[IMI-List] [0455] Studie: EU-Drohne / Analyse: Afghanistan / Neue Artikel
IMI
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Di Jan 26 17:47:10 CET 2016
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0455 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1.) die neue IMI-Studie „Eine Drohne für Europa“;
2.) eine IMI-Analyse zur Situation in Afghanistan;
3.) der Hinweis auf weitere neue Texte auf der IMI-Homepage.
1.) IMI-Studie „Eine Drohne für Europa“
IMI-Studie 2016/01
Eine Drohne für Europa
Wie die europäische Rüstungsindustrie auch mit MALE-Drohnen Geld
verdienen möchte und die EU dafür gute Bedingungen schafft
http://www.imi-online.de/2016/01/26/eine-drohne-fuer-europa/
Marius Pletsch (26. Januar 2016)
Am 18. Mai 2015 unterschrieben die Verteidigungsminister_innen
Deutschlands, Frankreichs und Italiens eine Absichtserklärung
(Declaration of Intent, kurz DoI) am Rande eines
EU-Verteidigungsminister_innentreffens in Paris zur Erstellung einer
Definitionsstudie für eine zukünftige europäische Drohne. Anfang
Dezember 2015 wurde bekannt, dass sich auch Spanien am Bau der
europäischen Drohne beteiligen möchte. Diese Drohne soll der Kategorie
der Medium Altitude Long Endurance (MALE) angehören, also eine Flughöhe
von bis zu 15.000 Metern erreichen und mindestens 24 Stunden in der Luft
bleiben können. Neben Sensoren zur Aufklärung und hochauflösenden
Kameras soll die Drohne auch Waffen tragen können. […]
In den folgenden Ausführungen wird der Weg in Richtung europäischer
Drohne nachgezeichnet werden. Dazu soll erstens am Beispiel der
deutschen Debatte gezeigt werden, was sich die Bundeswehr und die
Verteidigungspolitiker_innen von dem Projekt versprechen und wie die
Haltung der Bevölkerung zu Drohnen ist bzw. wie sehr die Regierung an
dieser Haltung interessiert ist. Zweitens sollen die Rüstungsindustrien
der europäischen Mitgliedsstaaten betrachtet und erläutert werden, warum
die Kooperationsbereitschaft hier so hoch ist. Im dritten Punkt wird
herausgearbeitet werden, was der europäische Aspekt an der Drohne sein
wird, wie die EU an dem Projekt beteiligt ist und was sie sich von der
europäischen Drohne verspricht. Diesen drei Aspekten vorangestellt führe
ich zunächst im folgenden Kapitel aus, wie die Vorgeschichte zu dem
kommenden Projekt Eurodrohne aussieht. Bei dieser Gelegenheit werden
auch die wichtigsten Begriffe kurz erläutert.
Zur gesamten Studie hier:
http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2016_Pletsch_EUDrohne_final.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
1. Am Anfang war die Unterschrift… S. 2
2. FEMALE/MALE2020: Auf dem Weg zur europäischen Drohne... S. 2
3. Das Projekt Eurodrohne aus drei Perspektiven: Staat, Industrie und
EU… S. 3
3.1 Eine europäische Drohne für nationale Interessen?... S. 3
3.2 Die Europäische Rüstungsindustrie will ein Stück vom Kuchen… S. 6
3.3 Wie die EU den Drohnen das Fliegen lehren will… S. 8
4. Fazit: Europäische Drohne: Gefahr für innen und außen?... S. 10
Anmerkungen… S. 10
Zur gesamten Studie hier:
http://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2016_Pletsch_EUDrohne_final.pdf
2.) IMI-Analyse zur Situation in Afghanistan
IMI-Analyse 2016/001
Kein Ende in Sicht
Die Mär vom Abzug aus Afghanistan
http://www.imi-online.de/2016/01/26/kein-ende-in-sicht/
Anne Labinski (26. Januar 2016)
Der Einsatz in Afghanistan ist zum Paradebeispiel gescheiterter
westlicher Militärinterventionen geworden. Selbst der ehemalige
Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat sagt, dass Deutschland in
Afghanistan politisch gescheitert sei.[1] Mehr als 14 Jahre sind seit
dem Einmarsch in Afghanistan im Oktober 2001 vergangen. Der unter
Führung der USA begonnene Krieg hat nicht die „erhoffte“
Demokratisierung[2] Afghanistans und erst recht keinen Frieden gebracht.
Die milliardenschwere Intervention mit ihren zahlreichen zivilen Opfern
(4921 getötete und verletzte Zivilisten allein im ersten Halbjahr
2015[3]) führt erschreckend vor Augen, dass eine militärische Lösung in
Afghanistan nicht möglich ist. Die Truppenpräsenz des Westens,
insbesondere seine Offensiven, sind Teil des Problems und nicht der
Lösung des Konflikts. Offiziell wurde der NATO-Kampfeinsatz in
Afghanistan Ende 2014 für beendet erklärt, faktisch setzt er sich aber
in der neuen NATO-Mission fort.[4]
Im Folgenden soll deshalb auf die westliche Interventionspolitik seit
2015 näher eingegangen werden. Dabei wird gezeigt, wie sich die
ursprünglich neue Leitlinie der Ausbildung, Beratung und Unterstützung
allmählich wieder in eine militaristisch-kämpferische wandelt. Darauf
aufbauend wird auf den Status quo Afghanistans und insbesondere auf die
in Deutschland stattgefundene Debatte der Rückführung von afghanischen
Flüchtlingen eingegangen. Das asymmetrische Verhältnis der Ausgaben für
Kampfeinsätze und Entwicklungshilfe wird in der Auseinandersetzung
mitberücksichtigt. Aus diesen Betrachtungen ergibt sich ein negatives
Fazit: Obwohl Fehler im Afghanistan-Einsatz eingeräumt wurden, scheint
dies nicht dazu zu führen, dass die Strategie der militärischen „Lösung“
grundsätzlich geändert wird - weder in Afghanistan noch anderswo.
Zwischen Beratung und Kampfhandlung
Dem ISAF-Einsatz der NATO (2002 bis 2014) folgte ab 2015 die sogenannte
„Resolute Support Mission“. Sie ist eine Ausbildungs-, Beratungs- und
Unterstützungsmission, deren ursprüngliches Mandat offiziell auf die
Ausbildung und Beratung des afghanischen Militärs und der Polizei
(zusammengefasst als ANSF) beschränkt war. Mittlerweile hat sich die
Situation jedoch wieder militarisiert und selbst Kampfhandlungen sind
nicht mehr ausgeschlossen.
Der deutsche NATO-General Domröse erklärte im November 2015 in
Afghanistan müsse künftig eine „robuste Beratung“ betrieben werden: „Wir
brauchen eine robuste Beratung. […] Wenn wir sehen, dass es einen
Taliban-Angriff gibt, müssen wir den auch niederschlagen können“, so
Domröse. Man müsse die Frage von militärischen Unterstützungsleistungen
der Nato für die Afghanen grundsätzlich „noch einmal neu überdenken.“[5]
Zwar ließ auch schon das bisherige Mandat der NATO-Mission „Resolute
Support“ einen gewissen Spielraum für westliche Kampfeinsätze, aber
offiziell wurde unablässig betont, dass es eigentlich „nur“ um die
Ausbildung afghanischer Einheiten gehe. Somit ist die direkte
militärische Unterstützung im Kampf gegen Terroristen nun doch wieder
ein – wachsender – Teil der Mission.
Die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) werden unter anderem mit Hilfe
deutscher Bundeswehr-SoldatInnen ausgebildet. Eigentlich sollte ihre
Zahl reduziert werden. Doch weil die Sicherheitslage immer noch instabil
und gefährlich ist, entschied der Deutsche Bundestag den
Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr erneut auszuweiten. Seit 2016 nehmen
980 SoldatInnen (statt bisher 850) an der „internationalen Mission zur
Ausbildung und Beratung afghanischer Streitkräfte“ teil. Die
Zusatzausgaben für die Fortsetzung der deutschen Beteiligung betragen
für 2016 rund 245,3 Millionen Euro.[6]
Die USA verlangsamen ebenso ihren Truppenabzug. Barack Obama wollte
eigentlich der US-Präsident sein, der den Krieg, den sein Vorgänger
begonnen hat, beendet. Doch das Argument, ein Abzug der Truppen könnte
ein ähnliches Chaos wie im Irak anrichten, führte nun zu einem
Kurswechsel. Momentan sind rund 9800 US-SoldatInnen in Afghanistan
stationiert, 2017 sollte diese Zahl eigentlich auf 1000 sinken, wurde
aber inzwischen wieder auf mindestens 5500 SoldatInnen angehoben.[7]
Auch die USA weichen von dem offiziellen Slogan der NATO-Mission
„Training, Beratung und Unterstützung“ ab. Obwohl Obama 2014 angekündigt
hatte, dass die Kampfhandlungen in Afghanistan formell zu Ende sind,
kämpfen US-amerikanische Truppen dennoch fortwährend weiter. Unter
anderem haben amerikanische Spezialkräfte im letzten Jahr heimlich eine
zentralere Rolle bei Kämpfen in der Provinz Helmand eingenommen, aus
Angst, dass die Provinz in die Hände der Taliban fallen könnte. Somit
sind seit dem Ende des ISAF-Einsatzes 2014 (wieder) mehr US-Boden- und
Lufttruppen in Kampfhandlungen involviert.[8] Des Weiteren erklärte
jüngst der US-General David Petraeus, u.a. von Oktober 2008 bis Juni
2010 als Chef des Central Command für die US-Kriege im Irak und in
Afghanistan zuständig, zusammen mit dem bekannten demokratischen
Sicherheitspolitiker Michael O’Hanlon, dass es im Afghanistan-Krieg Zeit
wäre, die „Samthandschuhe auszuziehen“. Dabei solle nicht eine Erhöhung
der Bodentruppen, sondern eine deutliche (Wieder)Ausweitung der
Luftschläge im Zentrum stehen.[9]
Das Ziel von „Resolute Support“ scheint schon jetzt fehlgeschlagen zu
sein. Die afghanischen Regierungseinheiten haben das Land längst nicht
wie gehofft unter Kontrolle. Die Regierungstruppen in Polizei und Armee
übernehmen zwar wie angedacht immer größere Teile der Kampfhandlungen,
scheinen aber offensichtlich nicht in der Lage zu sein, die
Aufständischen zu besiegen. Ein Grund dafür dürfte unter anderem darin
liegen, dass es sich bei einem guten Teil davon um sogenannte
„Geistertruppen“ handelt: ca. 40% der Regierungstruppen existieren nur
auf dem Papier.[10] Zudem existieren zahlreiche Berichte über schwere
Menschenrechtsverletzungen seitens der ANSF. Gleichzeitig mit der
Verlagerung des Löwenanteils der Kampfhandlungen auf afghanische
Einheiten stiegen auch die Todeszahlen dramatisch an: Kamen 2010 noch
1012 ANSF-Mitglieder bei Kampfhandlungen ums Leben, so stieg die Zahl
2014 auf 4380 an.[11]
Die jährlichen Kosten für die ANSF belaufen sich auf schätzungsweise
sechs Milliarden US-Dollar. Sie sind damit sehr hoch und ein Vielfaches
der afghanischen Staatseinnahmen. Afghanistan hat sich im September 2014
auf dem NATO-Gipfeltreffen in Wales verpflichtet, künftig jährlich für
500 Millionen US-Dollar der ANSF-Kosten selbst aufzukommen; was dem
Regierungsbudget die letzten Spielräume raubt. Trotz des geplanten
Personalabbaus von ca. 325.000 (Stand: Juli 2015) auf etwa 230.000
Kräfte wird die afghanische Regierung auch in absehbarer Zukunft nicht
in der Lage sein, die notwendigen Mittel zur Finanzierung der ANSF
bereitzustellen.[12] Darüber hinaus fehlen langfristige Zusagen der
Europäischen Union oder anderer Mitglieder der internationalen
Gemeinschaft, den Haushalt der ANSF zu finanzieren. Im Hinblick dessen
besteht ähnlich wie im Irak die Gefahr, dass die hoch militarisierte und
gut ausgerüstete Polizei und Armee nach alternativen Einnahme- und/oder
Arbeitsquellen sucht, ein eventuelles Machtvakuum ausnutzt und sich
radikalisiert. Anstatt eine weitere kostspielige Bürgerkriegspartei
aufzurüsten und auszubilden, sollten diese Gelder für zivile, humanitäre
und soziale Zwecke verwendet werden.
(Un-)sicheres Land?
Trotz - oder gerade wegen – der vierzehnjährigen westlichen Intervention
kam es nicht zu einer Befriedung des Landes. Der Einsatz kann nur als
kompletter Fehlschlag gewertet werden, zumindest gemessen an den
offiziell genannten Kriegsgründen: Förderung von Frieden, Stabilität und
Sicherheit in Afghanistan und in der Region; Stärkung der Demokratie;
Förderung der wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung sowie
Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte,
insbesondere der Rechte von Frauen und Mädchen.[13]
Afghanistan wird im UN-Index für menschliche Entwicklung, kurz HDI,
immer noch niedrig eingestuft. So wird ihm eine geringe menschliche
Entwicklung attestiert. Das Land lag 2015 auf Platz 171 von 187 Ländern
(2014 war es bereits auf Platz 169).[14] Auch beim Global Peace Index,
der die Friedfertigkeit von Ländern misst, schneidet Afghanistan
schlecht ab. Im letzten Jahr wurde es als am wenigsten friedvoll
eingestuft. Somit lag es auf Platz 160 von 162 Ländern, vor dem Irak und
Syrien.[15] Die Beurteilungskriterien, bei denen Afghanistan besonders
schlechte Werte hat, sprechen für sich: Wahrnehmung von Kriminalität,
Zugang zu Waffen, Intensität des inneren Konflikts, Level des
gewalttätigen Verbrechens, politische Instabilität, politischer Terror,
Ausgaben fürs Militär, Möglichkeit von Terroranschlägen und geschätzte
Tote durch interne Kriege.
Fast täglich wird über bewaffnete Gefechte und/oder Anschläge in
Afghanistan berichtet. Die katastrophale Sicherheitslage und das
Wiedererstarken der Taliban sind mit ein Hauptgrund für die Flucht aus
Afghanistan, auch nach Deutschland. Im Jahr 2015 haben 31.382 Afghanen
einen Asylantrag (Erstantrag) in Deutschland gestellt. Damit ist
Afghanistan auf Platz vier der zugangsstärksten Herkunftsländer.[16]
Umso perfider erscheint die Debatte um die Sicherheit Afghanistans und
die mögliche Rückführung von Flüchtlingen, die Ende letzten Jahres von
der Bundesregierung angeheizt wurde. So sprach
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen im November 2015
davon, dass sich trotz der schlechten Sicherheitslage ein „weitgehendes
normales“ Leben in einigen Städten abspiele[17], und rechtfertigte somit
die Abschiebung von Afghanen. Innenminister Thomas De Maizière hielt den
Abschiebe-Stopp für abgelehnte AslybewerberInnen für nicht
gerechtfertigt und argumentierte mit deutlichen Worten: „Deutsche
Soldaten und Polizisten tragen dazu bei, Afghanistan sicherer zu machen.
Es sind viele viele Summen von Entwicklungshilfe nach Afghanistan
geflossen, da kann man auch erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land
bleiben. […] [D]ie Menschen, die als Flüchtlinge aus Afghanistan zu uns
kommen, können nicht alle erwarten, dass sie in Deutschland bleiben
können, auch nicht als Geduldete.“[18] Der Menschenrechtsbeauftragte der
Bundesregierung, das Auswärtige Amt und die afghanische Regierung[19]
sehen die Sicherheitslage wesentlich pessimistischer und widersprachen
den Aussagen der Minister.
Was für eine groteske Logik: der Bundeswehreinsatz wird aus Gründen der
desaströsen Sicherheitslage verlängert und zu einer „robusten Beratung“
erweitert und im selben Atemzug wird Afghanistan als inoffiziell
sicheres Land deklariert. Frei nach dem Motto: „was nicht passt, wird
passend gemacht“.
Wird die bisher geleistete Entwicklungshilfe genauer betrachtet, so
konnte sie trotz der bescheidenen Fortschritte in einigen Bereichen[20]
nicht dazu beitragen, die soziale und wirtschaftliche Lage der Mehrheit
der Bevölkerung erheblich zu verbessern. 2014 wurde die Arbeitslosigkeit
auf 50% geschätzt.[21] Über die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut und
hat nur unzureichend Zugang zu medizinischer Versorgung. Ein großer Teil
der Mittel aus diversen Finanzierungskanälen wird augenscheinlich dem
Bedarf der afghanischen Bevölkerung nicht gerecht. Wohl auch, weil die
Finanzierung von Projekten oft nicht von sozialen sondern militärischen
Erwägungen geleitet wird.
Die militärische Seite des Konfliktes hat nicht nur zahlreiche
Todesopfer (mit riesigen Dunkelziffern) verursacht, sondern auch riesige
Summen verschlungen. Im Falle der USA wurden offiziell einschließlich
des Haushaltsjahres 2014 insgesamt 756 Milliarden Dollar[22] und im
Falle Deutschlands über acht Milliarden Euro[23] ausgegeben (bei beiden
liegen die tatsächlichen Kosten weit höher). Demgegenüber verblassen die
Ausgaben für die Entwicklungshilfe, die etwa bei der EU seit 2002 eine
Milliarde Euro jährlich betrugen. Aus Deutschland flossen seit dem Sturz
der Taliban 2001 etwa drei Milliarden Euro an Entwicklungshilfe nach
Afghanistan.[24] Erschwerend kommt hinzu, dass viele dieser Gelder nicht
der Armutsbekämpfung dienen, was besonders im Falle der USA deutlich
wurde. Deren Entwicklungshilfe belief sich einschließlich des
Haushaltsjahrs 2014 auf 100 Milliarden Dollar – allerdings waren davon
allein circa 60% für den Aufbau und das Training der afghanischen
Sicherheitskräfte bestimmt.[25] Hinzuweisen ist hier, dass dies erst die
Zahlen für das ISAF-Mandat bis Ende 2014 sind. Mit der Verlängerung des
Einsatzes unter „Resolute Support“ dürften weitere Milliardensummen dazu
kommen.
Fazit
Mehr als vierzehn Jahre ununterbrochene, hoch-intensive Kampfhandlungen
mit zahllosen Opfern haben gezeigt, dass es für Afghanistan keine
militärische Lösung geben kann. Besonders beunruhigend ist vor diesem
Hintergrund die neue Mandatierung/Aufstockung der Truppen im Rahmen von
„Resolute Support“, die sehr stark auf eine Fortsetzung der
Kampfeinsätze hindeutet. Der Ton verschärft sich wieder.
Einiges ist in den Jahren besser geworden, aber nichts wirklich gut. Zu
diesen guten Dingen gehören die positive Entwicklungen im Bereich
Bildung, Infrastruktur und Lebenserwartung. Ansonsten zeichnet sich eine
katastrophale Bilanz ab: circa 80% des afghanischen Haushalts ist von
internationalen Geldern abhängig, das afghanische Militär kostet etwa
dreimal so viel wie der Staat einnimmt und die Zahl der zivilen Opfer
ist weiterhin beängstigend hoch. Menschenrechtsorganisationen wie
Amnesty International, Human Rights Watch und Medico Mondiale
kritisieren seit Jahren die sich verschlechternde Situation der
Menschenrechte in Afghanistan. Vor allem die Situation der Frauenrechte
ist weiterhin besorgniserregend. Waren sie es doch, die als rhetorische
Floskel für die westliche Zielgruppe herangezogen wurden, um so die
Fortsetzung des Afghanistan-Krieges nach dem Einmarsch 2001 zu legitimieren.
Die Regierungen im Westen geben immer noch viel Geld für das Land aus,
kappen aber die Budgets für den zivilgesellschaftlichen Aufbau und die
Demokratisierung. Sie investieren lieber in vorzeigbare Hardware als
sichtbaren Erfolgsbeweis für die Steuerzahler und Wähler daheim. Der
Westen ist aber Teil des Problems, nicht der Lösung; in einem Land mit
komplexen Strukturen, unklaren Fronten und fast täglichen Anschlägen.
Solange die militärische Präsenz des Westens vorhält und es keine
politische Vision gibt, ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht.
Stattdessen wird ohne Plan, Sinn und Verstand weiter gekämpft, wie unter
anderem Ulrich Ladurner von der Zeit kritisiert: „Strategie ist das
keine, das ist die Verwaltung des Desasters. Es wird so getan, als ob
eine längere und stärkere Präsenz der Bundeswehr (das
Bundeswehrkontingent soll von 850 auf 980 aufgestockt werden) die
Taliban mit Sicherheit schwächen würde. Aber was, wenn es umgekehrt ist?
[…] Aus dieser Lage muss sich der Westen, muss sich Deutschland befreien
– und das geht nur, wenn er den Einsatz beendet.“[26]
Anmerkungen
[1] Cecilia Reible: Debatte über Bundeswehr-Rückzug "Wir
sind in Afghanistan gescheitert", tagesschau.de, 29.09.2015.
[2] Michael Schulze von Glaßer und Jürgen Wagner: „Krachend
gescheitert": Demokratisierungsrhetorik und Besatzungsrealität in
Afghanistan, IMI-Studie 2014/04, 07.08.2014.
[3] UNAMA: Press Release: Civilian casualties remain at
record high levels in first half of 2015, unama.unmissions.org, 05.08.2015.
[4] Hinzuweisen ist hier auch auf das bilaterale Sicherheitsabkommen
USA-Afghanistan (BSA) und das Abkommen zwischen NATO und Afghanistan
(NATO SOFA), über die Rechtsstellung ihrer Truppen und ihres Personals,
die beide am 30. September 2014 unterzeichnet wurden. Die Unterzeichnung
des NATO SOFA untergräbt die Unabhängigkeit des Staates Afghanistan und
seiner Institutionen. So kann es ggf. zur Straffreiheit von
Kriegsverbrechen durch NATO-SoldatInnen kommen.
[5] Matthias Gebauer: Afghanistan: Deutscher Nato-Kommandeur
fordert Luftschläge gegen Taliban, spiegel.de, 03.11.2015.
[6] Deutscher Bundestag: Ausweitung des Einsatzes in
Afghanistan zugestimmt, bundestag.de, 17.12.2015.
[7] Tagesschau: Militäreinsatz in Afghanistan: USA
verlangsamen Truppenabzug, tagesschau.de, 15.10.2015.
[8] David Jolly und Taimoor Shah: Afghan Province, Teetering
to the Taliban, Draws In Extra U.S. Forces, nytimes.com, 13.12.2015.
[9] David Petraeus und Michael O'Hanlon: It's time to
unleash America's airpower in Afghanistan, washingtonpost.com, 14.01.2016.
[10] Lynne O'Donnelland und Mirwais Khan: "Ghost" Troops in
Afghanistan's Military, realcleardefense.com, 11.01.2016.
[11] Ian S. Livingston und Michael O'Hanlon: Afghanistan Index,
brookings.edu, 30.11.2015.
[12] Thomas Ruttig: "Die Reichtümer Afghanistans",
monde-diplomatique.de, 09.10.2014.
[13] Die Bundesregierung: Fortschrittsbericht Afghanistan 2014,
auswaertiges-amt.de, 01.11.2014.
[14] UN Development Programme: Human Development Reports:
Afghanistan, hdr.undp.org, 24.01.2016.
[15] Global Peace Index 2015: Afghanistan,
visionofhumanity.org, 24.01.2016.
[16] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: "Aktuelle Zahlen
zu Asyl": Ausgabe Dezember 2015, bamf.de, 24.01.2016.
[17] Tagesschau: „(Un)sicheres Afghanistan“: Debatte über
Flüchtlingsrückführung, tagesschau.de, 13.11.2015.
[18] Deutschlandradio, dradio.de, 28.10.2015.
[19] Die seit 2014 bestehende neue Regierung der „Nationalen
Einheit“ unter Präsident Ashraf Ghani und Regierungschef Abdullah
Abdullah hat bis jetzt wenig von dem Versprochenen umgesetzt, wie zum
Beispiel die Bekämpfung der Korruption, die zu Beginn der Legislatur zu
einer der Prioritäten ernannt wurde. Die derzeitig stattfindenden
Friedensverhandlungen kommen nur sehr langsam voran.
[20] So gehen heute zwischen rund acht und neun Million (80%)
der afghanischen Kinder in die Schule, davon sind 40% Mädchen. Das ist
ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur Situation im Jahr 2001, als
lediglich eine Million Kinder zur Schule gingen. Allerdings sind die
Schulabschlussraten und der nationale Alphabetisierungsgrad bei
Erwachsenen immer noch sehr niedrig ist (34 %, davon 18 % Frauen und 50
% Männer).
[21] Die Bundesregierung: Fortschrittsbericht Afghanistan 2014,
auswaertiges-amt.de, 01.11.2014.
[22] Frankfurter Allgemeine Zeitung: Afghanistan kostet Amerika
eine Billion, faz.net, 15.12.2014.
[23] Christian Thiels: Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan: Die Kosten
des Krieges, tagesschau.de, 20.03.2015.
[24] Frankfurter Allgemeine Zeitung: Afghanistan: Deutsche
Entwicklungshelferin in Kabul entführt, faz.net, 17.08.2015.
[25] Im Jahr 2015 wurden ungefähr 5,7 Milliarden Dollar
bereitgestellt, davon allein 4,1 Milliarden für die ANSF. Kenneth
Katzman: Afghanistan: Post-Taliban Governance, Security, and U.S.
Policy, fas.org, S.2, 22.12.2015
[26] Ulrich Ladurner: Bundeswehr in Afghanistan: Die
Verwaltung des Desasters, zeit.de, 17.12.2015.
3.) Neue Texte auf der IMI-Homepage
IMI-Standpunkt 2016/003
Katastrophal, gefährlich und dumm
Rede von Christoph Marischka anlässlich der Demonstration gegen den
Syrieneinsatz der Bundeswehr am 23.1.2016
http://www.imi-online.de/2016/01/25/katastrophal-gefaehrlich-und-dumm/
(25. Januar 2016)
IMI-Standpunkt 2016/002
Syrien und der kurze Aufstand des US-Militärs
Wie das Pentagon zeitweilig versuchte, Obamas Syrien-Politik zu unterlaufen
http://www.imi-online.de/2016/01/05/syrien-und-der-kurze-aufstand-des-us-militaers/
Jürgen Wagner (5. Januar 2016)
IMI-Standpunkt 2016/001 - in: junge Welt, 31.12.2015
»Die soziale mit der Friedensfrage verbinden«
Antikriegsinitiativen beraten im Januar über Ziele, Aktionen und
Bündnispolitik. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger
http://www.imi-online.de/2016/01/03/die-soziale-mit-der-friedensfrage-verbinden/
(3. Januar 2016)
IMI-Analyse 2016/001
Kein Ende in Sicht
Die Mär vom Abzug aus Afghanistan
http://www.imi-online.de/2016/01/26/kein-ende-in-sicht/
Anne Labinski (26. Januar 2016)
IMI-Studie 2016/01
Eine Drohne für Europa
Wie die europäische Rüstungsindustrie auch mit MALE-Drohnen Geld
verdienen möchte und die EU dafür gute Bedingungen schafft
http://www.imi-online.de/2016/01/26/eine-drohne-fuer-europa/
Marius Pletsch (26. Januar 2016)
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