[IMI-List] [0428] Leyens Rüstungsprojektebericht & Gabriels Rüstungsförderungsstrategie
IMI
imi at imi-online.de
Do Okt 9 15:50:34 CEST 2014
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0428 .......... 17. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Liebe Freundinnen und Freunde,
Rüstungsindustrie und Rüstungsexporte sind in dieser Woche in aller
Munde. Am Montag wurde der Bericht zu den Bundeswehr-Großprojekten
offiziell vorgestellt, gestern hielt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
eine rüstungspolitische Grundsatzrede. In dieser IMI-List findet sich
deshalb zuerst ein Artikel zum Gutachten und dann zu Gabriels Rede:
IMI-Standpunkt 2014/055
Expertenbericht zu Großprojekten der Bundeswehr – Initialzündung für
Rüstungsinvestitionen?
http://www.imi-online.de/2014/10/09/expertenbericht-zu-grossprojekten-der-bundeswehr-initialzuendung-fuer-ruestungsinvestitionen/
Michael Haid (9. Oktober 2014)
Am 06.10.2014 wurde das Expertengutachten „Bestandsaufnahme und
Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ der Bundeswehr von der
Unternehmensberatung KPMG, der Ingenieurgesellschaft P3 und der Kanzlei
Taylor Wessing an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU)
übergeben.[1] Die darin enthaltene Botschaft wurde in den Medien breit
und unmißverständlich wiedergegeben: „Verheerendes Urteil über
Rüstungsprojekte“ titelte die Tageszeitung „Die Welt“ beispielsweise in
einem ihrer Artikel, der die Ergebnisse des Berichts hinsichtlich der
Großprojekte mit den Worten „zu teuer, zu spät, zu schlecht“
zusammenfasste.[2] Spätestens nach dieser Studie ist diese Thematik in
der Öffentlichkeit angekommen.
Das Gutachten erschien zu einem Zeitpunkt, an dem bereits seit Wochen in
den Medien die Nachrichten nicht zu enden schienen, dass die Ausrüstung
der Bundeswehr sich in einem desolaten Zustand befinde,[3] weshalb sogar
deren Einsatzfähigkeit in Frage stünde.[4] Der Wehrbeauftragte des
Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP), warnte öffentlich, die
Auslandseinsätze der Bundeswehr seien mit der derzeitigen Ausstattung
nicht weiter ausdehnbar.[5]
Die offizielle Linie der Verteidigungsministerin ist, dass Deutschland
international – gerade auch militärisch – mehr Präsenz zeigen müsse.[6]
Ende August 2014 wurde ein Bundeswehreinsatz im Irak beschlossen, ein
weiterer in der Ukraine befindet sich derzeit in Planung. Gegenwärtig
befindet sich nach Zählart der Verteidigungsministerin die Bundeswehr in
17 Auslandseinsätzen.[7]
Das Ende 2013 erschienene Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ der
Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund of the
United States fordert die auch von der Verteidigungsministerin
vertretene neue Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands ein. Ein
Abschnitt dieses Papier behandelt auch die innerstaatliche Dimension der
angestrebten Politik und kommt zur Einschätzung, dass Politik und
Öffentlichkeit sich darauf einstellen müssten, dass eine größere
deutsche Rolle auf globaler Ebene mit einem höheren Aufwand an
Ressourcen verbunden sein werde.[8]
Ob der Expertenbericht und der in den Medien in letzter Zeit verstärkt
öffentlich formulierte Bedarf an Investitionen in die Bundeswehr
tatsächlich zur Erhöhung der entsprechenden Etats führen wird, ist
derzeit nicht verlässlich vorherzusagen und wäre spekulativ. Jedoch
könnte eine der Wirkungen dieser Studie sein, Verständnis für
Rüstungsinvestitionen in der Öffentlichkeit und der Politik zu fördern.
Verschlusssache: 1.200 Seiten Bericht – öffentlich: 52 Seiten
Der offizielle Anlass der am 27.06.2014 vom Bundesamt für Ausrüstung,
Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz in Auftrag
gegebenen Untersuchung war, die Strukturen und Prozesse im Management
der Rüstungsprojekte zu überprüfen, Verbesserungsmöglichkeiten
aufzuzeigen und Transparenz für das Parlament und die Öffentlichkeit
herzustellen.[9] Für diese Arbeit sollen die externen Berater ein
Honorar von 1,15 Millionen Euro bekommen haben.[10]
Zumindest was den Anspruch an die Transparenz betrifft, kann sich jeder
selbst ein Bild von der Ernsthaftigkeit dieser Absichtserklärung machen:
Die Ergebnisse der Analyse wurden in einem Gesamtbericht
zusammengefasst, der als Verschlusssache der Stufe „VS – Nur für den
Dienstgebrauch“ eingestuft wurde. Für die Öffentlichkeit gibt es nur das
52 Seiten umfassende Exzerpt zur Einsicht, das die wesentlichen
Ergebnisse des Gesamtgutachtens enthält, die nicht als Verschlusssache
eingestuft wurden. Zum Vergleich: Der Gesamtbericht enthält 1.200
Seiten, die von der Leyen übergeben wurden.[11]
Ausdrücklich weisen die Verfasser darauf hin, dass wegen der Einstufung
der Quellendokumente als Verschlusssache identifizierte Probleme und
Risiken mit Rücksicht auf den Geheimschutz nicht vollumfänglich in
diesem Exzerpt wiedergegeben wurden. Die ausführliche und vollständige
Übersicht aller Probleme und Risiken müsse daher den jeweiligen
Teilgutachten (zu den einzelnen Großprojekten) vorbehalten bleiben, die
seit dem 30.09.2014 als Verschlusssache der Geheimhaltungsstufe „VS –
Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft seien.[12]
Der Gegenstand der Untersuchung waren neun Rüstungsprojekte und
-vorhaben mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro.[13] An anderer
Stelle ist von 57 Milliarden Euro die Rede; diese Summen machten circa
Zweidrittel des Gesamtvolumens der Investitionen im Rüstungsbereich
aus.[14] Es handelt sich dabei um folgende Projekte:
▪ Schützenpanzer Puma
▪ Transportflugzeug A400M
▪ Eurofighter
▪ NATO Helikopter (NH 90) einschließlich „Global Deal“
▪ Unterstützungshubschrauber Tiger
▪ Fregatte Klasse 125 (F 125)
▪ Streitkräftegemeinsame Funkausstattung (SVFuA)
▪ Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS)
▪ Signalverarbeitende Luftgestützte Weitreichende Überwachung und
Aufklärung (SLWÜA).[15]
Zur Einordnung der Studie ist es wichtig zu wissen, welche Quellen zur
Erkenntnisgewinnung genutzt wurden. Die Grundlage der Analyse bildeten
die vom Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) bereitgestellten
Unterlagen. Die Verfasser des Berichts weisen darauf hin, dass sie es
nicht ausschließen können, dass sie bei Kenntnis weiterer Dokumente und
Informationen zu einem von dem Gesamtgutachten abweichenden Befund
gekommen wären.[16]
Weiterhin ist aufschlussreich, wessen Wahrnehmungen ausschließlich in
den Bericht einflossen. Es wurden mehrere zehntausend Seiten
bereitgestellte Projektdokumentation und Vertragswerk gelesen sowie
zahlreiche Gespräche mit Angehörigen des BMVg geführt. Der Bericht
stützt sich also auf die Sichtweise der an den Rüstungsprojekten
Beteiligten auf Seiten des Ministeriums und der Bundeswehr. Die
Ansichten der Industrie als Produzentin oder von nicht am Prozess
beteiligten Dritten wurden nicht einbezogen.[17]
Wasser auf die Mühlen der Rüstungsindustrie
Nachdem die Einzelprojekte und -vorhaben analysiert wurden, formuliert
das Gutachten für das BMVg ein daraus abgeleitetes Leitbild für eine
optimierte Rüstungsbeschaffung[18] und gibt 15 projektübergreifende
Handlungsempfehlungen ab.[19] Das Gesamtgutachten, aus dem dieses
Exzerpt stammt, weise auf deutlich mehr, nämlich auf rund 140 Probleme
und Risiken hin und beinhalte ungefähr 180 konkrete und übergreifende
Handlungsempfehlungen. Der Bericht kommt zu dem zentralen Ratschlag,
dass aufgrund der Analyse der ausgewählten Rüstungsprojekte und
-vorhaben eine Optimierung des Rüstungsmanagements in nationalen und
internationalen Großprojekten dringend und ohne Verzug geboten sei.[20]
Abschließend regt es als eines von vier Grundsätzen für das Leitbild
guten Managements von Großprojekten im Verteidigungssektor eine enge
professionelle Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
an, die entscheidend für den Erfolg von Großprojekten sei.[21]
Die Studie dürfte Wasser auf die Mühlen der Rüstungsindustrie sein. Denn
der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie
e. V. (BDSV), der Bundesverband der Deutschen Luft- und
Raumfahrtindustrie e. V. (BDLI) und der Bundesverband der Deutschen
Industrie e. V. (BDI) haben eine gemeinsame Erklärung zu diesem
Gutachten veröffentlicht. Darin wird ausgeführt, dass wie auch in der
Studie gefordert werde, für künftige Diskussions- und
Entscheidungsprozesse zwischen dem BMVg und der Industrie eine enge und
konstruktive Zusammenarbeit vereinbart worden sei. In der Erklärung
heißt es weiter, die Studie bestätige die Notwendigkeit der
industrieseitig bereits seit längerem angemahnten ausreichenden
Mittelbereitstellung, was sowohl für die Bereiche Forschung und
Entwicklung als auch für Beschaffung und Betrieb bereits vorhandener
Systeme gelte. Dabei seien sich alle Beteiligten bewusst, dass sich nur
in einem engen Schulterschluss zwischen Bundeswehr und der deutschen
Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Lösungen erreichen lassen
würden. Die Verbände hätten dem BMVg jedenfalls eine größtmögliche
Unterstützung bei der Umsetzung der Experten-Empfehlungen zugesagt.[22]
Auch wenn es sich noch nicht deutlich abzeichnet, was und wie aus dieser
Studie umgesetzt wird und welche weiteren Folgen dies für
Rüstungsinvestitionen haben wird, steht doch fest, dass die
Rüstungsindustrie alles andere als unzufrieden mit diesem Gutachten zu
sein scheint.
Anmerkungen
[1] KPMG / P3 Group / Taylor Wessing: Exzerpt. Umfassende
Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte, Stand 30.
September 2014, www.bmvg.de.
[2] Verheerendes Urteil über Rüstungsprojekte. Verteidigungsministerin
erhält Gutachten, 07.10.2014, www.welt.de.
[3] Matthias Gebauer / Gerald Traufetter: Desolate
Bundeswehr-Ausrüstung: Hersteller warnt vor Mängeln am „Eurofighter“,
30.09.2014, www.spiegel.de; Matthias Gebauer: Probleme bei der
Bundeswehr: Hälfte aller Soldatenstuben ist marode, 08.10.2014,
www.spiegel.de.
[4] Sorge um Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, 23.09.2014,
www.handelsblatt.com.
[5] Mängel bei der Bundeswehr: Wehrbeauftragter warnt vor weiteren
Auslandseinsätzen, 25.09.2014, www.spiegel.de.
[6] Ursula von der Leyen: Rede anlässlich der 50. Münchner
Sicherheitskonferenz, München, 31.01.2014, www.bmvg.de.
[7] Ministerin im Bild Interview: Ist unsere Bundeswehr nur noch
Schrott, Frau von der Leyen?, Berlin, 24.09.2014, www.bmvg.de.
[8] Stiftung Wissenschaft und Politik / German Marshall Fund of the
United States: Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen
Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch, Berlin,
September 2013, S. 11.
[9] KPMG u. a., S. 6.
[10] Christian Thiels: KPMG soll Rüstungsprojekte prüfen, 28.06.2014,
www.tagesschau.de.
[11] Verheerendes Urteil über Rüstungsprojekte. Verteidigungsministerin
erhält Gutachten, 07.10.2014, www.welt.de.
[12] KPMG u. a., S. 8.
[13] KPMG u. a., S. 6.
[14] Gutachter bescheinigen Bundeswehr massive Probleme, 06.10.2014,
www.deutschlandfunk.de.
[15] KPMG u. a., S. 6.
[16] KPMG u. a., S. 8.
[17] KPMG u. a., S. 7.
[18] KPMG u. a., S. 38.
[19] KPMG u. a., S. 39.
[20] KPMG u. a., S. 52.
[21] KPMG u. a. S. 52.
[22] Gemeinsame Erklärung von BDSV, BDLI und BDI, Berlin, 07.10.2014,
http://augengeradeaus.net/wp-content/uploads/2014/10/Gemeinsame-Erkla%CC%88rung_BDSV-BDLI-und-BDI.pdf.
IMI-Standpunkt 2014/056
Gabriels Strategie zur Stärkung der Rüstungsindustrie
http://www.imi-online.de/2014/10/09/gabriels-strategie-zur-staerkung-der-ruestungsindustrie/
Jürgen Wagner (9. Oktober 2014)
Unter schweren Beschuss ist Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den
letzten Wochen geraten – angeblich gefährde er mit seiner restriktiven
Haltung zu Rüstungsexporten das Überleben der deutschen Waffenindustrie,
so der vielfach erhobene Vorwurf. Schon vor einiger Zeit kündigte
Gabriel deshalb eine Grundsatzrede zum Thema an, die er am 8. Oktober
2014 bei der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP)
hielt. Auf den ersten Blick klingt die Rede ganz gut – da werden etwa
Einschränkungen der Waffenverkäufe und mehr Transparenz angekündigt;
beim zweiten Hinsehen fällt aber schnell auf, dass es mit besagten
Einschränkungen lange nicht so weit her ist, wie überall suggeriert
wird; schaut man aber schließlich ein drittes Mal darauf, so entpuppt
sich die Rede sogar als ein hochgradig problematisches Grundsatzprogramm
zur Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie.
Teil I: Begrenzte Rüstungsexportbeschränkungen
Wie bereits angedeutet, erweckt Gabriel in Teilen zumindest – ob gewollt
oder ungewollt – durchaus den Eindruck, der Rüstungsindustrie an den
Kragen zu wollen, indem er die Absicht bekundet, die Exporte
substanziell beschränken zu wollen: „Ein offensiver Verkauf deutscher
Waffentechnik überall auf der Welt - auch zur Kompensation
zurückgehender Nachfrage der Bundeswehr und der NATO - ist weder mit der
geltenden Rechtslage zu vereinbaren, noch mit den sicherheitspolitischen
Interessen Deutschlands.“ Viel zu lange sei zudem über Rüstungsexporte
im stillen Kämmerlein entschieden worden, dies habe mit der neuen
Transparenzoffensive nun aber ein Ende, so Gabriel in seiner Rede
weiter: „Die heimliche Verabredung, einen kritischen Rüstungsexport doch
im Interesse der heimischen Industrie oder im Interesse guter
wirtschaftlicher Beziehungen zum Empfängerland zu genehmigen, weil die
Öffentlichkeit davon nur rudimentär Kenntnis erhalten wird, trägt nicht
mehr.“
Konkret bezieht sich der Wirtschaftsminister dann auf Waffenverkäufe in
den Mittleren Osten und kommt hier immerhin zu dem Ergebnis, der Verkauf
von „Kampfpanzern Leopard“ dorthin lasse sich „nicht rechtfertigen“.
Eigentlich handelt es sich hier aber um eine Selbstverständlichkeit,
denn die politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahr 2000 verbieten dies faktisch: "Der
Export von Kriegswaffen [in Krisenregionen] wird nicht genehmigt, es sei
denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische
Interessen der Bundesrepublik. […] für eine ausnahmsweise zu erteilende
Genehmigung sprechen."
Doch Gabriel erteilt solchen Waffenlieferungen in Krisengebiete
keineswegs eine generelle Absage – im Gegenteil. Man dürfe sich nicht
dazu verleiten lassen, „auf Differenzierungen auch innerhalb der
arabischen Region zu verzichten.“ Es könne also durchaus notwendig und
legitim sein, Waffen an Länder der Region zu verscherbeln, hierfür
brüchte es allerdings bestimmte Kriterien, um zu wissen, wann dies
erforderlich sei. Genannt werden dann etwa die „Menschenrechte im
Empfängerland“, aber auch ob ein Land eine „stabilisierende oder
aggressive, eine polarisierende oder ausgleichende Haltung“ einnehme. So
soll ein Leitfaden entstehen, der zu einer Verbesserung beitragen soll:
„Mithilfe von Analysen entlang dieser Parameter könnten in Zukunft die
Einzelfallentscheidungen angelegt werden.“
Das Bemühen um Kriterien, die die übelsten Exportexzesse womöglich
verhindern könnten, ist hier durchaus erkennbar – allerdings zeigt die
Vergangenheit, dass solche „Parameter“ leider zumeist recht beliebig
zurechtinterpretiert werden können. Zumal auch offensichtlich ist, dass
es Gabriel keineswegs um ein grundsätzliches Verbot von
Waffenlieferungen in die Region geht: „Aber zugleich müssen wir - und
das ebenfalls mit großer Klarheit - feststellen, dass es natürlich
legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die
Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können. […]
Und natürlich es gibt in der Praxis immer wieder Beispiele für einen aus
unseren Sicherheitsinteressen heraus begründeten Export von
Kriegswaffen. […] Deutschland und seine Partner haben ein eigenes
Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen,
wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen. […] Die
Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer
fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten ‚Islamischen
Staat‘ dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu
unseren Werten und Rechtsregeln.“
Selbst wenn man es also wohlwollend betrachtet, geht es also lediglich
darum, Rüstungsexporte nur für Krisenregionen und hier auch nur in
überschaubarem Ausmaße zu beschränken. Doch ein Großteil der deutschen
Rüstungsexporte ist aus Gabriels Sicht ohnehin völlig unproblematisch
und hier gäbe es noch enormes Wachstumspotenzial – Rüstungslieferungen
an zertifizierte Freunde. Und genau hierfür kündigt er eine
„Exportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie“ an: „Die
Bundesregierung sollte die Industrie stärker als bisher in ihren
Aktivitäten mit EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Ländern
unterstützen. Die NATO hat 28 Mitgliedsstaaten. Sie geben zusammen 880
Milliarden Dollar für die Verteidigung aus. Hinzu kommen fünf EU-Länder,
die nicht Mitglied der NATO sind - zusammen also 33 formale
Bündnispartner. Auch Indien und Brasilien sind strategische Partner für
Deutschland und Europa. In alle diese Demokratien mit ihren großen
Volkswirtschaften und Verteidigungsetats kann die deutsche und die
europäische wehrtechnische Industrie liefern.“
Der Hintergrund hierfür ist folgender: Eine unabhängige und
schlagkräftige Rüstungsindustrie gilt als unverzichtbarer Machtfaktor,
woran auch Gabriel keinerlei Zweifel aufkommen lässt. Um deren Überleben
aber garantieren zu können, ist der deutsche Markt in der Tat zu klein,
was die „Eroberung“ von Auslandmärkten zwingend erforderlich macht. Und
genau hierfür Bedarf es aber einer Strategie zur systematischen
Verbesserung der „Wettbewerbsfähigkeit“ in Form einer Stärkung der
Rüstungsindustrie, mit der sich der zweite Teil von Gabriels Rede
beschäftigte.
Teil II: Eine Strategie zur Stärkung des Rüstungssektors
Die aus seiner Sicht wesentliche Bedeutung der Rüstungsindustrie
beschreibt Gabriel folgendermaßen: „Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit
und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind
ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Interesse der
Bundesrepublik Deutschland.“ Zustimmend bezieht sich Gabriel weiter auf
den Koalitionsvertrag, der stuft „Sicherheits- und
Verteidigungsindustrie [SVI] als eine Schlüsselbranche von nationalem
Interesse ein, deren Kernkompetenzen und industrielle Fähigkeiten weiter
entwickelt und deren Arbeitsplätze erhalten werden sollen.“ Und genau
hieraus leitet Gabriel dann die Notwendigkeit für eine Strategie zur
„Stärkung der SVI“ ab, für die er ein ganzes Bündel an Ideen präsentiert.
Einmal bedürfe es der „Festlegung wesentlicher nationaler
Kernkompetenzen“, die unter allen Umständen im Land behalten werden
müssten. Weiter betont Gabriel, es sei ein „angesichts der
Haushaltskonsolidierungsverpflichtungen der Bundesregierung ein
wichtiges Signal“, dass die Bundesregierung in ihrer „mittelfristigen
Finanzplanung den Etat des BMVg verstetigt“ habe. Ohne rot zu werden,
geschweige denn es überhaupt zu erwähnen, wird unter den Teppich
gekehrt, dass diese „Verstetigung“ auf 32,4 Mrd. Euro grob gerechnet
satte 5 Mrd. Euro über der im Juni 2010 für das Jahr 2014 beschlossenen
Sparvorgabe liegt. Tatsächlich liegt der Etat noch höher, einmal, weil
Personalausgaben teils in den allgemeinen Haushalt verschoben wurden und
zum anderen, weil das Verteidigungsministerium nicht in der Lage war,
400 Mio. der ursprünglich 32,8 Mrd. Euro abzurufen. Deshalb macht sich
Gabriel auch noch dafür stark, nicht abgerufene Beträge in die
Folgejahre hinüberretten zu dürfen: „Überlegenswert ist, ob Mittel, die
im Verteidigungshaushalt in einem Jahr nicht abgerufen werden können,
nicht in den Folgejahren als Finanzmittel zur Verfügung stehen sollten.“
Weiter sei der „Ausbau der Forschungs-, Entwicklungs- und
Innovationsförderung“ ebenso nötig wie die „Chancen in den
Wachstumsmärkten der zivilen Sicherheitswirtschaft [zu] nutzen“.
Der Kern seiner Unterstützungsstrategie speist sich aber aus der
Erkenntnis, dass die jeweiligen nationalen Rüstungsindustrien in der
Europäischen Union zu klein sind, um sich dauerhaft am Markt behaupten
zu können. Eine europaweite „Konsolidierung“ der Branche über Fusionen
und Zusammenschlüsse soll hier Abhilfe schaffen: „Die
Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet
und stark fragmentiert. […] Folgen dieser unbefriedigenden Situation
sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen
Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte. Es ist
erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark
zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die
europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und
wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen
Entwicklung deutlich profitieren. […] Europäische, nicht nationale
Champions sind geboten. Nur die Kooperation und zum Teil auch das
Zusammengehen von Unternehmen in Europa kann es ermöglichen, dass eine
echte rüstungstechnologische Basis in Europa aufrechterhalten wird.“
Doch bei aller Begeisterung für „europäische Champions“ will Gabriel
schon sicherstellen, dass die hierfür notwendigen Fusions- und
Übernahmeprozesse faktisch in einen deutsch dominierten Superkonzern
münden. Um für anstehende Übernahmeschlachten gewappnet zu sein, ist
deshalb die nationale Konsolidierung erst einmal prioritär, um so aus
einer Position der Stärke agieren zu können. Genau aus diesem Grund
blockierte Gabriel kürzlich auch die Fusionspläne der deutschen
Panzerschmiede KMW mit der französischen Nexter und macht sich
stattdessen für ein Zusammengehen mit Rheinmetall stark (siehe
IMI-Standpunkt 2014/049). Konkret formuliert Gabriel die Priorität einer
nationalen Konsolidierung in seiner Rede folgendermaßen: „Zur Wahrheit
gehört allerdings auch, dass der Schritt in europäische Kooperationen
und Zusammenschlüsse am besten auf der Basis einer konsolidierten
deutschen Rüstungsindustrie aus erfolgt, um auf Augenhöhe mit
europäischen Partnern zusammen zu treffen.“
Um schließlich die Europäisierung der Rüstungspolitik und -industrie
weiter voranzubringen befürwortet Gabriel „Pooling & Sharing“, die
gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Militärgerät: „Eine gemeinsame
Rüstungspolitik hat in Europa nur dann eine Chance, wenn sie als
Bestandteil der Entwicklung einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik in Europa verfolgt wird. […] In ihrer Folge ist es
zwangsläufig sinnvoll, auch militärische Fähigkeiten zu teilen, statt in
28 Mitgliedsstaaten jeweils ein eigenes Heer, eine eigene Marine und
eine eigene Luftwaffe mit jeweils praktisch dem gesamten
Fähigkeitsspektrum vorzuhalten.“
Die Überlegung hier ist, dass die Bündelung der Beschaffungsprojekte zu
größeren Stückzahlen und damit zu günstigeren Stückpreisen führen wird –
so dies überhaupt der Fall sein würde, hätte dies dennoch einen
beträchtlichen Kollateralschaden, den deutschen Parlamentsvorbehalt
gegenüber Auslandseinsätzen, den Gabriel gleich mit einkassieren will.
Argumentiert wird dabei, die Partner müssten verlässlich auf gemeinsam
beschafftes (und damit auch von Deutschland bezahltes) Militärmaterial
zurückgreifen können, da könne es nicht angehen, dass der Bundestag
eventuell einem Militäreinsatz die Zustimmung verweigern könne: „Am Ende
könnte bei einer Aufteilung der militärischen Fähigkeiten zwischen den
europäischen Mitgliedsstaaten im Rahmen einer gemeinsamen Außen-,
Sicherheits- und Verteidigungspolitik dann nicht mehr der Deutsche
Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr alleine entscheiden.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa heißt nämlich, dass
der Teil militärischer Fähigkeiten, den z.B. Deutschland für solche
Einsätze im Rahmen eines europäischen Burdensharing bereit hält, auch
verfügbar wäre. Letztlich würde damit der Deutsche Bundestag einen Teil
seiner nationalen Souveränität verlieren. Heute wohl noch kaum
vorstellbar und doch eine Entwicklung, der man aus europäischer
Perspektive kaum ausweichen kann.“
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