[IMI-List] [0329] Aktuelle IMI-Texte/ Bundeswehr-Gelöbnis

Informationsstelle Militarisierung e.V. imi at imi-online.de
Mo Jul 26 16:29:28 CEST 2010


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0329 .......... 14. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich

1) aktuelle Texte auf der IMI-Homepage

2) Informationen zu den Protesten gegen das Bundeswehr-Gelöbnis am
30.Juli in Stuttgart

3) Artikel zu Gelöbnissen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit


1) Neue Artikel auf der IMI-Homepage

Unter den neuen Artikeln auf der IMI-Homepage befindet sich eine soeben
erschiene Studie zur "Reform" der Bundeswehr. Sie arbeitet heraus, dass
es dabei nicht primär darum geht, Geld einzusparen, wie der
Öffentlichkeit unentwegt suggeriert wird. Vielmehr dienen die
"Sparzwänge" vor allem dazu, innerbürokratische Widerstände auszuhebeln,
um hierdurch den Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee weiter
forcieren zu können.

IMI-Studie 2010/11
Money makes the world go round
Finanzkrise und Strukturkommission als Hebel zur Reform der Bundeswehr
http://imi-online.de/2010.php?id=2151
21.7.2010, Michael Haid

Außerdem ist soeben eine aktuelle Analyse zum Europäischen Auswärtigen
Dienst in den Blättern für deutsche und internationale Politik (Ausgabe
8/2010) erschienen:

IMI-Analyse 2010/027
Europas neue Diplomatie der Macht
http://imi-online.de/download/EAD-Blaetter.pdf
26.7.2010, Martin Hantke / Jürgen Wagner


2) Informationen zum Bundeswehr-Gelöbnis am 30.Juli in Stuttgart

Am 30. Juli wird auf dem Schlossplatz in Stuttgart ein öffentliches
Gelöbnis der Bundeswehr stattfinden. Diese Gelöbnisse dienen dazu, die
derzeitige Militarisierung der Gesellschaft, vor allem in Form der
zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr, zu legitimieren. Die Zahl
der öffentlichen Gelöbnisse hat in den letzten Jahren enorm zugenommen,
in Stuttgart wurde seit 1999 kein öffentliches Gelöbnis mehr gefeiert.

Gegen das Militärspektakel sind zahlreiche Protestaktionen geplant
(Weitere Informationen: www.gelöbnix-stuttgart.de und
www.blockade.blogsport.de).

Am 25. Juli hat eine Gruppe Antimilitaristen kurzzeitig die Kirche, in
der der Gottesdienst im Vorfeld des eigentlichen Gelöbnisses stattfinden
soll, besetzt (hier ein Bericht in der Stuttgarter Zeitung:
http://stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2569136_0_5771_-wegen-bundeswehrgeloebnis-polizei-raeumt-besetzte-kirche.html). 

Die Räumung der Kirche durch die Polizei hat von verschiedenen Seiten
Empörung ausgelöst, führt aber wohl vor allem zu einer weiteren
Mobilisierung der Gegner des Gelöbnisses.


3) Neue IMI-Analyse zu öffentlichen Gelöbnissen

IMI-Analyse 2010/024
Öffentliche Selbstinszenierung: Gelöbnisse der Bundeswehr im
öffentlichen Raum
http://imi-online.de/2010.php?id=2152
http://imi-online.de/download/IMI-Analyse10-24.pdf
von Michael Schulze von Glaßer, 22.7.2010

Jedes Jahr geloben rund 70.000 junge Rekruten der Bundeswehr bei
hunderten Gelöbnis-Zeremonien[1] "der Bundesrepublik Deutschland treu zu
dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu
verteidigen"[2]. Jeder Wehrdienstleistende muss im Rahmen seiner
Grundausbildung geloben, die Nation kämpferisch zu verteidigen. Dies
schließt auch den eigenen Tod mit ein und umfasst auch das Töten anderer
Menschen zum Erhalt der eigenen Nation. Zwar kann ein Soldat das
Gelöbnis verweigern, der Wehrdienstleistende darf dann jedoch nicht mehr
befördert werden. Die Zahl öffentlicher Gelöbnisse außerhalb
militärischer Liegenschaften nahm in den letzten Jahren stark zu: lag
sie 2007 noch bei 134[3] waren es 2009 sogar 180[4] Gelöbnisse auf
öffentlichen Plätzen. Das jüngste Gelöbnis hat am 20. Juli 2010 vor dem
Reichstag in Berlin stattgefunden. Aufgrund der weiträumigen Absperrung
und der geringen Aussicht von Antimilitaristen und Friedensbewegten, die
Veranstaltung stören zu können und ihrem Protest vor Ort Ausdruck zu
verleihen, hatte keine Gruppe zu Demonstrationen aufgerufen. Anders ist
dies beim anstehenden Gelöbnis am 30. Juli auf dem Schlossplatz in
Stuttgart, wo zu umfangreichen Protesten aufgerufen wird.[5] Ein Grund
sich näher mit dem Militärritual und seinen Funktionen für Armee und
Politik zu beschäftigen.


Ablauf und Funktion

Militärrituale wie Gelöbnisse haben dabei einen hohen
Öffentlichkeitswert, sind auf die Teilnahme der Zuschauer und auf die
große, erhebende Geste angelegt. Sie sprechen zum Gefühl und zum
Auge.[6] Der Ablauf der Gelöbnis-Veranstaltung ist streng formalisiert.
Eine einfache Aufzählung der Programmpunkte bietet nur eine erste
Annäherung an die scheinbare Eindimensionalität der formalisierten
Durchführung[7]:

- Einmarsch der Ehrenformation mit den Truppenfahnen
- Meldung an den ranghöchsten anwesenden Offizier
- Abschreiten der Front durch den ranghöchsten Offizier und die
jeweiligen Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft
- Vortreten der Fahnenabordnungen
- Reden: Politiker, Gäste, oft auch hoher Militärvertreter des Standortes
- Vortreten der Rekrutenabordnung
- Feierliches Gelöbnis/gemeinsames Sprechen der Gelöbnisformel
- Nationalhymne
- Feststellung der erfolgten Durchführung
- Zurücktreten der Rekrutenabordnungen und der Truppenfahnen
- Meldung: Ende des Gelöbnisses
- Ausmarsch der Ehrenformation
- Abrücken der Rekruten

Da meist gleich mehrere hundert Rekruten an einem Gelöbnis teilnehmen,
wird -- stellvertretend für alle -- nur einigen wenigen direkt das
Gelöbnis abgenommen. Einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes
des Deutschen Bundestages zufolge ist das Truppenzeremoniell der
Gelöbnisse in der Öffentlichkeit "insbesondere von der Wehrmacht"
übernommen worden.[8] "'Waren im Kaiserreich und in der Weimarer
Republik diese Zeremonien in der Regel hinter Kasernenmauern, hätten die
Nationalsozialisten diese ,Zurückhaltung [...] aufgegeben' und das
Zeremoniell gewissermaßen mit Pauken und Trompeten aufgewertet".[9]
Allzu leicht lässt die Feierlichkeit der Zeremonie vergessen, dass
anlässlich derartiger Militärrituale der Staat seinen Bürgerinnen und
Bürgern als die bewaffnete Macht entgegentritt, aus der er sich
ursprünglich begründet hatte.[10] Die Bevölkerung gewöhnt sich nicht nur
daran, dass ihren politischen Führern das Mittel Militär zur Verfügung
steht, sondern dass diese auch davon Gebrauch machen. Banalisierung über
öffentliche, militärische Rituale war und ist eine dieser
Legitimierungsstrategien.[11] Der Berliner Politologe Dr. Markus
Euskirchen, der seine Dissertation über Militärrituale geschrieben hat,
spricht in diesem Sinne von einer "Banalen Militarisierung", die mit dem
zeremoniellen Auftreten der Bundeswehr betrieben werde.[12] Zwar
scheinen Militärzeremonien heute veraltet, "[w]er jedoch die Gelöbnisse
als veraltet abtut, der verkennt die unterschwellig wirksamen
Mechanismen der Identitätsbildung, der Stiftung eines kollektiven
Unbewussten zur Verankerung einer grundsätzlichen Selbstverständlichkeit
des Militärischen. Die Gelöbnisveranstaltungen offenbaren sehr deutlich
ein Wechselspiel zwischen dem militärischen Symbolsystem und dem
Erlebnis der Teilnehmer und Zuschauer. Die Selbstverständlichkeit der
Inszenierung mit ihren Militärsymbolen produziert die
Selbstverständlichkeit der gesamten Militärlogik."[13] Konkret leisten
Gelöbnisse laut Euskirchen zwei Dinge: Erstens versenken sie mithilfe
nationalstaatlicher Verdichtungssymbole (z.B. Fahne, Hymne, Eisernes
Kreuz) das Militärische in die Gesellschaft. Zweitens führen sie die -
überwiegend männlichen - Bürger ins Militär ein. Vor diesem Hintergrund
lässt sich das Gelöbnis als militärisches Initiationsritual fassen, das
zur Banalisierung des Militärischen beiträgt. Dazu dringt die Armee mit
ihren Ritualen immer weiter in den öffentlichen Raum vor. Wo ein
Gelöbnis stattfindet, entscheidet der Standortkommandeur: "Die
Durchführung eines feierlichen Gelöbnisses außerhalb militärischer
Anlagen genehmigt ein Brigade-/Regimentskommandeur in Zusammenarbeit mit
den örtlichen Behörden. Dabei ist eine kommunale Gebietskörperschaft auf
der Grundlage von Art. 35 Abs. 1 GG grundsätzlich zur Amtshilfe
verpflichtet. Ein entsprechendes Gesuch der Bundeswehr darf nach dem
Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) nur dann abgelehnt
werden, wenn die Hilfeleistung -- z.B. Einsatz von starken
Polizeikräften zur Gefahrenabwehr -- die eigener kommunaler Aufgaben
ernstlich gefährden würde"[14] Allerdings kann auf dem informellen
Dienstweg aus dem Bundesministerium der Verteidigung heraus dafür
gesorgt werden, dass örtliche Standortkommandos die Möglichkeit einer
Gelöbniszeremonie auf zentralen öffentlichen Plätzen ernsthaft in
Betracht ziehen. Die Durchführung eines feierlichen Gelöbnisses
außerhalb der Kaserne folgt dabei einer politischen Entscheidung und ist
somit Ausdruck politischer Interessen. So sorgten Verteidigungsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und sein Vorgänger Franz Josef Jung
(CDU) seit 2008 Jahren regelmäßig dafür, dass das öffentliche Gelöbnis
am 20. Juli vor dem Reichstagsgebäude in Berlin stattfindet.

Dass Gelöbnisse zur Legitimierung deutscher Kriegspolitik durchgeführt
werden, liest sich vor allem in den Reden, die während jedes Gelöbnisses
von Vertretern aus Politik, Kirche, Vereinen oder Militär gehalten
werden. Beate Binder, Ethnologin an der Humboldt-Universität zu Berlin
macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass immer festgelegt
wird, wer reden darf und wie die Reden zu interpretieren sind.[15] Das
Militärritual schaffe nur den Rahmen, "um bestimmte politische
Statements loszulassen."[16] Einerseits werden in den Reden aktuelle
Geschehnisse aufgegriffen -- Bundeskanzlerin Angela Merkel warb in ihrer
Rede während des Berliner Gelöbnisses am 20. Juli 2009 vor dem Reichstag
für eine Fortführung der Wehrpflicht[17] -, andererseits wird besonders
beim alljährlichen Gelöbnis in Berlin gezielt versucht, die Geschichte
umzudeuten. Das Gelöbnis findet immer am 20. Juli, dem Tag des 1944
gescheiterten Hitler-Attentats des Kreises um Wehrmachtsoffizier Claus
Schenk Graf von Stauffenberg statt. Damit will sich die Bundeswehr in
die Traditionslinie des so genannten deutschen Widerstands stellen: "Wir
bekennen uns öffentlich zu der Tradition des militärischen Widerstandes,
eine Tradition, auf die wir zu Recht stolz sein können. [...] Damals
wurde der Grundstein gelegt für eine Bundeswehr, die auch heute für
Frieden, Recht und Freiheit steht: Sie ist eine Armee in der Demokratie
in einem Bündnis von Demokratien. Sie begreift die tapferen Männer und
Frauen des militärischen Widerstands als unsere Vorbilder."[18], so der
deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung in seiner Rede zum
Berliner Gelöbnis 2009. Dabei verkennt der Minister - wie auch alle
anderen, die diese Traditionslinie für die Bundeswehr begründen wollen
-, dass Stauffenberg keineswegs ein Demokrat war, im Verschwörerkreis
auch Antisemiten und Kriegsverbrecher waren und die Tat dazu dienen
sollte, den absehbar verloren gehenden Krieg doch noch zu gewinnen,
zumindest aber die eroberten Gebiete zu sichern. An dieser Umdeutung der
Geschichte -- die Hitler-Attentäter als demokratische und freiheitliche
Vorbilder und gar Antifaschisten darzustellen -- versucht sich die
Bundeswehr schon lange. Ebenso wie an der Entpolitisierung von Teilen
der Wehrmacht -- in dem Ort Augustdorf zwischen Bielefeld und Paderborn
ist eine der größten Bundeswehr-Kasernen noch immer nach
Wehrmachts-Generalfeldmarschall Erwin Rommel benannt. Auch in einer
aktuellen Bundestagsanfrage der Linksfraktion zum Berliner-Gelöbnis 2010
unterstreicht die Bundesregierung nochmal den geschichtlichen Kurs der
Bundeswehr: "Am 20. Juli jeden Jahres werden sie alle [die Verschwörer]
sowohl durch die traditionellen Gedenkveranstaltungen der
Bundesregierung als auch durch das feierliche Gelöbnis der Bundeswehr
geehrt, ohne Unterschied hinsichtlich Herkunft oder Motivation. Sie sind
für die Bundeswehr beispielgebend, weil sie unter Lebensgefahr eine
Gewissensentscheidung für die Wiederherstellung des Rechts trafen."[19]

Öffentlichkeit und Medien

Auch kleine Gelöbnisse werden von Lokalmedien zum Anlass für Berichte
genommen. Das Gelöbnis in der Hauptstadt ist heute aber das bei weitem
Bedeutendste für die Bundeswehr, das zeigt neben den prominenten Gästen
auch die bundesweite mediale Präsenz: neben Berichten in beinahe jeder
Tageszeitung gibt es seit einigen Jahren eine Live-Übertragung des
Gelöbnisses vor dem Deutschen Bundestag durch den staatlichen
Fernsehsender Phoenix. Dabei wird das Militärritual ähnlich einem
Fußballspiel von einem Moderator oder einer Moderatorin und einem
weiteren Experten -- einem hochrangigen Bundeswehr-Soldaten -- begleitet
und für den Zuschauer medial aufbereitet und interpretiert. 2009 stand
Oberstleutnant Peter Altmannsperger, Pressesprecher des
Standortkommandos Berlin, einer Phoenix-Moderatorin über eine Stunde
Rede und Antwort -- ein Auszug aus dem Gespräch[20]:


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Moderatorin: Die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister: ihnen
gegenüber wird ja gleich das Gelöbnis abgelegt. Das zeigt ganz deutlich
und klar, dass auch die obersten Repräsentanten des Staates also auch
hier sind. Wie wichtig ist das, dass es eben so öffentlich ist und dass
die Bundeskanzlerin da ist und der Verteidigungsminister?

Oberstleutnant Altmannsperger: Beim Gelöbnis bekennen sich die Soldaten
öffentlich zu den Werten unseres Grundgesetzes und das ist das ganz
Entscheidende: Es muss öffentlich sein und es gehört auch hier [vor den
Reichstag] hin. Das ist eine Gelegenheit, die etwas besonderes ist
[...,] es ist bewegend und es ist für die jungen Rekruten - die erst
drei Wochen Soldat sind - etwas ganz besonderes, wenn die
Bundeskanzlerin zu ihnen spricht, das hat man nicht jeden Tag.

Moderatorin: Gleich wird die Bundeskanzlerin hier eine Rede halten und
auch der Bundesminister der Verteidigung. Nun sagt man ja, in jeder
Uniform steckt ein Mensch -- wie ist das denn für sie persönlich, sie
sagen es ist ein besonderer Tag, was macht das aus?

Oberstleutnant Altmannsperger: Ich bin seit 31 Jahren Soldat. Ich habe
keinen Tag davon bereut -- jeder Beruf hat Höhen und Tiefen, wo man sagt
,Oh Gott, jetzt wird es ein bisschen viel' -- aber im Grunde war es die
richtige Entscheidung - weil es eine besondere Aufgabe ist zu dienen.
Das ist ein Begriff, der ein bisschen aus der Mode gekommen ist. Das ist
schade, denn wir erleben ja heute hier genau das Gegenteil. Die
Aufstellung derer die sagen ,Jawohl, ja klar, ich möchte dienen für
diese Gesellschaft, auch wenn das schwierig ist manchmal, auch wenn das
anstrengend ist'. Und das ist gut, dass wir heute hier eine Aufstellung
von denen erleben, die nicht sagen ,ich bin gegen das Gelöbnis' sondern
sagen wofür. Und das finde ich die gute Botschaft des Tages.

[nach Ablegen der Gelöbnis-Formel durch Soldaten vor dem Reichstags-Gebäude]

Moderatorin: Damit sind wir auch fast am Ende dieses feierlichen
Gelöbnisses. Es hat keine Störungen gegeben, es gab wenige Demonstranten
am frühen Nachmittag am Potsdamer Platz. Trotzdem müssen wir vielleicht
noch mal kurz darauf zu sprechen kommen, Herr Altmannsperger: Es gibt
zum Beispiel am Afghanistan-Einsatz Kritik und viele Bürger wünschen
sich, dass die Bundeswehr vielleicht diesen Einsatz auch beendet. Ist
das ein Punkt, mit dem man sich auch an einem Tag wie heute auseinander
setzen sollte? Oder muss man dann sagen, dass es heute nicht dazu gehört?

Oberstleutnant Altmannsperger: Ich denke, es sind natürlich Bilder, die
man im Hinterkopf hat. Wenn man die Soldaten sieht, dann wissen wir
natürlich: wir stehen da in schwieriger Verantwortung am Hindukusch.
[...] Leicht ist das nicht, aber die Verhältnisse dort zu stabilisieren
erfordert eben -- die Bundeskanzlerin hat es eben in ihrer Ansprache
auch erwähnt -- einen vernetzten Ansatz. Da ist die Bundeswehr ein Teil
der ganzen Bemühungen, die Verhältnisse stabil hinzubekommen und da wird
man ohne die Bundeswehr nicht auskommen.

Moderatorin: Trotzdem, was macht das aus, dass die Bürger nicht alle
dahinter stehen - das Parlament was anderes entscheidet als über 50
Prozent der Bürger...

Oberstleutnant Altmannsperger: Auch das hat die Bundeskanzlerin erwähnt.
Das ist auch der Eigenverantwortung des Bürgers geschuldet, in der
Öffentlichkeit, die sich idealerweise um diese Frage auch kümmern
sollte. Also uns Soldaten kann eigentlich nichts Schlimmeres passieren,
als wenn das Thema Sicherheitspolitik, die Verteidigung, weit von zu
Hause weg ist, völlig ignoriert wird. Wenn die Leute sagen ,damit wollen
wir nichts zu tun haben und das sollen die mal irgendwie machen'.

Moderatorin: Wenn sie nun gerade hier vor dem Parlament stehen: was
wünschen sie sich und auch ihren Soldaten vom Parlament?

Oberstleutnant Altmannsperger: Ja, also den Auftrag erhalten wir ja vom
Parlament - von den Abgeordneten des Bundestages - und da ist das ja
auch in aller Klarheit dargelegt. Aber wovon wir zehren, was uns
sozusagen Rückhalt und auch Kraft gibt, das ist die innere Überzeugung,
die wir brauchen um zu erkennen welche Werte wir verteidigen, weswegen
wir treu dienen und was wir tapfer verteidigen. Darüber muss man sich
Gedanken machen und wir wünschen den Dialog darüber.

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Die Live-Übertragung der Militärzeremonie im Fernsehen dauerte insgesamt
über eine Stunde. Neben den Themen im Gesprächsauszug ging es noch um
Militärmusik -- der Oberstleutnant erklärte den Zuschauern daheim die
verschiedenen Märsche und ihre Entstehung - und um die Öffentlichkeit
des Ereignisses. Auch 2010 gab es auf Phoenix eine Live-Übertragung des
Spektakels. Vorab zeigte der öffentlich-rechtliche Sender unter der
Überschrift "Die Idee vom 'Staatsbürger in Uniform' - Lehren aus dem 20.
Juli 1944" eine Rede des Verteidigungsminister zu Guttenberg auf einer
Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wie im Vorjahr stand dem --
diesmal männlichen -- Phoenix Moderator ein Militär gegenüber.
Oberstleutnant Ziesak erklärte den Zuschauern während des Spektakels
beispielsweise was eine Ehrenformation ist und gab Hintergründe zu den
von einem Militärmusikkorps gespielten Musikstücken. Die Zeremonie wurde
wie im Vorjahr in voller Länge gezeigt. Dabei durften
Panorama-Filmaufnahmen der Soldaten vor dem Reichstag nicht fehlen -- es
soll ja die Bundeswehr als Armee des Volkes präsentiert werden.

Gerade der Anspruch auf Öffentlichkeit, der bei den Zeremonien seitens
der Bundeswehr formuliert wird, ist in diesem Zusammenhang mehr als
fragwürdig: dass bei Gelöbnissen innerhalb von Kasernen nur eine äußerst
geringe Form von Öffentlichkeit hergestellt wird, ist
offensichtlich.[21] Doch auch im Hinblick auf die Gelöbnisse im
öffentlichen Raum -- wie das in Berlin -- ist die Verwendung des
Begriffs "Öffentlichkeit" zu kritisieren. So waren etwa bei den dreizehn
so genannten öffentlichen Gelöbnissen der Bundeswehr in Berlin seit 1996
zentrale Grundvoraussetzungen von Öffentlichkeit nicht erfüllt -- sie
sind vielmehr bewusst verhindert worden. Mit großem Polizeiaufwand
wurden jeweils die gesamten Umgebungen weiträumig abgesperrt. Nach
spektakulären Protesten gegen das Gelöbnis 1999 wurden die Besucher und
Teilnehmer 2000 per Bustransfer aus der Kaserne in einen anderen
Stadtteil zum, von Polizei, Bundespolizei und Feldjägern hermetisch
abgeriegelten, Veranstaltungsort gebracht. 2009 entstanden der Berliner
Polizei Kosten von über 370.000 Euro, um das Gelöbnis vor ungeladenen
Gästen zu schützen und Demonstranten auf Abstand zu halten, zudem waren
zahlreiche Feldjäger im Einsatz.[22] Die eigentliche Veranstaltung
kostete hingegen "nur" knapp 250.000 Euro.[23] Gleiches war auch in
diesem Jahr der Fall

Kritik und Repression

Laut Bundesverwaltungsgericht muss die Bundeswehr, "wenn sie sich
bewusst nicht auf ein Kasernengelände beschränkt, sondern in die
Öffentlichkeit und den dort geführten Meinungskampf begibt, kritische
Äußerungen der Zuschauer so lange ertragen, wie hierdurch nicht der
Ablauf der Veranstaltung konkret beeinträchtigt wird. Dies gilt selbst
dann, wenn die Würde der Veranstaltung Schaden nimmt."[24] Dem entgegen
wurde nicht nur die militärkritische Öffentlichkeit ihres
Demonstrationsrechtes, sondern auch interessierte Bürger, Anwohner,
Geschäftsleute oder auch nur zufällige Passanten und Durchgangsverkehr
ihrer Bewegungsfreiheit beraubt.[25] Öffentlichkeit bestand beim
Berliner-Gelöbnis unter diesen Umständen seit Jahren zu keinem
Zeitpunkt. Vermeintlich breite Öffentlichkeit wurde allenfalls über den
medialen Filter der Fernsehübertragung hergestellt: dirigierter und
kommentierter Aus- und Zusammenschnitt des Militärzeremoniells.[26] Eben
jene Kontrolle einer persönlich teilnehmenden, erfahrenden,
begreifenden, ihre Perspektive frei wählenden und ihre Erfahrungen
kommunizierenden, "freien" und damit demokratischen Öffentlichkeit
fehlte.[27] Damit konnte auch keine Kontrolle im Sinne der von der
Bundeswehr behaupteten öffentlichen Kontrollfunktion stattfinden. Markus
Euskirchen kritisiert, dass "[s]tatt dessen [...] die Persönlichkeiten
der ,gefälligen'. gewissermaßen politisch-korrekten, Öffentlichkeit
gezielt namentlich eingeladen" wurden.[28] In Berlin führte die
staatliche Repression und das faktische Demonstrationsverbot --
Kundgebungen durften nur außerhalb der Sicht- und Hörweite des
Gelöbnisse stattfinden -- in den letzten Jahren zu einer Abnahme der
Teilnehmerzahl an den Protesten. 2010 wurde erst gar keine offizielle
Demonstration angemeldet und damit eine antimilitaristische Tradition
aufgegeben.

Auch die Medien unterstützen die Repression gegen Militärkritiker. So
waren die Gelöbnix-Demonstrationen der letzten Jahre in Berlin auch am
20. Juli 2010 während der Phoenix-Berichterstattung Thema. Moderator
Alexander Kähler bezeichnete die angemeldeten Demonstrationen dabei
pauschal als "Krawalle", die glücklicherweise seit Jahren abnähmen.
Lokale Medien berichten meist erst gar nicht von Protestaktionen gegen
Militärrituale.

Nicht nur beim großen Gelöbnis in Berlin verbarrikadiert sich die Armee.
Am 29. Mai 2009 legten in der westfälischen Stadt Rheine etwa 350
Rekruten auf einem zentralen Platz in der Innenstadt ihr Gelöbnis
ab.[29] Anlass gab das 50-jährige Standortjubiläum der in Rheine
stationierten -- und in Afghanistan stark zum Einsatz kommenden --
Heeresflieger. Eine angekündigte Demonstration von Friedensaktivisten
unter dem Motto "Gelöbnix -- Gegen Militärspektakel und
Auslandseinsätze" sorgte schon im Vorfeld für viel Aufregung in der
Stadt. Am Tag des Gelöbnisses riegelte die Bundeswehr gemeinsam mit der
Polizei die halbe Innenstadt ab -- hinter den Absperrgittern standen
Feldjäger der Armee, davor die Polizei. Zum Eklat kam es, als
Journalisten, die den friedlichen Demonstrationszug von rund 150 Leuten
begleiteten, trotz Presseausweises nicht in den abgesperrten Bereich
gelassen wurden. Auch ein Gespräch mit dem zuständigen Pressesprecher
der Bundeswehr wurde den kritischen Journalisten versagt. Ein Fotograf
wurde mit der Begründung, im Kontakt zu Antimilitaristen zu stehen,
abgewiesen, ein anderer von Feldjägern zu Boden gerissen, nachdem er
sich einige Schritte in das abgesperrte Areal bewegt hatte. Mit diesem
Verhalten betreibt die Bundeswehr Zensur von der Wurzel an -- wie soll
es zu einer öffentlichen Diskussion bzw. einer Kontrollfunktion kommen,
wenn Demonstranten ins Abseits gestellt werden und selbst vermeintlich
kritische Berichterstatter von Militärzeremonien ausgeschlossen werden?



Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Abschnitts über
Militärrituale der Bundeswehr aus dem im August erscheinenden Buch "An
der Heimatfront -- Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der
Bundeswehr" (etwa 200 Seiten, ca. 16 Euro, PapyRossa-Verlag) von Michael
Schulze von Glaßer.


Anmerkungen:

[1] N. N.: Gelöbnisformel ohne Bedeutung?, in: Die Bundeswehr (Zeitung
des Deutschen Bundeswehr-Verbands), November 2006.

[2] § 9 Absatz 2 Soldatengesetz (SG).

[3] Bundestags-Drucksache 16/8355.

[4] Bundestags-Drucksache 17/715.

[5] Weitere Informationen: www.gelöbnix-stuttgart.de und
www.blockade.blogsport.de

[6] Euskirchen, Markus: Das Zeremoniell der Bundeswehr: Banalisierung
von Staatsgewalt durch Militärrituale, in: Thomas, Tanja; Virchow,
Fabian: Banal Militarism -- Zur Veralltäglichung des Militärischen im
Zivilen, Seite 188.

[7] Euskirchen, Markus: Militärrituale -- Analyse und Kritik eines
Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 99.

[8] Leichsenring, Dr. Jana: Militärzeremonien im öffentlichen Raum in
der deutschen Geschichte. Deutscher Bundestag 2008. WD 1 -- 3000 -- 118/08.

[9] Bundestags-Drucksache 16/13576.

[10] Ebenda.

[11] Euskirchen, Markus: Militärrituale -- Analyse und Kritik eines
Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite. 189.

[12] Ebenda.

[13] Ebenda, S. 190.

[14] Flink, T.: Notwendiger Rückhalt. Eid und feierliches Gelöbnis, in:
Information für die Truppe, Nr. 3/1998; zitiert nach: Euskirchen,
Markus: Militärrituale -- Analyse und Kritik eines
Herrschaftsinstruments, Köln 2005.

[15] Euskirchen, Markus: Militärrituale -- Analyse und Kritik eines
Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 101.

[16] Ebenda.

[17] Merkel, Angela: Rede zum feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr,
gehalten am 20. Juli 2009 auf dem Platz der Republik vor dem
Reichstagsgebäude; nachzulesen auf www.bundesregierung.de.

[18] Jung, Franz Josef: Rede von Minister Jung anlässlich des
Gelöbnisses am 20. Juli, gehalten am 20. Juli 2009 auf dem Platz der
Republik vor dem Reichstagsgebäude; nachzulesen auf www.bmvg.de.

[19] Bundestags-Drucksache 17/2353.

[20] Das Gespräch zwischen der Phoenix-Moderatorin und Oberstleutnant
Peter Altmannsperger, Pressesprecher Standortkommando Berlin, fand am
20. Juli 2009 von etwa 19.15 Uhr bis 21 Uhr auf dem Platz der Republik
vor dem Reichstagsgebäude in Berlin statt und wurde live beim
staatlichen Fernsehsender Phoenix übertragen.

[21] Euskirchen, Markus: Militärrituale -- Analyse und Kritik eines
Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 104.

[22] Bundestags-Drucksache 17/2353.

[23] Ebenda.

[24] BVerwGE 84, 247-257 zitiert nach: Euskirchen, Markus:
Militärrituale -- Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln
2005.

[25] Euskirchen, Markus: Militärrituale -- Analyse und Kritik eines
Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 105.

[26] Ebenda.

[27] Ebenda.

[28] Ebenda.

[29] Ophaus, Benedikt: Bundeswehr will Bürgernähe demonstrieren, in:
www.muensterschezeitung.de -- letzter Zugriff am 21. September 2009.






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