[IMI-List] [0310] Mitgliederkampagne: Antimilitarismus braucht Analysen // Analyse Piraterie
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Mo Aug 3 14:27:25 CEST 2009
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0310 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
viele werden es mitbekommen haben. In den letzten Jahren konnten wir
unsere Arbeit durch das Europaparlamentsmandat unseres Vorstandsmitglied
Tobias Pflüger ausweiten, da es ihm möglich war, den Verein vielfältig
zu unterstützen. Da dies nun leider nicht mehr möglich ist, stehen wir
jetzt vor der Wahl, entweder unsere Arbeit einzuschränken oder den so
entstandenen Mehrbedarf über neue IMI-Mitglieder aufzufangen. Natürlich
versuchen wir nun Letzteres, gerade weil die Politik Deutschlands und
der Europäischen Union sich immer stärker militarisiert und eine
Aufarbeitung dessen mehr denn je geboten ist. Gerade deshalb stellen wir
sämtliche Analysen natürlich auch weiterhin kostenlos zur Verfügung.
Aus diesem Grund findet sich in dieser IMI-List
1.) Ein Hinweis auf unsere Mitgliederkampagne: "Antimilitarismus braucht
Analysen"
2.) Einstellung des Verfahrens gegen Tobias Pflüger gegen Geldauflage
3.) Eine Analyse zur Eskalation im Rahmen der Pirateriebekämpfung am
Golf von Aden
1) Mitgliederkampagne: Antimilitarismus braucht Analysen. IMI braucht Euch!
Die Basis der IMI waren und sind die Mitglieder des Vereins IMI e.V. Um
unsere Arbeit im gegenwärtigen Umfang fortführen zu können, brauchen wir
nun jedoch weitere Mitglieder. Wir würden uns deshalb sehr freuen, wenn
sich möglichst Viele dazu entschließen könnten, die IMI mit einer
Mitgliedschaft zu unterstützen!
Alles zu unserer Mitgliederkampagne findet sich hier:
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1991
Übrigens: Mitgliedsbeiträge und Spenden an die IMI sind steuerlich
absetzbar!
Wir wissen, dass gerade in der heutigen Zeit viele Menschen keinerlei
finanziellen Spielraum haben, um uns unterstützen zu können. Es gibt
aber dennoch zahlreiche weitere Möglichkeiten, uns anderweitig zu helfen:
- versendet diese Mail über andere Verteiler
- werbt für die IMI in Eurem Bekanntenkreis
- fordert Werbematerial an (imi at imi-online.de)
- postet Links zur Mitgliederkampagnenseite oder schaltet auf Euren
Seiten einen Banner (findet sich alles unter
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1991)
Habt jetzt schon vielen Dank für Eure Hilfe!
2.) Einstellung des Verfahrens gegen Tobias Pflüger gegen Geldauflage
In unserer letzten IMI-List haben wir auf die Repression der Münchner
Staatsanwaltschaft I gegen unser Vorstandsmitglied Tobias Pflüger
hingewiesen. Das Verfahren wurde eingestellt, gegen eine Geldauflage in
Höhe von 6.000! Euro.
Alles weitere dazu: http://tobiaspflueger.twoday.net/stories/5835776/
Demnächst wird es hierzu auch noch weitere Informationen geben.
3.) Pirateriebekämpfung am Golf von Aden
IMI-Analyse 2009/032 - in: AUSDRUCK (August 2009)
Schuss vor den Bug oder Schlag ins Wasser? Eskalation am Golf von Aden
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1993
http://imi-online.de/download/IMI-Analyse2009_piraterie.pdf
3.8.2009, Christoph Marischka
Das International Maritime Bureau (IMB) wurde 1981 von der
internationalen Handelskammer (ICC) gegründet mit dem Ziel, die
Kriminalität auf See zu beobachten und ihre Verfolgung zu erleichtern.
Hierzu unterhält sie u.a. Kontakt zu Interpol und zur
Weltzollorganisation (WCO) sowie den mittlerweile im Rahmen der
Pirateriebekämpfung patrouillierenden Marineverbänden. Zugleich macht
sie sich für eine umfassende Definition der Piraterie stark, nach der
fast jede kriminelle Handlung auf See unter diese fällt. Der Schwerpunkt
ihrer Tätigkeit besteht darin, Meldungen über diesbezügliche Vorfälle zu
sammeln und entsprechende Lagebilder zu erstellen. Das IMB stellt auf
der Homepage der Internationalen Handelskammer eine stets aktualisierte
"Live Piracy Map" zur Verfügung, in der auch die Koordinaten
"verdächtiger Schiffe" eingetragen sind, gibt Warnmeldungen für
bestimmte Regionen aus und erstellt regelmäßige Berichte über die
Piraterie auf den Weltmeeren. Diese Berichte gelten als anerkannte
Quellen über Vorfälle von Seeräuberei sowie deren Häufigkeit und
geografische Verteilung, obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne
veröffentlicht werden, sondern nur für die "interne Nutzung der
Empfänger" bestimmt sind. Finanziert werden die Berichte neben der
zypriotischen Regierung v.a. von großen Versicherungsunternehmen und
nationalen Werftverbänden, also von Institutionen, die tendenziell ein
Interesse an sicheren Handelsrouten auf See haben.
Insofern erscheint der Halbjahresbericht 2009 des IMB, den die
Handelskammer Mitte Juli zirkulieren ließ, widersprüchlich. Einerseits
wird in diesem unter "Danksagungen" das Engagement der internationalen
Seestreitkräfte am Golf von Aden ausdrücklich "begrüßt und unterstützt",
andererseits zeigt der Bericht aber anhand seiner statistischen Daten,
dass eben dieses Engagement keineswegs zu einem Rückgang der Piraterie
in dieser Region geführt, sondern diese im Gegenteil in Umfang und
Brutalität enorm zugenommen hat, seit die internationalen Kriegsschiffe
dort präsent sind.
Eskalation seit Juli 2008
So zeigt schon der Jahresbericht 2008 des IMB einen zaghaften Anstieg
der weltweit versuchten und erfolgten Piratenangriffe (nach
IMB-Definition) von 263 im Jahre 2007 auf 293 im Jahre 2008, wobei die
Zahlen in den meisten Regionen sogar rückläufig waren. Nur vor Malaysia,
Myanmar, den Philippinen, Singapur, Vietnam, Ecuador, Venezuela, Angola,
Kamerun, der Republik Kongo, Äquatorialguinea und Ghana nahmen die
Meldungen gegenüber dem Vorjahr marginal um insgesamt 28 Fälle zu. Ohne
den Golf von Aden und das Rote Meer - beide werden in den Berichten des
IMB zusammengefasst - bliebe insgesamt ein Rückgang. Doch am Golf von
Aden und dem Roten Meer stieg die Anzahl der gemeldeten Piratenangriffe
von 13 im Jahr 2007 auf 92 im Jahr 2008. Damit wurde die Region 2008 zum
absoluten Hot Spot der Piraterie und zwar mit weitem Abstand vor Nigeria
und Indonesien, wo 2008 40 bzw. 28 Fälle gemeldet wurden.
Der Halbjahresbericht 2009 lässt nun den Zeitpunkt, an dem der rasante
Anstieg begann, genauer eingrenzen, denn er vergleicht die Zahl der
Überfälle im ersten Halbjahr 2009 mit denen im ersten Halbjahr 2008.
Zwischen Januar und Juni 2008 waren am Golf von Aden und im Roten Meer
erst 19 Vorfälle gemeldet worden, gerade einmal einer mehr als vor
Nigeria. Im ersten halben Jahr 2009 hingegen waren es genau 100. Die
Zahl der gemeldeten Vorfälle stieg demnach von 10 bzw. 13 2006 und 2007
im ersten Halbjahr 2008 auf 19 und dann sprunghaft auf 73 im zweiten
Halbjahr 2008 bzw. 100 im ersten Halbjahr 2009. Angriffe in somalischen
Küstengewässern wurden gesondert erfasst und stiegen von 10 im Jahre
2006 auf 31 im Jahre 2007. Im ersten Halbjahr 2008 wurden hier 5
Vorfälle gemeldet, im zweiten Halbjahr 2008 14 und im ersten Halbjahr
2009 44. Vor diesem Hintergrund von einem erfolgreichen Vorgehen der
internationalen Seestreitkräfte zu sprechen, ist blanker Hohn.
UN-Mandat für die Piratenjagd
Bereits am 21. April 2008 war die deutsche Fregatte Emden einem
japanischen Handelsschiff, das 240 Seemeilen östlich von Aden von
Piraten angegriffen worden war, mit einem Hubschrauber zur Hilfe
gekommen. Das deutsche Kriegsschiff war zu dieser Zeit im Rahmen der
Operation Enduring Freedom in den Gewässern unterwegs. Innerhalb der
japanischen Regierung begann damit eine Debatte, ob die
Piratenbekämpfung Teil des Kriegs gegen den Terror sei und das
japanische Sondergesetz, das die Beteiligung der Streitkräfte an diesem
im offenen Widerspruch zur Verfassung begründet, entsprechend
ausgeweitet werden sollte, damit Handelsschiffe zukünftig von
japanischen Zerstörern begleitet werden könnten. Ähnliche Debatten
begannen gerade auch in Deutschland, als der UN-Sicherheitsrat am 2.
Juni 2008 einstimmig die Resolution 1816 zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias verabschiedete, welche die Staaten autorisierte,
in somalische Küstengewässer einzudringen und dort Piraterie "mit allen
erforderlichen Mitteln" zu verhindern. Die in der Region aktiven
Kriegsschiffe und Militärflugzeuge wurden darin explizit aufgefordert,
aufmerksam zu sein und zu kooperieren, um Angriffe auf Handelsschiffe zu
unterbinden. Die Resolution basierte auf einer Vorlage, welche sieben
europäische Küstenstaaten, die USA, Japan, Kanada und Australien
gemeinsam mit Panama und Südkorea eingereicht hatten und entsprach einer
entsprechenden Anfrage der somalischen Regierung, die zwar von der
internationalen Gemeinschaft anerkannt wird und insbesondere von
Äthiopien und den USA militärisch unterstützt wird, tatsächlich aber nur
kleine Teile des Staatsgebietes kontrolliert und über keine
innenpolitische Legitimität verfügt. Genau hierin wurde letztlich die
Begründung für die außergewöhnliche UN-Resolution gesucht, dass die
Regierung eben selbst nicht für Sicherheit und Ordnung sorgen könne und
deshalb diese Funktion in ihren Küstengewässern an die internationale
Gemeinschaft überträgt. Explizit und mehrfach wurde in der Resolution
und bei ihrer Verabschiedung festgehalten, dass es sich hierbei um eine
Ausnahme handele, die nur die Küstengewässer Somalias betreffe und sich
hieraus keinerlei Neudefinition des Völkerrechts ergeben dürfe.
In der Folge stiegen plötzlich sowohl die Meldungen über Piratenangriffe
als auch die Berichterstattung über diese.
Humanitärer Auftrag?
Am 25. September 2008 bat der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf der
Grundlage von Resolution 1816 offiziell die NATO, den Schutz von
Schiffen im Auftrag des UN-World Food Program in der Region zu
übernehmen, woraufhin die NATO sehr schnell ihre 2. Mittelmeerflotte
(Standing NATO Maritime Group, SNMG 2) entsandte. Innerhalb eines Monats
waren die ersten NATO-Schiffe vor Ort und übernahmen ihren neuen
Auftrag, die Bekämpfung der Piraterie. Als Begründung für diese Anfrage
der UN um militärischen Schutz durch die NATO galten die zuvor erfolgten
Piratenangriffe auf Schiffe, die Güter im Auftrag des WFP transportieren
und dass 90% der Nahrungsmittellieferungen nach Somalia über den Seeweg
erfolgten. Würde dieser unterbrochen, drohten sich Hunger und
Unterernährung in Ostafrika weiter zu verschlimmern. Tatsächlich wurden
2007 drei Schiffe mit Gütern des WFP von Piraten angegriffen,[1] von
etwa dreißig, die täglich im Auftrag des WFP unterwegs sind.[2] Das WFP
ging deshalb bereits im November desselben Jahres dazu über, seine
Ladung im kenianischen Mombasa auf kleinere Schiffe zu verladen, die
dann bis nach Mogadischu eskortiert wurden. Danach gab es keine
Übergriffe mehr auf Schiffe des WFP, bis im April 2009 - mittlerweile
wurde der zwischenzeitlich unterbrochene NATO-Einsatz von der
EU-Operation ATALANTA ergänzt - die unter US-amerikanischer Flagge
stehende "Maersk Alabama" auf dem Weg nach Mombasa geentert wurde. Deren
Kapitän bot sich im Austausch für Schiff und Crew als Geisel an und die
Alabama konnte mit zweitägiger Verspätung in Mombasa einlaufen. Der
Kapitän wurde später in einer spektakulären Aktion durch
US-Spezialeinheiten, bei der drei Piraten erschossen und einer
festgenommen wurde, befreit.
Nur wenige Tage später wurden zwei weitere Schiffe, die Ladungen des WFP
an Bord hatten, von Piraten angegriffen: die "Sea Horse" 700km vor der
somalischen Küste auf dem Rückweg nach Indien und die "Liberty Sun" auf
dem Weg von Port Sudan nach Mombasa.[3] Während die unter togolesischer
Flagge fahrende Sea Horse gekapert und nach drei Tagen gegen ein
Lösegeld von etwa 100.000 US$ wieder von den Piraten freigegeben wurde,
verlief der Angriff auf die Liberty Sun unter US-Flagge ungewöhnlich:
Die Piraten feuerten mit Raketenwerfern und Maschinengewehren auf das
Schiff und beschädigten dessen Rumpf. Obwohl es fünf Stunden dauerte,
bis ein herbeigerufenes Boot der US-Marine eintraf, enterten die Piraten
die Liberty Sun nicht. Deren Besatzung, die sich im Maschinenraum
verbarrikadiert hatte und unverletzt blieb, und die internationalen
Medien führen dies auf ein erfolgreiches Ausweichmanöver zurück. Einzig
ein Bericht von BBC verweist darauf, dass die Piraten nach der
gewaltsamen Befreiung des Kapitäns der Alabama Vergeltungsmaßnahmen
angekündigt hätten.[4] Tatsächlich schien es eher die Absicht der
Angreifer, das Schiff zu beschädigen als es zu kapern. Das
nächstgelegene Kriegsschiff, das von der Liberty Sun zur Hilfe gerufen
wurde, war denn auch die USS Bainbridge, von der die US-Kommandoaktion
ausging und an deren Bord sich nach wie vor der Kapitän der Alabama
befand. Dieser wurde von den internationalen Medien zwischenzeitlich als
Held gefeiert und sollte am Tag nach dem Angriff in Mombasa seine Crew
wieder treffen, um mit dieser gemeinsam und feierlich in die USA
zurückzufliegen. Dieses durchaus als Medienereignis geplante Treffen
fiel aufgrund des Angriffs auf die Liberty Sun buchstäblich ins Wasser.[5]
Tatsächlich müssen die US-amerikanische Aktion zur Befreiung der Geisel
ebenso wie die kurz zuvor, aber weniger erfolgreich mit Unterstützung
der deutschen Fregatte Mecklenburg-Vorpommern erfolgte französische
Kommandoaktion (hier wurde die Geisel gleich mitgetötet) auch abgesehen
von den absehbaren Vergeltungsmaßnahmen kritisch betrachtet werden.
Zukünftig werden sich Piraten nicht mehr auf eine Freigabe der Schiffe
mitsamt Crew im Austausch gegen den Kapitän einlassen, die Geiseln eher
ins Hinterland verschleppen, einsperren und auch töten. Tatsächlich
weisen zahlreiche Medienberichte seither darauf hin, dass der Umgang der
Piraten mit den Geiseln deutlich rauer geworden ist.
Von Kritik an dem Vorgehen der internationalen Truppen sind aber IMB und
auch das WFP weit entfernt. Das WFP hatte bereits zum Abschluss des
ersten NATO-Einsatzes zur Piratenbekämpfung im Dezember 2008 erklärt,
dass "ohne diesen Schutz zwei Mio. Somalis eventuell Hunger hätten
leiden müssen", obwohl die Operation "Allied Provider" erst im Oktober
begann und bereits seit Ende 2007 keine Angriffe mehr auf Schiffe im
Auftrag des WFP stattfanden, da diese ihre Route über Mombasa
änderten.[6] Dass diese Route nun auch in Gefahr ist und Schiffe
zunehmend auch weit vor der Küste angegriffen werden, gilt allgemein als
Folge der internationalen, militärischen Piratenjagd und der
UN-Resolution 1816. Anstatt diese aber zu kritisieren oder über einen
Zusammenhang zwischen der US-amerikanischen Kommandoaktion und den
Angriffen auf die Liberty Sun und die Sea Horse auch nur zu spekulieren,
stellt das WFP im Einklang mit den Regierungen der USA und Somalias die
Piratenangriffe weiterhin als primäres Hindernis der Versorgung
Ostafrikas dar und fordert es ein entschiedeneres militärisches
Vorgehen: "Wenn Nahrungsmittelhilfe Somalia, Kenia, den Südsudan und den
Ostkongo nicht über Mombasa erreichen kann, werden Millionen Menschen
hungern und die bereits hohe Verbreitung von Unterernährung wird weiter
zunehmen. Piraterie in den Gewässern Somalias bereitet dem WFP, dessen
Schiffe 2007 in drei Fällen angegriffen oder geentert wurden, bereits
länger Sorgen. Da 90% der Nahrungsmittelhilfe Somalia über das Meer
erreicht, fahren wir somalische Häfen nur noch mit Eskorten an..."[7]
Die Piraten rüsten auf
Obwohl sowohl die räumliche Ausdehnung als auch die reine Summe der
Piratenüberfälle mit dem internationalen militärischen Engagement
zunahmen, lässt sich jedoch evtl. ein weiterer Grund für dieses finden,
der nicht in geopolitischen Interessen begründet ist, für die sich UN
und deren WFP einspannen lassen. So macht bereits der IMB-Bericht für
das Jahr 2008 deutlich, dass sich die Art der Piraterie vor Somalia und
am Golf von Aden vor allem qualitativ deutlich von der in anderen von
Piraterie betroffenen Gebieten unterschied: Während vor Asien und Afrika
Schiffe überwiegend und vor Lateinamerika fast ausschließlich
angegriffen werden, während sie vor Anker oder im Hafen liegen, wurden
bereits 2008 44 Schiffe vor Somalia und im Golf von Aden während der
Fahrt geentert. Damit wurden von weltweit insgesamt 87 Schiffen, die
nicht vor Anker Lagen, als sie überfallen wurden, etwa die Hälfte in
dieser Region geentert - hinzu kommen 58 von weltweit 82 Versuchen, die
fehlschlugen. Im ersten Halbjahr 2009 waren es 30 von 49 erfolgreichen
Enterungen bei Fahrt und 114 von 120 missglückten Versuchen weltweit.
Solche Angriffe auf fahrende Schiffe verlaufen naturgemäß anders. So
waren die Piraten 2008 bei 68 der 293 Angriffe weltweit lediglich mit
Messern bewaffnet. Von den 139 Angriffen, bei denen sicher Schusswaffen
im Spiel waren, erfolgten 85 im Golf von Aden und 17 in somalischen
Gewässern, wobei auch von diesen die meisten auf das 2. Halbjahr
entfallen. Auf hoher See geenterte Schiffe wurden meist mitsamt der Crew
an die Küste Somalias gebracht. Daher gehen 2008 von den insgesamt 889
als Geiseln genommen Seeleuten 629 auf Überfälle am Golf von Aden und
186 auf solche vor Somalia zurück, wobei bis Juni 2008 insgesamt erst
190 Geiseln genommen wurden. Anstatt wie in anderen Regionen nur Teile
der Fracht und Eigentum von der Besatzung zu rauben, verlangten die
Piraten in dieser Region also überwiegend Lösegeld für die Schiffe und
deren Besatzung von den Reedereien. Wurde dieses Lösegeld bezahlt,
liefen die Überfälle jedoch meist recht glimpflich ab. Verletzte oder
getötete Seeleute gab es 2008 weltweit 43, davon zwei vor Somalia und
vier im Golf von Aden. Die meisten der 2008 betroffenen Schiffe wurden
von deutschen Reedereien betrieben (41) gefolgt von Reedereien aus
Singapur (31), Griechenland (23) und Japan (16) sowie Norwegen, dem
Vereinigten Königreich und China mit jeweils 12 Schiffen.
Insofern ist durchaus ein starkes Interesse der betroffenen Staaten und
ihrer Verbündeten an einer Bekämpfung der Piraterie anzunehmen, wenn
auch nicht aus humanitären Gründen. Doch auch vor dem Hintergrund dieses
Interesses können die bislang erfolgten Einsätze schwerlich als Erfolg
gewertet werden. Denn im ersten Halbjahr 2009 ist eben keinerlei
Rückgang der Piraterie zu verzeichnen. Im Gegenteil scheinen die Piraten
ihrerseits aufzurüsten und brutaler vorzugehen. Von den 240 in diesem
Zeitraum erfolgten Angriffen weltweit wurden 151 nachweislich mit
Schusswaffen ausgeführt und damit mehr, als im ganzen Jahr 2008. Davon
entfallen alleine 78 auf den Golf von Aden und auf Somalia 41, womit
insbesondere in somalischen Gewässern der Einsatz von Schusswaffen
deutlich zugenommen hat. Der starke Anstieg an Geiselnahmen zwischen dem
ersten Halbjahr 2008 und dem ersten Halbjahr 2009 von 190 Fällen auf 561
geht ausschließlich auf Somalia und den Golf von Aden zurück, wo
zwischen Januar und Juni 2009 287 bzw. 198 Crewmitglieder (von
mutmaßlichen Piraten abgesehen) verschleppt wurden - insgesamt 295 mehr
als im ersten Halbjahr 2008 weltweit und 193 mehr als im gesamten Jahr
2007. Im gleichen Zeitraum wurden vor Somalia und am Golf von Aden
insgesamt 10 Seeleute verletzt und getötet, fast doppelt so viele, wie
im gesamten Vorjahr. 38 der angegriffenen Schiffe im ersten Halbjahr
2009 fuhren im Auftrag von Reedereien aus Deutschland, 33 aus
Griechenland und 17 aus Singapur.
(Real-)Satire am Golf von Aden
Dass die militärische Piratenjagd dennoch von den meisten Beteiligten
als Erfolg bewertet wird und ihre Weiterführung außer Frage steht
(allenfalls wird die Frage gestellt, ob sie noch "robuster" durchgeführt
werden soll), mag also Erstaunen hervorrufen. Vielleicht geht es ja doch
darum, einen völkerrechtlichen Präzedenzfall zu schaffen, sich die
Herrschaft über einen sog. gescheiterten Staat stückchenweise und
gemeinschaftlich anzueignen. Vielleicht geht es auch darum, insofern
einen Präzedenzfall zu schaffen, als vor der Küste Somalias ganz
offensichtlich Kapitalinteressen gegen eine verarmte und kriminalisierte
Bevölkerung militärisch verteidigt werden sollen, auch wenn dies bislang
erfolglos bleibt. Vielleicht kann auch keine der weltweiten Mächte nach
dem frühen NATO-Engagement mehr darauf verzichten, vor der
rohstoffreichen Küste Somalias an einem der Highways des Welthandels
Präsenz zu zeigen. Vielleicht geht es aber auch oder noch dazu um die
pure "Lust am Einsatz" der führenden und aufstrebenden Seemächte in
einem der internationalen Gewalt Preis gegebenen Gebiet. Diese scheint
mittlerweile - profitträchtig - auch Privatpersonen erfasst zu haben. So
meldete das österreichische "Wirtschaftsblatt" am 22.6.2009:
"Ein russischer Kreuzfahrtunternehmer dreht den Spieß jetzt um und lädt
reiche Russen zur Jagd auf Piraten vor Somalias Küste ein, der
gefährlichsten Wasserstraße der Welt. Seine Geschäftsidee ist einfach:
Sein Kreuzfahrtschiff ist der Köder für die Piraten. Versuchen die
echten Piraten das scheinbar harmlose Schiff zu entern, erleben die
Afrikaner ihr blaues Wunder. Statt wehrlosen Handelsmatrosen stehen
ihnen bis an die Zähne bewaffnete russische Touristen gegenüber. Ein
makabrer Touristenspaß. Ein Tag an Bord des gecharterten
Kreuzfahrschiffes kostet 5.790 Dollar. Es wird solange geschippert, bis
die echten Piraten auch wirklich angreifen. Mindestens ein
Piratenüberfall mit Kaperungsversuch wird vom Reiseunternehmer
garantiert. Die Route geht von Djibouti nach Mombasa in Kenia. Das
Schiff fährt dafür möglichst nahe der somalischen Küste mit einer
Geschwindigkeit von nur fünf nautischen Meilen entlang. Die Touristen
können sich nach Belieben und Geldbeutel mit Waffen eindecken. Eine
Maschinenpistole des Typs AK-47 kann von den russischen
Kreuzfahrtpassagieren an Bord für 9 Dollar am Tag gemietet werden. 100
Schuss Munition kosten 12 Dollar. Ein Granatwerfer kostet 175 Dollar am
Tag. Dazu gehören drei Granaten, die im Mietpreis enthalten sind. Die
Benutzung eines an der Reeling fest installierten Maschinengewehres soll
475 Dollar kosten."
Wie die Verleger später bekannt gaben, handelte es sich dabei
(höchstwahrscheinlich) um eine Satire. Noch!
Anmerkungen
[1] "Two New Piracy Incidents Underline Threat to WFP Shipments",
Pressemitteilung des WFP vom 15.4.2009
[2] "Pirate Attacks Delay Food Sent to Africans - Millions in East,
Central Africa could go hungry if delays continue", www.america.gov,
1.6.2009
[3] Ebd.
[4] "Pirates attack second US vessel", BBC, 15.4.2009
[5] "U.S. Cargo Ship Evades Somali Pirate Attack", Associated Press,
15.4.2009
[6] "Successful completion of NATO mission Operation Allied Provider",
Pressemitteilung des NATO-Hauptquartiers in Europa (SHAPE) vom 12.12.2009
[7] Two New Piracy Incidents Underline Threat to WFP Shipments,
Pressemitteilung des WFP vom 15.4.2009
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