[IMI-List] [0364] Konversion / Spendenaufruf

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Mi Dez 21 14:22:46 CET 2011


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0364 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser letzten IMI-List in diesem Jahr findet sich ein Artikel zur 
Konversion der Bundeswehrstandorte.

Zuvor aber noch ein Hinweis in eigener Sache:

Die IMI finanziert sich fast ausschließlich über Spenden und 
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übrig hat, wir freuen uns über jede Unterstützung.

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Ansonsten wollen wir noch allen Freundinnnen und Freunden der IMI ein 
gutes neues und hoffentlich friedlicheres neues Jahr zu wünschen!


IMI-Standpunkt 2011/057 – in: AUSDRUCK (Dezember 2011)
Konversion: Was kommt nach der Bundeswehr?
http://www.imi-online.de/2011/12/12/konversion-was-kommt-nach-der-bundeswehr/#_ftn2 

12. Dezember 2011, Claudia Haydt

Die Bundeswehr zieht sich aus der Fläche zurück, sie verringert ihr 
Militärpersonal um etwa 60.000 auf 185.000, das Zivilpersonal wird auf 
55.000 gekürzt und seit Ende Oktober ist klar, dass sie insgesamt 64 
Standorte auflöst. Aus 31 davon zieht sie komplett ab, andere Standorte 
werden auf eine Personalstärke unter 15 reduziert und zukünftig formal 
nicht mehr als Standort gewertet. Meist bedeutet dies, dass, wie etwa in 
Ravensburg oder Herford, nur noch sechs “Karriereberater” der Bundeswehr 
vor Ort bleiben. Deren Aufgabe ist es, Nachwuchs für die zukünftigen 
Kriegs- und Besatzungseinsätze der Bundeswehr zu rekrutieren. Die 
verbleibenden Standorte sind nahezu vollständig nach ihrer Bedeutung für 
Auslandseinsätze ausgewählt worden und werden teilweise dafür noch 
weiter ausgebaut. Letzteres trifft zum Beispiel auf die Standorte in 
Calw (Kommando Spezialkräfte) oder Stetten am Kalten Mark zu, deren 
Kapazitäten in den nächsten Jahren noch deutlich ausgebaut werden. 
Gleichzeitig stellt sich die Frage, was zukünftig mit den Standorten 
geschieht, aus denen die Bundeswehr ganz oder teilweise abzieht. 
Zusätzlich werden in den nächsten Jahren sämtliche britischen Truppen 
und weitere US-amerikanische Soldaten aus Deutschland abgezogen werden. 
In vielen Kommunen herrscht angesichts des bevorstehenden Abzugs 
Weltuntergangsstimmung und Bürgermeister, Landräte und 
Ministerpräsidenten kämpfen für den Erhalt „ihrer“ Standorte. 
Gleichzeitig setzen sich in vielen Regionen Bürgerinitiativen zum Teil 
schon seit Jahren für die Schließung militärischer Übungsplätze, gegen 
militärischen Lärm, gegen Umweltverschmutzung und für eine zivile 
Nutzung von Militärgelände ein. Angesichts dieser widersprüchlichen 
Aktivitäten und der zunehmenden Dringlichkeit des Themas, lohnt es sich 
zurückzublicken, welche Erfahrungen in den letzten zwanzig Jahren bei 
der Liegenschaftskonversion gemacht wurden.


Zwanzig Jahre Erfahrung mit erfolgreicher Konversion

Bei der Frage von Konversion militärischer Liegenschaften in zivile 
Nutzung betritt man in Deutschland kein Neuland. So gab es in der 
ehemaligen DDR zur Zeit der Wende circa 1.100 militärische 
Liegenschaften der NVA, heute werden, verteilt auf 75 Standorte, weniger 
als 500 davon von der Bundeswehr genutzt. Zudem wurden bis 1994 alle 
sowjetischen Truppen aus den neuen Bundesländern komplett abgezogen. 
Auch in den alten Bundesländern gibt es Erfahrungen mit solch 
grundlegenden Veränderungen der Nutzungsstruktur. Die französischen 
Truppen sind nahezu vollständig abgezogen, auch die kanadische, 
belgische und niederländische Militärinfrastruktur steht seit einigen 
Jahren für zivile Nutzung zur Verfügung. US-Truppen wurden in der 
Vergangenheit bereits stark reduziert. Das relativ strukturschwache Land 
Rheinland-Pfalz[1] galt lange Zeit wegen der starken Präsenz von US-Army 
und Airforce als “Flugzeugträger der USA”. Durch deren großflächigen 
Abzug seit Anfang der 1990er Jahre wurden 600 Liegenschaften auf 13.000 
Hektar frei. Beinahe zwanzig Jahre später sind anstelle der 26.000 
zivilen Arbeitsplätze, die durch den Abzug kurzfristig verloren gingen, 
über 50.000 (z.T. deutlich höher qualifizierte) Arbeitsmöglichkeiten neu 
entstanden. Diese erfolgreiche Umstrukturierung der Region war unter 
anderem möglich durch etwa 2 Milliarden Euro Konversionszuschüsse aus 
verschiedenen Töpfen (vor allem EU-, Bundes und Landesmittel).

Für die Beurteilung der Chancen einer erfolgreichen Konversion lohnt 
sich auch ein Blick auf einen etwas späteren Zeitraum (2003-2007). 
Damals waren die makroökonomischen Rahmenbedingungen für 
Unternehmensneugründungen und andere Nachnutzung ungünstiger als in den 
1990er Jahren. Zudem standen viele Konversionsmittel bereits nicht mehr 
zu Verfügung. Dennoch kommt eine Untersuchung[2] von über 100 Regionen, 
in denen Bundeswehrstandorte geschlossen wurden, zu sehr ermutigenden 
Ergebnissen. Es wurden vor allem kurzfristige Effekte auf die Regionen 
betrachtet, wie z.B. Entwicklung der Arbeitslosigkeit, der Einkommens- 
und Mehrwertsteuer, der Gewerbesteuer und der Haushaltseinkommen. Nahezu 
überall gab es Strukturveränderungen, aber im Gesamtblick stellt die 
Studie fest: „Negative Auswirkungen der Standortschließungen existieren 
nicht.”[3] Das Ausbleiben selbst kurzfristiger negativer Auswirkungen 
wird von den Forschern in den “Ruhr Economic Papers” wie folgt erklärt: 
„Die Ressourcenallokation [bei militärischer Nutzung] ist suboptimal und 
die Schließung von Militärbasen sorgt für produktivere Nutzung von 
Kapital und Arbeit.“[4] Tatsächlich sind die meisten Bundeswehrstandorte 
ökonomisch relativ schwach mit ihrer Umgebung verzahnt. Sie versorgen 
sich weitgehend selbst. Seit 2002 wird etwa die Verpflegung der 
SoldatInnen durch das Verpflegungsamt Oldenburg zentral organisiert. 
Größere Infrastrukturarbeiten werden ebenfalls zentral durch die 
„Territoriale Wehrverwaltung“ vergeben, sodass auch für das lokale 
Handwerk relativ wenig positive Impulse gesetzt werden. Die zivile 
Nachnutzung ist ökonomisch häufig besser regional eingebunden und 
während die Bundeswehr keine Steuern zahlt, sorgen gewerbliche 
Nachnutzungen meist für mehr Steuereinnahmen


Zivile Wiederaneignung militärischer Räume – Konkrete Beispiele

Neben solchen eher allgemeinen Erhebungen über die Entwicklung der 
Regionen nach dem Abzug von Militär, gibt es eine ganze Reihe konkreter 
Beispiele dafür, wie ein Truppenabzug für Regionen wichtige 
Entwicklungsimpulse herbeiführen kann. Aus dem ehemaligen 
US-Atomwaffenstützpunkt Eberhard-Finckh-Kaserne zogen die Soldaten 1993 
ab. In dieser strukturschwachen Region (Schwäbische Alb / 
Großengstingen) war es für die erfolgreiche Nachnutzung wichtig, dass 
die Planungen schon begannen, während die Militärs noch vor Ort waren. 
Die umliegenden Gemeinden gründeten dafür bereits 1992 einen 
Zweckverband, um die Liegenschaften der Bundesvermögensverwaltung (heute 
BIMA; Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) abzukaufen. 
Zwischennutzungen wurden schnell gefunden, wegen der starken 
Munitionsbelastung zog sich der Abschluss des Kaufvertrags mit dem Bund 
jedoch bis 1995 hin. Heute ist das Gesamtareal von rund 100 Hektar ein 
ökonomischer Motor für die Region. Handwerkliche Nutzung, Solar- und 
Biogasstromerzeugung existieren auf dem Gelände neben touristischen 
Einrichtungen und Reha-Angeboten. Wegen der guten Verkehrsanbietung 
dieses (sowie der meisten) Militärstandorte war diese Entwicklung 
relativ einfach, sie wurde zudem durch Landesfördermittel 
(Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR)) unterstützt.

Doch es gibt auch Negativbeispiele, denn die Nachnutzung stadtnaher 
Liegenschaften stellt Stadtplaner vor besondere Herausforderungen. Die 
Militärflächen können durch BürgerInnen nicht betreten werden (außer 
evtl. bei einem Tag der offenen Tür). Die Orte werden folglich nicht als 
Teil der Stadt erlebt und haben häufig einen schlechten Ruf. Wenn dann 
noch als erste Nachnutzung Personengruppen, die ohnehin häufig in 
Städten nicht gerne gesehen sind (Obdachlose, AsylbewerberInnen etc.), 
dorthin “abgeschoben” werden, dann bleiben die anderen BewohnerInnen der 
Städte häufig weiterhin diesem Viertel fern und es können leicht neue 
“Problembezirke” entstehen. Besonders drastische Auswirkungen hatte dies 
in der süddeutschen Stadt Lahr, wo nach Abzug der kanadischen 
Streitkräfte in den 1990er Jahren die freigewordenen Wohnungen der 
Armeeangehörigen mit 8.000 AussiedlerInnen „aufgefüllt“ wurden. Bei 
einer besseren Nutzungsmischung wären der Stadt Lahr, aber vor allem den 
AussiedlerInnen wahrscheinlich viele der bis heute andauernden Probleme 
in den neuen Stadtteilen erspart geblieben. Deswegen ist es sinnvoll, 
sehr frühzeitig auch für die Bürger die neuen Stadtteile als Teil ihrer 
Stadt erfahrbar zu machen. Die wenigen Beispiele für gescheiterte 
Konversion, die es leider auch gibt, sind überwiegend darauf 
zurückzuführen, dass die Entwicklung der Liegenschaften Großinvestoren 
überlassen wurde und diese sich verspekuliert haben. Deswegen ist eine 
Entwicklung und Planung “von unten” durch Bürgerinitiativen und Kommunen 
demokratisch und ökonomisch sinnvoll.

Ein gelungenes Beispiel für umfangreiche Bürgerbeteiligung ist das so 
genannte Französische Viertel in Tübingen. BürgerInnen, Familien 
einschließlich der Kinder wurden in zahlreichen Anhörungen und Workshops 
in die Nachnutzung einbezogen. Auch in Tübingen wurden in den ersten 
Jahren Asylbewerber in den freien Gebäuden untergebracht, allerdings nur 
in begrenztem Umfang und parallel zu anderer Nutzung wie 
Volkshochschule, Gastronomie, Werkstätten und zahlreichen Wohnungen für 
StudentInnen, sodass das Viertel selbst in der Zwischennutzungsphase von 
vielen BürgerInnen besucht wurde. Da von Anfang an klar war, dass in den 
neuen Stadtteilen zusätzliche Infrastruktur (Kinderhorte, Schulen, 
Spielplätze, Sporthallen etc.) notwendig sein würde, wählte die Kommune 
die in §165ff des Baugesetzbuches vorgesehene Möglichkeit einer 
„Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“. Dabei kauft die Kommune die 
Militärflächen zu einem niedrigen Preis (für unentwickelte Flächen), 
verkauft anschließend die Grundstücke an die EndnutzerInnen zu einem 
höheren Preis und investiert die Bilanz in die soziale Infrastruktur des 
neuen Viertels. Die Preise für die Baugrundstücke waren so gestaltet, 
dass auch junge Familien mit niedrigeren Einkommen und Existenzgründer 
sich die Miete oder den Kauf von Wohnraum und Gewerbeflächen leisten 
konnten. Der Vergabeprozesse der Grundstücke fand in transparenter und 
demokratischer Weise statt und wurde über einen Gemeinderatsausschuss 
abgewickelt (den so genannten Südstadtausschuss). Der gesamte 
Konversionsprozess zog sich über 15 Jahre hin und wurde finanziell über 
einen Sonderhaushalt abgewickelt, was gerade für arme Kommunen wie 
Tübingen ein wichtiges Instrument ist, um trotz leerer Kassen noch 
handlungsfähig zu bleiben und die Entwicklung der eigenen Stadt nicht 
allein Investoren überlassen zu müssen. Heute gibt es auf dem Gelände 
circa 6.000 neue Wohnungen und etwa 2.500 Arbeitsplätze.


Fazit

Festzuhalten bleibt, dass sich für Kommunen, wenn sie frühzeitig ihre 
Planungshoheit ernst nehmen, wenn BürgerInnen mit einbezogen werden und 
die Prozesse transparent ablaufen, durch den Abzug von Militär in jedem 
Fall eine einmalige Chance für eine erfolgreiche zivile Nachnutzung 
bietet. Bereits die letzten zwanzig Jahre Konversionsgeschichte haben 
gezeigt: etwas Besseres als das Militär findet sich in jedem Fall. Wenn 
auch die nächste Etappe der zivilen Wiederaneignung gelingt, dann könnte 
dies helfen den Druck zu vergrößern, dass die Bundeswehr überall und 
vollständig abzieht – im Inland und im Ausland.


Anmerkungen:

[1] Landesregierung Rheinland-Pfalz: WIR MACHEN`S EINFACH, 20 Jahre 
Konversion in Rheinland-Pfalz, 2010.
[2] Ruhr Economic Papers #181, A. Paloyo u.a.: The Regional Economic 
Effects of Military Base Realignments and Closures in Germany, 2010.
[3] ebenda, Übersetzung aus dem Englischen und Erläuterungen C.H.
[4] ebenda, Übersetzung C.H.

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