[IMI-List] [0310] Mitgliederkampagne: Antimilitarismus braucht Analysen // Analyse Piraterie

Informationsstelle Militarisierung imi at imi-online.de
Mo Aug 3 14:27:25 CEST 2009


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0310 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos)........ IMI-List-subscribe at yahoogroups.com
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

viele werden es mitbekommen haben. In den letzten Jahren konnten wir 
unsere Arbeit durch das Europaparlamentsmandat unseres Vorstandsmitglied 
Tobias Pflüger ausweiten, da es ihm möglich war, den Verein vielfältig 
zu unterstützen. Da dies nun leider nicht mehr möglich ist, stehen wir 
jetzt vor der Wahl, entweder unsere Arbeit einzuschränken oder den so 
entstandenen Mehrbedarf über neue IMI-Mitglieder aufzufangen. Natürlich 
versuchen wir nun Letzteres, gerade weil die Politik Deutschlands und 
der Europäischen Union sich immer stärker militarisiert und eine 
Aufarbeitung dessen mehr denn je geboten ist. Gerade deshalb stellen wir 
sämtliche Analysen natürlich auch weiterhin kostenlos zur Verfügung.

Aus diesem Grund findet sich in dieser IMI-List

1.) Ein Hinweis auf unsere Mitgliederkampagne: "Antimilitarismus braucht 
Analysen"

2.) Einstellung des Verfahrens gegen Tobias Pflüger gegen Geldauflage

3.) Eine Analyse zur Eskalation im Rahmen der Pirateriebekämpfung am 
Golf von Aden



1) Mitgliederkampagne: Antimilitarismus braucht Analysen. IMI braucht Euch!

Die Basis der IMI waren und sind die Mitglieder des Vereins IMI e.V. Um 
unsere Arbeit im gegenwärtigen Umfang fortführen zu können, brauchen wir 
nun jedoch weitere Mitglieder. Wir würden uns deshalb sehr freuen, wenn 
sich möglichst Viele dazu entschließen könnten, die IMI mit einer 
Mitgliedschaft zu unterstützen!

Alles zu unserer Mitgliederkampagne findet sich hier:
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1991

Übrigens: Mitgliedsbeiträge und Spenden an die IMI sind steuerlich 
absetzbar!

Wir wissen, dass gerade in der heutigen Zeit viele Menschen keinerlei 
finanziellen Spielraum haben, um uns unterstützen zu können. Es gibt 
aber dennoch zahlreiche weitere Möglichkeiten, uns anderweitig zu helfen:

- versendet diese Mail über andere Verteiler
- werbt für die IMI in Eurem Bekanntenkreis
- fordert Werbematerial an (imi at imi-online.de)
- postet Links zur Mitgliederkampagnenseite oder schaltet auf Euren 
Seiten einen Banner (findet sich alles unter 
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1991)

Habt jetzt schon vielen Dank für Eure Hilfe!



2.) Einstellung des Verfahrens gegen Tobias Pflüger gegen Geldauflage

In unserer letzten IMI-List haben wir auf die Repression der Münchner 
Staatsanwaltschaft I gegen unser Vorstandsmitglied Tobias Pflüger 
hingewiesen. Das Verfahren wurde eingestellt, gegen eine Geldauflage in 
Höhe von 6.000! Euro.

Alles weitere dazu: http://tobiaspflueger.twoday.net/stories/5835776/

Demnächst wird es hierzu auch noch weitere Informationen geben.



3.) Pirateriebekämpfung am Golf von Aden

IMI-Analyse 2009/032 - in: AUSDRUCK (August 2009)
Schuss vor den Bug oder Schlag ins Wasser? Eskalation am Golf von Aden
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1993
http://imi-online.de/download/IMI-Analyse2009_piraterie.pdf
3.8.2009, Christoph Marischka


Das International Maritime Bureau (IMB) wurde 1981 von der 
internationalen Handelskammer (ICC) gegründet mit dem Ziel, die 
Kriminalität auf See zu beobachten und ihre Verfolgung zu erleichtern. 
Hierzu unterhält sie u.a. Kontakt zu Interpol und zur 
Weltzollorganisation (WCO) sowie den mittlerweile im Rahmen der 
Pirateriebekämpfung patrouillierenden Marineverbänden. Zugleich macht 
sie sich für eine umfassende Definition der Piraterie stark, nach der 
fast jede kriminelle Handlung auf See unter diese fällt. Der Schwerpunkt 
ihrer Tätigkeit besteht darin, Meldungen über diesbezügliche Vorfälle zu 
sammeln und entsprechende Lagebilder zu erstellen. Das IMB stellt auf 
der Homepage der Internationalen Handelskammer eine stets aktualisierte 
"Live Piracy Map" zur Verfügung, in der auch die Koordinaten 
"verdächtiger Schiffe" eingetragen sind, gibt Warnmeldungen für 
bestimmte Regionen aus und erstellt regelmäßige Berichte über die 
Piraterie auf den Weltmeeren. Diese Berichte gelten als anerkannte 
Quellen über Vorfälle von Seeräuberei sowie deren Häufigkeit und 
geografische Verteilung, obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne 
veröffentlicht werden, sondern nur für die "interne Nutzung der 
Empfänger" bestimmt sind. Finanziert werden die Berichte neben der 
zypriotischen Regierung v.a. von großen Versicherungsunternehmen und 
nationalen Werftverbänden, also von Institutionen, die tendenziell ein 
Interesse an sicheren Handelsrouten auf See haben.

Insofern erscheint der Halbjahresbericht 2009 des IMB, den die 
Handelskammer Mitte Juli zirkulieren ließ, widersprüchlich. Einerseits 
wird in diesem unter "Danksagungen" das Engagement der internationalen 
Seestreitkräfte am Golf von Aden ausdrücklich "begrüßt und unterstützt", 
andererseits zeigt der Bericht aber anhand seiner statistischen Daten, 
dass eben dieses Engagement keineswegs zu einem Rückgang der Piraterie 
in dieser Region geführt, sondern diese im Gegenteil in Umfang und 
Brutalität enorm zugenommen hat, seit die internationalen Kriegsschiffe 
dort präsent sind.


Eskalation seit Juli 2008

So zeigt schon der Jahresbericht 2008 des IMB einen zaghaften Anstieg 
der weltweit versuchten und erfolgten Piratenangriffe (nach 
IMB-Definition) von 263 im Jahre 2007 auf 293 im Jahre 2008, wobei die 
Zahlen in den meisten Regionen sogar rückläufig waren. Nur vor Malaysia, 
Myanmar, den Philippinen, Singapur, Vietnam, Ecuador, Venezuela, Angola, 
Kamerun, der Republik Kongo, Äquatorialguinea und Ghana nahmen die 
Meldungen gegenüber dem Vorjahr marginal um insgesamt 28 Fälle zu. Ohne 
den Golf von Aden und das Rote Meer - beide werden in den Berichten des 
IMB zusammengefasst - bliebe insgesamt ein Rückgang. Doch am Golf von 
Aden und dem Roten Meer stieg die Anzahl der gemeldeten Piratenangriffe 
von 13 im Jahr 2007 auf 92 im Jahr 2008. Damit wurde die Region 2008 zum 
absoluten Hot Spot der Piraterie und zwar mit weitem Abstand vor Nigeria 
und Indonesien, wo 2008 40 bzw. 28 Fälle gemeldet wurden.

Der Halbjahresbericht 2009 lässt nun den Zeitpunkt, an dem der rasante 
Anstieg begann, genauer eingrenzen, denn er vergleicht die Zahl der 
Überfälle im ersten Halbjahr 2009 mit denen im ersten Halbjahr 2008. 
Zwischen Januar und Juni 2008 waren am Golf von Aden und im Roten Meer 
erst 19 Vorfälle gemeldet worden, gerade einmal einer mehr als vor 
Nigeria. Im ersten halben Jahr 2009 hingegen waren es genau 100. Die 
Zahl der gemeldeten Vorfälle stieg demnach von 10 bzw. 13 2006 und 2007 
im ersten Halbjahr 2008 auf 19 und dann sprunghaft auf 73 im zweiten 
Halbjahr 2008 bzw. 100 im ersten Halbjahr 2009. Angriffe in somalischen 
Küstengewässern wurden gesondert erfasst und stiegen von 10 im Jahre 
2006 auf 31 im Jahre 2007. Im ersten Halbjahr 2008 wurden hier 5 
Vorfälle gemeldet, im zweiten Halbjahr 2008 14 und im ersten Halbjahr 
2009 44. Vor diesem Hintergrund von einem erfolgreichen Vorgehen der 
internationalen Seestreitkräfte zu sprechen, ist blanker Hohn.


UN-Mandat für die Piratenjagd

Bereits am 21. April 2008 war die deutsche Fregatte Emden einem 
japanischen Handelsschiff, das 240 Seemeilen östlich von Aden von 
Piraten angegriffen worden war, mit einem Hubschrauber zur Hilfe 
gekommen. Das deutsche Kriegsschiff war zu dieser Zeit im Rahmen der 
Operation Enduring Freedom in den Gewässern unterwegs. Innerhalb der 
japanischen Regierung begann damit eine Debatte, ob die 
Piratenbekämpfung Teil des Kriegs gegen den Terror sei und das 
japanische Sondergesetz, das die Beteiligung der Streitkräfte an diesem 
im offenen Widerspruch zur Verfassung begründet, entsprechend 
ausgeweitet werden sollte, damit Handelsschiffe zukünftig von 
japanischen Zerstörern begleitet werden könnten. Ähnliche Debatten 
begannen gerade auch in Deutschland, als der UN-Sicherheitsrat am 2. 
Juni 2008 einstimmig die Resolution 1816 zur Bekämpfung der Piraterie 
vor der Küste Somalias verabschiedete, welche die Staaten autorisierte, 
in somalische Küstengewässer einzudringen und dort Piraterie "mit allen 
erforderlichen Mitteln" zu verhindern. Die in der Region aktiven 
Kriegsschiffe und Militärflugzeuge wurden darin explizit aufgefordert, 
aufmerksam zu sein und zu kooperieren, um Angriffe auf Handelsschiffe zu 
unterbinden. Die Resolution basierte auf einer Vorlage, welche sieben 
europäische Küstenstaaten, die USA, Japan, Kanada und Australien 
gemeinsam mit Panama und Südkorea eingereicht hatten und entsprach einer 
entsprechenden Anfrage der somalischen Regierung, die zwar von der 
internationalen Gemeinschaft anerkannt wird und insbesondere von 
Äthiopien und den USA militärisch unterstützt wird, tatsächlich aber nur 
kleine Teile des Staatsgebietes kontrolliert und über keine 
innenpolitische Legitimität verfügt. Genau hierin wurde letztlich die 
Begründung für die außergewöhnliche UN-Resolution gesucht, dass die 
Regierung eben selbst nicht für Sicherheit und Ordnung sorgen könne und 
deshalb diese Funktion in ihren Küstengewässern an die internationale 
Gemeinschaft überträgt. Explizit und mehrfach wurde in der Resolution 
und bei ihrer Verabschiedung festgehalten, dass es sich hierbei um eine 
Ausnahme handele, die nur die Küstengewässer Somalias betreffe und sich 
hieraus keinerlei Neudefinition des Völkerrechts ergeben dürfe.

In der Folge stiegen plötzlich sowohl die Meldungen über Piratenangriffe 
als auch die Berichterstattung über diese.


Humanitärer Auftrag?

Am 25. September 2008 bat der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf der 
Grundlage von Resolution 1816 offiziell die NATO, den Schutz von 
Schiffen im Auftrag des UN-World Food Program in der Region zu 
übernehmen, woraufhin die NATO sehr schnell ihre 2. Mittelmeerflotte 
(Standing NATO Maritime Group, SNMG 2) entsandte. Innerhalb eines Monats 
waren die ersten NATO-Schiffe vor Ort und übernahmen ihren neuen 
Auftrag, die Bekämpfung der Piraterie. Als Begründung für diese Anfrage 
der UN um militärischen Schutz durch die NATO galten die zuvor erfolgten 
Piratenangriffe auf Schiffe, die Güter im Auftrag des WFP transportieren 
und dass 90% der Nahrungsmittellieferungen nach Somalia über den Seeweg 
erfolgten. Würde dieser unterbrochen, drohten sich Hunger und 
Unterernährung in Ostafrika weiter zu verschlimmern. Tatsächlich wurden 
2007 drei Schiffe mit Gütern des WFP von Piraten angegriffen,[1] von 
etwa dreißig, die täglich im Auftrag des WFP unterwegs sind.[2] Das WFP 
ging deshalb bereits im November desselben Jahres dazu über, seine 
Ladung im kenianischen Mombasa auf kleinere Schiffe zu verladen, die 
dann bis nach Mogadischu eskortiert wurden. Danach gab es keine 
Übergriffe mehr auf Schiffe des WFP, bis im April 2009 - mittlerweile 
wurde der zwischenzeitlich unterbrochene NATO-Einsatz von der 
EU-Operation ATALANTA ergänzt - die unter US-amerikanischer Flagge 
stehende "Maersk Alabama" auf dem Weg nach Mombasa geentert wurde. Deren 
Kapitän bot sich im Austausch für Schiff und Crew als Geisel an und die 
Alabama konnte mit zweitägiger Verspätung in Mombasa einlaufen. Der 
Kapitän wurde später in einer spektakulären Aktion durch 
US-Spezialeinheiten, bei der drei Piraten erschossen und einer 
festgenommen wurde, befreit.

Nur wenige Tage später wurden zwei weitere Schiffe, die Ladungen des WFP 
an Bord hatten, von Piraten angegriffen: die "Sea Horse" 700km vor der 
somalischen Küste auf dem Rückweg nach Indien und die "Liberty Sun" auf 
dem Weg von Port Sudan nach Mombasa.[3] Während die unter togolesischer 
Flagge fahrende Sea Horse gekapert und nach drei Tagen gegen ein 
Lösegeld von etwa 100.000 US$ wieder von den Piraten freigegeben wurde, 
verlief der Angriff auf die Liberty Sun unter US-Flagge ungewöhnlich: 
Die Piraten feuerten mit Raketenwerfern und Maschinengewehren auf das 
Schiff und beschädigten dessen Rumpf. Obwohl es fünf Stunden dauerte, 
bis ein herbeigerufenes Boot der US-Marine eintraf, enterten die Piraten 
die Liberty Sun nicht. Deren Besatzung, die sich im Maschinenraum 
verbarrikadiert hatte und unverletzt blieb, und die internationalen 
Medien führen dies auf ein erfolgreiches Ausweichmanöver zurück. Einzig 
ein Bericht von BBC verweist darauf, dass die Piraten nach der 
gewaltsamen Befreiung des Kapitäns der Alabama Vergeltungsmaßnahmen 
angekündigt hätten.[4] Tatsächlich schien es eher die Absicht der 
Angreifer, das Schiff zu beschädigen als es zu kapern. Das 
nächstgelegene Kriegsschiff, das von der Liberty Sun zur Hilfe gerufen 
wurde, war denn auch die USS Bainbridge, von der die US-Kommandoaktion 
ausging und an deren Bord sich nach wie vor der Kapitän der Alabama 
befand. Dieser wurde von den internationalen Medien zwischenzeitlich als 
Held gefeiert und sollte am Tag nach dem Angriff in Mombasa seine Crew 
wieder treffen, um mit dieser gemeinsam und feierlich in die USA 
zurückzufliegen. Dieses durchaus als Medienereignis geplante Treffen 
fiel aufgrund des Angriffs auf die Liberty Sun buchstäblich ins Wasser.[5]

Tatsächlich müssen die US-amerikanische Aktion zur Befreiung der Geisel 
ebenso wie die kurz zuvor, aber weniger erfolgreich mit Unterstützung 
der deutschen Fregatte Mecklenburg-Vorpommern erfolgte französische 
Kommandoaktion (hier wurde die Geisel gleich mitgetötet) auch abgesehen 
von den absehbaren Vergeltungsmaßnahmen kritisch betrachtet werden. 
Zukünftig werden sich Piraten nicht mehr auf eine Freigabe der Schiffe 
mitsamt Crew im Austausch gegen den Kapitän einlassen, die Geiseln eher 
ins Hinterland verschleppen, einsperren und auch töten. Tatsächlich 
weisen zahlreiche Medienberichte seither darauf hin, dass der Umgang der 
Piraten mit den Geiseln deutlich rauer geworden ist.

Von Kritik an dem Vorgehen der internationalen Truppen sind aber IMB und 
auch das WFP weit entfernt. Das WFP hatte bereits zum Abschluss des 
ersten NATO-Einsatzes zur Piratenbekämpfung im Dezember 2008 erklärt, 
dass "ohne diesen Schutz zwei Mio. Somalis eventuell Hunger hätten 
leiden müssen", obwohl die Operation "Allied Provider" erst im Oktober 
begann und bereits seit Ende 2007 keine Angriffe mehr auf Schiffe im 
Auftrag des WFP stattfanden, da diese ihre Route über Mombasa 
änderten.[6] Dass diese Route nun auch in Gefahr ist und Schiffe 
zunehmend auch weit vor der Küste angegriffen werden, gilt allgemein als 
Folge der internationalen, militärischen Piratenjagd und der 
UN-Resolution 1816. Anstatt diese aber zu kritisieren oder über einen 
Zusammenhang zwischen der US-amerikanischen Kommandoaktion und den 
Angriffen auf die Liberty Sun und die Sea Horse auch nur zu spekulieren, 
stellt das WFP im Einklang mit den Regierungen der USA und Somalias die 
Piratenangriffe weiterhin als primäres Hindernis der Versorgung 
Ostafrikas dar und fordert es ein entschiedeneres militärisches 
Vorgehen: "Wenn Nahrungsmittelhilfe Somalia, Kenia, den Südsudan und den 
Ostkongo nicht über Mombasa erreichen kann, werden Millionen Menschen 
hungern und die bereits hohe Verbreitung von Unterernährung wird weiter 
zunehmen. Piraterie in den Gewässern Somalias bereitet dem WFP, dessen 
Schiffe 2007 in drei Fällen angegriffen oder geentert wurden, bereits 
länger Sorgen. Da 90% der Nahrungsmittelhilfe Somalia über das Meer 
erreicht, fahren wir somalische Häfen nur noch mit Eskorten an..."[7]


Die Piraten rüsten auf

Obwohl sowohl die räumliche Ausdehnung als auch die reine Summe der 
Piratenüberfälle mit dem internationalen militärischen Engagement 
zunahmen, lässt sich jedoch evtl. ein weiterer Grund für dieses finden, 
der nicht in geopolitischen Interessen begründet ist, für die sich UN 
und deren WFP einspannen lassen. So macht bereits der IMB-Bericht für 
das Jahr 2008 deutlich, dass sich die Art der Piraterie vor Somalia und 
am Golf von Aden vor allem qualitativ deutlich von der in anderen von 
Piraterie betroffenen Gebieten unterschied: Während vor Asien und Afrika 
Schiffe überwiegend und vor Lateinamerika fast ausschließlich 
angegriffen werden, während sie vor Anker oder im Hafen liegen, wurden 
bereits 2008 44 Schiffe vor Somalia und im Golf von Aden während der 
Fahrt geentert. Damit wurden von weltweit insgesamt 87 Schiffen, die 
nicht vor Anker Lagen, als sie überfallen wurden, etwa die Hälfte in 
dieser Region geentert - hinzu kommen 58 von weltweit 82 Versuchen, die 
fehlschlugen. Im ersten Halbjahr 2009 waren es 30 von 49 erfolgreichen 
Enterungen bei Fahrt und 114 von 120 missglückten Versuchen weltweit.

Solche Angriffe auf fahrende Schiffe verlaufen naturgemäß anders. So 
waren die Piraten 2008 bei 68 der 293 Angriffe weltweit lediglich mit 
Messern bewaffnet. Von den 139 Angriffen, bei denen sicher Schusswaffen 
im Spiel waren, erfolgten 85 im Golf von Aden und 17 in somalischen 
Gewässern, wobei auch von diesen die meisten auf das 2. Halbjahr 
entfallen. Auf hoher See geenterte Schiffe wurden meist mitsamt der Crew 
an die Küste Somalias gebracht. Daher gehen 2008 von den insgesamt 889 
als Geiseln genommen Seeleuten 629 auf Überfälle am Golf von Aden und 
186 auf solche vor Somalia zurück, wobei bis Juni 2008 insgesamt erst 
190 Geiseln genommen wurden. Anstatt wie in anderen Regionen nur Teile 
der Fracht und Eigentum von der Besatzung zu rauben, verlangten die 
Piraten in dieser Region also überwiegend Lösegeld für die Schiffe und 
deren Besatzung von den Reedereien. Wurde dieses Lösegeld bezahlt, 
liefen die Überfälle jedoch meist recht glimpflich ab. Verletzte oder 
getötete Seeleute gab es 2008 weltweit 43, davon zwei vor Somalia und 
vier im Golf von Aden. Die meisten der 2008 betroffenen Schiffe wurden 
von deutschen Reedereien betrieben (41) gefolgt von Reedereien aus 
Singapur (31), Griechenland (23) und Japan (16) sowie Norwegen, dem 
Vereinigten Königreich und China mit jeweils 12 Schiffen.

Insofern ist durchaus ein starkes Interesse der betroffenen Staaten und 
ihrer Verbündeten an einer Bekämpfung der Piraterie anzunehmen, wenn 
auch nicht aus humanitären Gründen. Doch auch vor dem Hintergrund dieses 
Interesses können die bislang erfolgten Einsätze schwerlich als Erfolg 
gewertet werden. Denn im ersten Halbjahr 2009 ist eben keinerlei 
Rückgang der Piraterie zu verzeichnen. Im Gegenteil scheinen die Piraten 
ihrerseits aufzurüsten und brutaler vorzugehen. Von den 240 in diesem 
Zeitraum erfolgten Angriffen weltweit wurden 151 nachweislich mit 
Schusswaffen ausgeführt und damit mehr, als im ganzen Jahr 2008. Davon 
entfallen alleine 78 auf den Golf von Aden und auf Somalia 41, womit 
insbesondere in somalischen Gewässern der Einsatz von Schusswaffen 
deutlich zugenommen hat. Der starke Anstieg an Geiselnahmen zwischen dem 
ersten Halbjahr 2008 und dem ersten Halbjahr 2009 von 190 Fällen auf 561 
geht ausschließlich auf Somalia und den Golf von Aden zurück, wo 
zwischen Januar und Juni 2009 287 bzw. 198 Crewmitglieder (von 
mutmaßlichen Piraten abgesehen) verschleppt wurden - insgesamt 295 mehr 
als im ersten Halbjahr 2008 weltweit und 193 mehr als im gesamten Jahr 
2007. Im gleichen Zeitraum wurden vor Somalia und am Golf von Aden 
insgesamt 10 Seeleute verletzt und getötet, fast doppelt so viele, wie 
im gesamten Vorjahr. 38 der angegriffenen Schiffe im ersten Halbjahr 
2009 fuhren im Auftrag von Reedereien aus Deutschland, 33 aus 
Griechenland und 17 aus Singapur.


(Real-)Satire am Golf von Aden

Dass die militärische Piratenjagd dennoch von den meisten Beteiligten 
als Erfolg bewertet wird und ihre Weiterführung außer Frage steht 
(allenfalls wird die Frage gestellt, ob sie noch "robuster" durchgeführt 
werden soll), mag also Erstaunen hervorrufen. Vielleicht geht es ja doch 
darum, einen völkerrechtlichen Präzedenzfall zu schaffen, sich die 
Herrschaft über einen sog. gescheiterten Staat stückchenweise und 
gemeinschaftlich anzueignen. Vielleicht geht es auch darum, insofern 
einen Präzedenzfall zu schaffen, als vor der Küste Somalias ganz 
offensichtlich Kapitalinteressen gegen eine verarmte und kriminalisierte 
Bevölkerung militärisch verteidigt werden sollen, auch wenn dies bislang 
erfolglos bleibt. Vielleicht kann auch keine der weltweiten Mächte nach 
dem frühen NATO-Engagement mehr darauf verzichten, vor der 
rohstoffreichen Küste Somalias an einem der Highways des Welthandels 
Präsenz zu zeigen. Vielleicht geht es aber auch oder noch dazu um die 
pure "Lust am Einsatz" der führenden und aufstrebenden Seemächte in 
einem der internationalen Gewalt Preis gegebenen Gebiet. Diese scheint 
mittlerweile - profitträchtig - auch Privatpersonen erfasst zu haben. So 
meldete das österreichische "Wirtschaftsblatt" am 22.6.2009:


"Ein russischer Kreuzfahrtunternehmer dreht den Spieß jetzt um und lädt 
reiche Russen zur Jagd auf Piraten vor Somalias Küste ein, der 
gefährlichsten Wasserstraße der Welt. Seine Geschäftsidee ist einfach: 
Sein Kreuzfahrtschiff ist der Köder für die Piraten. Versuchen die 
echten Piraten das scheinbar harmlose Schiff zu entern, erleben die 
Afrikaner ihr blaues Wunder. Statt wehrlosen Handelsmatrosen stehen 
ihnen bis an die Zähne bewaffnete russische Touristen gegenüber. Ein 
makabrer Touristenspaß. Ein Tag an Bord des gecharterten 
Kreuzfahrschiffes kostet 5.790 Dollar. Es wird solange geschippert, bis 
die echten Piraten auch wirklich angreifen. Mindestens ein 
Piratenüberfall mit Kaperungsversuch wird vom Reiseunternehmer 
garantiert. Die Route geht von Djibouti nach Mombasa in Kenia. Das 
Schiff fährt dafür möglichst nahe der somalischen Küste mit einer 
Geschwindigkeit von nur fünf nautischen Meilen entlang. Die Touristen 
können sich nach Belieben und Geldbeutel mit Waffen eindecken. Eine 
Maschinenpistole des Typs AK-47 kann von den russischen 
Kreuzfahrtpassagieren an Bord für 9 Dollar am Tag gemietet werden. 100 
Schuss Munition kosten 12 Dollar. Ein Granatwerfer kostet 175 Dollar am 
Tag. Dazu gehören drei Granaten, die im Mietpreis enthalten sind. Die 
Benutzung eines an der Reeling fest installierten Maschinengewehres soll 
475 Dollar kosten."

Wie die Verleger später bekannt gaben, handelte es sich dabei 
(höchstwahrscheinlich) um eine Satire. Noch!


Anmerkungen

[1] "Two New Piracy Incidents Underline Threat to WFP Shipments", 
Pressemitteilung des WFP vom 15.4.2009

[2] "Pirate Attacks Delay Food Sent to Africans - Millions in East, 
Central Africa could go hungry if delays continue", www.america.gov, 
1.6.2009

[3] Ebd.

[4] "Pirates attack second US vessel", BBC, 15.4.2009

[5] "U.S. Cargo Ship Evades Somali Pirate Attack", Associated Press, 
15.4.2009

[6] "Successful completion of NATO mission Operation Allied Provider", 
Pressemitteilung des NATO-Hauptquartiers in Europa (SHAPE) vom 12.12.2009

[7] Two New Piracy Incidents Underline Threat to WFP Shipments, 
Pressemitteilung des WFP vom 15.4.2009


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