[IMI-List] [0371] AUSDRUCK April 2012/ Polizeiabkommen Mexiko

IMI imi at imi-online.de
Do Apr 5 13:37:46 CEST 2012


----------------------------------------------------------
Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0371 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
----------------------------------------------------------


Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich:

1) die April-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK;

2) eine Analyse zum Polizeiabkommen mit Mexiko von Peter Clausing


1) AUSDRUCK (April 2012)

Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins ist erschienen und kann hier 
heruntergeladen werden: http://www.imi-online.de/download/April2012_web.pdf
Wir wünschen allen Lesern schöne Feiertage!

MILITARISIERUNG VON FORSCHUNG UND LEHRE

Die Militarisierung des Zivilen. Das Forschungsprogramm für die zivile 
Sicherheit
http://www.imi-online.de/download/April2012_kany
von Jens Kany

Die Offensive der Kriegsforscher
http://www.imi-online.de/download/April2012_marischkaI
von Christoph Marischka

SYRIEN

Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft 
der Gewalt
http://www.imi-online.de/download/April2012_wagner
von Jürgen Wagner

KONFLIKTREGION NORDAFRIKA

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: Mali
http://www.imi-online.de/download/April2012_marischkaII
von Christoph Marischka

„Sicherheitslage im Vergleich zur Zeit des Gaddafi-Regimes verbessert“
http://www.imi-online.de/download/April2012_klaus
von Bernhard Klaus

Siemens, Desertec und die Nato
http://www.imi-online.de/download/April2012_marischkaIII
von Christoph Marischka

MILITAINMENT

Battlefield 3: Das virtuelle Schlachtfeld
http://www.imi-online.de/download/April2012_glasser
von Michael Schulze von Glaßer

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR

Der Dresdner Erlass: Machtkonzentration durch die Umstrukturierung des 
Verteidigungsministeriums
http://www.imi-online.de/download/April2012_haid
von Michael Haid

Blut und Ehre für das deutsche Vaterland? Zu den Planungen eines 
“Veteranentags”
http://www.imi-online.de/download/April2012_glasserII
von Michael Schulze von Glaßer

Polizeiabkommen als Tauschwährung im Rüstungsexportschacher ?
http://www.imi-online.de/download/April2012_clausing
von Peter Clausing

EU-MILITARISIERUNG

Das kriegerische Kerneuropa verleiht sich Flügel. Zur Rolle des 
„Europäischen strategischen Lufttransportkommandos“
http://www.imi-online.de/download/April2012_haydt
von Claudia Haydt


2) eine Analyse zum Polizeiabkommen mit Mexiko


IMI-Analyse 2012/005 - in: AUSDRUCK (April 2012)
Polizeiabkommen als Tauschwährung im Rüstungsexportschacher ?
http://www.imi-online.de/download/April2012_clausing
02.04.2012, Peter Clausing


Polizeiabkommen als Tauschwährung im Rüstungsexportschacher ?

von Peter Clausing
Mexikos Regierung im Genuss der „Unschuldsvermutung“

Im Frühsommer 2011 verwiesen Guido Westerwelle und Christian Wulff bei 
ihren Besuchen in Mexiko auf ein geplantes Abkommen zur 
Polizeizusammenarbeit. Solche bilateralen Abkommen hat Deutschland mit 
zahlreichen Ländern abgeschlossen, darunter auch einige, in denen von 
Sicherheitskräften massive Menschenrechtsverletzungen begangen werden. 
Auch im Fall von Mexiko handelt es sich um den geplanten Vertrag mit 
einem Land, das seit Jahren wegen systematischer 
Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. Hinzu kommt, dass wir es 
hier mit einem Land zu tun haben, das sich nach außen hin geradezu 
aggressiv darum bemüht gut dazustehen. Schon vor fünf Jahren beschrieb 
die damalige Generalsekretärin von Amnesty International, Irene Khan, 
ihre Eindrücke nach einer Unterredung mit Präsident Felipe Calderón 
folgendermaßen: "Mexiko hat eine zweigleisige Annäherung an das Thema 
Menschenrechte gewählt. Auf internationaler Ebene glänzt es, während es 
im eigenen Land bei der wirksamen Durchsetzung der Menschenrechte für 
alle Mexikaner scheitert."[1] Die Deutsche Menschenrechtskoordination 
Mexiko (DMRK), ein Zusammenschluss von 15 Organisationen, sieht das 
ähnlich. Sie befürchtet, dass das angestrebte Abkommen zur 
Polizeizusammenarbeit, das auf einen Entwurf des mexikanischen 
Außenministeriums vom Dezember 2010 zurückgeht,[2] weniger der Abwehr 
der organisierten Kriminalität dient, als vielmehr ein weiterer Beleg 
für die Glaubwürdigkeit Mexikos als rechtsstaatlicher Partner sein soll. 
Die deutsche Politik hilft bei dieser Imagepflege und erwartet 
Gegenleistungen im wirtschaftlichen Bereich – Marktzugang für den Export 
von Rüstungsgütern und Sicherheitstechnologie, aber auch im Bereich der 
„Green Economy“. Vom Auswärtigen Amt wird zwar anerkannt, dass der 
Einsatz der mexikanischen Sicherheitskräfte mit gravierenden 
Menschenrechtsproblemen behaftet ist, doch die deutsche Regierung 
besteht darauf, dass der mexikanischen Regierung die 
„Unschuldsvermutung“ (benefit of doubt) zugestanden werden müsse, denn 
diese arbeite ja an der Verbesserung der Menschenrechtssituation.

„Unschuldsvermutung“ ohne Grundlage

Bisher ist allerdings kaum eine Verbesserung der Menschenrechtslage im 
mexikanischen Alltag zu spüren. Formale Rechtsakte werden als 
„bahnbrechend“ gefeiert, obwohl bislang keiner dieser Akte zu einem 
grundlegenden Wandel in der alltäglichen Praxis von Polizei und 
Gerichten geführt hat. Dazu zählt das zweifellos begrüßenswerte 
Grundsatzurteil des Obersten Gerichts Mexikos vom 12.07.2011, dem 
zufolge die Militärgerichtsbarkeit nicht mehr zuständig sein soll, wenn 
Angehörige der Streitkräfte der Vergewaltigung und Folter von 
Zivilpersonen angeklagt sind. Das Grundsatzurteil kommt damit einem 
bereits im Jahr 2009 verhängten Urteil des Interamerikanischen 
Gerichtshofs für Menschenrechte nach. Ob dieses Grundsatzurteil 
tatsächlich zur Richtschnur in der Rechtspraxis wird, bleibt abzuwarten, 
denn die Definition der Straftatbestände, die dann vor Zivilgerichten 
weiter zu verhandeln sind, liegt im Ermessen der Militärgerichte.

Die deutsche Politik hat in Fragen der Menschrechtsverletzungen eine 
große Geduld mit der mexikanischen Regierung. Die Verbesserungen in 
diesem Bereich sind marginal. Die im Dezember 1984 von der UNO 
verabschiedete Antifolterkonvention wurde von Mexiko im Januar 1986 
ratifiziert. Im Jahr 2008, also 22 Jahre später, wurde schließlich eine 
Justiz-Reform verabschiedet, in deren Rahmen Folter in Polizeiverhören 
und die Verwendung von unter Folter erpressten Geständnissen vor 
Gerichten verhindert werden sollen. Vier Jahre später – 2012 – haben 
sieben von 32 Bundesstaaten entsprechende Gesetze verabschiedet. In 
einigen Bundesstaaten gibt es Bemühungen, durch die vorherige 
Verabschiedung gegenläufiger Gesetze, die Anwendung späterer 
Antifoltergesetze zu verhindern.

In dem Ende 2006 von Präsident Calderón ausgerufenen „Krieg gegen den 
Drogenhandel“ haben bisher rund 50.000 Menschen ihr Leben verloren. 
Während Calderón behauptet, dass nur ein Prozent davon unschuldige 
zivile Opfer seien,[3] widersprechen zahlreiche zivilgesellschaftliche 
Akteure vehement dieser Darstellung. Nach Einschätzung eines vor wenigen 
Monaten veröffentlichten Berichts von Human Rights Watch (HRW) werden in 
den meisten Fällen Tötungen durch Sicherheitskräfte gar nicht 
untersucht. Zudem gibt es gut dokumentierte Belege für willkürliche 
Tötungen von Menschen durch die Sicherheitskräfte, die das Pech hatten, 
zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein.[4] Hinzu kommt eine 
ständig wachsende Zahl von Aktivisten politischer und sozialer 
Bewegungen sowie Journalisten, die ermordet, entführt oder bedroht 
werden. Häufig stehen Sicherheitskräfte in Verbindung zu diesen Taten. 
Wie häufig die geistige Urheberschaft bei Politikern und lokalen 
Machthabern zu suchen ist, lässt sich aufgrund der in Mexiko 
verbreiteten Straflosigkeit nicht abschätzen.[5]

Bemerkenswert ist schließlich, dass die deutsche Außenpolitik für die 
mexikanische Regierung die Unschuldsvermutung einfordert, während 
mexikanische Politiker Menschenrechtsaktivist_innen als Lügner oder gar 
als Komplizen der organisierten Kriminalität darstellen. Präsident 
Calderón selbst drückte seinen Frust darüber aus, immer wieder 
Beschwerden über Menschenrechtsvergehen von Militärs zu hören, die 
„nicht wahr“ seien,[6] und der mexikanische Marineminister, Mariano 
Francisco Saynez Mendoza, verkündete am 26.7.2011: "Kriminelle Banden 
versuchen das Prestige und den guten Ruf der [staatlichen] Institutionen 
zu besudeln, indem sie sich bürgerlicher Gruppierungen bedienen, die ... 
auf das perverse Spiel der Kriminellen hereinfallen sollen, mit dem 
Banner der Menschenrechte den Institutionen Schaden zuzufügen...".[7]

Dabei spricht selbst die offizielle Statistik eine deutliche Sprache: Im 
Zeitraum von Dezember 2006 bis Juli 2011 erhielt die Nationale 
Menschenrechtskommission 5055 Beschwerden über 
Menschenrechtsverletzungen, die von Militärs gegenüber Zivilisten 
begangen wurden. Daraus wurden in 86 Fällen (1,56 %) Empfehlungen 
abgeleitet, bei denen es in 13 Fällen zur Einleitung von Strafverfahren 
gegen eine oder mehrere Personen kam – also bei 0,3 % der eingegangenen 
Beschwerden.[8] Im zivilen Bereich sieht es nicht besser aus. Die 
Tatsache, dass in Mexiko nach unterschiedlichen Angaben nur acht bis 
zwölf Prozent aller Straftaten überhaupt angezeigt werden und etwa 98 
Prozent aller Delikte straffrei bleiben,[9] hat vor allem mit dem 
fehlenden Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und mit Ineffizienz 
und Korruption bei den Gerichten zu tun.

Sicherheitskooperation und Rüstungsexporte

Vor diesem Panorama entfaltet sich eine deutsch-mexikanische 
Sicherheitskooperation mit diplomatischen und kommerziellen Komponenten. 
Zwar sind die Kriegswaffenexporte nach Mexiko im Jahr 2010 eingebrochen 
(siehe Grafik), wobei dies eher am Auslaufen abgeschlossener Verträge 
gelegen haben dürfte als am Wirksamwerden des bislang noch geltenden 
Exportverbots für G36-Sturmgewehre, das durch eine gegen die 
Geschäftsführer der Firma Heckler & Koch erstattete Strafanzeige des 
Bundessprechers der Deutschen Friedensgesellschaft, Jürgen Grässlin, 
zustande kam, denn die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wurde erst 6 
Monate nach der Anzeige, im Dezember 2010, aktiv. Doch die 
deutsch-mexikanische Industrie- und Handelskammer (CAMEXA) hat in 
Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft inzwischen eine 
Charmeoffensive gestartet. Am 15. und 16. Februar präsentierten 21 
Unternehmen in einer in Mexiko organisierten Veranstaltung „deutsche 
Sicherheitstechnik“. Die über 40 Vertreter des mexikanischen 
Verteidigungs- und des Marineministeriums "zeigten sich beeindruckt von 
dem deutschen Angebot".[10] Die EADS-Tochter Eurocopter, die derzeit 
zwölf Militärhubschrauber des Typs EC725 an die mexikanische Armee 
liefert (geschätztes Volumen 60 Millionen Euro), war mit dabei.[11] Laut 
CAMEXA hat die mexikanische Regierung im Jahr 2011 fast fünf Milliarden 
Euro zur Aufrüstung ihrer Streitkräfte ausgegeben. Dieser Trend scheint 
sich fortsetzen, denn die CAMEXA bietet im Auftrag des 
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie am 16.4.2012 in Berlin 
eine kostenfreie Informationsveranstaltung zum Thema „Markterschließung: 
Sicherheitstechnologie in Mexiko“. Bei dieser Veranstaltung steht laut 
Ankündigung der „zivile Sicherheitsmarkt“ mit einem „Volumen von 
ungefähr 6,2 Milliarden Euro pro Jahr“ im Vordergrund.[12]

Fazit

Von der mexikanischen Zivilgesellschaft gehen verzweifelte Bemühungen 
aus, der gescheiterten Strategie des „Krieges gegen den Drogenhandel“ 
Friedenstiftende Alternativen entgegen zu setzen. Die Anfang Mai 2011 
von dem Journalisten und Poeten Javier Sicilia initiierte nationale 
Kampagne „Für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde“ stellt die 
Strategie des militärischen Vorgehens in Frage. Am 7. August 2011 
präsentierten der Rektor der Nationalen Autonomen Universität Mexikos, 
José Narro Robles, und der Präsident des Interamerikanischen 
Menschenrechtsgerichtshofs zusammen mit anderen Persönlichkeiten des 
öffentlichen Lebens „30 Vorschläge“, die sich an die politischen und 
sozialen Sektoren der Gesellschaft richten, um die Sicherheitsstrategie 
Mexikos zu korrigieren.[13] Der jüngste diesbezüglich Versuch ist ein 
von zig Organisationen und prominenten Einzelpersonen unterschriebene 
„Proklamation zur Rettung der Nation“.[14]

Die mexikanische Regierung hingegen setzt weiterhin auf eine 
militärische Lösung. Von der deutschen Regierung erhält sie 
Rückendeckung und deutsche Unternehmen beeilen sich, von der Fortsetzung 
dieser verfehlten Politik zu profitieren.

Anmerkungen:

[1] Mexico: Amnesty International completes High Level Mission - 
President Calderon commits to human rights. News Service No 152, 7 
August 2007 (AI Index AMR 41/048/2007 - Public).
[2] Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zur 
Sicherheits- und Rüstungskooperation mit Mexiko, BT-Drs. 17/8275.
[3] Human Rights Watch: Neither Rights Nor Security. Killings, Torture, 
and Disappearances in Mexico’s “War on Drugs”, 09.11.2011, S. 163. 
Calderón verkündete diese Zahl in einer Rede am 4.8.2010.
[4] Ebd. S.182-206.
[5] Schulz, C.: Mexiko: Gewalteskalation und Straflosigkeit. GIGA Focus 
Nr. 12/2011.
[6] Human Rights Watch (2011): a.a.O, S. 10.
[7] Delincuentes usan como bandera los derechos humanos :Saynez, 
Milenio, 26.7.2011.
[8] Die Zahlen sind den 86 Empfehlungsschreiben der Nationalen 
Menschenrechtskommission an das Verteidigungsministerium entnommen.
[9] Schulz, a.a.O.
[10] Experten präsentierten Militärs deutsche Sicherheitstechnik, 
Deutsch-Mexikanische Industrie- und Handelskammer, Pressmitteilung, 
21.02.2012; URL: http://mexiko.ahk.de.
[11] Clausing, P.: Mexiko: Simulierte Demokratie im Belagerungszustand, 
in: AUSDRUCK April/2011, S.30.
[12] Informationsveranstaltung: Zivile Sicherheitstechnologie in Mexiko, 
Deutsch-Mexikanische Industrie- und Handelskammer; URL: 
http://mexiko.ahk.de.
[13] Convoca Rector José Narro a derrotar ‘unidos y articulados’ al 
crimen, el delito y la justicia, Boletín UNAM-DGCS-466, 08.08.2011.
[14] Mexiko: Proklamation zur Rettung der Nation, Chiapas 98, 
24.03.2012; URL: http://www.chiapas.eu/.



Mehr Informationen über die Mailingliste IMI-List