[IMI-List] [0363] IMI-Homepage/AUSDRUCK/Artikel zu Irak
IMI
imi at imi-online.de
Di Dez 13 16:43:50 CET 2011
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0363 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1) Ein Hinweis auf den derzeitigen Umbau der IMI-Homepage;
2) Neue Texte im IMI-Magazin AUSDRUCK (Dezember 2011);
3) Ein Artikel zur Umstrukturierung der Irak-Besatzung.
1) IMI-Homepage
Vielen wird es vielleicht bereits aufgefallen sein: Die IMI-Homepage
wird derzeit etwas umgebaut. Nicht alles funktioniert bereits so, wie
wir uns das vorstellen, aber Stück für Stück hoffen wir, in der nächsten
Zeit alles auf den Weg zu bringen. Am Ende versprechen wir uns davon,
dass die Nutzbarkeit der Seite deutlich verbessert wird. Wenn also
Seiten auffallen, die nicht richtig funktionieren, Links, die ins
Nirgendwo führen u.ä. gefunden werden, würden wir uns über einen kurzen
Hinweis freuen: imi at imi-online.de
2) Neue Texte im IMI-Magazin AUSDRUCK (Dezember 2011)
Soeben ist die aktuelle Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK erschienen. Es
finden sich darin u.a. Artikel über das „Zivile“, das zunehmend nicht
mehr als Alternative, sondern als Rechtfertigung für das Militärische
dient, zur Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg, zum Umbau
der Bundeswehr - einschließlich des neuen Reservistenkonzepts, den
Standortschließungen und Beispiele gelungener Konversion - sowie ein
Artikel zum „Ende“ der Besatzung im Irak, also den amerikanischen Plänen
zur Umstrukturierung der Besatzung (dieser Artikel findet sich am Ende
dieser Mail).
Inhalt (Ausdruck Dezember 2011)
Komplette Ausgabe:
http://www.imi-online.de/download/Dezember2011_web.pdf
Das Elend des Zivilen: Über die Verkehrung der zivilen Kritik zur
militärischen Legitimation
Von Thomas Mickan
http://www.imi-online.de/download/TM_Ausdruck_Dez2011.pdf
Kriegsvorbereitung am Schreibtisch: Die “Neuausrichtung der Bundeswehr”
Von Christian Stache
http://www.imi-online.de/download/CS_Ausdruck_Dez2011.pdf
Konversion: Was kommt nach der Bundeswehr
Von Claudia Haydt
http://www.imi-online.de/download/CH_Ausdruck_Dez2011.pdf
Die neue Konzeption der Reserve – die strategische Militarisierung der
Gesellschaft
Von Christoph Marischka
http://www.imi-online.de/download/CM_Ausdruck_Dez2011.pdf
Afghanistan: Petersberg-Konferenz: Kein Plan außer Dauerkrieg und Besatzung
Von Jürgen Wagner
http://www.imi-online.de/download/JW_Ausdruck_Dez2011.pdf
Irak: Downsizing der Besatzung - die Umstrukturierung der Militärpräsenz
in der Region
Von Joachim Guillard
http://www.imi-online.de/download/JG_Ausdruck_Dez2011.pdf
EU: Neuausrichtung der Nachbarschaftspolitik
Von Sabine Lösing und Jürgen Wagner
http://www.imi-online.de/download/SL-JW_Ausdruck_Dez2011.pdf
Bericht des IMI-Kongresses 2011
http://www.imi-online.de/download/Kongressbericht_Ausdruck_Dez2011.pdf
Erklärung des Zivilklausel-Kongresses Tübingen
http://www.imi-online.de/download/Zivilklauselkongress_Ausdruck_Dez2011.pdf
3) Artikel zur Irak-Besatzung
IMI-Analyse 2011/038
Irak: Downsizing der Besatzung
Der erzwungene US-Rückzug und die Umstrukturierung der Irak-Besatzung
sowie der Militärpräsenz in der Region
http://www.imi-online.de/2011/12/01/irak-downsizing-der/
1. Dezember 2011, Joachim Guilliard
Das Scheitern der Bemühungen der US-Regierung, eine Verlängerung des
Stationierungsabkommen mit dem Irak durchzusetzen, war durchaus
absehbar.[1] Dennoch kann man es kaum glauben, dass nun Ende des Jahres,
fast neun Jahre nach der Invasion, tatsächlich alle regulären Truppen
das Land verlassen und die riesigen Militärbasen verwaist zurückbleiben
werden. Auch wenn dies als Erfolg zu werten ist, ist die Besatzung damit
selbstverständlich nicht zu Ende. Die USA versuchen nun, ihren Einfluss
durch eine beachtliche Zahl ziviler Besatzungskräfte aufrechtzuerhalten.
Gleichzeitig arbeiten sie, im Verein mit dem irakischen Premier Nuri
al-Maliki, an neuen Wegen, größere Truppenkontingente in den Irak
zurückkehren zu lassen. Ob das gelingt oder nicht: von dem seit langem
gehegten Plan, im Irak eine große, schnell einsetzbare Streitmacht
permanent zu stationieren – als Kern US-amerikanischer Machprojektion in
der Region – bleibt jedoch so wenig übrig wie von den ehrgeizigen Plänen
bezüglich Kontrolle und Privatisierung der irakischen Ölproduktion. Auch
wenn ein Teil der aus dem Irak vertriebenen Bataillone nun in die
Nachbarländer zurückgezogen wird, markiert der erzwungene Rückzug der
verbleibenden knapp 40.000 Soldaten das Scheitern eines verlustreichen
und teuren Krieges. „Du kannst den Rückzug so schön reden wie Du
willst“, so der bekannte US-Publizist Tom Engelhardt, „aber er bedeutet
immer noch eine Niederlage erster Ordnung, eine Demütigung in einem
Ausmaß, wie es im Invasionsjahr 2003 unvorstellbar war.“[2]
US-Präsident Barack Obama bemühte sich daher sehr, möglichst wenig
Aufmerksamkeit mit seiner Ankündigung des definitiven Abzugs zu
erwecken. Erst freitags um 13 Uhr gab er ihn auf einer hastig
anberaumten Pressekonferenz bekannt, am Tag nach der Ermordung des
libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, die als endgültiger Sieg in
Libyen gefeiert wurde und die Titelseiten dominierte.[3] Es war eine
bemerkenswert kurze Erklärung dafür, dass damit nun ganz offiziell ein
fast 9jähriger Krieg für beendet erklärt wurde. Obama versuchte das
Beste aus der Situation zu machen und verkaufte den Abzug als Erfüllung
seines Wahlversprechens, den Irakkrieg unverzüglich zu beenden. Er
verschwieg jedoch, dass seine Leute das ganze Jahr über alle Hebel im
Irak in Bewegung gesetzt hatten, einen solchen vollständigen Abzug zu
verhindern.
Stationierungsabkommen von 2008 – der Anfang vom Ende
Nach den Plänen der Bush-Administration sollte Ende 2008 das einengende
Mandat des UN-Sicherheitsrats auslaufen, das seit Juli 2004 das legale
Mäntelchen für die Präsenz der Besatzungstruppen bildete und stattdessen
ein bilaterales Stationierungsabkommen zur Grundlage einer dauerhaften
Präsenz großer Kontingente US-amerikanischer Streitkräfte abgeschlossen
werden.
Der von Washington vorgelegte Entwurf zeigte deutlich, welche Rolle dem
Irak zugedacht war. Die Freiheiten, die sich Washington vertraglich
zusichern wollte, überstiegen die der meisten Kolonialabkommen des 19.
Jahrhunderts. U.a. sah er das Recht vor, eine unbeschränkte Zahl von
Truppen auf unbeschränkte Zeit im Land stationieren zu können und
jederzeit Angriffe auf jedes Ziel im Irak führen zu dürfen, ohne
Erlaubnis oder auch nur Benachrichtigung der irakischen Behörden. Auch
Angriffe auf Nachbarstaaten sollten ohne Einverständnis der irakischen
Regierung möglich sein.[4]
Doch wie schon beim Ölgesetz, das der Privatisierung des Ölsektors den
Weg öffnen sollte, konnte sich die Besatzungsmacht nicht gegen den
breiten Widerstand im Land durchsetzen. Die entsprechend konzipierten
Wahlen hatten zwar überwiegend pro-amerikanische Kräfte ins Parlament
gespült, angesichts der verheerenden Besatzungspolitik und der
grundlegenden Stimmung im Land waren aber immer mehr Verbündete von der
Fahne gegangen und ins nationalistische, die Fremdherrschaft bekämpfende
Lager gewechselt. Und auch der amtierende Premier Nuri al-Maliki
versuchte zunehmend, sich durch Abstand zu den Besatzern die Statur
eines patriotischen Führers zu verschaffen.
Da Ende des Jahres 2008 das UN-Mandat tatsächlich wie vereinbart
auslief, blieb der Bush-Administration nichts anderes übrig, als ein
wesentlich bescheideneres Abkommen abzuschließen, das zudem verbindliche
Termine für einen stufenweisen Abzug enthielt, auch den für den
endgültigen Abzug zum Jahresende 2011.
Verlängerung nicht durchsetzbar
Den meisten Irakern war auch diese Besatzungsverlängerung um volle drei
Jahre noch viel zu lang. Das Abkommen passierte nur nach dem ein und
anderen Kuhhandel und der Vereinbarung, die endgültige Entscheidung
einer Volksabstimmung zu überlassen, das Parlament. Dieses Referendum
fand jedoch niemals statt.
Regierung und Militär der USA wiederum haben nie ein Hehl daraus
gemacht, dass sie die Rückzugstermine nicht als fix erachteten und das
Abkommen nur dazu dienen soll, Zeit für die Vereinbarung einer
dauerhaften Truppenstationierung zu gewinnen. Sie waren überzeugt, dass
die irakische Regierung schon aus Eigeninteresse eine weitere
umfangreiche Präsenz ihrer Schutzmacht möglich machen würde. Die Chance
Malikis jedoch, ein neues Abkommen im Parlament durchzusetzen, war nach
den Wahlen letztes Jahr noch geringer geworden und jede Regelung am
Parlament vorbei hätte den Volkszorn zum Kochen gebracht.
Ursprünglich sollten mindestens 30.000 bis 35.000 Soldaten bleiben. Ein
solches Kontingent hatte der US-Generalstab auch bereits für das ganze
Jahrzehnt eingeplant. Zum Schluss hatten die US-Kommandeure 20.000
Soldaten zum absoluten Minimum erklärt. Schließlich baten die
US-Unterhändler eindringlich darum, wenigsten 5.000 oder auch nur 3.000
zuzulassen. Doch liefen sich die Verhandlungen schon an der Frage der
weiteren Immunität dieser Truppen fest. Für das US-Militär gehört es zu
den Grundprinzipien, dass ihre Soldaten überall wo sie stationiert sind,
Immunität genießen. Im Irak war eine weitere Gewährung praktisch
ausgeschlossen. Keine der Parteien, nicht einmal die kurdischen, trauten
sich angesichts des aufgestauten Hasses in der Bevölkerung über die
Verbrechen der Besatzer, eine weitere Straflosigkeit formell zu
garantieren. Maliki erklärte auf einer Pressekonferenz: „Als der Punkt
Immunität verhandelt wurde, und der irakischen Seite gesagt wurde, dass
die amerikanische Seite keinen einzigen Soldaten ohne volle Immunität
zurücklassen werde, und die Iraker antworteten, dass es unmöglich ist,
auch nur einem einzigen amerikanischen Soldaten Immunität zu gewähren,
stoppten auch die Verhandlungen bezüglich Zahlen, Einsatzorte und die
Mechanismen des Trainings.“[5] Es gibt Ideen von Seiten Malikis, auf
welcher Basis US-Truppen zurückkehren könnten – nur eines bleibt wohl
ausgeschlossen eine offiziell garantierte Immunität.
Zum Zeitpunkt des Scheiterns der Verhandlungen war die Zahl der
US-Truppen bereits auf 39.000 gesunken. Nur noch wenige der einst 505
Stützpunkte und Außenposten sind in den Händen der US-Army verblieben,
darunter die riesigen Megabasen. Diese werden die kolossalsten Relikte
sein, die die US-Invasion hinterlässt. Die Bush-Administration hatte sie
für mehrere Milliarden Dollar zu festungsartigen Städten mit allem
Komfort ausbauen lassen, dafür bestimmt, dauerhaft mehrere Zehntausend
Soldaten zu beherbergen. Zu den mit modernster Technik ausgerüsteten
Stützpunkten, die dauerhaft den Kern US-amerikanischer Machtprojektion
in der Region bilden sollten, zählt z.B. der Al-Asad Flughafen in der
Anbar-Provinz. Der Ausbau der 50 Quadratkilometer umfassenden Airbase –
wegen der Annehmlichkeiten, die sie den GIs bot, „Camp Cupcake“ genannt
– wurde nach Abschluss des Stationierungsabkommens im November 2008 noch
fortgesetzt. So fest waren Washington und die Armeeführung überzeugt,
dass sie auch nach 2011 mit einem entsprechend großen Kontingent im Land
sein werden.
Massive Niederlage
Der erzwungene Abzug wird in den USA parteiübergreifend als massive
Niederlage begriffen. Zum einen wird natürlich befürchtet, dass sich das
etablierte Regime ohne die US-Truppen nicht lange halten wird. Er sei
sehr besorgt um die Zukunft Iraks, antwortete beispielsweise
Generalstabschef Martin Dempsey bei einer Senatsanhörung auf
entsprechende Fragen. Die Kommandeure seien daher auch alle gegen einen
Abzug gewesen.[6] „Am Ende wird die irakische Regierung scheitern,“ so
auch der Tenor frustrierter US-amerikanischer Offiziere vor Ort.[7]
Auch der clever gewählte Termin der Ankündigung bewahrte Obama nicht vor
heftigem Beschuss. In Washington wiegt noch schwerer der Ärger darüber,
dass der Abzug eine weitere Stärkung der Position des Irans bedeutet,
sowohl im Irak als auch in der Region. Rhetorisch wird dies als
Bedrohung für die Stabilität der Region dargestellt. Tatsächlich fällt
nun der Irak als Aufmarschgebiet für einen Krieg gegen den Iran weg, der
somit militärisch nicht mehr ganz so eng wie zuvor in der Zange sitzt.
Frederick Kagan, führender Berater von General David Petraeus, als
dieser das Oberkommando im Irak innehatte, schrieb z.B.: „Ich sehe
nicht, wie man über eine Eindämmung des Iran reden kann, wenn man den
Irak sich auf eine Weise selbst überlässt, dass er keine Fähigkeit hat,
sich selbst zu schützen.“[8] Und Senator John McCain, republikanischer
Präsidentschaftskandidat des Jahres 2008, polterte: „Der heutige Tag
bedeutet einen schädlichen und traurigen Rückschlag für die Vereinigten
Staaten.“ Die Entscheidung des Präsidenten werde als „strategischer Sieg
unserer Feinde“ gewertet werden, speziell des iranischen Regimes.[9] Der
führende Bewerber um die nächste Präsidentschaftskandidatur der
Republikaner, Mitt Romney, warf Obama vor, sein „erstaunliches Versagen,
einen ordentlichen Übergang im Irak zu sichern, gefährdet die Siege, die
durch das Blut und die Aufopferung Tausender amerikanischer Männer und
Frauen gewonnen wurden.“ [10]
Die republikanischen Scharfmacher und neokonservativen Wortführer werfen
Obama vor, eine Verlängerung gar nicht ernsthaft gewollt zu haben. Bei
den Verhandlungen sei von Anfang an der Wurm drin gewesen, weil die
Obama-Administration darauf bestanden habe, dass das Abkommen, inklusive
der Zusicherung von Immunität, vom irakischen Parlament abgesegnet
werden müsse, so Max Boot, Autor und außenpolitischer Berater McCains.
Dies sei 2008 schon schwierig gewesen und heute praktisch unmöglich. Es
gäbe aber viele Länder, auch in der arabischen Welt, in denen US-Truppen
im Rahmen einer bloßen Regierungsvereinbarung operieren würden, warum
also nicht auch im Irak.[11]
Die meisten Experten gestehen Obama jedoch zu, kaum eine andere Chance
gehabt zu haben. Tatsächlich haben sich die USA schon unter der
Bush-Administration in eine Sackgasse manövriert, in der es nun nicht
mehr weiter ging. Man kann schlecht das Spiel „souveräner,
demokratischer Staat“ spielen und dann über das Parlament hinweg wieder
offen als Besatzungsmacht auftreten. Vor allem nicht angesichts der
allgemein feindseligen Stimmung im Land. Die meisten Iraker wünschen die
US-Amerikaner schon lange zum Teufel, waren aber, da sie die Kämpfe und
Gewalt gründlich satt haben, bereit, die Zeit bis zum zugesagten Abzug
abzuwarten. Ein weiterer Verbleib hätte jedoch zu Aufständen und einem
Aufleben des bewaffneten Widerstands geführt. Unter anderem hatte
Muqtada al-Sadr gedroht, in diesem Fall unverzüglich militärische
Angriffe gegen die Besatzer anzuordnen.[12]
Maliki bemüht sich daher auch sehr, maximales Kapital aus Obamas
Ankündigung zu schlagen, indem er sich selbst im Fernsehen als
unbeugsamen Hüter irakischer Souveränität gegenüber dem Druck aus den
USA präsentierte: „Dies ist ein gewaltiger Sieg und ein massiver Erfolg
für den Irak und seine Diplomatie und seinen Willen und den Willen
seiner patriotischen politischen Kräfte.“ Tatsächlich ist es vor allem
aber ein Sieg der patriotischen Kräfte, die er zusammen mit den
Besatzern seit Jahren mit massiver Repression und militärischer Gewalt
bekämpfte. Die Resonanz auf Malikis Aufruf an die Iraker, das Ereignis
auf den Straßen zu feiern, blieb aus Misstrauen gegenüber ihm und den
US-Amerikanern recht bescheiden, so das Wall Street Journal. „Wir
befürchten, dass es Geheimabkommen gibt, um die Amerikaner unter anderem
Etikett, wie Berater, Sicherheitsleute oder Ausbilder bleiben zu
lassen,“ erklärte dies Mushreq Naji, ein Abgeordneter der Sadr-Bewegung,
die mit 40 Sitzen im Parlament und 6 Ministern im Kabinett vertreten
ist.[13] Tatsächlich war Washington realistisch genug, die Möglichkeit
des Scheiterns einer Verlängerung des Stationierungsabkommens
vorauszusehen und hat parallel einen Plan B vorbereitet. Dieser besteht
im Wesentlichen aus zwei Elementen: einmal der Verlegung eines Teils der
Truppen aus dem Irak in die verbündeten arabischen Golfstaaten und zum
anderen aus dem Aufbau eines umfangreichen Kontingents ziviler
Besatzungskräfte unter Führung der Botschaft in Bagdad.
Truppenverlagerung in benachbarte Golfstaaten
Das Erste war schon immer eine Option, auch ohne den Krieg. Die USA
haben ohnehin bereits über 40.000 Soldaten außerhalb des Iraks am Golf
stationiert, 23.000 US-Soldaten allein in Kuwait. Diese waren bisher vor
allem für die Logistik des Irakkrieges zuständig, dienten wohl aber auch
als Einsatzreserve. Nun sollen offizielle Kampftruppen dazukommen, die
meisten wiederum in Kuwait. Der gesamte Umfang wird noch verhandelt,
eine erste Kampfbrigade mit 4.000 Mann wurde aber bereits verlegt.[14]
Für den Einsatz von Drohnen, deren Umfang auch im Irak unter Obama stark
anstieg, werden zudem auch Basen in der Türkei genutzt.[15] Die USA und
Großbritannien haben außerdem schon begonnen, zusätzliche Kriegsschiffe
in den Persischen Golf zu verlegen. Auch wenn die Flugzeuge zukünftig
nicht mehr von Basen im Irak starten können, so wird der Luftraum auf
absehbare Zeit unter Kontrolle der US-Luftwaffe bleiben. In welcher Form
sie auch in Kämpfe am Boden eingreifen werden, bleibt abzuwarten. An der
Nutzung des irakischen Luftraums für mögliche Angriffe auf Syrien und
Iran kann sie niemand hindern. Die militärische Präsenz der USA in der
Region wird sich somit nicht stark verringern. Praktiziert wird einmal
mehr imperiale Politik in Reinkultur. In den Worten von Außenministerin
Hillary Clinton: „Wir werden eine robuste, andauernde Präsenz in der
gesamten Region haben, die zeigt, dass wir weiterhin unseren
Verpflichtungen gegenüber dem Irak und die Zukunft der Region
nachkommen, … die von auswärtiger Einmischung [!!JG] freigehalten werden
soll.“[16]
Ein voller Ersatz für Truppen im Irak ist dies dennoch nicht, da die
Basen im Land wesentlich besser ausgebaut sind und die US-Truppen dort
eine Handlungsfreiheit hatten, die ihnen die Golfstaaten
selbstverständlich nicht gewähren. Dafür soll die militärische
Zusammenarbeit mit den Golfmonarchien nun noch enger werden. Eine engere
Kooperation wurde bereits seit Beginn des Jahres erkennbar, sowohl im
abgestimmten Vorgehen gegen den „arabischen Frühling“ als auch beim
gemeinsamen Krieg gegen Libyen und der aktuellen Eskalationsstrategie
gegen Syrien. Der Golfkooperationsrat, angeführt von Saudi Arabien und
Katar, übernimmt dabei zunehmend die Rolle der Vorhut.
In den USA plant man nun eine neue „Sicherheitsarchitektur“ am
Persischen Golf, die u.a. eine integrierte „Luft- und Seeverteidigung“
beinhaltet. D.h. die Feudalstaaten sollen noch mehr US- und
NATO-kompatibles Kriegsgerät bekommen – siehe die geplante Lieferung von
200 Leopard-Panzern an Saudi-Arabien – und direkt in die westlichen
militärischen Strukturen eingebunden werden. Es sei „noch nicht so weit,
dass morgen bereits eine Art NATO am Golf“ entstehe, so Vertreter der
US-Regierung nach der Ankündigung des Truppenabzugs aus dem Irak, die
Vorstellungen würden sich jedoch in eine solche Richtung bewegen. [17]
Die Pläne richten sich natürlich in erster Linie gegen den Iran, sowie
auch Syrien. Die Kompensation des Truppenabzugs aus dem Irak geht somit
einher mit der Vorbereitung auf einen noch umfassenderen Krieg in der
Region. Daneben dient die stärkere Kooperation sicherlich auch der
Stabilisierung der Monarchien und der Eindämmung der die bisherige
Ordnung gefährdenden arabischen Demokratiebewegung.
Stationierung regulärer Truppen nicht vom Tisch
Unabhängig davon gehen die Bemühungen um eine langfristige Stationierung
von Truppen im Irak weiter. Sobald die US-Truppen das Land verlassen
haben, so US-Verteidigungsminister Leon Panetta vor dem Senat, werden
Verhandlungen darüber aufgenommen, wie viele zurückkehren werden.[18]
Maliki wird bereits im Dezember zu neuen Gesprächen nach Washington
reisen.[19]
Der wichtigste Ansatzpunkt ist ein zweites, langfristiges Abkommen, das
die Bush-Administration mit der Maliki-Regierung parallel zum
Stationierungsabkommen abschloss, das sogenannte „Strategische
Rahmenabkommen“. Dieses enthält viele allgemeine Vereinbarungen über
eine künftige militärische Zusammenarbeit. Wenn es mit Leben gefüllt
werden soll, so komme die irakische Führung gar nicht um die Einladung
an US-Truppen herum, so die Hoffnung in Washington. General James
Mattis, der Chef des für den Irak zuständigen Oberkommandos CENTCOM,
wird im Januar nach Bagdad reisen, um im Rahmen einen Hohen
Koordinationsrates, der mit dem „Strategischen Rahmenabkommen“
geschaffen wurde, über weitere militärische Aktivitäten der USA im Irak
und natürlich auch über „neue Truppenvereinbarungen“ verhandeln werde.
Daneben gibt es auch Pläne, diverse Einheiten in die Kurdisch-Autonome
Region zu verlegen. Schließlich bietet eventuell auch die NATO, die
aktuell 160 Soldaten im Irak hat, Möglichkeiten durch die Ausweitung
ihrer Mission einige hundert GIs in den Irak zu bringen.[20]
Zivil-Besatzer
So oder so wird es auch weiterhin eine militärische Präsenz geben,
beruhigten Pentagon-Chef Leon Panetta und Generalstabschef Martin
Dempsey den Streitkräfteausschuss des US-Senats. Das „Büro für
Sicherheitszusammenarbeit“ (Office of Security Cooperation, OSC[21]) das
der US-Botschaft in Bagdad untersteht, wird weiterhin einige Hundert
Militärs im Einsatz haben, und eine noch größere Zahl von
US-amerikanischen Söldnern, die mit den irakischen Sicherheitskräften
zusammenarbeiten werden. Ihr Aufgabenbereich wird, soviel wurde schon
verraten, weit umfassender sein als nur die übliche Ausbildung an den
Waffensystemen, die der Irak für 8 Milliarden Dollar in den USA
eingekauft hat. Sie werden von der Botschaft und zehn
Militärstützpunkten aus arbeiten, nicht nur als Ausbilder, sondern auch
als Instrukteure auf „institutioneller Ebene“, d.h. in Armeestäben und
Polizeihauptquartieren, selbst operative militärische Funktionen zählen
zu ihrem Aufgabengebiet, was auch immer dies genau einschließt.[22]
Das ist längst nicht alles: Sukzessive wurden seit einem Jahr
Besatzungs-Aufgaben vom US-Oberkommando im Irak an die Botschaft
übertragen. Die ohnehin schon riesige Botschaftsfestung, die bereits 21
Hochhauskomplexe umfasst, wird dafür verdoppelt und bald über 16.000
Zivilangestellte beherbergen. Einen guten Teil davon wird, wie Panetta
vor dem Senat andeutete, die CIA stellen. Daneben wurden auch noch vier
Außenstellen der Botschaft in Basra, Erbil, Mosul und Kirkuk für 1,5
Mrd. Dollar festungsartig zu regelrechten Trutzburgen im Feindesland
ausgebaut.[23]
Die Zahl der bewaffneten US-Söldner, die der Botschaft unterstehen,
stieg bereits auf mindestens 5.500 und wird wohl noch anwachsen. Auch
sie sind überwiegend ehemalige Soldaten, zu deren Ausrüstung u.a.
fünfzig gepanzerte Militärfahrzeuge und 24 Blackhawk-Kampfhubschrauber
angeschafft wurden.[24] Zu den militärischen Funktionen, die nun
„zivile“ Besatzungskräfte übernehmen, zählen neben Einsätzen zur Rettung
angegriffener US-Amerikaner oder der Sicherung von Konvois auch der
Betrieb eines „taktischen Operationszentrums“, das den Einsatz
bewaffneter Eingreiftruppen steuern soll.[25]
Dazu könnten auch die US-amerikanischen Spezialeinheiten zählen. Von den
verdeckt operierenden knapp 5.000 Elitesoldaten war in den Abzugsplänen
nie die Rede.[26] Zumindest ein Teil von ihnen wird vermutlich weiterhin
geheime Operationen im Land durchführen, darunter auch gezielte Tötungen
oder Entführungen von Gegnern. Um verdeckt operieren zu können,
benötigen sie Unterstützung von offenen Strukturen im Land. Dies kann
jedoch sehr gut die Botschaft übernehmen, wie in den meisten anderen
Ländern auch, in denen solche Einheiten im Einsatz sind. Wie die
Washington Post erfuhr, ist die Anzahl an Ländern, in denen
US-Spezialeinheiten operieren, unter Obama auf 75 angewachsen.[27]
Aus Irakern zusammengesetzte Geheimtruppe der US-Armee
Eng verzahnt mit den im Land operierenden US-Geheimtruppen der Green
Berets, Rangers und Navy SEALS sind die irakischen Sondereinheiten, die
sie aufgebaut haben. Diese sind wesentlich fester an das US-Militär
gebunden als reguläre Truppen, in die die US-Kommandeure wenig Vertrauen
haben. Als schlagkräftigste gelten die von Green Berets aufgestellten
gut 4.500 Mann starken Iraq Special Operations Forces (ISOF), die direkt
Maliki unterstellt sind und vermutlich immer noch von Green Berets
„beraten“ werden. Sie gelten als Traum eines jeden US-Kommandeurs: eine
geheime, tödliche, mit modernster US-Waffentechnologie ausgerüstete
Spezialbrigade, die auf Jahre hinaus unter US-Kommando operiert und
keiner anderen Instanz gegenüber Rechenschaft ablegen muss. Die
Einheiten tragen amerikanisch aussehende Uniformen und modernste
US-Waffen und sind letztlich eine aus Irakern zusammengesetzte
Geheimtruppe der US-Armee. Innerhalb der kommenden Jahre soll ihre
personelle Stärke noch verdoppelt werden. [28] Sie waren wohl gemeint,
als General Dempsey in der erwähnten Senatsanhörung davon sprach, dass
das OSC-Personal „auch Partner der 4.500 Mann starken irakischen
Spezialeinheiten sein werde“ und teilweise aus deren „Counterterrorism
Headquarters“ heraus operieren werde. [29]
Die Ankündigung des Abzugs bedeute daher nur, so der demokratische
Abgeordnete Dennis Kucinich, einer der wenigen echten Kriegsgegner im
Kongress, „dass wir eine US-Besatzung durch eine andere ersetzen
werden.“ Die Präsenz schwer bewaffneter US-amerikanischer Söldner stelle
weiterhin ein Problem dar und werde „weiterhin Instabilität und Gewalt
im Irak und der Region anfachen“, so Kucinich weiter. „Wir müssen nun
wirklich rausgehen, nicht einfach Uniformen und Personal austauschen.“[30]
Anmerkungen:
[1] siehe Joachim Guilliard, Irak: Magere Beute, Wissenschaft & Frieden
2011-2
[2] Tom Engelhardt, This Is What Defeat Looks Like, Antiwar.com, 9.11.2011
[3] Remarks by the President on Ending the War in Iraq, White House,
Office of the Press Secretary, 21.10.2011
[4] Siehe Irak: Besatzungsende nicht in Sicht, IMI-Analyse 2008/041 –
in: AUSDRUCK (Dezember 2008)
[5] Maliki Takes Hard Line on American Withdrawal, Wall Street Journal,
23.11.2011
[6] McCain clashes with Panetta over U.S. troop withdrawal from Iraq,
CNN, 15.11.2011
[7] U.S. Troops to Leave Iraq by Year’s End, Obama Says, The New York
Times, 21.10.11 (deutsche Übersetzung in Luftpost 191/11)
[8] Troops to Exit Iraq by Year-End — Move by Obama Brings Nearly
Nine-Year War to a Close After Baghdad Refuses Key U.S. Demand, Wall
Street Journal, 22.10.2011
[9] Abzug aus Irak — Obama beendet den “dummen Krieg”, Spiegel, 22.10.2011
[10] Mitt Romney blasts Obama’s decision to withdraw all U.S. troops
from Iraq, LA Times, 21.10.2011
[11] Max Boot, Obama’s Tragic Iraq Withdrawal, WSJ, 31.10.2011
[12] Moktada al-Sadr droht den USA, Der Standard 9.4.2011
[13] Maliki Takes Hard Line on American Withdrawal, Wall Street Journal,
23.11.2011
[14] US brigade in Iraq likely heading to Kuwait, Associated Press,
2.11.2011
[15] US shifts predator drones from Iraq to Turkey: Pentagon, AFP, 15,11.201
[16] What “withdrawal” means for an empire, Salon.com 31.10.2011
[17] U.S. Planning Troop Buildup in Gulf After Exit From Iraq, NYT,
29.10.2011, dt. Luftpost LP 198/11 – 03.11.11
[18] Troops to Exit Iraq by Year-End, Wall Street Journal, 22.10.2011
[19] Patrick Martin, Obama announces US troop withdrawal from Iraq,
WSWS, 24.10.2011
[20] NATO Trains Iraqi Officers At Battle Staff Training School, NATO
Training Mission-Iraq, 3.11.2011
[21] OSCs unterstehen dem Botschafter. Auch wenn sie Uniform tragen,
gelten die Mitglieder als Diplomaten. Sie sind auch in anderen Ländern
für die militärische Zusammenarbeit mit dem Gastland, für
Waffenlieferungen etc. zuständig.Siehe Loose Ends: Iraq’s Security
Forces between U.S. Drawdown and Withdrawal, Internat. Crisis Group,
Middle East Report N°99, 26.10.2010
[22] Iraqi military to get around 700 US trainers: officials, Daily
Star, 23.11.2011
[23] Civilians to Take U.S. Lead as Military Leaves Iraq, NYT, August
18, 2010
[24] State Dept. planning to field a small army in Iraq, McClatchy
Newspapers, 21.7.2010
[25] Jeremy Scahill, Iraq Withdrawal? Obama and Clinton Expanding US
Paramilitary Force in Iraq, The Nation, 22.7.2010, Spencer Ackerman,
U.S. Hiring Mercenary Air Force for Iraq Rescues, WIRED, 14.11.2011
[26] Last US combat brigade exits Iraq, BBC 19.08.2010
[27] U.S. ‘secret war’ expands globally as Special Operations forces
take larger role, Washington Post, 4.6.2010
[28] Shane Bauer, Die schmutzige Brigade von Bagdad, Le Monde
diplomatique, 10.7.2009
[29] Walter Pincus, U.S.military presence will continue in Iraq,
Washington Post, 22.11.2011
[30] Dennis Kucinich, Statement on the Announcement to Bring Our Troops
Home from Iraq, 24.10.2011
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