[Grundeinkommen-Info] "Warum es gut ist, dass die Piratenpartei das Grundeinkommen will."
Wolfgang Strengmann-Kuhn
wolfgang at strengmann-kuhn.de
Mo Dez 5 13:45:10 CET 2011
ein sehr guter Kommentar von Michael Opielka zum Parteitagsbeschluss der
Piraten.
--
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*Das Pirateneinkommen
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05.12.2011
*Warum es gut ist, dass die Piratenpartei das Grundeinkommen will.
*von Michael Opielka
Hinter mir, in der DB Lounge am Frankfurter Flughafen, einer, der
aussieht wie ein Nerd: Kleidungsgröße 58, laut am Mobilfon wie im Hacken
auf dem Laptop, also störend, egozentrisch, unästhetisch. So denkt man
sich die Piratenparteisympathisanten. Altgrünbürgerlich dezent nehme ich
einen Anruf entgegen, ich solle etwas schreiben zum Beschluss des
Piratenparteitags vom Wochenende, sie seien zu 67% für das
Grundeinkommen. Ich erinnere mich an den Parteitag der Grünen zwei Jahre
zuvor, nur 40% der Delegierten waren damals dafür, manche freuten sich,
immerhin so viele und gaben zu bedenken, dass viele Grünenelitäre, die
eigentlich dafür waren, dagegen stimmten, um die Grünenführung nicht zu
beschädigen, die natürlich dagegen war, denn sie war einige Jahre davor,
2003, für die "Agenda 2010", also für das Gegenteil des Grundeinkommens,
für "Workfare statt Welfare". Diesmal, so liest man, war der
Piratenparteivorsitzende auch dagegen, man habe noch keine rechte
Berechnung für dessen Kosten, aber die Mehrheit setzte sich durch, noch
gab es keine
Piratenfunktionäreministerstaatssekretäreleitendegutbezahltebeamte, die
die eigenen Ziele vergessen konnten um an der Macht zu bleiben.
Zugegeben, meine Sympathie für die Piratenpartei war bisher nicht
vorhanden. Verwundert betrachtete ich eine alte Freundin, die, immerhin
Professorin, auf einer Hausparty eine flammende Rede für diesen Verein
hielt, gerade war er im Berlin in das Abgeordnetenhaus gelangt, wie
konnte sie derlei Naivität nur gutheißen. Lange ist es her, mehr als 32
Jahre, da war ich selbst sehr jung, Student und eines der ersten
Mitglieder der grünen Partei, auf den Gründungsparteitagen in
Baden-Württemberg und in Karlsruhe für Deutschland, ein kleiner
Funktionär und ziemlich bald misstrauisch. Nicht gegenüber Winfried
Kretschmann, den ich schon damals in Stuttgart schätzte, doch sehr
gegenüber den grünen Karrierepolitikern, die Ökologie nur als Wort
nutzten, ansonsten aber die Gesellschaft zwischen Sozialdemokratie und
Liberalismus unberührt lassen wollten. Später nannte ich das, was die
Grünen sozialpolitisch wollen müssten, "Garantismus", eine
Menschenrechtssozialpolitik, neben den drei Wohlfahrtsregimeideen
liberal/konservativ/sozialdemokratisch. Einige Grüne teilten das, die
Elitenmehrheit nicht. Sollten die Piraten das können, was die Grünen
nicht wollten? War ich selbst bisher zu naiv um die Bedeutung des
sozialen Piratentums wahrzunehmen?
Ein politik- und kultursoziologischer Blick auf die Piratenpartei fällt
mir schwer, ich weiß zu wenig, es gibt keine quantitativen und kaum
qualitative Studien zu Mitgliedschaft und Parteikultur, allenfalls
journalistische Begleitung. Offensichtlich ist: es sind vor allem
Männer, die Genderpolitikerinnen, die es wohl gibt, treffen sich unter
"Kegelklub.net". Das ist lustig. Die Frau als Kugel, die den Mann
umwirft. Überhaupt: Politik soll Spaß machen, Subjektivitätspolitik. Vor
dreißig Jahren hieß das: Das Private ist politisch. Der
Klassenanalytiker, marxistisch oder damit verwandt, wird die Klassenlage
der Piraten untersuchen und feststellen: sie ist etwa so wie einmal bei
den Grünen, eher gebildet, eher untere bis mittlere Mittelschicht, etwas
mehr kleine Selbstständige als der Durchschnitt, jedenfalls nicht die
Selbstständigenundleitendeangestelltebasis der überkommenen FDP. Was den
Grünen ihr Strickzeug war, ist den Piraten der Laptop, wo ginge das
sonst auf einem Parteitag, dass während eines Redebeitrages mit einem
Netbook herumgefuchtelt wird. Klar scheint den Piraten, dass sie und
ihre Wähler diejenigen sein werden, deren soziale Sicherheit weder durch
eigenes Vermögen noch durch eine lohnarbeitszentrierte
Sozialversicherung garantiert wird. Viele Grüne sehen das auch, übrigens
auch viele in den anderen Parteien, aber ihre Eliten übersehen das: sie
sind Beamte oder zumindest gut bezahlt, sie hoffen mit guten Gründen auf
den Schaum des Latte Macchiato.
Der Beschluss des Piratenparteitags zum Antrag "Bedingungsloses
Grundeinkommen und Mindestlohn (PA284)" würde allen Parteien im
Deutschen Bundestag gut anstehen, er ist recht realitätsnah und es
lohnt, sich den Wortlaut anzusehen: "Dazu wollen wir eine
Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag gründen, deren Ziel die
konkrete Ausarbeitung und Berechnung neuer sowie die Bewertung
bestehender Grundeinkommens-Modelle sein soll. Für jedes Konzept sollen
die voraussichtlichen Konsequenzen sowie Vor- und Nachteile aufgezeigt
und der Öffentlichkeit transparent gemacht werden. Zeitgleich werden
wir uns im Bundestag dafür einsetzen, dass noch vor Ende der
Legislaturperiode die gesetzlichen Grundlagen für Volksabstimmungen auf
Bundesebene geschaffen werden. Sie sollen den Bürgern ermöglichen,
sowohl die in der Enquete-Kommission vorgestellten als auch andere
Grundeinkommens-Modelle als Gesetzentwurf direkt zur Abstimmung zu
stellen. Um dabei über eine Vielfalt an Konzepten gleichzeitig
entscheiden zu können, sollen Volksabstimmungen auch mit
Präferenzwahlverfahren durchgeführt werden können."
Übersieht man den tatsächlich noch etwas naiven Ton -- wie kann die
Piratenfraktion eine Enquete-Kommission "gründen"? Vermutlich ist
gemeint, dass man sie beantragen will -- und auch das Netzfachchinesisch
-- was ist denn ein "Präferenzwahlverfahren"? -, dann kann man beide
Schritte nur begrüßen: ernsthafte Reflexion im Bundestag und Votum des
demokratischen Souveräns in seiner ganzen Breite. Interessant ist, dass
der Piratenantrag sich "bis zur" Einführung des Grundeinkommens für
einen Mindestlohn einsetzt -- auf den ersten Blick nur ein
Formelkompromiss zur Befriedigung der traditionell-linken Affekte im
neuen Wahlverein, genauer betrachtet aber auch ein klar
wirtschaftsliberales Statement: das Grundeinkommen nach Piratenart soll
die Deregulierung des Arbeitsmarktes ermöglichen.
Sind die Piraten nur ein politisches Kulturprojekt? Noch ist das schwer
zu sagen und "nur" wäre auch nicht wenig. Mit der Positionierung Pro
Grundeinkommen und bei weiteren Wahlerfolgen werden sie möglicherweise
zu einem Strukturprojekt: an ihnen vorbei werden manche Koalitionen
nicht mehr gehen und sollten sie kluge und werttreue wie --reflexive
Politikeliten stellen, dann könnten sie einen unschätzbaren Beitrag zur
Realisierung eines Grundeinkommens leisten -- den die Grünen überhaupt
zu denken fahrlässig versäumten.
/
Michael Opielka ist Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule
Jena und Geschäftsführer des Instituts für Sozialökologie in Siegburg.
Er gehört zu den Gründern des Netzwerks Grundeinkommen und von BIEN
(Basic Income Earth Network)./
__________________________________________
prof. dr. habil. michael opielka
fachhochschule jena - fachbereich sozialwesen - university of applied
sciences jena - faculty of social welfare
mail michael.opielka at fh-jena.de
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