angaben bei der Planung
übergangen gefühlt.[15]
Das neue Absprunggelände soll eine Fläche von 55 Hektar umfassen.
Hierfür müsste der bisherige Flugplatz erheblich erweitert werden. Die
dafür erforderlichen Flächen befinden sich momentan im Besitz von etwa
50 verschiedenen Eigentümer_innen. Hauptsächlich handelt es sich dabei
um landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Davon werden allein 39 Hektar
von den drei Landwirten Gerd Walter, Rudolf Sautter und Stefan Brezing
bewirtschaftet. Sie stehen vor einem existenziellen Problem. Von der
Landsiedlung (einer GmbH des Landes Baden-Württemberg, die für
Immobilienangelegenheiten zuständig ist), die als Verhandlungspartner
fungiert, wurden zwar Ersatzflächen angeboten; diese sind jedoch weiter
entfernt von den Höfen der Landwirte und wären somit durch die weiteren
Wege nicht wirtschaftlich. Außerdem würde das zusammenhängende
Anbaugebiet zersplittert. Sogar die Verhandlungspartner_innen der
Landsiedlung, die für das Land verhandeln und somit eigentlich auf der
Gegenseite stehen, halten die geforderten Gebietsabtritte für
existenzgefährdend. Die drei Landwirte möchten ihre Böden, die zu den
fruchtbarsten in der Region gehören, nicht verkaufen. Anfangs beteuerten
Regierungsvertreter_innen, Enteignungen werde es nicht geben.
Mittlerweile wird der Druck auf die Grundeigentümer_innen erhöht und
Enteignung als letztes Mittel angedroht. Die Landwirte lassen sich davon
jedoch bisher nicht einschüchtern.[16]
Widerstand gegen das Übungsgelände
In der ländlichen Region formiert sich Widerstand. Schon kurz nach dem
Bekanntwerden des Projekts gründete sich die Bürger_inneninitiative (BI)
„Kein Fluglärm über Haiterbach und für einen Bürgerentscheid“. Die
Mitglieder dieser BI engagieren sich in erster Linie nicht aus
antimilitaristischen Gründen gegen das Absprunggelände des KSK, sondern
vielmehr wegen des zu befürchtenden Fluglärms, Bedenken bezüglich des
Umweltschutzes und zur Unterstützung der von Enteignung bedrohten
Landwirte. Ziel der BI ist die Verhinderung des Absprunggeländes bei
Haiterbach, was bestenfalls durch einen Bürgerentscheid erreicht werden
soll. Problematisch daran ist jedoch, dass die Entscheidung über die
Realisierung des Absprunggeländes auf Bundesebene – konkret: beim
Luftfahramt der Bundeswehr – getroffen wird. Im Zuge des
Genehmigungsverfahrens würden externe Gutachten zu Naturschutz,
Lärmschutz, Wasser- und Bodenschutz etc. erforderlich. Die betroffenen
Kommunen haben ein förmliches Anhörungsrecht, verfügen jedoch über
keinerlei Entscheidungskompetenzen. Das Land Baden-Württemberg habe nach
eigener Aussage keine Möglichkeit, direkt Einfluss zu nehmen, wirke aber
unterstützend bei der Suche nach einem Gelände mit.[17] Insofern hätte
ein Bürger_innenentscheid auf Kommunalebene keinen direkten Einfluss auf
die Entscheidung, die letztendlich bei der Bundeswehr selbst liegt. Ein
Bürger_innenentscheid auf Kommunalebene über die Positionierung des
Gemeinderats, der zumindest ein Anhörungsrecht hat, wäre aber die
einzige formale Möglichkeit der Einflussnahme durch die betroffenen
Bürger_innen und die BI. Mit der Durchsetzung eines ebensolchen
Entscheids auf Kommunalebene erreichte die BI Ende Juni einen ersten
Teilerfolg. Durch den Entscheid, der am 24. September 2017 im Zuge der
Bundestagswahl durchgeführt werden soll, wird geklärt, ob die
Kommunalverwaltung von Haiterbach alles rechtlich Mögliche tun soll, um
das Absprunggelände zu verhindern. Würde der Entscheid gegen das
Absprunggelände ausfallen, dürfte der Gemeinderat für drei Jahre auch
keine Entscheidungen mehr zugunsten des Absprunggeländes treffen. Die
militärische Nutzung des Flugplatzes könnte dann zwar trotzdem durch die
Bundeswehr erzwungen werden, möglicherweise würde eine ablehnende
Haltung der Kommune jedoch zu einem Umdenken führen.
Ein Umdenken bezüglich der Wahl des Ortes für das Absprunggelände ließ
sich bereits direkt nach der Bekanntgabe eines Bürger_innenentscheids
beobachten: Auf dem Beteiligungsportal wurde eine Liste von alternativ
infrage kommenden Standorten veröffentlicht, wobei Haiterbach/Nagold
nach wie vor als Favorit dargestellt wurde.[18] Die Suche nach
Alternativen scheint jedoch wieder in Gang gekommen zu sein, was für die
BI einen Teilerfolg darstellt. Die Inbesitznahme ziviler Flächen durch
das Militär wird damit allerdings nicht grundsätzlich hinterfragt und
schon gar nicht langfristig verhindert. Ob die Bundeswehr sich traut,
das Absprunggelände auch gegen wachsenden Widerstand aus der Bevölkerung
vor Ort durchzusetzen, wird dennoch eine spannende Frage bleiben.
Gefahren der Militarisierung
Die Bürger_innen in Haiterbach und Umgebung haben gute Gründe, sich
gegen die Militarisierung des zivilen Flugplatzes zu wehren. So gibt es
noch weitere Punkte, die gegen eine Mitnutzung des Flugplatzes durch die
Bundeswehr sprechen, die aber bisher noch nicht in der Argumentation der
Gegner_innen des Absprunggeländes auftauchen: Eine kleine Anfrage der
Partei Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag ergab, dass Flugzeuge in
Deutschland immer wieder Kerosin während des Fluges ablassen. Dies
passiert beispielsweise, wenn ein_e Pilot_in das Flugzeug landen muss,
obwohl noch Treibstoff in zu hoher Menge an Bord ist, sodass eine
Landung wegen des hohen Gewichts unsicher wäre. Allein militärische
Flugzeuge ließen im Zeitraum 2010-2015 mindestens 220 Tonnen Kerosin im
Flug ab. Dies kann schwerwiegende Umweltschäden verursachen. Die
Bundesregierung schreibt hierzu: „Flugzeugtreibstoffe sind chemische
Mineralölkohlenwasserstoffe, die in hohen Konzentrationen toxisch für
Mensch und Umwelt wirken. […] Flugturbinenkraftstoff wird als schwach
giftig für Säugetiere und Vögel eingeschätzt. Er kann Benzol enthalten,
dessen Kanzerogenität [Anmerkung des Autors: Potenzial einer Chemikalie,
einen Tumor auszulösen] nachgewiesen wurde. Verunreinigungen von Grund-
und Oberflächenwasser durch Flugturbinenkraftstoff können erhebliche
Auswirkungen auf die Trinkwassergewinnung, den chemischen Zustand dieser
Gewässer oder den ökologischen Zustand der Oberflächengewässer haben,
sofern relevante Mengen ins Grundwasser gelangen.
Flugturbinenkraftstoffe sind Kohlenwasserstoffgemische, die in der
Hydrosphäre biochemisch nicht oder nur schwer abbaubar sind.“[19] Dieses
Thema könnte die Region um Nagold zukünftig beschäftigen, wenn
Militärflugzeuge dort etwa jeden dritten Tag fliegen.
Hinzu kommt, dass es beim Training der Luftwaffe immer wieder zu
Unfällen kommt, die teilweise tragisch enden. Ein besonders tragischer
Fall ereignete sich 1988 auf einem Flugplatz bei Eggenfelden, der
hauptsächlich zivil, aber auch militärisch genutzt wird. Beim Training
für eine Flugshow spießte ein Kampfjet der Bundeswehr einen Hobbyflieger
auf. Im Tiefstflug nahe der Schallgeschwindigkeit erfasste der „Tornado“
den zivilen Motordrachen. Der Pilot war sofort tot. Es konnte nicht
geklärt werden, ob die Bundeswehr oder der Tower des Flugplatzes am
Crash schuld waren. Klar ist jedoch, dass den Hobbyflieger keine Schuld
trifft. Ein Augenzeuge hatte den Eindruck, dass die „Herren von der
Luftwaffe mal zeigen wollten, was sie können“[20] – ein fahrlässiges
Verhalten mit fatalen Folgen, auch für die Hinterbliebenen des Hobbypiloten.
Derartige Fälle sind zwar relativ selten, aber gerade im Falle eines
Absprunggeländes für das Kommando Spezialkräfte, das für riskante,
geheime Operationen bekannt ist, nicht gänzlich unwahrscheinlich. Im
August dieses Jahres kam es zum Beispiel zu einem kleineren Unfall durch
einen hochmodernen Hubschrauber des Kommando Spezialkräfte bei
Schemmerhofen im Landkreis Biberach. Mit den Rotorblättern kappte die
Militärmaschine eine Überlandleitung, woraufhin es in mehreren Gemeinden
zu Stromausfällen kam. Die Ursache ist bisher nicht abschließend
geklärt, es deutet jedoch einiges darauf hin, dass „der Pilot
möglicherweise versuchte, in einem waghalsigen Manöver unter der
Hochspannungsleitung hindurch zu fliegen. Ein solches Flug-Experiment
würde den Dienstvorschriften widersprechen.“[21] Der Gemeinde Haiterbach
und den umliegenden Gemeinden würden möglicherweise ähnliche Szenarien
drohen.
Legitimation und Scheinbeteiligung
Mehrere Lokalpolitiker_innen, u.a. der Bürgermeister von Haiterbach
versuchen, das unbeliebte Projekt dadurch zu legitimieren, dass sie vom
Bund eine Gegenleistung für die militärische Nutzung des Flugplatzes
erwarten. Diese Gegenleistung könnte z.B. aus dringend nötigen
Infrastrukturmaßnahmen wie neuen Straßen bestehen. Problematisch daran
ist, dass der Bund oder das Land Baden-Württemberg derartige
Infrastrukturprojekte beliebig gewähren oder verhindern können. Dasselbe
gilt für die Auswahl des Absprunggeländes: Diese Entscheidung wird auf
Bundesebene durch die Bundeswehr bzw. durch das Verteidigungsministerium
selbst getroffen. Die betroffenen Kommunen haben also keine gute
Verhandlungsposition. Vielmehr befinden sie sich in einer
Bittstellerrolle. Außerdem wird in dieser Form der Legitimation des
Absprunggeländes ausgeklammert, dass es viele gute antimilitaristische
und friedenspolitische Gründe gibt, gegen das KSK zu sein (s.o.). Diese
Gründe werden – selbst im Falle eines Abkommens zwischen den Kommunen
und dem Land über neue Infrastruktur – keineswegs entkräftet, sondern
schlicht ignoriert.
Häufig soll eine Legitimation für das Absprunggelände durch den Verweis
auf die umfassende Bürger_innenbeteiligung zum frühestmöglichen
Zeitpunkt des Verfahrens[22] hergestellt werden. Genau genommen handelt
es sich jedoch nicht um Bürger_innenbeteiligung im engeren Sinne,
sondern vielmehr um eine Informationsoffensive, um den politischen Kurs
der Regierenden besser rechtfertigen zu können und bei den Betroffenen
ein Gefühl der Beteiligung herzustellen. Im Beteiligungsverfahren sind
nämlich keinerlei konkrete Möglichkeiten zur Mitbestimmung vorgesehen.
Es handelt sich also vielmehr um Scheinbeteiligung. Patrizia Nanz und
Miriam Fritsche, die beide zu zivilgesellschaftlicher Partizipation
forschen, schreiben hierzu: „Oftmals werden partizipative Prozesse
lediglich mit dem Ziel initiiert, die Beziehung zwischen Bürgerschaft
auf der einen und Verwaltung und Politik auf der anderen Seite zu
verbessern – ohne dass es einen echten Handlungsspielraum gibt, weil die
wesentlichen Entscheidungen bereits getroffen wurden“[23]. Im Falle der
Bürgerbeteiligung in Nagold und Haiterbach scheint es sich um eine
solche Scheinbeteiligung zu handeln, da zu keinem Zeitpunkt zur Debatte
stand, ob das KSK ein neues Übungsgelände zugeteilt bekommt. Selbst der
favorisierte Standort (Haiterbach/Nagold) sollte nicht zur Debatte
gestellt werden. Es gibt keinen echten Handlungsspielraum, da
wesentliche Entscheidungen trotz des frühen Zeitpunkts der
(Schein-)Beteiligung bereits getroffen waren. Auf dem Beteiligungsportal
Baden-Württemberg wird von der Landesregierung auch mehr oder weniger
offen zugegeben, dass Mitbestimmung höchstens über ein „wie“, nicht aber
über ein „ob“ des Projekts zugelassen wird: „In Zusammenhang mit dem
weiteren Verfahren ist auch wichtig, dass Bürgerbeteiligung und direkte
Demokratie nicht verwechselt werden dürfen. Die vom Haiterbacher
Gemeinderat zur Abstimmung vorgesehene Fragestellung bezieht sich auf
das ‚Ob‘ des Projekts und die Haltung der Stadt dazu. Diese Entscheidung
über das Projekt liegt aber beim Bund. Das Votum wird zur Kenntnis
genommen, aber Bundesbehörden entscheiden im Rahmen eines gesetzlich
vorgegebenen Verfahrens. Die vom Land vorangetriebene Bürgerbeteiligung
dagegen dreht sich um das ‚Wie‘ des Projekts. Sie sucht nach
Planungsspielräumen, nach Verbesserungen des Projekts“[24].
Was die betroffenen Bürger_innen jedoch zu Recht einfordern, ist keine
Mitbestimmung über kleine Details des Projekts. Vielmehr wollen sie
selbst entscheiden, ob sie das KSK in ihrer Nachbarschaft trainieren
lassen möchten oder nicht. Als Winfried Kretschmann 2011 zum ersten
grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs gewählt wurde, trat er mit
dem Versprechen einer „Politik des Gehörtwerdens“[25] an. Tatsächlich
handelt es sich bei seiner Politik aber lediglich um eine „Politik des
Informiertwerdens“. Die Stimme der Bürger_innen wird im vorliegenden
Fall zwar vielleicht gehört, aber bisher ignoriert.
Anmerkungen
[1] Der Großteil der KSK-Soldat_innen ist männlich. Als
Kommando-Soldaten wurden bisher nur Männer aufgenommen. 50 weibliche
Soldatinnen sind in den Unterstützungskompanien (z.B. als technische
Spezialistinnen) aktiv. Doch auch in diesem Bereich sind sie deutlich
unterrepräsentiert.
Sabine Siebold: So laufen die geheimen Einsätze der deutschen
Elitetruppe. Welt. 16.12. 2015.
[2] Bundesministerium der Verteidigung: Die Stationierung der Bundeswehr
in Deutschland. 2011.
[3] Florian Rötzer: Sonderkommando KSK ist mit gezielten Tötungen in
Afghanistan beschäftigt. Telepolis. 17.8. 2010.
[4] Vgl. Thomas Mickan: Unkontrollierte Gewalt. Die unerträgliche
Demokratiefeindschaft des Kommando Spezialkräfte. IMI-Analyse 2016/36.
[5] Ebd.
[6] Alfred Verstl: Gewerbeverein zeichnet KSK aus. Schwarzwälder Bote.
11.1. 2017.
[7] Alexander Kleiß: Braune Nostalgie beim KSK – keine Überraschung!
IMI-Standpunkt 2017/026.
[8] Alfred Verstl: Gewerbeverein zeichnet KSK aus. Schwarzwälder Bote.
11.1. 2017.
[9] Alex H. Kunert: KSK als „Battle-Lab“ der Bundeswehr. Schwarzwälder
Bote. 20.9. 2016.
[10] Bundesministerium der Verteidigung: Die Stationierung der
Bundeswehr in Deutschland. 2011.
[11] Alfred Verstl: Gewerbeverein zeichnet KSK aus. Schwarzwälder Bote.
11.1. 2017.
[12] Roland Buckenmaier: KSK-Platz: „Enteignung letztes Mittel“.
Schwarzwälder Bote. 5.8. 2017.
[13] Hans-Jürgen Hölle: Nicht nur bauliche Veränderungen beim KSK.
Schwarzwälder Bote. 2.9. 2016;
Alfred Verstl: Bundeswehr investiert in KSK-Trainingszentrum.
Schwarzwälder Bote. 25.8. 2014;
Ralf Klormann: Beim KSK gibt es keinen Stillstand. Schwarzwälder Bote.
1.9. 2017.
[14] Beteiligungsportal Baden-Württemberg: Fragen und Antworten zum
Absprunggelände.
[15] Markus Katzmaier: Sorge um Tier- und Pflanzenwelt. Schwarzwälder
Bote. 8.9. 2017.
[16] Ebd.;
Roland Buckenmaier: KSK-Absetzgelände: Für Bauern geht es um die
Existenz. Schwarzwälder Bote. 13.7. 2017.
[17] Beteiligungsportal Baden-Württemberg. Ihre Meinung.
[18] Schwarzwälder Bote: Umweltprüfung erfolgt für mehrere Standorte.
28.7.2017.
[19] Deutscher Bundestag: Drucksache 18/9917, Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage […] Ablassen von Treibstoff durch
Militärflugzeuge und zivile Luftfahrzeuge. 6.10. 2016.
[20] Spiegel: Luftwaffe. Wir kommen. 27.2. 1989.
[21] Spiegel: Notlandung. Bundeswehrhubschrauber durchtrennt
Überlandleitung. 30.8. 2017.
[22] Vgl. Beteiligungsportal Baden-Württemberg: Fragen und Antworten zum
Absprunggelände.
[23] Patrizia Nanz/Miriam Fritsche: Handbuch Bürgerbeteiligung.
Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen. Bonn 2012: Bundeszentrale
für politische Bildung, S. 12 f.
[24] Beteiligungsportal Baden-Württemberg: Haltung und Informationen der
Kommunen
[25] Vgl. Internetpräsenz des Landes Baden-Württemberg: Politik des
Gehörtwerdens ist der richtige Weg. 2015.
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