[IMI-List] Ukraine / Drohnen, Überwachung und gezielten Tötungen

IMI imi at imi-online.de
Fr Aug 1 14:22:02 CEST 2014


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0423 .......... 17. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
 
in dieser IMI-List finden sich:
 
1.) Neue Artikel zum Ukraine-Konflikt;
 
2.) Ein Artikel zur neuen Qualität von Drohnen, Überwachung und
gezielten Tötungen.
 

1.) Artikel zum Ukraine-Konflikt
 
Der IMI-Artikel zu den Hintergründen des Flugzeugabsturzes über der
Ost-Ukraine wurde nun noch einmal grundlegend überarbeitet und
erweitert. Sich hiermit kritisch auseinanderzusetzen wird gerade
angesichts der immer krasser werdenden Kriegs-Propaganda immer
notwendiger. Apropos Kriegspropaganda: Ganz vorne dabei ist hier der
Spiegel, dessen anti-russische Propaganda immer üblere Formen annimmt. 
Auch hierüber ist soeben ein kurzer Artikel auf der IMI-Homepage erschienen:
 
IMI-Standpunkt 2014/035 (Update: 29.07.2014)
Flugzeugabschuss: Steilvorlage für nächsten Eskalationsschritt im
Ukraine-Konflikt?
http://www.imi-online.de/2014/07/18/flugzeugabschuss-steilvorlage-fuer-naechsten-eskalationsschritt-im-ukraine-konflikt/

Jürgen Wagner (18. Juli 2014)

IMI-Standpunkt 2014/037
Spiegel: Shitstorm und Russlandhetze
http://www.imi-online.de/2014/08/01/spiegel-shitstorm-und-russlandhetze/
Jürgen Wagner (1. August 2014)
 

2.) Drohnen, Überwachung und gezielte Tötungen
 
IMI-Analyse 2014/024
Von Tauben und Drohnen
Über den Zusammenhang von Überwachung und gezielten Tötungen mit Drohnen
http://www.imi-online.de/2014/08/01/von-tauben-und-drohnen/
Thomas Mickan (1. August 2014)
 
In der Anhörung des Verteidigungsausschusses im Juli 2014 zum Thema
bewaffnete Drohnen war ein Hauptargument der Militärs oder militärnahen
Expert_innen, dass mit bewaffneten Drohnen der Schutz von Soldat_innen
besser gewährleistet werden könne. Dieses Argument beruht auf der
Annahme, dass Drohnen eine unbemannte Weiterentwicklung von
Kampfflugzeugen seien, und es deshalb auf den ersten Blick einleuchten
müsse, besser keine als eine Pilot_in im Cockpit zu gefährden. So
einfach das Argument ist, so verkürzt gibt es auch die neue Qualität und
Funktion von Drohnen wieder -- eben deshalb, weil es auf einer zu engen
Analogie zu bemannten Flugzeugen beruht, die den Blick auf die neue
Qualität von Drohnen verstellt. Im Folgenden wird versucht zu zeigen,
dass die bessere Analogie zum Verständnis der neuen Qualität von Drohnen
nicht das Flugzeug, sondern die Brieftaube ist, die vor 100 Jahren im
Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde.
 
Brieftauben im Ersten Weltkrieg

Allein auf der Seite des deutschen Militärs wurden etwa 100.000
Brieftauben im ersten Weltkrieg verwendet.[1] Ihre Züchter sahen es als
ihre patriotische Pflicht, ihre Aufgabe an der Heimatfront zu erfüllen
und neues "Kriegsmaterial" zu produzieren. Die Brieftauben hatten dabei
zwei Verwendungen: Erstens übermittelten sie, wie es auch namensgebend
war, Briefe und Nachrichten. Sie retteten damit mitunter Soldaten vor
einem feindlichen Einschluss oder verrieten feindliche Stellungen an die
Artillerie, die dann das Feuer dann eröffnete und Tod und Leid brachte.
Die zweite weniger bekannte Verwendung betrifft Brieftauben als mobile
Aufklärer. An ihren Körpern waren Fotoapparate angebracht, die mit einem
Zeitmechanismus ausgestattet überraschend scharfe Bilder schossen. Die
entwickelten Abzüge führten etwa zu Artilleriebeschuss von Festungen,
wenn durch die Fotos der Tauben bekannt wurde, wo Munition oder Truppen
lagerten. Nach dem Weltkrieg setzten zahlreiche Länder ihren Brieftauben
Denkmäler.

Veränderung von Kommunikation
 
100 Jahre sind seitdem vergangen und die Kommunikation hat sich rasant
entwickelt, und mit dieser Entwicklung bekam der Drohnenkrieg ganz neue
Möglichkeiten, die die Brieftauben noch nicht zu bieten hatten.
Kommunikation ist jedoch das zentrale Merkmal für Tauben wie Drohnen und
mit ihrer Entwicklung lässt sich gut die neue Qualität der Drohnen
begreifen. Drei Dinge, die sich änderten, will ich beschreiben.
 
Erstens: Während die Brieftaube ihre geschossenen Bilder zuerst
zurückbringen musste, dass diese entwickelt und ausgewertet werden
konnten bevor sie einen militärischen Vorteil gewährten, erfolgt heutige
Kommunikation bei Drohnen via Satellit und Glasfaserkabel fast in
Echtzeit. Obwohl gerade die auch heute noch bestehende Verzögerung einen
eigenen Diskussionsstrang darstellt, soll der Einfachheit halber als
erstes Merkmal faktische Kommunikation in Echtzeit festgehalten werden.

Zweitens: Während die Brieftaube in Spitzenzeiten bis zu 30 Bilder von
ihrem Flug mitbringen konnte, sind heutige Drohnen mit einer Vielzahl
von Sensoren und Kameras ausgestattet. Diese produzieren eine große
Menge an Daten, die mit jeder technologischen Verbesserung noch größer
wird. Kurzum, Drohnen sind heute bereits Daten- und
Lebenserfassungsmaschinen, die unter Umständen die Farbe des
Schnürsenkels oder aufgrund von Infrarotkameras den Platz, auf dem
jemand vor einigen Momenten gesessen hatte, erkennen können.
Kommunikation wird so nicht nur in Echtzeit ermöglicht, sondern sie wird
groß und umfangreich -- Big Data. Jedoch wird es in der Kombination von
den ersten beiden Kommunikationsveränderungen immer schwieriger, die
gesendeten Bilder und Daten sinnvoll und kurzfristig auszuwerten. Schon
heute werden für größere Drohnensysteme Dutzende von Analyst_innen
benötigt, die unterscheiden, welche Bilder relevant oder irrelevant,
welche Bilder freundliche oder feindliche Gruppen darstellen, oder ob es
sich um Zivilist_innen oder Kombattant_innen handelt. Eine maschinelle
Vorsortierung der gesendeten Drohnendaten wird dabei mit der stetigen
Verbesserung der Technologie von Sensoren und Kameras unausweichlich,
sie ist in der Drohnentechnologie unumgänglich angelegt. Diese
Vorsortierung ist jedoch eine der ethisch problematischsten Dimensionen
von Drohnen. Sie stellt aber keine Autonomie dar, die es entweder gibt
oder nicht und damit geächtet werden könnte, sondern Vorsortierung ist
eine graduelle Entwicklung, die schon heute auf den Weg gebracht wird.
Das Drohnenforschungsprojekt SAGITTA ist dafür ein gutes Beispiel.[2]

Drittens schließlich änderte sich die Kommunikation dahingehend, dass
sie nicht mehr nur ein lokales Ereignis ist, wie die von der Taube
gesammelten Daten des Munitionsdepots einer Festung, die sie überflogen
hat. Kommunikation und damit deren Daten durchwebt heute unser aller
Leben, sie ist über moderne Wege wie Funkwellen nicht nur in Echtzeit
und in großen Mengen vorhanden, sie ist auch aus unserem Leben nicht
mehr wegzudenken und unsere ständige Begleiterin. Das lokale
Schlachtfeld wird so mit Hilfe der Drohnen zum globalen Überwachungsfeld.[3]

Vorsortierung

Aber wie hängt nun die Vorsortierung der von der Drohne gesammelten
großen Menge von Daten in Echtzeit mit den Daten zusammen, die wir in
unserer alltäglichen Kommunikation fast immer und überall von uns geben,
beispielsweise mit unseren Mobiltelefonen. Wie bereits gesagt, benötigt
die militärisch sinnvolle Verarbeitung von gesammelten Daten eine
Vorsortierung; die Frage stellt sich jedoch, nach welchen Kriterien
diese erfolgen soll: Muster und Signaturen sind hierfür die
entscheidenden Schlagworte.

Das Überwachungsprojekt INDECT gab dabei einen guten Vorgeschmack, was
solche Muster sein könnten. Bei INDECT ging es darum, mit Hilfe von
Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen normales von abnormalem
Verhalten zu unterscheiden. Dabei sollten jedoch nicht Steckbriefe via
Gesichtserkennung abgeglichen werden (also vorhandene Daten mit den neu
gesammelten Daten), sondern anhand von Mustern auffälliges Verhalten am
besten schon vor einer möglichen Straftat verhindert werden. Als
Kriterien für ein solches Verhalten wurde etwa langes Sitzen und
schnelles Gehen bezeichnet, sogenannte intelligente Überwachung also,
die das Datenmaterial anhand vorgegebener Muster vorsortiert.[4]

Der besondere Clou dabei ist jedoch, dass um das abnormale Verhalten zu
erkennen, es zuerst notwendig ist, das gesamte Verhalten Aller zu
erfassen. Zudem sind die Muster wiederum keine faktischen Größen,
sondern sie entsprechen Wahrscheinlichkeiten und Vorurteilen. Jede
Person, die also vorgibt, sie habe nichts zu verbergen, vergisst, dass
sie mindestens ihre Normalität preiszugeben hat, was es erst ermöglicht,
andere zu erfassen. Was jedoch als normal und abnormal definiert wird,
bleibt verborgen, kann mitunter fehlerhaft sein oder sogar politisch
instrumentalisiert werden. Beispiele von Menschen, die aufgrund von
Rechtschreibfehlern auf eine No-Fly-List geraten sind, gibt es ebenso,
wie pakistanische Dissidenten, die vom pakistanischen Geheimdienst auf
die US-Drohnentötungslisten gesetzt wurden oder irakische Taxifahrer,
die aus reiner Gier auf ein Kopfgeld beschuldigt wurden und in
Guantánamo landeten. Wie INDECT zeigt, sind mögliche Kriterien mitunter
auch so breit gewählt, dass auch Verhalten in den Fokus gerät, dass zwar
dem Muster entspricht, aber eben nicht der vermuteten Handlung. Die
durch Drohnen bombardierten Hochzeitsgesellschaften im Irak und in
Afghanistan sind hier sehr eindrücklich, weil hier das vermutete Muster
"große Menschenansammlung ist gleich viele Feinde" nicht entsprechend
ist. Dieser Fehler ist jedoch kein Versehen, sondern aufgrund der
Beschaffenheit der Muster als Wahrscheinlichkeiten jederzeit möglich.

Muster wiederum, also Vorhersagen anhand von Kriterien für ein
bestimmtes Verhalten oder eine Zugehörigkeit, sind zudem mit Vorurteilen
belegt, die gesellschaftlich kodifizierte Praxis auf Phänomene
überträgt, die mit diesen unter Umständen nichts gemeinsam haben. Die
Praxis des "Racial Profiling" ist hierfür ein gutes Beispiel. Dabei
übertragen Polizist_innen gesellschaftlich verankerte rassistische
Vorurteile auf ihre Kontrollpraxis. Ihr "Muster" hier, "dunkle Hautfarbe
ist gleich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Kriminalität", ist dabei
ebenso falsch wie rassistisch.

Fazit

Die Kombination aus Kommunikation in Echtzeit und großen Datenmengen
sowie die damit verbundene Notwendigkeit der maschinellen Vorsortierung
über Muster, die aus anderen Daten generiert werden, die wegen
Vorurteilen oder/oder aufgrund ihres Charakters von Wahrscheinlichkeiten
einer notwendigen Fehlerquote unterliegen, führt zu einem schleichenden
Weg der Autonomie von Drohnen, der bereits heute beschritten wird. Die
Idee von allgegenwärtiger Kontrolle und Sanktion, wie sie beispielsweise
Michel Foucault formulierte, ist dabei ebenso tief in die
Drohnentechnologie eingeschrieben, wie die Umkehr von Schuld. Diese
beruht nicht mehr auf der Tat die jemand begangen hat, sondern begangen
haben soll oder begehen könnte. Gemischt mit Vorurteilen und Fehlern
ergibt sich darin eine Gemengelage, die potenziell jede Person zum Ziel
von Überwachung, Kontrolle und Sanktion macht. Ob bei der permanenten
Überwachung in Kriegsgebieten dann als "Ultima Ratio" die Drohnen
Raketen abfeuern, oder ob die Drohnen nur durch ihre Präsenz ihren
Terror wie in Pakistan ausüben, ist in der Wirkung und Schwere zwar
unterschiedlich, aber in allen Fällen zerstörerisch.

Drohnen sind so in erster Linie nicht dazu da, als unbeman_nte Flugzeuge
Raketen auf Menschen zu schießen. Ihre Bestimmung liegt außerdem nur im
geringen Umfang im Schutz von Soldat_innen, sondern es geht darum, "24
Stunden ununterbrochen ein bestimmtes Gebiet [zu] beobachten und bei
Gefahr wohl abgewogen Waffen ein[zu]setzen", wie der Kommandeur des
deutschen ISAF-Kontingents Jörg Vollmer mit seinen Forderungen im
Spiegel Anfang 2014 wiedergegeben wird. Mit der Weiterentwicklung von
Pfeil und Bogen ist dies nicht zu vergleichen, sondern mit einer
flächendeckenden Überwachung, die alles sanktioniert, was einer
politisch vorgegebenen Linie, der Norm oder einem mit Vorurteilen
aufgeladenen und geformten Bild nicht entspricht.

Nachtrag

Im Zuge des NSA-Untersuchungsausschusses und den Enthüllungen um den
Geheimen Drohnen-Krieg, den die USA etwa über das AFRICOM in Stuttgart
oder Ramstein nahe Kaiserslautern führt, wurde bekannt, dass auch
Deutschland Daten an die USA liefert, die in die Mustererkennung und die
Todeslisten mit einfließen. Ein geortetes Handysignal und der daraus
folgende Tod aufgrund der Datenweitergabe deutscher Behörden an die USA
wie im Falle des Wuppertales Bünyamin E. ist so immer
wahrscheinlicher.[5] Mitte Oktober 2013 wurde zudem die Verstrickung der
NSA in den Drohnenkrieg durch die Enthüllungen von Edward Snowden
aufgedeckt. Die CIA sei demnach erheblich auf die Fähigkeiten der NSA
angewiesen, massenhaft Daten weltweit zu sammeln, um Aufenthaltsorte
oder Lebensmuster mit Hilfe von Signals Intelligence (SIGINT) zu
erfassen.[6]

Anmerkungen

[1] Dazu im Weiteren: Hoffmann, Hilmar (1987): Das Taubenbuch.
Frankfurt/M.: Wolfgang Krüger Verlag, S. 119. Für den Literaturhinweis
danke ich Adelheid Schlott.
[2] Zu SAGITTA ausführlich: Mickan, Thomas (2013): SAGITTA -- auf dem
Weg zum autonomen Krieg?. In: Drohnenforschungsatlas der
Informationsstelle Militarisierung, S. 10-16.
[3] Baumann, Zygmunt (2000): Liquid Modernity. Polity Press, Cambridge.
[4] Rye, Kristian M. (2013): Wissen und Macht. Drohnenforschung im
Rahmen von INDECT. In: Drohnenforschungsatlas der Informationsstelle
Militarisierung, S. 4-9.
[5] Petersmann, Sandra (Tagesschau 22.10.2013): Half Deutschland bei
Drohnenschlägen?
[6] Miller, Greg/Tate, Julie/Gellman, Barton (Washington Post,
17.10.2013): Documents reveal NSA's extensive involvement in targeted
killing program.
 

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