[IMI-List] [0482] IMI-Analyse Münchner Sicherheitskonferenz
IMI-JW
imi at imi-online.de
Mo Feb 20 18:06:34 CET 2017
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0482 .......... 20. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich eine erste Auswertung der Ereignisse auf
der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende:
IMI-Analyse 2017/03
Münchner Sicherheitskonferenz: „Operation Aufrüstung“ und
Transatlantische No-Go-Areas
http://www.imi-online.de/2017/02/20/siko2017/
Jürgen Wagner (20. Februar 2017)
In diesem Jahr war sie mit besonderer Spannung erwartet worden, die
alljährliche Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), schließlich stand
diesmal der erste „Meinungsaustausch“ mit der neuen US-Regierung unter
Donald Trump auf den Programm, die ja bislang – vorsichtig formuliert –
die Ursache für einige transatlantische Irritationen war. Kein Wunder
also, dass sich vom 17. bis 19. Februar 2017 auch diesmal wieder „25
Staats- und Regierungschefs“ und über „80 Außen- und
Verteidigungsminister“ einfanden, wie die MSC-Webseite stolz verkündete.
Und tatsächlich wird die Sicherheitskonferenz (SiKo) schon seit einigen
Jahren in einer Rangliste der wichtigsten Denkfabrik-Konferenzen auf dem
Spitzenplatz geführt.[1] Die Bedeutung der Konferenz rührt nicht zuletzt
daher, dass sie stets eine Doppelfunktion innehatte: Auf der einen Seite
werden dort Meinungsverschiedenheiten unter den globalen, vor allem aber
auch transatlantischen Entscheidungsträgern erörtert und ggf. Lösungen
angebahnt; andererseits dient die Tagung nicht zuletzt aber auch als
Bühne, um dem breiteren Publikum die „Ergebnisse“ der
Aushandlungsprozesse zu präsentieren – und damit natürlich um Zustimmung
dafür zu werben.
Dieser Doppelcharakter war in diesem Jahr besonders augenfällig: Was das
„transatlantische Binnenverhältnis“ anbelangt, wurden die jeweiligen
Claims abgesteckt. Dabei lieferte US-Vizepräsident Mike Pence zwar ein
flammendes Bekenntnis zur NATO ab, machte aber gleichzeitig auch
unmissverständlich klar, dass diese Verbundenheit elementar von einer
Steigerung des EUropäischen – und damit vor allem auch deutschen –
Beitrags zu den Gesamtkosten für die Aufrechterhaltung der Weltordnung
abhängig sei. Auf Seite der EU-Verbündeten wurden im Gegenzug die
Aufwertung der Rolle im Bündnis und die Rücksichtnahme auf elementare
EU-Interessen gefordert. Hierfür hatte Konferenzleiter Wolfgang
Ischinger schon im Vorfeld diverse No-go-Areas für die Trumpsche Außen-
und Militärpolitik benannt. Sollte Washington sich aus diesen Gebieten
nicht heraushalten, würde es ruppig werden, so die Botschaft.
Gleichzeitig existiere aber ein massives Interesse am Erhalt des
Bündnisses, weshalb im entscheidenden Punkt Entgegenkommen signalisiert
wurde; nämlich eine – nochmalige – massive Erhöhung der Rüstungsausgaben
in die Wege zu leiten.
„Wir haben verstanden“, titelte Verteidigungsministerin Ursula von der
Leyen in einem Artikel kurz vor Tagungsbeginn, um den USA zu versichern,
dass die Aufrüstungsbotschaft des „Trump-Pence-Ultimatums“ angekommen
sei.[2] Da die Bevölkerung aber der anstehenden „Operation Aufrüstung“
(BILD[3]) reichlich skeptisch gegenübersteht, ging es bei der Konferenz
vor allem auch darum, für Zustimmung zu werben, dass aufgrund der neuen
US-Regierung nun militärisch am ganz großen Rad gedreht werden müsse –
erfreulicherweise bislang vergeblich, wie erste Umfragen zeigen.
Kontingente Treueschwüre
Greifbar war eine gewisse Verunsicherung, wie scharf die neue
US-Regierung mit den Verbündeten ins Gericht gehen würde. Insofern war
auch eine gewisse Erleichterung spürbar, nachdem Vizepräsident Mike
Pence als Vertreter der neuen Regierung in seiner Rede auf der
Sicherheitskonferenz ein klares Bekenntnis zur Nato abgab. „Heute
versichere ich Ihnen im Namen von Präsident Trump: Die Vereinigten
Staaten von Amerika stehen fest zur Nato und werden unerschütterlich
unsere Verpflichtungen für unsere transatlantische Allianz erfüllen.“
Andererseits formulierte er aber eben auch die bekannte Forderung nach
einem größeren finanziellen und militärischen Engagement der
EU-Verbündeten: „Die Zeit ist gekommen, mehr zu tun.“[4]
Wie gesagt, die Botschaft war angekommen – Verteidigungsministerin von
der Leyen formulierte stellvertretend die Antwort der EU-Verbündeten.
Ja, man werde mehr Kosten und Verantwortung übernehmen, erwarte aber
dafür „mehr Relevanz“ – mithin also eine deutliche Aufwertung nicht
zuletzt der deutschen Rolle im Bündnis: „Wir Deutsche haben verstanden,
dass wir nach einer Periode, in der wir die Vorzüge einer
Friedensdividende nutzen konnten, jetzt beharrlich investieren müssen in
eine Sicherheitsrücklage. Wir bekennen uns zu mehr europäischer Relevanz
– und damit auch zu einer fairer balancierten Transatlantischen
Sicherheitspartnerschaft.“[5] Eine „faire Balance“ beruhe aber auf
Gegenseitigkeit, so von der Leyen in ihrer SiKo-Rede: „Dies schließt
Alleingänge aus – weder des Vorpreschens noch des sich Wegduckens.“[6]
Zufrieden kommentierte die Tagesschau den Subtext der Rede: „Der Ton
könnte über die Botschaft hinwegtäuschen, die von der Leyen an diesem
Freitag quasi auch im Namen ihrer europäischen Kollegen verkündet. Es
ist eine Botschaft voller Selbstbewusstsein und ganz sicher kein
Kniefall vor den Amerikanern.“[7]
Bereits kurz vor Konferenzbeginn zog Tagungsleiter Wolfgang Ischinger
konkrete „roten Linien“, die seitens der neuen US-Regierung zum Wohle
der transatlantischen Freundschaft besser nicht überschritten werden
sollten: „Dazu gehört auch, diejenigen unserer Kerninteressen klar zu
kommunizieren, deren Verletzung eine transatlantische Großkrise
provozieren würde. Wenn es tatsächlich zur neuen US-Regierungspolitik
werden sollte, der EU als Gegner den baldigen Zerfall zu wünschen und
Rechtspopulisten aktiv zu unterstützen, wäre das der GAU. Genauso
wichtig ist, dass ein möglicher Deal zwischen Russland und den USA nicht
zu Lasten Europas geht. Hinsichtlich des Iran-Deals muss Washington
wissen, dass wir nicht bereit wären, neue Sanktionen mitzutragen, falls
die USA den Deal einseitig aufkündigen.“ Europa müsse gegenüber den USA
„selbstbewusst auftreten“, sich dabei erst einmal „auf sich selbst
konzentrieren“ und den „Weg zu einer handlungsfähigen Europäischen
Verteidigungsunion“ einschlagen.[8]
„Europäisch wachsen“ – Ende der Selbstverzwergung!
Manchen Militärpolitikern scheint Donald Trump regelrecht als Geschenk
des Himmels vorzukommen: Keine Forderung, militärisch-machtpolitisch
endlich auf eigenen Füßen stehen und so im Konzert der Großmächte ganz
vorne mitspielen zu können, kommt aktuell ohne Verweis auf den neuen
US-Präsidenten daher.[9] Gerade für Deutschland müsse die
„Selbstverzwergung“ ein Ende haben, wie die „Bundesakademie für
Sicherheitspolitik“ (BAKS) kürzlich reichlich originell, aber politisch
fatal einforderte.[10] Kurz vor Konferenzbeginn bot auch Spiegel Online
dem britischen Historiker Anthony Glees eine Bühne, um sich seinem Ärger
über Deutschlands angeblich (zu) friedfertige Haltung so richtig Luft
zu machen: „Deutschland muss eine muskulöse Demokratie werden. Es muss
bei Weitem mehr Verantwortung für die physische Sicherheit Europas
übernehmen, insbesondere in Osteuropa und im Mittelmeerraum. Bisher hat
Deutschland vor allem in einer Hinsicht geführt: Bei der Missachtung von
Europas Grenzen, indem es seine Türen für mehr als eine Million
Flüchtlinge und Migranten geöffnet hat. […] Die pazifistische Ader der
deutschen Politik ist ein Problem.“[11]
Als klare Botschaft, dieses „Problem“ adressieren zu wollen, kann wohl
die diesjährige Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises gewertet werden.
Als alljährliches Ärgernis ging die Auszeichnung für Menschen, die sich
in besonderer Weise für Frieden und Konfliktbewältigung eingesetzt
haben, früher bereits an so ausgewiesene Friedensengel wie Henry
Kissinger oder auch John McCain. Dieses Jahr war dann Joachim Gauck an
der Reihe, der an derselben Stelle drei Jahre zuvor mit seiner Rede den
Startschuss für die neue militärisch unterfütterte deutsche
Weltmachtpolitik gab. Dabei konnte Gauck in seiner Dankesrede der Wahl
Trumps durchaus Positives abgewinnen, es gelte aber die sich nun
bietende Militarisierungsgelegenheit auch zu nutzen: „Allerdings
erscheint mir, dass die augenblickliche Verunsicherung auch einen
positiven Effekt haben könnte – nämlich dann, wenn Europa stärker als
bisher darauf setzt, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. […] Ein
Europa, das angesichts von Kriegen in seiner Nähe […] unzureichend
gerüstet ist, mag ich mir gar nicht vorstellen! Als ich vor drei Jahren,
es wurde bereits erwähnt, mit einer Rede die 50. Sicherheitskonferenz
eröffnet habe, war es mir ein Anliegen zu fordern, dass sich Deutschland
im Angesicht großer neuer Herausforderungen früher, entschiedener und
substanzieller engagiert. […] Auf dem Weg von einem Konsumenten zu einem
Garanten internationaler Ordnung und Sicherheit ist Deutschland also
bereits ein gutes Stück vorangekommen. Doch trotz aller Fortschritte
kommt Deutschland gegenwärtig bei weitem noch nicht allen
Verpflichtungen nach.“[12]
Dieser Anspruch wurde auch in den verschiedenen anderen SiKo-Reden
erhoben. Es sei nun erforderlich, so Innenminister Thomas de Maizière,
„dass Europa eben erwachsener und verantwortlicher werden muss“.[13] Und
Verteidigungsministerin von der Leyen äußerte sich: „Aus deutscher Sicht
wird unser gewohnter Reflex, – nämlich wenn es wirklich eng wird, vor
allem auf die Tatkraft unserer amerikanischen Freunde zu bauen und
selbst eher bescheidene Beiträge zu bringen, nicht mehr genügen. Ja, wir
wissen, dass wir einen größeren, einen faireren Teil der Lasten für die
gemeinsame Atlantische Sicherheit tragen müssen. Wir wollen wachsen –
und wir wollen europäisch wachsen.“ [14]
Für das „Wachstum“ einer Militärmacht EUropa wurden in den letzten
Wochen und Monaten zahlreiche wesentliche Projekte auf die Schiene
gesetzt, von denen zwei von besonderer Bedeutung sind. Unter dem Namen
„Ankerländer-Konzept“ (früher: Rahmennations-Konzept) firmieren derzeit
Initiativen zum Aufbau multinationaler Truppenverbände, wodurch
offiziell Ressourcen eingespart werden sollen. Hierbei werden Teile der
Streitkräfte kleinerer Länder an die verschiedener Großmächte
„angedockt“ und damit faktisch unter deren Kontrolle gestellt.[15] Weil
dies den aus deutscher Sicht nutzbringenden Effekt hat, die eigene
militärische Schlagkraft zu vergrößern, bezeichnete von der Leyen das
„von Deutschland initiierte Rahmennationenkonzept“ kurz vor
Konferenzbeginn als ein „kluges Instrument dafür […], dass wir in Europa
Fähigkeitslücken haben, die kaum mehr eine europäische Mittelmacht
allein füllen kann.“ Deutschland gehe „in vielen Bereichen als große
Nation in die Vorhand und ermöglicht anderen Nationen, mitzumachen.“[16]
Der zweite zentrale Bereich, in dem die „Militärmacht EUropa“ dabei ist,
große „Fortschritte“ zu erzielen, stellt die Rüstungsfinanzierung auf
EU-Ebene dar. Lange wurde dies völlig zu Recht als Verstoß gegen Artikel
41(2) des EU-Vertrages gewertet, der es verbietet, „Maßnahmen mit
militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Budget
zu finanzieren. Mit dem „Verteidigungs-Aktionsplan“ legte die
EU-Kommission aber nun Ende 2016 einen konkreten Vorschlag zur
Aufstellung eines Quasi-EU-Haushalts zur Beschaffung von Rüstungsgütern
im Umfang von 5 Mrd. Euro jährlich vor, der durch einen jährlichen
EU-Rüstungsforschungshaushalt in Höhe von 500 Mio. Euro ergänzt werden
soll.[17]
Die entscheidende Frage bei diesen (supra-)nationalen
EU-Rüstungsinitiativen ist, inwieweit sie als Ergänzung oder als
Konkurrenz zu den USA gedacht sind. Hier machte Anfang Februar 2017
Jaroslaw Kaczynski, der Chef von Polens Regierungspartei, mit einem
Interview in der FAZ von sich Reden, in dem er sagte: „Eine
Atom-Supermacht Europa würde ich begrüßen.“[18] Obwohl schon zuvor der
verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Roderich Kiesewetter, betonte, es dürfe bei diesem Thema „keine
Denkverbote geben“[19] und auch bei Zeit Online eine „ernsthafte“
Debatte über eine EU-Nuklearbewaffnung eingefordert wurde[20], stieß
der Vorschlag doch mehrheitlich auf Ablehnung. Von den USA wurde
umgehend signalisiert, das Vorhaben für eine Schnapsidee zu halten –
mutmaßlich, weil Milliardenbeträge in diesen Bereich zu pumpen nur mit
ernsthaften Abnabelungsabsichten erklärt werden können.[21]
Mit genau diesem Argument, das hierdurch einem solchen Prozess der
„Gegenmachtbildung“ zu den USA vorschnell und unbedacht Vorschub
geleistet würde, mischte sich auch Wolfgang Ischinger kurz vor
Tagungsbeginn in die Debatte ein. Stattdessen sei es im ureigensten
Interesse, den USA trotz der Wahl Trumps die Stange zu halten. Ein enges
Bündnis mit den USA sei weitgehend alternativlos und dürfe deshalb nur
unter den alleräußersten Umständen ernsthaft in Frage gestellt oder gar
aufgekündigt werden. Begründet wurde dies von Ischinger folgendermaßen:
„Erstens würden wir die vielen Millionen Amerikaner ignorieren, die eben
nicht Donald Trump gewählt haben. […] Zweitens ist es nicht so, dass
überall auf der Welt Partner Schlange stünden, die mit Europa die
liberale Weltordnung verteidigen wollten. Die EU mag sich mit China
einig sein, dass eine neue Ära des Protektionismus schädlich wäre. Aber
die darüber hinausgehenden Gemeinsamkeiten sind überschaubar.
Langfristig wird die liberale Weltordnung nur Bestand haben, wenn sie
von beiden Pfeilern der transatlantischen Partnerschaft gestützt wird.
Drittens übersehen jene, die jetzt zu einer europäischen
Gegenmachtbildung zu den USA aufrufen, dass diese Option in Wahrheit gar
nicht besteht. Die Europäer können kurz- und mittelfristig nicht auf die
US-amerikanische Sicherheitsgarantie verzichten.“[22]
Da Ischinger und andere der transatlantischen Partnerschaft also
weiterhin eine zentrale Bedeutung zuschreiben, sind sie auch bereit,
(den Steuerzahler) immense Summen in ihre Pflege investieren zu lassen.
Geldregen: Prioritäten setzen!
Wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in seiner Münchner-SiKo-Rede
stolz verkündete, sei die Trendwende gelungen: Um 10 Mrd. Dollar oder
knapp 4% seien die Rüstungsausgaben der Allianz 2016 gestiegen.[23] Dies
ist nicht zuletzt Deutschland geschuldet, wo dem leider relativ
erfolgreich vermittelten Eindruck, die Bundeswehr habe einen
historischen Finanzierungskahlschlag hinnehmen müssen, nicht vehement
genug widersprochen werden kann. Im Jahr 2000 belief sich der
Rüstungshaushalt noch auf (umgerechnet) etwa 24 Mrd. Euro. 2006 waren es
dann 27,8 Mrd. Euro, um dann bis 2010 auf 31,1 Mrd. weiter anzuwachsen.
Gemäß dem Sparbeschluss der Bundesregierung vom Juli 2010 hätte der
Haushalt dann bis 2014 wieder auf 27,6 Mrd. Euro abgesenkt werden
müssen. Doch der Beschluss wurde schnell wieder kassiert: 2014 waren es
32,5 Mrd. Euro, die in den Militärhaushalt gepumpt wurden. Doch das war
nichts, gegen die saftigen Erhöhungen der folgenden beiden Jahre:
„Deutschland hat seine Rüstungsausgaben im Jahre 2016 um mehr als zehn
Prozent erhöht. […] Der Wehretat insgesamt vergrößerte sich demnach um
1,1 Milliarden Euro auf 35,1 Milliarden Euro. In diesem Jahr sollen die
Ausgaben für die Bundeswehr sogar noch einmal erhöht werden: Der
Haushalt 2017 sieht Investitionen von 37 Milliarden Euro in die Armee
vor, knapp zwei Milliarden mehr als im vergangenen Jahr.“[24]
Allerdings ist damit wohl noch lange nicht das Ende der Fahnenstange
erreicht – zumindest nicht, wenn die Ankündigungen auf der Münchner
Sicherheitskonferenz tatsächlich umgesetzt werden. Dazu ist zunächst
festzuhalten, dass es zwar den Tatsachen entspricht, dass sich die
NATO-Staaten beim Gipfeltreffen in Wales im September 2014 darauf
verständigt hatten, allesamt bis spätestens 2024 mindestens 2% des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) für ihr Militärbudget zu verausgaben.
Strittig war (und ist eigentlich) aber, inwiefern es sich hier um eine
Art Absichtserklärung oder um eine bindende Verpflichtung handelt. Die
neue US-Regierung unter Donald Trump pocht nun darauf, es handele sich
hier um eine Zusage, die einzuhalten sei, andernfalls würden als
Konsequenz auch die USA ihr Engagement zurückfahren. Um sich die
Dimension dieser Zahl zu vergegenwärtigen: Heute umgesetzt würde dies
für die gesamte NATO eine Erhöhung der Militärhaushalte um ca. 100 Mrd.
Dollar erfordern. Für Deutschland stellen sich die Zahlen als besonders
krass dar: „Bei einem angenommenen Wirtschaftswachstum von zwei Prozent
pro Jahr müsste Deutschland im Jahr 2024 mehr als 75 Milliarden Euro für
Verteidigung ausgeben, um das Ziel zu erreichen. Dies würde einer
jährlichen Steigerung der Ausgaben um fast zehn Prozent entsprechen.“[25]
Da es sich augenscheinlich um immense Summen handelt, wurde die
„Operation Aufrüstung“ propagandistisch schon kurz vor Beginn der
Sicherheitskonferenz auf den Weg gebracht, als in den Massenmedien
nahezu jeder abgedruckt wurde, wenn er nur laut genug nach einer
Erhöhung des Rüstungsetats rief.[26] Auf der Sicherheitskonferenz selber
legte Verteidigungsministerin von der Leyen ein klares Bekenntnis zu
einer verpflichtenden Einhaltung der Wales-Vorgabe ab: „Das NATO-Ziel,
2% des BIP für Verteidigungszwecke auszugeben, verlangt langen Atem. Von
uns – wie von vielen anderen Verbündeten auch. Wir alle haben uns 2014
in Wales verpflichtet, innerhalb von 10 Jahren die 2% zu erreichen. Dazu
stehen wir und wir haben mit der Umsetzung bereits begonnen.“[27]
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte auf der Konferenz: „Ich
möchte hier keinen Bogen um dieses Thema machen. Deutschland hat sich
wie alle anderen Staaten auf der NATO-Konferenz in Wales verpflichtet –
das war 2014 –, binnen zehn Jahren das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen.
Ich darf hier genauso wie die Verteidigungsministerin sagen: Wir werden
alle Anstrengungen unternehmen, wir fühlen uns diesem Ziel
verpflichtet.“[28] Weil eine Erhöhung um über 35 Mrd. Euro womöglich
doch eine zu große Menge Holz sein könnte, mahnte Merkel allerdings auch
an, sich nicht in eine allzu „kleinliche Diskussion“ um die Höhe der
Militärausgaben zu verstricken. Was sich zunächst womöglich wie eine
deutliche Relativierung der US-Forderungen anhören könnte, entpuppte
sich dann jedoch schnell als ein Plädoyer, jährlich bis an die üppig
angesetzte Schmerzgrenze zu gehen: „Merkel schränkte allerdings ein,
Deutschland könne seinen Verteidigungsetat nicht um mehr als acht
Prozent im Jahr steigern. ‚Mehr können sie faktisch nicht machen‘, sagte
die Kanzlerin. Das heißt, dass das Nato-Ziel vermutlich nicht erreicht
wird.“[29]
Hochgerechnet würden die 2%-BIP bei einer regelmäßigen Etatsteigerung um
8% zwar tatsächlich wohl verfehlt werden – sie würde aber dennoch einen
Aufwuchs des Rüstungshaushaltes von gegenwärtig 37 Mrd. auf 63,4 Mrd.
Euro im Jahr 2024 bedeuten![30]
Geht es jedenfalls nach Finanzminister Wolfgang Schäuble, so ist mehr
als genug Geld und Bereitschaft vorhanden, den Militäretat aufzupäppeln
– alles nur eine Frage der Prioritäten. Im Bericht aus Berlin gab er an:
„Wir haben es in den letzten Jahren auch geschafft. Schauen Sie, wir
haben in den letzten zwei Jahren jährlich etwa bis zu 20 Milliarden Euro
für Integration, für Fluchtursachen-Bekämpfung, für Migrationssteuerung
gemacht. […] Kontinuierlich den Verteidigungshaushalt erhöhen – geht.
Man kann sich nicht alles leisten, aber wenn man die Prioritäten richtig
setzt, ist es möglich. Den Spielraum dazu haben wir.“[31]
Danke, Trump!
Der Verweis auf den neuen US-Präsident Donald Trump dient derzeit als
eine Art Totschlagargument, weshalb eine Aufrüstungsoffensive
unabdingbar sei. Manche scheinen deshalb der neuen Konstellation
durchaus etwas abgewinnen zu können, wenn etwa die Welt titelt „Trump
zwingt Europäer zu überfälliger Nachrüstung“: „Es ist die Aufgabe dieser
und der nächsten Bundesregierung, die Ausgaben nicht nur zu erhöhen,
sondern auch dafür zu sorgen, dass das Geld effizient investiert werden
kann. Im Fall der Bundeswehr geht es nach einem Vierteljahrhundert der
systematischen Demilitarisierung übrigens nicht um ein Auf-, sondern um
ein Nachrüsten. Die deutschen Streitkräfte sind in einem beklagenswerten
Zustand, materiell wie personell. So gesehen kann die Bundeswehr Trump
dankbar sein: Der Präsident hält den Druck im Kessel hoch.“[32]
Zwar stimmt an dem Bild von der chronisch unterfinanzierten Bundeswehr
kein Strich, massive Investitionen allerdings unter Verweis auf Donald
Trump zu fordern, hat gerade Konjunktur. Umso erfreulicher ist es, dass
der Großteil der Bevölkerung der Aufrüstungsrhetorik bislang noch nicht
auf den Leim geht. So berichtete die Welt einige Zeit vor Beginn der
Sicherheitskonferenz: „Nur 32 Prozent der Befragten sprachen sich in
einer Reuters vorliegenden Umfrage für die Zeitschrift ‚Internationale
Politik‘ dafür aus, der Bundeswehr mehr Geld zu geben.“[33]
Interessanterweise fiel eine noch aktuellere Umfrage nach der
Sicherheitskonferenz noch deutlicher aus: „In einer repräsentativen
N24-Emnid-Umfrage sprechen sich nur 25 Prozent der Befragten dafür aus,
den deutschen Rüstungsetat auf Wunsch der USA zu erhöhen. 20 Prozent der
Deutschen befürworten ein stärkeres militärisches Engagement der
Bundeswehr. Die Mehrheit der Befragten will mit 60 Prozent weder höhere
Rüstungsausgaben noch ein stärkeres militärisches Engagement
Deutschlands.“[34]
Dies ist eine gute Grundlage für die anstehenden Debatten. Es steht zu
hoffen, dass es gelang, mit den Protesten gegen die
Sicherheitskonferenz, an denen erneut Tausende teilnahmen, noch mehr
Menschen von dem Un- und Wahnsinn zu überzeugen, der die „Operation
Aufrüstung“ antreibt.
Anmerkungen
[1] McGann, James, G.: 2016 Global Go To Think Tank Index Report,
University of Pennsylvania, 26.1.2017, S. 117.
[2] Von der Leyen antwortet den USA: Wir haben verstanden, Süddeutsche
Zeitung, 15.2.2017.
[3] Operation Aufrüstung, Bild.de, 16.2.2017.
[4] Rede von Mike Pence bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,
Februar 2017.
[5] Rede von Ursula von der Leyen bei der 53.Münchner
Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[6] Ebd.
[7] Kein Kniefall vor Amerika, Tagesschau.de, 17.2.2017.
[8] Ischinger, Wolfgang: Einbinden, Einfluss nehmen, Süddeutsche
Zeitung, 15.2.2017.
[9] So äußerte sich etwa die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini
unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps: „In den kommenden Monaten und
Jahren – man kann sogar sagen: in diesen Stunden – wird es eine
zunehmende Nachfrage nach Europa geben von unseren Nachbarn und unseren
Partnern in der Welt. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten
globalen ‚Sicherheits-Dienstleister‘ wird wachsen. Die Forderung nach
einer Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit
glaubt.“ Küster, Kai: Mehr Sicherheit mit einer europäischen Armee?,
Deutschlandfunk, 14.11.2016.
[10] Keller, Pattrick: Der Westen als Wagenburg? BAKS Arbeitspapier
Sicherheitspolitik, Nr. 2/2017: „Das bedeutet, dass ‚Selbstverzwergung‘
und Kleinmut nur noch tiefer in die Krise führen. Es gilt, kraftvoll,
selbstbewusst und pragmatisch für die offene Gesellschaft einzustehen.
Innenpolitisch sowieso, aber auch außenpolitisch: mit Partnern weltweit,
in allen Politikfeldern, vom bilateralen Handel bis zur
Geheimdienstkooperation. Deutschland und seine Verbündeten sind auf eine
stabile, rechtebasierte und liberale internationale Ordnung angewiesen.
Die entsteht und überdauert aber nie von selbst; sie muss geschaffen und
beschützt werden.“
[11] „Die pazifistische Ader der deutschen Politik ist ein Problem“,
Spiegel Online, 19.2.2017.
[12]
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2017/02/170218-Ewald-von-Kleist-Preis.html
[13] Rede von Thomas de Maiziere bei der 53.Münchner
Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[14] Rede von Ursula von der Leyen bei der 53.Münchner
Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[15] Betrachtet man die Ausführungen der Regierungsberater von der
„Stiftung Wissenschaft und Politik“ zu dem von Deutschland erfundenen
„Rahmennations-Konzept“, wird ersichtlich, dass die Unterordnung fremder
Streitkräfte tatsächlich ein Ziel der Übung ist: „Die Großen müssen das
Funktionieren des Rahmens politisch, militärisch und finanziell
langfristig in Aussicht stellen können. Im Gegenzug werden sie
politische Führung beanspruchen. […] Die Umsetzung des Konzepts liefe
darauf hinaus, dass sich die europäischen Staaten militärisch um die
wenigen großen Länder organisieren, die bis auf Weiteres ein breites
Fähigkeitsspektrum vorhalten werden, also Deutschland, Frankreich,
Großbritannien, vielleicht auch Italien und die Türkei.“ Auffällig
abwesend in dieser Aufzählung ist etwa ein Land wie Polen, das über
beachtliche militärische Fähigkeiten verfügt, dennoch werde Warschau dem
SWP-Papier zufolge mit dem Rahmennationskonzept „faktisch abhängig von
der Sicherheitspolitik Berlins.“ Major, Claudia/Mölling, Christian: Das
Rahmennationen-Konzept. Deutschlands Beitrag, damit Europa
verteidigungsfähig bleibt, SWP-Aktuell, November 2014.
[16] Von der Leyen antwortet den USA: Wir haben verstanden, Süddeutsche
Zeitung, 15.2.2017. Auf dem NATO-Verteidigungsministertreffen in der
Woche vor der Sicherheitskonferenz wurden vor diesem Hintergrund eine
Reihe weiterer „Ankerprojekte“ angekündigt: „eine deutsch-französische
Lufttransport-Einheit, die ab dem Jahr 2021 entstehen soll, eine
multinationale Flotte von Tankflugzeugen, an der Deutschland, die
Niederlande, Luxemburg, Belgien und Norwegen beteiligt sein sollen, eine
strukturierte Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den Streitkräften von
Tschechien und Rumänien mit gemeinsamer Ausbildung und ersten Übungen
bereits in diesem Jahr, die Entwicklung und Beschaffung von U-Booten und
Seezielflugkörpern gemeinsam mit Norwegen, die für eine Beteiligung
weiterer Länder offen ist.“ Europa rüstet auf für Trump, Spiegel Online,
15.2.2017.
[17] Wagner, Jürgen: EUropas „Brexit-Dividende“.
Militarisierungs-Aktionsplan und Rüstungshaushalt, IMI-Analyse 2017/02.
[18] „Eine Atom-Supermacht Europa würde ich begrüßen“, FAZ, 6.2.2017.
[19] Pletsch, Marius: FAZ: Atommacht Deutschland? IMI-Standpunkt 2016/039.
[20] Braucht die EU die Bombe?, Zeit Online, 16.2.2017.
[21] Nato gegen Atom-Supermacht Europa, FAZ, 12.2.2017.
[22] Ischinger, Wolfgang: Einbinden, Einfluss nehmen, Süddeutsche
Zeitung, 15.2.2017.
[23] Rede von Jens Stoltenberg bei der 53.Münchner
Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[24] Deutschland steigert Rüstungsausgaben um mehr als zehn Prozent,
Spiegel Online, 18.1.2017.
[25] Erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato? Stern.de,
18.2.2017.
[26] Siehe zB BDI-Präsident Kempf fordert Stärkung der Bundeswehr,
Handelsblatt, 16.2.2017.
[27] Rede von Ursula von der Leyen bei der 53.Münchner
Sicherheitskonferenz, Februar 2017.
[28] Rede von Angela Merkel bei der 53.Münchner Sicherheitskonferenz,
Februar 2017.
[29] Merkel warnt vor „kleinlicher Diskussion“ um Militärausgaben,
Spiegel Online, 18.2.2017.
[30] Demgegenüber klingen die Worte von Außenminister Sigmar Gabriel
fast noch moderat, sprach er sich in seiner Münchner SiKo-Rede doch
dafür aus, den Rüstungsball – ein bisschen – flacher zu halten: „Wir
Europäer müssen schnell lernen zu verstehen, dass wir nur Teil einer
Welt sind, in der Machtpolitik, notfalls auch durchgesetzt mit
kriegerischen Mitteln, leider nach wie vor zu den Instrumenten der
Politik gehört oder sogar noch stärker als früher wieder zurückgekehrt
ist. Und dass wir dieser in Teilen unfriedlichen und gewaltbereiten Welt
nicht durch den Versuch des Einigelns entgehen werden. […] Nach 70
Jahren Führung durch die USA ist es nicht unbillig, dass Washington
seine Rolle in der Welt und gegenüber Europa neu definiert. Unsere
Aufgabe ist es vielmehr, jetzt kein Vakuum entstehen zu lassen, sondern
ein starkes und verantwortungsbereites Europa zu entwickeln. […] Ich
verstehe und akzeptiere, dass Amerika von Europa erwartet, einen
größeren Anteil an der Verantwortung für die Sicherheit der Welt zu
übernehmen. […] Auch mir ist klar, dass wir eine Verpflichtung
eingegangen sind. […] Bei allem Respekt vor dem Zwei-Prozent-Ziel: eines
der Länder in Europa, die das erreicht haben, ist Griechenland. […]
Also, Maß und Mitte halten. Die Zielrichtung beibehalten, aber nicht in
sozusagen Glückseligkeit über eine neue Aufrüstungsspirale zu verfallen,
weil am Ende damit alleine jedenfalls Sicherheit nicht gewährleistet
werden kann.“ (Rede von Sigmar Gabriel bei der 53.Münchner
Sicherheitskonferenz, Februar 2017) Genau besehen übernimmt damit aber
auch Gabriel die Verantwortungsrhetorik und steht hinter der Zusage,
mehr in die Rüstung zu investieren. Nur was die Höhe anbelangt, scheint
er nicht ganz so weit wie andere gehen zu wollen, auch wenn er sich über
eine konkrete Zahl ausschweigt.
[31] Schäuble zu höherem Verteidigungsetat: „Den Spielraum dazu haben
wir“; Augengeradeaus, 20.2.2017.
[32] Trump zwingt Europäer zu überfälliger Nachrüstung, Die Welt, 19.2.2017.
[33] Umfrage – Nur ein Drittel der Deutschen für höhere Militärausgaben,
Reuters, 15.12.2016.
[34] N24-Emnid-Umfrage zu NATO und Siko, Presseportal, 16.2.2017.
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