[IMI-List] [0401] Neuer AUSDRUCK (August 2013)/ Demographie und Sicherheit/Drohnen-FAQ aktualisiert
IMI
imi at imi-online.de
Mo Aug 12 17:27:16 CEST 2013
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0401 .......... 16. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jonna Schürkes
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1) der neu erschienene AUSDRUCK (August 2013)
2) Hinweis auf eine aktualisierte Version des Drohnen-FAQ
3) ein Artikel zum Thema Demographie und Sicherheit
1) der neu erschienene AUSDRUCK (August 2013)
Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins ist soeben erschienen und kann
hier heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/August2013klein.pdf
INHALTSVERZEICHNIS AUSDRUCK (August 2013)
DROHNEN
SAGITTA auf dem Weg zum autonomen Krieg?
http://www.imi-online.de/download/August2013mickan.pdf
(Thomas Mickan)
Kampfdrohnen für weltweite Kriegseinsätze
http://www.imi-online.de/download/August2013neuber.pdf
(Arno Neuber)
Vollautomatische Menschenjagd mit österreichischer Beteiligung?
http://www.imi-online.de/download/August2013steinbacher.pdf
(Eveline Steinbacher)
SYRIEN-ÄGYPTEN-AFGHANISTAN
„Keine schlechte Sache“: Abnutzungsbürgerkrieg statt Intervention – die
US-Syrien-Strategie
http://www.imi-online.de/download/August2013wagner1.pdf
(Jürgen Wagner)
Ägypten und die Europäische Nachbarschaftspolitik: Über den
Neoliberalismus zur Revolution
http://www.imi-online.de/download/August2013springmann.pdf
(Leonard Springmann)
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
US-AfriCom und KSK seit Jahren in Mali aktiv
http://www.imi-online.de/download/August2013marischka.pdf
(Christoph Marischka)
„Meer. Für Dich“ als vorsätzliche Volksverdummung
http://www.imi-online.de/download/August2013seifert1.pdf
(Andreas Seifert)
Querflöte, Violine und Feldjäger – Gruppe »Lebenslaute« spielt gegen
Gefechtsübungszentrum auf
http://www.imi-online.de/download/August2013schulze.pdf
(Michael Schulze von Glaßer)
FRIEDENSFORSCHUNG
Von zu wenigen und zu vielen jungen Männern: “Youth Bulge” im
sicherheitspolitischen Diskurs
http://www.imi-online.de/download/August2013schuerkes.pdf
Jonna Schürkes
Friedensforschungstagung in Osaka
http://www.imi-online.de/download/August2013seifert2.pdf
(Andreas Seifert)
2) Hinweis auf aktualisierte Version des Drohnen-FAQ
Das FAQ-2: „Seit wann gibt es Drohnen bei der Bundeswehr“ wurde heute
aktualisiert (http://www.imi-online.de/download/FAQ_Drohnen2.pdf).
Alle FAQ zu Drohnen finden sich hier:
http://www.imi-online.de/themen/drohnen/faq-drohnen-kriege/
3) Artikel zum Thema Demographie und Sicherheit
IMI-Analyse 2013/023 - gekürzt in: Wissenschaft & Frieden 2013-3
Von zu vielen und zu wenigen jungen Männern - „Youth Bulge“ im
sicherheitspolitischen Diskurs
http://www.imi-online.de/2013/08/12/von-zu-vielen-und-zu-wenigen-jungen-mannern/
von Jonna Schürkes
Im Zuge des »arabischen Frühlings« hat die These, dass viele junge
Männer die Stabilität einer Gesellschaft gefährden, neuen Aufwind
bekommen. Viele Vertreter der »Youth Bulge«-These teilen die Welt in
jene Gesellschaften, in denen es zu viele junge Männer und daher
Unruhen, Aufstände und Bürgerkriege gebe, und solche, in denen ein
Mangel an jungen Männern eine globale Ordnungspolitik erschwere. Während
die zuerst genannten Gesellschaften vor allem im globalen Süden zu
finden seien, lägen letztgenannte in Europa und Nordamerika. Der
folgende Artikel argumentiert, dass diese Annahme nicht nur hervorragend
in die vorherrschende Bedrohungsanalyse westlicher Sicherheitsexperten
passt, sondern auch in die strategischen Überlegungen für zukünftige
Kriege einfließt.
Die Selbstverbrennung des 26-jährigen Mohamed Bouazizi in Sidi Bouzid,
Tunesien, löste Ende 2010 Massenproteste in Tunesien aus und brachte den
Stein für die Umwälzungen in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel
ins Rollen. Die Proteste wurden zunächst vor allem von jungen Menschen
angeführt – prekarisierte, arbeitslose, teils sehr gut ausgebildete
Jugendliche machten den Anfang, erst später kamen berufsständische
Organisationen (wie Juristen und Ärzte) und Gewerkschaften hinzu. In der
Folge widmeten sich Autoren unterschiedlichster Zeitungen und
Zeitschriften der »Jugend« in der arabischen Welt; sie begleiteten junge
Demonstranten und berichteten über ihre Anliegen, ihre Art der
Organisation und des Protestes.
Es gab und gibt aber auch viele Artikel, die sich dem Thema aus einem
anderen Blickwinkel nähern. Für sie sind die Umwälzungen in der
arabischen Welt ein Beweis für ihre These, nach der vor allem von jenen
Gesellschaften Unsicherheit, Instabilität und Krieg ausgehen, die über
einen überproportional hohen Anteil an jungen Menschen verfügen.[1]
Dahinter steht die These des »Youth Bulge«. Sie geht von einer »gesunden
Altersstruktur« einer Gesellschaft aus, die grafisch meist in Form einer
Pyramide dargestellt wird. Der »Bulge« – also die »Ausstülpung« – ist
damit bildlich zu verstehen: als eine Beule der Pyramide an der Stelle,
an der die Anzahl der 15- bis 29-Jährigen abgebildet wird. Dieser große
Anteil von Menschen im »Kampfalter«[2] wird als Sicherheitsproblem
identifiziert, mit dem nicht nur die Regierungen der jeweiligen Länder,
sondern auch westliche sicherheitspolitische Akteure umzugehen hätten.
DIE „ANALYSE“: JUNGE MENSCHEN ALS SICHERHEITSBEDROHUNG
Die »Youth Bulge«-These schaffte es mit den Umwälzungen in der
arabischen Welt in Zeitungen und Massenmedien.[3] Allerdings bezieht sie
sich nicht ausschließlich auf den Mittleren Osten und Nordafrika, auch
wenn diese Region von Vertretern der »Youth Bulge«-These immer besonders
argwöhnisch betrachtet wurde.[4] Vielmehr gilt: „Wo immer und wann immer
die Medien über Massendemonstrationen, Terrorismus,
Unabhängigkeitsbewegungen, Zusammenstöße zwischen unterschiedlichen
ethnischen Gruppen, Aufstände und Pogrome berichten, findet immer jemand
einen überproportionalen Anteil an jungen Männern“.[5] So wurde
beispielsweise auch der aktuelle Konflikt in Mali mit einem zu starken
Bevölkerungswachstum in der Sahel-Zone und einer zu großen Anzahl
unkontrollierter junger Männer erklärt.[6]
Richard Cincotta vom US-amerikanischen sicherheitspolitischen Think-Tank
Stimson Center spricht daher auch gleich von einem „demographischen
Bogen der Unsicherheit“.[7] Dieser umfasse jene Länder, in denen die
Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahren ist, was derzeit für fast alle
afrikanischen, lateinamerikanischen, arabischen und südasiatischen
Länder gilt.
Es ist auffällig, dass in den Analysen statistisch immer auf den
prozentualen Anteil einer jungen Bevölkerung allgemein hingewiesen wird.
In der Erklärung allerdings, warum diese junge Bevölkerung ein
Sicherheitsproblem darstellt, wird sehr deutlich zwischen einer
weiblichen und männlichen jungen Bevölkerung unterschieden. Junge Frauen
tauchen in diesen Analysen entweder überhaupt nicht auf oder lediglich
als diejenigen, die die Männern (über Ehe und Familie) nicht
kontrollieren bzw. diese überschüssigen Männer gebären: „Der
Kampfvorteil eines männlichen Kriegers gegenüber einem Mutter-Kind-Paar
sorgt also dafür, daß in den Berechnungen der Strategen die Mädchen eher
als Gebärerinnen weiterer Krieger denn als eigenständige militärische
Bedrohung zum Zuge kommen.“ [8]
Für die Annahmen, warum wiederum der »Überschuss« an jungen Männern zu
Konflikten führe, werden unterschiedliche Erklärungen geliefert.[9]
Cincotta bemüht vor allem malthusische Erklärungsmuster. Ihm zufolge
entstehen aufgrund eines Bevölkerungswachstums Konflikte um knappe
Ressourcen (Ackerland, Trinkwasser, Lebensmittel), welche von der jungen
männlichen Bevölkerung gewaltsam ausgetragen würden.[10] Zudem betont
er, dass es vor allem junge Männer seien, die für die Urbanisierung in
den »Entwicklungsländern« verantwortlich wären. Sie würden in die
Megastädte migrieren und dort in Vierteln ohne ausreichende
Infrastruktur und ohne Erwerbsmöglichkeiten landen. Diese Viertel seien
dann wiederum Brutstätten von politischer Gewalt.[11]
Für Gunnar Heinsohn, den wohl wichtigsten deutschen Vertreter der »Youth
Bulge«-These, steht fest, dass es der Wettkampf junger Männer um eine
begrenzte Anzahl an Posten in einer Gesellschaft ist, der Gewalt und
Kriege auslöst, neben einer grundsätzlichen
»Friss-oder-Stirb-Erziehung«, die er in den Familien der »Dritten Welt«
ausmacht.[12] Hendrik Urdal vom Osloer Peace Research Institute hingegen
vertritt die These, dass es in Gesellschaften mit einer hohen Anzahl von
jungen Männern für Rebellengruppen, Aufständische oder Terroristen
einfacher sei, Kämpfer zu rekrutieren, weswegen auch die
Wahrscheinlichkeit von Konflikten steige. Vor allem unverheiratete und
erwerbslose Männer seien davon betroffen, weil sie weit weniger zu
verlieren hätten: „Wenn junge Menschen keine Alternative zu
Arbeitslosigkeit und Armut haben, sind sie eher geneigt, sich einer
Rebellengruppe anzuschließen, um eine alternative Einkommensmöglichkeit
zu erlangen“. [13] Statistisch sei zudem zu beobachten, dass je größer
die Gruppe eines Jahrgangs, desto wahrscheinlicher sei auch der Ausbruch
gewaltsamer Konflikte und Bürgerkriege.
So unterschiedlich die Analysen der Vertreter der »Youth Bulge«-These
auch sein mögen – von einer offen rassistischen Argumentation Heinsohns
bis hin zur Analyse Urdals, in der demographische und sozioökonomische
Faktoren berücksichtigt werden –, ist für sie die Größe der Gruppe
junger Männer und die Tatsache, dass sie nicht (ausreichend)
kontrolliert und diszipliniert werden, entscheidend: „Die Hypothese des
Youth-Bulge […] hat einen Resonanzboden in einer weit verbreiteten und
wahrscheinlich zutreffenden Sichtweise, nach der ledige Männer im Alter
von 15 (oder sogar jünger) und 25 für die soziale Ordnung gefährlich
sein können, wenn sie nicht beschäftigt sind, nicht durch
Bildungseinrichtungen oder das Militär diszipliniert werden und nicht
unter elterlicher oder gemeinschaftlicher Kontrolle stehen [...].“[14]
Nun weisen fast alle Autoren mehr oder weniger deutlich darauf hin, dass
nicht allein ein »Überschuss« an jungen Männern ein
sicherheitspolitisches Problem darstellt, sondern es immer auch anderer
Faktoren bedarf, dass Konflikte tatsächlich ausbrechen. Auch mögen
einige der Thesen eine gewisse Berechtigung haben (fehlende Perspektiven
als Motiv für Konflikte o.ä.). Die unabhängige Variable in diesen
Analysen ist jedoch die Anzahl der jungen Männer in den Gesellschaften
des Südens, die abhängige Variable die Wahrscheinlichkeit von
Instabilität und Konflikt. Bei allen anderen Faktoren handelt es sich
höchstens um intervenierende Variablen. Damit leisten diese Vertreter
der »Youth Bulge«-These – bewusst oder unbewusst – einen Beitrag zur
rein repressiven Bearbeitung von Konflikten.
DIE STRATEGIE: DEN TOD EIGENER SOLDATEN VERMEIDEN…
Gleichzeitig kommt kaum eine Analyse über die sicherheitspolitischen
Probleme des »Youth-Bulge« ohne den Verweis aus, dass in den
Gesellschaften des Nordens wiederum die Anzahl der jungen Männer sinkt –
was aus ihrer Sicht ebenfalls problematisch ist. Die »Überalterung« der
Bevölkerung in den USA und der Europäischen Union führe dazu, dass nicht
genügend junge Männer zur Verfügung stünden, um in den Ländern des
Südens militärisch zu intervenieren und dort Ordnung und Sicherheit
herzustellen: „Diese demographischen und ökonomischen Veränderungen
bedeuten auch, dass die militärischen Kapazitäten von großen
Entwicklungsländern steigen werden, während die Fähigkeiten der reichen
Nationen, Bodentruppen zu entsenden, um die Konfliktregionen zu
kontrollieren, abnehmen werden.“[15]
Das Problem ergebe sich jedoch nicht nur daraus, dass faktisch eine
geringere Anzahl von rekrutierungsfähigen Menschen zur Verfügung stehe,
sondern auch aus dem, was Herfried Münkler als »postheroische
Gesellschaft« bezeichnet: Weil Familien im Westen meist nur wenige
Kinder hätten, seien sie nicht bereit, diese im Krieg zu opfern.[16]
„Die weniger entwickelte Welt wird von den Strategen überdies dadurch im
Vorteil gesehen, dass fast jeder Junge in der Ersten Welt der einzige
Sohn oder gar das einzige Kind ist, so dass die Angst um sein Überleben
jeden nichtzivilen Einsatz so gut wie unmöglich macht. Sein Aufwachen
ist durch Einfühlung und Hilfestellung gekennzeichnet. Die
Friß-oder-stirb Erziehung ist in der ersten Welt weitgehend
verschwunden. Hingegen können die Familien der Dritten Welt einen oder
gar mehrere Söhne verlieren und immer noch funktionieren“[17], erklärt
Heinsohn. Die »postheroischen Gesellschaften« würden Münkler und
Heinsohn zufolge also Kriege mit einem zu großen Risiko für die eigenen
Soldaten vermeiden, wohingegen die Gesellschaften und v.a. auch Familien
des Südens gerne bereit wären, ihre Kinder in Kriegen zu opfern.
Abgesehen von dem Rassismus, der hinter dieser These steht, wird hier
ein Bild über die Ursachen von Kriegen im Süden gezeichnet, das zwar dem
Weltbild der beiden Autoren entsprechen mag ‑ nämlich der Annahme, Krieg
und Gewalt in den Ländern des Südens würden von jenen Menschen
angezettelt werden, die unter ihnen zu leiden haben ‑, mit der Realität
jedoch wenig zu tun hat.
… DIE »ÜBERFLÜSSIGEN« DEN WESTLICHEN INTERESSEN OPFERN
Recht haben Heinsohn und Münkler allerdings in dem Punkt, dass die
westlichen Staaten bestrebt sind, Kriege zur Aufrechterhaltung einer ‑
vor allem ihnen dienenden ‑ Ordnung zu führen, in denen eigene Soldaten
möglichst wenig Gefahren ausgesetzt sind. In klarer Bezugnahme auf
unterschiedliche demographische Entwicklungen in der Europäischen Union
und in den Ländern des Südens betont etwa ein Bericht der Europäischen
Rüstungsagentur EDA von 2006 die Notwendigkeit der Bündelung von
Fähigkeiten in der EU und vor allem die Investition vorrangig in jene
Bereiche, die dem Schutz von Soldaten dienen oder sie gar auf dem
Kampffeld ersetzten könnten (Stichwort Automatisierung der Kriege).[18]
Allerdings sei es in so genannten »asymmetrischen Kriegen« und vor allem
auch bei Kämpfen im urbanen Raum so, dass die technologische
Überlegenheit der westlichen Armeen kaum mehr zum Tragen komme,[19]
sodass diese andere Wege suchen müssten, um Kriege mit möglichst wenigen
eigenen Toten führen zu können: „[S]ie werden zunächst versuchen,
arbeitsintensive durch kapitalintensive Hightech-Prozesse – wie Roboter
und unbemannte Fahrzeuge – zu ersetzen. Sie können Staatsbürgerschaften
gegen das Ableisten von Militärdiensten anbieten und Kämpfer direkt in
Übersee anheuern […] Eine andere Möglichkeit, eigene durch fremde
Arbeitskraft zu ersetzte, sind Allianzen mit Entwicklungsländern, die
gewillt sind, im Gegenzug zu technischer und finanzieller Hilfe Truppen
zur Verfügung zu stellen. Die Armeen entwickelter Länder müssten dann
diese Truppen nach ihren Standards ausbilden und ausrüsten“.[20]
Ähnlich äußerte sich Jack Goldstone auf einer Tagung der Bundesakademie
für Sicherheitspolitik (BAKS), die sich selbst als höchstrangige
ressortübergreifende Weiterbildungsstätte des Bundes im Bereich der
Sicherheitspolitik bezeichnet: „Englands Empire war größtenteils mit
Armeen ausgestattet, die vor allem in den Kolonien rekrutiert wurden.
Auch wenn es keine Kolonien mehr gibt, so legt die Marktwirtschaft nahe,
dass Entwicklungsländer mit einer großen Anzahl an jungen Menschen
bereit sein könnten, diese zur Ausbildung und zum Einsatz
internationalen Milizen zur Verfügung zu stellen. Der beste und
ökonomischste Weg für Europa, die USA und Japan, ihre Kapazitäten zur
militärischen Intervention mit großen Truppenzahlen aufrecht zu
erhalten, ist es, multinationale Milizen zu trainieren, zu bewaffnen und
auszubilden, um sie dann in Stabilisierungs- und Wiederaufbaumissionen
einzusetzen. Dies könnte die ideale Kombination aus Technologie der
entwickelten Länder und der Verfügbarkeit von Arbeitskraft der
Entwicklungsländer sein, um wirksame Interventionen durchführen zu
können.”[21]
Etwas anderes schwebt Gunnar Heinsohn vor: „Siege über angreifende
youth-bulge-Nationen dürfen nicht zu einer Besatzung ausgebaut werden.
Sicherzustellen ist lediglich, dass der Gegner seine aggressiven
Potentiale wieder daheim exekutiert. Dabei kann man die
zivilisationsnähere Seite durchaus logistisch und waffentechnisch
unterstützen.“[22]
Beide Vorschläge werden vor allem von der Europäischen Union intensiv
umgesetzt. So wurde beispielsweise die »zivilisationsnähere« Seite im
libyschen Bürgerkrieg ebenso bewaffnet, wie heute im Rahmen einer
Mission in Mali die Armee von europäischen Soldaten ausgebildet und
ausgerüstet wird. Auch erinnern die Interventionstruppen auf dem
afrikanischen Kontinent stark an das Konzept der »internationalen
Milizen«, das Goldstone vorschlägt. So werden seit Jahren militärische
Einheiten aufgestellt, die sich aus Soldaten verschiedener afrikanischer
Staaten zusammensetzen (beispielsweise die Truppen der ECOWAS in
Westafrika). Die Aufstellung, Ausrüstung und Ausbildung dieser Einheiten
wird größtenteils von der EU finanziert und – was die Ausbildung angeht
– auch durchgeführt. Auch deren Einsätze sind in vielen Fällen von der
finanziellen und logistischen Hilfe der EU oder einzelner
EU-Mitgliedsstaaten abhängig. Die ECOWAS hätte beispielsweise Anfang
2013 nicht in Mali intervenieren können, hätten europäische Armeen nicht
den Transport von Material und Soldaten in Kriegsgebiet übernommen. Im
Endeffekt entscheiden somit europäische Regierung häufig, in welchen
Regionen die afrikanischen Einheiten eingesetzt werden und wo nicht.
DEMOGRAPHISCHE ANALYSEN IN DER SICHERHEITSPOLITIK
Wie an verschiedener Stelle angedeutet, handelt es sich bei den
Vertretern der »Youth Bulge«-These keinesfalls lediglich um alte, weiße
Männer, die in den Kommentarspalten der Tageszeitungen von der Gefahr
des Bevölkerungswachstums und der zu großen Anzahl junger Männer im
Globalen Süden schwadronieren. So ist beispielsweise Gunnar Heinsohn
nicht nur Gast unzähliger Talkshows im deutschen Fernsehen, er ist
vielmehr ebenso wie Jack Goldstone ein gern gesehener Referent bei der
BAKS[23] und lehrt auch am Nato Defence College in Rom.[24] Richard
Cincotta wiederum ist Mitautor der letzten »Global Trends« des
US-amerikanischen National Intelligence Council, dem Zentrum der
US-Geheimdienste für mittel- und langfristige strategische Prognosen.
Damit lässt sich wohl das prominente Kapitel zu den
sicherheitspolitischen Implikationen der demographischen Entwicklung in
den Vorhersagen für 2025 und 2030 erklären.
Demographische Entwicklungen werden also (wieder) zu einem
sicherheitspolitischen Thema. Auch wenn sich die Vorschläge zum direkten
Eingreifen in die demographische Entwicklung in Grenzen halten, so
verbinden einige Vertreter der »Youth Bulge«-These die Forderung nach
Entwicklungshilfe in Bereiche wie Mädchenbildung, Mutter-Kind-Gesundheit
und HIV/AIDS-Prävention mit der Notwendigkeit, diese Länder
demographisch und damit sicherheitspolitisch zu stabilisieren.[25]
Andere hingegen fordern eben mit dem Verweis auf den »Überschuss« an
jungen Menschen die Kürzung oder Konditionierung von Entwicklungshilfe.
So fordert Heinsohn das „Ende aller Beihilfen [gemeint sind
Lebensmittelhilfen, Entwicklungsgelder] für demographische Aufrüstung à
la Gaza“,[26] und Hartmut Dießenbacher träumt von einem
Geburtenkontrollvertrag, der die Überbevölkerung stoppen soll: „Der
Geburtenkontrollvertrag, der wie ein Atomwaffensperrvertrag
funktionieren könnte, würde beinhalten müssen, dass die Regierungen
fortpflanzungskontrollierter Länder ihre politischen Beziehungen zu
Ländern mit bevölkerungsexplosiver Regeneration unter den
Geburtenkontrollvorbehalt stellen. Wirtschafts- und Handelsverträge,
Waffenlieferungen, Schuldenerlasse, Zollabkommen, Entwicklungshilfen
aller Art wären an den Nachweis wirksamer Geburtenkontrolle zu binden.“[27]
Besonders drängen Demographen allerdings darauf, Indikatoren über die
Bevölkerungsentwicklung in sicherheitspolitische Frühwarnsysteme zu
integrieren. Ziel solle sein, „demographische Daten und Prognosen in
Regionalanalysen, die Analysen Einsatzbedingungen und andere Bewertungen
der Sicherheits- und Bedrohungslage zu integrieren. […] Die Erarbeitung
von demographischem und gesundheitlichem Wissen innerhalb der
militärischen und geheimdienstlichen Gesellschaft soll gefördert und
dieses Wissen dann in Debatten über Außenpolitik eingesetzt werden,
indem es in offizielle Statements, Debatten mit politischen
Entscheidungsträgern, den Medien und Meinungsführern eingeflochten
wird.“[28] So könnten politische Entscheidungsträger und
Sicherheitskräfte mit Hilfe der Auswertung von Daten über Geburten- und
Sterberaten auf kommenden Unruhen, Aufstände und (Bürger-) Kriege
vorbereitet werden und entsprechend reagieren, so das Versprechen:
„Würde der demographische Faktor in der Entwicklungs- und
Sicherheitspolitik stärker beachtet, wäre das Auftreten künftiger, stark
von der demographischen Entwicklung getriebener Krisen weniger
überraschend. Im Hinblick auf die arabische Welt kommt diese Erkenntnis
zu spät. In diversen Ländern südlich der Sahara könnte in einigen Jahren
ein ähnlich explosives Unruhepotential virulent werden“, ist sich die
regierungsnahe deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik sicher.[29]
Die NATO hat entsprechend schon 2009 ein Analyseraster erstellen lassen,
in dem der Zusammenhang zwischen der demographischen Entwicklung in den
Ländern des Mittleren Ostens und der Wahrscheinlichkeit von Aufständen
und (Bürger-) Kriegen dargestellt wird. Ziel der gesamten
Forschungsreihe war es, für die NATO solche Krisen für die nächsten fünf
bis zwanzig Jahre besser vorhersehbar zu machen. Der Autor Anton Minkov
kam zu dem, angesichts des Forschungsdesigns, wenig überraschenden
Ergebnis, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Anteil von
15- bis 29-Jährigen an der Gesamtbevölkerung und der „Gefahr von
Instabilitäten und politischen Veränderungen“ gebe.[30]
Inwieweit solche Daten derzeit schon in Frühwarnsystemen integriert
sind, ist unklar. Es ist aber zu befürchten, dass solche Erkenntnisse
vor allem dazu führen, dass die Regime der jeweiligen Länder – im
Zweifelsfall mit der Unterstützung des Westens – ihre Repressionsorgane
ausbilden und aufrüsten werden, um bei Unruhen effektiv reagieren zu
können. Dass dies keine aus der Luft gegriffene Behauptung ist, zeigt
eine jüngst erschienene Analyse, die sich zwar ebenfalls mit dem so
genannten »Youth Bulge« beschäftigt, allerdings von vollkommen anderen
Annahmen ausgeht. Hier wird der Zusammenhang zwischen der Repression des
Staates und der Anzahl junger, erwerbsloser Menschen beleuchtet. Das
Ergebnis der Studie lautet: „Mit unseren Analysen konnten wir unsere
theoretische Annahme bestätigen, dass der Youth-Bulge eine Auswirkung
auf das repressive Verhalten des Staates hat. Konfrontiert mit einer
großen Gruppe an jungen Menschen, sind politische Autoritäten eher
gewillt, repressiv zu regieren […].“[31]
ANMERKUNGEN
[1] Siehe z.B. Daniel LaGraffe: The Youth Bulge in Egypt: An
Intersection of Demographics. Security and the Arab Spring. Journal of
Strategic Security, Vol. 5, Nr.2, Sommer 2012; S. 65-80.
Richard Cincotta: Tunisia’s Shot at Democracy: What Demographics and
Recent History Tell Us. Wilson Center, 25.01.2011.
Elizabeth Leahy Madsen: Yemen: Revisiting Demography After the Arab
Spring. Wilson Center, 17.04.2012.
[2] Anton Minkov (2009): Demographics-Based Analytical Framework for the
Assessment of Security and Regime Stability: The Case of the Middle
East. Bericht für die Research and Technology Organisation (RTO) der
NATO, Dokument RTO-MP-SAS-081.
[3] Zu viel Testosteron in Ländern der arabischen Welt. Salzburger
Nachrichten, 24.03.2011.
Ägypten und die Demographie – Das große Töten der Jungen. Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 04.02.2011.
Erst Testosteron macht Männer zu Revolutionären. Die Welt, 13.07.2012.
[4] Vgl. u.a. Richard Jackson and Neil Howe (2008): The Graying of the
Great Powers: Demography and Geopolitics in the 21st Century.
CSIS-Global Aging Initiative.
Jack A. Goldstone: Flash points and tipping points: Security
Implications of Global Population Changes, 2005-2025. Vortrag gehalten
auf der Konferenz »Demographische Veränderungen im
sicherheitspolitischen Kontext« der Atlantik-Bücke und des BAKS, Berlin,
13.11.2006, S. 19.
[5] Weiner, Myron and Teitelbaum, Michael S. (2001): Political
Demography, Demographic Engineering. New York: Berghahn Book, S. 18.
[6] Mali’s 2.5 Percent Problem ‑ The real reason the Sahel is awash with
terrorists? Rapid population growth. Foreign Policy, 28.01.2013.
[7] Richard Cincotta: Whither the Demographic Arc of Instability?
Washington D.C.: Stimson Center, 24.11.2010.
[8] Gunnar Heinsohn (2006): Söhne und Weltmacht – Terror im Aufstieg und
Fall der Nationen. Zürich: Orell Fuessli, S. 15.
[9] Einen Überblick über verschiedene Studien zum Zusammenhang zwischen
einer jungen Bevölkerung und Konflikten bietet: Silvia Popp (2012):
Jugendüberhang und Konfliktrisiko. Ein Überblick über die Ergebnisse der
empirischen Forschung seit 1990. SWP-Zeitschriftenschau, Dezember 2012.
[10] Richard Cincotta, Robert Engelmann, Daniele Anastasion (2003): The
Security Demographic. Population And Civil Conflict After The Cold War.
Population Action International..
[11] Richard Cincotta (2004): Demographic Security Comes of Age.
ECSP-Report Nr. 10.
[12] Heinsohn 2006, op.cit., S.15.
[13] Hendrik Urdal (2012): Youth Bulges and Violence. In: Jack A.
Goldstone et al. (eds.): Political Demography – How Population Changes
Are Reshaping International Security and National Politics. Oxford:
Oxford University Press, S. 120.
[14] Weiner und Teitelbaum, op.cit., S. 18.
[15] Goldstone 2006, op.cit., S. 11.
[16] Die postheroische Gesellschaft in Europa. Süddeutsche Zeitung,
17.05.2010.
[17] Heinsohn 2006, op.cit. S.15.
[18] European Defence Agency (EDA) (2006): An Initial Long-Term Vision
For European Defence Capabilities And Capacity Needs.
[19] Vgl. Brian Nichiporuk (2000): The Security Dynamics of Demographic
Factors. RAND Corporation, S. xiv.
[20] Jackson and Howe, op.cit., S. 13.
[21] Goldstone 2006, op.cit., S. 19.
[22] Gunnar Heinsohn: Youth Bulges und westliche Niederlage.
griephan-globalsecurity, 3/2008; S. 45.
[23] Referentenliste des Seminars für Sicherheitspolitik 2011 und 2012;
baks.bund.de.
[24] Göran Therborn: NATO’s Demographer. New Left Review, Nr. 56,
March/April 2009.
[25] Cincotta, Engelmann, Anastasion, op.cit.
[26] Heinsohn 2008, S. 45.
[27] Hartmut Dießenbacher (1998): Kriege der Zukunft. München: Hanser,
S. 158f.
[28] Cincotta, Engelmann, Anastasion, op.cit.
[29] Wenke Apt: Aufstand der Jugend ‑ Demographie liefert Hinweise auf
Konfliktpotentiale. SWP-Aktuell, März 2011; S. 4.
[30] Minkov, op.cit..
[31] Ragnhild Nordås and Christian Davenport: Fight the Youth: Youth
Bulges and State Repression. American Journal of Political Science, 2013.
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