[IMI-List] [0301] Spendenaufruf / Aktualisierung Militarisierung Entwicklungshilfe / Militär gegen Piraten
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Di Dez 16 14:48:21 CET 2008
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0301 .......... 12. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos)........ IMI-List-subscribe at yahoogroups.com
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich:
1.) Die Bitte um Spenden zur Unterstützung unserer Arbeit;
2.) Die Aktualisierung einer Studie zur Militarisierung der
Entwicklungshilfe;
3.) Eine Analyse zum Militäreinsatz gegen Piraten am Horn von Afrika.
1. Spendenaufruf
Auch dieses Jahr haben wir uns bemüht, mit unserer Arbeit der
Militarisierung Deutschlands etwas entgegenzusetzen. Viele Menschen
haben uns dabei mit Ideen, Arbeitskraft und auch Spenden unterstützt.
Herzlichen Dank dafür!
Gerade stecken wir mitten in der Vorbereitung für eine umfassende
Broschüre, die zur Mobilisierung gegen den NATO-Gipfel im April 2009
beitragen soll. Um dieses und andere Vorhaben im nächsten Jahr umsetzen
zu können, benötigen wir aber angesichts unserer unsicheren Finanzlage
Eure Unterstützung!
Deshalb freuen wir uns über jede Spende zur Unterstützung unserer Arbeit
-- und sei sie auch noch so klein (Spenden an die IMI sind weiterhin
steuerlich abzugsfähig, wir senden die Bescheinigungen Anfang 2009 zu!).
Spendenkonto: 1662832, KSK Tübingen: BLZ 641 500 20
Wer unsere Arbeit kontinuierlich unterstützen möchte, kann dies am
besten über eine Mitgliedschaft bei IMI tun (ebenfalls steuerlich
abzugsfähig!). IMI-Mitglieder bekommen zudem unser Magazin AUSDRUCK alle
zwei Monate als Printversion zugeschickt (Formulare finden sich unter
http://www.imi-online.de/download/mitglied.pdf).
Wir freuen uns über jede Hilfe und bedanken uns hiermit herzlich für
jede Form der Unterstützung!
2) Aktualisierte Studie zur Militarisierung der Entwicklungshilfe
Die im November 2008 überarbeitete und nun in gedruckter Form
vorliegende Broschüre (83S. DINA4) "Mit Sicherheit keine Entwicklung!
Die Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit" von IMI-Vorstand
Jürgen Wagner kann GRATIS unter folgender Adresse bezogen werden:
Bundestagsbüro Heike Hänsel: heike.haensel at bundestag.de
Die Außerdem kann die im Auftrag der LINKEN im Bundestag erstellte
Studie auch unter folgendem Link heruntergeladen werden:
Die Militarisierung der Entwicklungszusammenarbeit (überarbeitete und
erweiterte Version. Stand: November 2008):
http://www.imi-online.de/download/EZ-Broschuere-Oktober2008.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
1. Die "Neuen Kriege" und der entwicklungspolitische Paradigmenwechsel
1.1 Der Staatenkrieg als Auslaufmodell
1.2 Kriegsursachen aus Sicht der Neuen Kriege
1.3 Krieg als militärischer Humanismus
1.4 Krieg als sicherheitspolitischer Imperativ
1.5 Die Neuen Kriege: Steigbügelhalter für die Rekolonisierung der
Peripherie
2. Armut als Kriegsursache: Die Militarisierung des Neoliberalismus und
die Krisentendenzen der Weltwirtschaftsordnung
2.1 Die Bankrotterklärung des Neoliberalismus
2.2 Armut als Kriegsursache Nummer Eins
2.3 Krisentendenzen und militärischer Neoliberalismus
2.4 Militärischer Investitionsschutz als entwicklungspolitisches Projekt
3. Stabilitätsexport als neues außen- und entwicklungspolitisches Leitbild
3.1 Stabilitätsexport als moralisch-sicherheitspolitischer Imperativ
3.2 Vernetzte Sicherheit: Die Subordination der Entwicklungshilfe
3.3 Entwicklungspolitischer Paradigmenwechsel: Von der Armutsbekämpfung
zur Sicherheitspolitik
4. Krieg als Entwicklungshilfe
4.1 Was ist ODA?
4.2 Phantomhilfe und vorgegaukelte Großzügigkeit
4.3 Sicherheitskonditionalität: Entwicklungshilfe als Terrorbekämpfung
4.4 Dammbruch: Die sicherheitspolitische Erweiterung der ODA-Kriterien
4.5 Sicherheitssektorreform: Entwicklungshilfe als Aufstandsbekämpfung
4.6 Kriegseinsätze mit Entwicklungshilfegeldern?
4.7 Krieg als Entwicklungshilfe: Das Beispiel der African Peace Facility
4.8 Die Zweckentfremdung der Entwicklungshilfe: Das Drama in Zahlen
4.9 Kurz vor dem Rubikon: Österreichische Kriegsentwicklungshilfe im Tschad
4.10 Kritik: Sicherheit statt Entwicklung
Exkurs: Die Vereinigten Staaten als Blick in die Kristallkugel
5. CIMIC - Das Ende eigenständiger Entwicklungszusammenarbeit
5.1 CIMIC I: Vereinte Nationen
5.2 CIMIC II: Europäische Union
5.3 CIMIC III: NATO
5.4 Afghanistan: Prototyp Zivil-militärischer Aufstandsbekämpfung
5.5 Von Helfern zu Kollaborateuren zu Anschlagszielen
5.6 Fazit: CIMIC als integraler Bestandteil westlicher Kriegspolitik
6. Neoliberales Nation Building
6.1 Neoliberalismus als europäische Kernideologie
6.2 Bittere Medizin: Neoliberale Entwicklungshilfe als Armutsbekämpfung
6.3 Neoliberales State Building I: Theorie
6.4 Neoliberales State Building II: Afghanistan
6.5 Neoliberales State Building III: Kosovo
7. Verschärfung von Armutskonflikten und globaler Kriegszustand
7.1 Neoliberaler "Stabilitätsexport" und selektive Interessensdurchsetzung
7.2 Stabilitätsexport und gewaltsamer Widerstand
8. Fazit: Plädoyer für eine systemkritische Fokussierung der
Entwicklungspolitik
Bibliographie
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
http://www.imi-online.de/download/EZ-Broschüre-Oktober2008.pdf
3) Analyse zum Militäreinsatz gegen Piraten am Horn von Afrika.
IMI-Analyse 2008/040 - in: Junge Welt, 5.12.2008
Maritimes Säbelrasseln
Die internationalen Fischfangflotten rauben am Horn von Afrika
Milliardenwerte. Die daraus resultierende Piraterie wird von
Industriestaaten mit Militarisierung der wichtigen Handelsroute beantwortet
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1855
5.12.2008, Claudia Haydt
Weithin sichtbar waren die Flammen, als in der Nacht von 18. auf den 19.
November die indische Fregatte »INS Tabar« im Golf von Aden ein
vermeintliches Piratenmutterschiff beschoß und versenkte. Nachdem in den
Wochen zuvor mehrere Schiffe von Freibeutern gekapert worden waren,
zuletzt der saudische Supertanker »Sirius Star«, gab es damit endlich
eine Erfolgsmeldung im Kampf gegen die Piraten. In »Selbstverteidigung«
und in einem »erbitterten Kampf« konnte die indische Marine den »Piraten
ihre schwimmende Plattform« entziehen -- so bejubelten die meisten
internationalen Medien das Geschehen.
Als sechs Tage später der vermutlich einzige Überlebende der Besatzung
aus dem Meer gerettet wurde, kam eine gänzlich andere Geschichte zum
Vorschein. Piraten hatten den thailändischen Fischkutter »Ekawat Nava 5«
geentert. Als die »Tabar« sich näherte, drohten die Piraten, gaben
einige Schüsse ab und verließen den Fischtrawler mit ihren
Schnellbooten. Das Schiff mitsamt seiner größtenteils gefesselten
Besatzung ging in Folge des Beschusses durch das Kriegsschiff in Flammen
auf und sank. Ein Besatzungsmitglied wurde tot geborgen und 14 werden
bis heute vermißt.
Dieser Vorfall zeigt überdeutlich, was es bedeuten kann, wenn
Piratenbekämpfung zu einer militärischen Aufgabe wird. Es ist
bezeichnend für das momentane politische und mediale Klima, daß der Tod
von wahrscheinlich 15 Menschen nicht zum Anlaß genommen wurde, darüber
nachzudenken, ob militärische Maßnahmen wirklich der richtige und
sinnvolle Weg zur Überwindung der Pirateriegefahr sind. Mit
beängstigender Zielstrebigkeit wird auf allen politischen Ebenen darum
gerungen, sämtliche Hindernisse für den Militäreinsatz am Horn von
Afrika -- und weit darüber hinaus -- aus dem Weg zu räumen. Die
politische Agenda richtet sich dabei wesentlich mehr an den
wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Truppensteller aus
als an einer Bekämpfung der Ursachen der Piraterie.
Militarisierung der Seewege
Nur in Hollywoodfilmen sind Piraten so zuvorkommend, durch Hissen einer
Totenkopfflagge ihren Gegnern die Identifizierung und Bekämpfung einfach
zu machen. Bevor sich Piraten einem poten¬tiellen Opfer nähern, sind sie
weder für Kriegsschiffe noch für Aufklärungsflugzeuge eindeutig als
Piraten zu identifizieren.
Dennoch setzen sowohl Militärbündnisse wie die NATO oder die EU als auch
Einzelstaaten wie Rußland, Indien und die USA mit ihrer Fünften Flotte
auf die militärische Karte. Rußland versucht, die ehemalige sowjetische
Marinebasis in Aden (Jemen) wieder zu beleben, und Indien ist es
gelungen, in Oman Anlegemöglichkeiten für seine Kriegsschiffe zu
erhalten. In den letzten Monaten ist es voll geworden im Meer vor dem
Horn von Afrika. Der Indische Ozean ist offensichtlich ein neuer
Schauplatz globaler Machtpolitik. Neben den genannten Akteuren haben
weitere wie Frankreich, Großbritannien, Südkorea und Malaysia nationale
maritime Kontingente entsandt. Sogar der Iran, dessen Schiffe ebenfalls
Opfer der Piraterie wurden, kündigte seine Präsenz an. Japan erwägt
militärischen Geleitschutz für seine Schiffe, und in China findet zur
Zeit eine intensive Debatte darüber statt, ob die Marine künftig auch
zum Schutz der chinesischen Handelsflotte eingesetzt werden soll. Daß
innerhalb dieser bunten Antipiratenkoalition einiges an
Eskalationspotential liegt, ist nicht zu übersehen.
Die deutsche Marine ist auch ohne Antipiratenmandat längst Teil des
Säbelrasselns. Seit Ende 2001 beteiligt sich die Bundesmarine an der
maritimen Komponente der Operation Enduring Freedom (OEF). Mit der
Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern« und etwa 230 Seeleuten ist Deutschland
am Horn von Afrika militärisch präsent, offiziell, um dort den
internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Praktisch waren Marineschiffe
jedoch schon mehrfach im Zuge der »Nothilfe« in Antipirateneinsätzen
aktiv -- wenn sie »zufällig in der Nähe« waren. Ab Januar 2009 wird die
»Mecklenburg-Vorpommern« als Führungsschiff der OEF eingesetzt.
Die NATO hat Anfang November 2008 im Rahmen der Operation »Allied
Provider« die »Standing NATO Maritime Group 2« (SNMG2) aus dem
Mittelmeer ans Horn von Afrika verlegt. Der deutsche Beitrag hierfür
besteht aus der Fregatte »Karlsruhe« und dem Versorgungsschiff »Rhön«.
Begründet wird der Einsatz vor allem mit dem Schutz für Schiffe des
Welternährungsprogramms. Warum für diese Aufgabe jedoch vier
Kriegsschiffe nötig sein sollen, bleibt ein Rätsel. Die Operation
»Allied Provider« kooperiert eng mit der indischen Marine, ein Fakt, der
im blockfreien Indien für Diskussion über eine neue Bündnispolitik sorgt.
Am Rande des jüngsten NATO-Außenministertreffens wurde klar, daß die
Mission des Bündnisses Ende Dezember nicht beendet, sondern lediglich
kurzfristig unterbrochen wird. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop
Scheffer deutete an, daß verstärkte Präsenz auf den Weltmeeren für die
NATO zukünftig einen hohen Stellenwert haben wird: »Die NATO prüft
tatsächlich eine langfristige Rolle (...), aber auf diesem Globus gibt
es viel Wasser, und dieses Thema wird noch lange Zeit auf der
Tagesordnung stehen.«
EU als Seemacht?
Am 10. November beschloß der Rat der Europäischen Union eine gemeinsame
Antipirateriemission unter dem Namen »Atalanta«. Die »gemeinsame Aktion«
ermöglicht einen ersten Einsatz von Kriegsschiffen unter EU-Flagge. Ihr
Auftrag: »Durchführung der erforderlichen Maßnahmen, einschließlich des
Einsatzes von Gewalt, zur Abschreckung, Verhütung und Beendigung von
seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten Raubüberfällen, die in den
Gebieten, in denen (die Mission »Atalanta« -- C. H.) präsent ist,
begangen werden könnten.«
Am Montag nächster Woche, also am 8. Dezember, werden die
EU-Außenminister voraussichtlich den Operationsplan und die
Einsatzregeln vereinbaren. Damit soll die Mission bereits in der
kommenden Woche ihre Arbeit aufnehmen. Insgesamt sollen sechs
Kriegsschiffe, drei Aufklärungsflugzeuge, Hubschrauber und
Versorgungsschiffe eingesetzt werden. Der deutsche Beitrag dazu, die
Fregatte »Karlsruhe«, liegt vor Ägypten und wäre im Nu einsatzbereit.
Die politische Entscheidung wird jedoch möglicherweise nicht ganz so
schnell fallen. Das Kabinett wird wahrscheinlich am 10. Dezember eine
Entscheidung über das Mandat treffen. Der Bundestag soll dann in der
letzten Sitzungswoche vor Weihnachten im Schnellverfahren diesem
Vorgehen zustimmen. Das funktioniert jedoch nur, wenn alle Fraktionen
zustimmen. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion,
Dagmar Enkelmann, hat jedoch bereits angekündigt, daß ihre Fraktion
erheblichen Diskussionsbedarf hat. Damit ist mit einer endgültigen
Abstimmung im Bundestag voraussichtlich erst Mitte Januar zu rechnen.
Viele Details der EU-Mission »Atalanta« sind tatsächlich fragwürdig. So
ist völlig unklar, was mit gefangenen Piraten geschehen soll. Wie etwa
soll der Richtervorbehalt des Artikels 104 im Grundgesetz (GG) am Horn
von Afrika umgesetzt werden? Sollen Beamte der Bundespolizei für
eventuelle Verhaftungen mit an Bord genommen werden? Offensichtlich will
besonders die CDU/CSU das Piratenproblem als Türöffner für die
Aushebelung der Aufgabentrennung von Polizei und Militär und Änderung
der Artikel 35 und 87a GG nutzen. Auch der Einsatzraum der EU-Mission
läßt einige Fragen offen. 500 Seemeilen entlang der somalischen Küste
und der der Nachbarstaaten sollen die EU-Kriegsschiffe eingesetzt
werden. Also auch in den Küstengewässern von Kenia und Dschibouti? Auch
der Status der sogenannten »Embarked Military Forces«, also kleiner
militärischer Einheiten, die auf gefährdeten Handelsschiffen eingesetzt
werden sollen, ist unklar.
Es besteht die konkrete Gefahr, daß hier rechtliche Grauzonen etabliert
werden. Das Ziel ist eindeutig: Die Bevölkerung soll daran gewöhnt
werden, daß der Schutz von ökonomisch und strategisch wichtigen
Seetransporten eine Aufgabe der Bundeswehr sei.
Formal stützt sich die EU-Mission auf das Seerechtsübereinkommen und die
UN-Resolution 1816. Artikel 105 des Übereinkommens ermöglicht jenseits
der Zwölf-Seemeilen-Zone die Piratenbekämpfung. Außer der direkten
Nothilfe ist aktive Pirateriebekämpfung möglich -- jedoch keine
Verpflichtung. Die UN-Resolution 1816 vom 2. Juni 2008 erweitert das
Recht der Pirateriebekämpfung auf die Küstengewässer vor Somalia. Auch
wenn die Resolution explizit feststellt, daß hier kein neues
Gewohnheitsrecht geschaffen werden soll, ist doch zu befürchten, daß
genau diese Aushebelung von staatlicher Souveränität als »Lösung« auch
für zukünftige Konfliktkonstellationen angewandt wird.
Mit der Resolution 1816 ermöglicht der Sicherheitsrat einen Einsatz
gegen Piraten nach Kapitel VII der UN-Charta, zuerst auf sechs Monate
beschränkt. Voraussetzung für eine solche »robuste« Mission ist eine
Bedrohung des internationalen Friedens. Piraterie ist jedoch nicht mehr
und nicht weniger als gewöhnliche Kriminalität. Der Sicherheitsrat hat
durch seine Entscheidung einen weiteren Beitrag zur Aushöhlung des
Völkerrechts geleistet. Diesen Kurs hält er, indem er am 2. Dezember
2008 die Piratenbekämpfung in somalischen Hoheitsgewässern um ein Jahr
verlängerte.
Insgesamt soll die Bundeswehr bis zu 1400 Soldaten für die EU-Mission
»Atalanta« stellen. Mit dieser Größenordnung schafft sich die Regierung
viel Spielraum. Es geht dabei auch darum, ein kurzfristiges
Mandate-Switching zu ermöglichen. Dann kann eine Antiterrorfregatte,
wenn sie gerade in der Nähe eines Piratenschiffs ist, zeitweilig zur
Antipiratenfregatte mutieren.
Grund für die maritime Präsenz ist offensichtlich: In einem Interview
mit dem Fernsehsender Phoenix erklärte Verteidigungsminister Franz Josef
Jung am 2. Dezember, daß Deutschland als Exportweltmeister Seesicherheit
brauche. »Wir sind auf freien Seehandel angewiesen.« Mit mehr als 3200
Schiffen liegt die deutsche Handelsflotte bei der verfügbaren
Transportkapazität hinter Griechenland und Japan auf Platz drei. Bei der
Containerschiffahrt belegt Deutschland den ersten Platz. Der aktuelle
Jahresbericht des Flottenkommandos der Deutschen Marine stellt fest:
»Die maritime Wirtschaft zählt mit mehr als 380000 Beschäftigten und
einem Umsatz von rund 48 Milliarden Euro zu den wirtschaftlich
wichtigsten und fortschrittlichsten Wirtschaftszweigen in Deutschland.«
Ungünstig für die Wirtschaft ist auch: Die Internationale Handelskammer
gibt an, daß sich allein im letzten Jahr die Versicherungsprämien für
den Transport durch den Golf von Aden verzehnfacht hätten. Das kann zu
steigenden Preisen für Importe und Exporte führen.
Die Seeroute vor Somalia wird jährlich von etwa 50000 Schiffen passiert.
20000 davon nehmen pro Jahr die Route durch den Golf von Aden zum
Suezkanal, einen Weg den auch 30 Prozent des Rohöls für Europa nimmt.
Piratenfischer und Giftmüll
Die Karibik nimmt heute unter den von Piraterie betroffenen Regionen
keinen Spitzenplatz mehr ein. Nach Angaben der International Maritime
Organisation waren im Jahr 2007 besonders die Straße von Malakka, das
südchinesische Meer, die Küsten Westafrikas -- speziell Nigeria -- sowie
die Küste Ostafrikas -- speziell Somalia -- Schwerpunkte von
Piratenüberfällen. In all diesen Regionen ist die Armut der zentrale
Nährboden für die Piraterie. 2007 wurden weltweit 263 Angriffe durch
Seeräuber gemeldet, 43 davon auf deutsche Schiffe. Die angegriffenen
Schiffe sind nur zu einem kleinen Teil Luxusyachten, in 2007 waren es
acht, 121 waren Containerschiffe, 77 Chemikalien- und Rohöltanker.
Im Jahr 2008 hat sich die Anzahl der Übergriffe auf die Schiffahrt am
Horn von Afrika im Vergleich zu anderen Region deutlich erhöht. Zur Zeit
befinden sich vor Somalia 14 Schiffe und etwa 340 Seeleute in der Hand
von Piraten -- bis sich Piraten und Reedereien über die Höhe des
Lösegeldes geeinigt haben. Das kann Monate dauern. Zum finanziellen
Umfang der Beute der Piraten gibt es nur Schätzungen. Allein vor dem
Horn von Afrika sollen Piraten in den ersten neun Monaten dieses Jahres
30 Millionen Dollar Lösegeld erpreßt haben. Das sind für die Piraten und
ihre verarmte Umgebung riesige Summen -- im Verhältnis zum gesamten
Welthandel sind das Peanuts.
80 Prozent der Angriffe fanden in Küstennähe statt. Jedoch fällt auf,
daß besonders die somalischen Korsaren ihren Aktionsradius zunehmend
weiter auf das offene Meer ausdehnen.
Europäische Fischfangflotten nutzen seit dem Zusammenbruch der
somalischen Zentralregierung Anfang der 90er Jahre das Fehlen einer
Küstenwache und überfischen das Meer vor Somalia. 2006 versuchte
Greenpeace, auf das Problem aufmerksam zu machen, daß vor Somalia und in
anderen Regionen durch illegalen Fischfang für die Ärmsten dieser Welt
jährlich Milliarden von Verlusten entstehen. »Nachts sieht das Meer aus
wie die Skyline von Manhattan«, erläutert der Fischereiexperte
Abdirahman Shuke vom Entwicklungs- und Forschungszentrum in der
somalischen Provinzhauptstadt Garowe. Auch wenn die Schiffe häufig unter
Billigflaggen fahren, sind die Profiteure meist klar zu benennen: Sie
sitzen in der EU, den USA und Japan. Greenpeace nennt diese Form des
Fischdiebstahls und der Umweltzerstörung Piraterie und ruft die EU auf,
hier eindeutige ökonomische und rechtliche Schritte zu unternehmen. Bis
heute geschah wenig. Klar ist jedoch, daß die illegalen Fischfangflotten
von der EU-Mission »Atalanta« profitieren werden, da sie dann
gefahrloser in deren Windschatten im Küstenbereich Somalias auf
Beutezüge gehen können.
Neben der Überfischung gefährdet auch die illegale Müllentsorgung die
Sicherheit der Gewässer am Horn von Afrika. Der UN-Sonderbotschafter für
Somalia, Ahmedou Ould Abdallah, erklärte im Juni dieses Jahres: »Ich bin
überzeugt, daß Müll entsorgt wird, Chemikalien und wahrscheinlich
atomare Abfälle.« Ein Sprecher des Umweltprogramms der Vereinten
Nationen (¬UNEP), Nick Nutall, beschreibt in einem Interview mit dem
Fernsehsender Al-Dschasira die ökonomische Bedeutung der illegalen
Müllentsorgung: »Europäische Unternehmen stellten fest, daß es sehr
billig ist, so ihren Müll zu entsorgen, wenn dies lediglich 2,50
US-Dollar pro Tonne kostet, während Müll¬entsorgungskosten in Europa bei
1000 Dollar pro Tonne liegen.«
Was tun gegen Piraterie?
Die somalischen Piraten sind maritime Profis. Nicht wenige begannen ihre
»Karriere« als Fischer oder Angehörige der somalischen Küstenwache. Aus
Frustration über die leergefischten Fanggründe begannen Mitte der 90er
Jahre einzelne Somalis von den Eindringlingen »Steuern« und
»Fanglizenzen« zu kassieren. Einige der Piratengruppierungen nennen sich
auch heute noch »Somali Marines« oder »National Volunteer Coast Guard«.
Der Zugang zum Piratengewerbe ist relativ barrierefrei. Die notwendige
Grundausstattung besteht aus zwei bis drei Schnellbooten, sechs bis acht
Bewaffneten und ein paar Kalaschnikows. Ebenfalls notwendig sind
Kommunikationsmittel und meist vier bis sechs Meter lange Leitern. Da
viele Handelsschiffe vollbeladen tief im Wasser liegen und dabei nur
sehr langsam fahren, fällt es den kleinen Piratenbooten mit starkem
Motor leicht, ihre Beute im Radarschatten einzuholen und zu entern. In
den letzten Jahren hat sich die Arbeit der Seeräuber eindeutig
professionalisiert. Sie haben einen Teil ihrer Beute in schnellere
Boote, neuere Waffen und bessere Kommunikationsmittel investiert.
Mutterschiffe und Satellitentelefone ermöglichen es, Angriffe Hunderte
Seemeilen von der Küste entfernt durchzuführen. Die britische
Schiffahrtspublikation Lloyd's List berichtet davon, daß die
Lösegeldforderungen im letzten Jahr deutlich gestiegen sind, von unter
100000 Euro pro Schiff in 2007 auf Millionenbeträge in 2008.
Die meisten Aktionen gehen auf das Konto von vier bis fünf Gruppen mit
unterschiedlichen Fähigkeitsprofilen. Insgesamt sind wahrscheinlich
zirka tausend Personen mehr oder weniger direkt ins Piratengeschäft
involviert. Von den Geldern, die durch die Aktivitäten der Piraten in
die arme Küstenregion fließen, profitieren jedoch ganze Städte und
Dörfer. Eine politische Agenda haben die Piraten nicht. Ebenso gibt es
keine Verbindungen zu Islamisten in Somalia. Im Gegenteil, diese
bekämpfen Piraten am entschiedensten. Als von Juni bis Dezember 2006 die
Union der Islamischen Gerichtshöfe (UIC) an der Macht war, rückten diese
den Korsarennestern so entschlossen zu Leibe, daß die Piraterie zu
Erliegen kam. Allerdings nur solange, bis dann im Dezember die
äthiopische Armee mit Hilfe der USA in Somalia einmarschierte.
Es gibt eine Reihe ganz banaler, aber sehr effektiver
Schutzmöglichkeiten von Schiffen vor Piratenüberfällen. Die wichtigste
ist, wie von der International Maritime Organisation empfohlen, eine
durchgehende Antipiratenwache. Wenn Piraten rechtzeitig entdeckt werden,
dann können sie mit Hochdrucklöschwasserkanonen am Entern gehindert
werden. Ebenso ist es äußerst effektiv, Bordwände mit Schmierfett zu
bestreichen. Da diese Lösungen aber sehr personalintensiv sind, sind sie
bei Reedereien nicht sehr beliebt.
Piraterie ist organisierte Kriminalität, aber sie ist nicht staatlich
arrangiert, sie führt keinen Krieg, und um die mafiaartigen Strukturen
zu zerschlagen, helfen Kriegsschiffe und Aufklärungsflugzeuge wenig. Der
Ursprung der Piraterie liegt nicht auf dem Meer, sondern auf dem Land.
Eine effektive militärische Lösung kann es schon allein deswegen nicht
geben. Auch kurzfristig ist ein militärisches Eingreifen sehr aufwendig.
In einer Präsentation der European Union Naval Coordination Cell (NAVCO)
vom 15. Oktober 2008 wird deutlich, wie groß dieser Aufwand ist:
»Wirklicher Schutz braucht eine permanente Nähe zwischen militärischen
Fähigkeiten und zivilen Schiffen.« Bei 50000 Schiffen, die jedes Jahr in
der Region vor dem Horn von Afrika unterwegs sind, gilt deswegen: »Wenn
wir alle Schiffe, die das Gebiet durchfahren, effektiv schützen wollten,
dann würden alle Armeen dieser Welt nicht ausreichen.« Es ist darum
völlig unverständlich, warum die Europäische Union zwar eine
Militäraktion startet, nicht jedoch einen Plan zur präventiven
Bekämpfung der Ursachen von Piraterie entwickelt.
Der Friedenprozeß in der indonesischen Provinz Aceh zeigt, daß eine
politische und ökonomische Perspektive die Pirateriegefahr massiv senken
kann. Eine politische Lösung in Somalia wird es jedoch nur dann geben,
wenn alle relevanten politischen Akteure einbezogen werden -- auch die
Union der islamischen Gerichtshöfe.
Die Industriestaaten können viel zur Seesicherheit beitragen, wenn sie
für die Strafverfolgung ihrer eigenen Flotten in Fragen der illegale
Müll¬entsorgung und Überfischung am Horn von Afrika sorgen. Genauso
könnten sie zusammen mit den somalischen Nachbarstaaten den Stopp der
Rüstungsexporte in Angriff nehmen. Wer den Indischen Ozean jedoch zum
Aufmarschgebiet für eine neue Runde globaler Machtpolitik macht, der
trägt massiv zur sicherheitspolitischen Eskalation bei.
Claudia Haydt ist Soziologin und Religionswissenschaftlerin. Sie ist
Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e.V. in
Tübingen (www.imi-online.de)
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