[Grundeinkommen-Info] Antwort bzgl. Amtseid aus dem Büro Thierse
Joerg Drescher
iovialis at gmx.de
Fr Okt 26 10:28:39 CEST 2007
Sehr geehrte Damen und Herren,
im August bat ich einen Freund in Deutschland, die in der Anlage aufgeführte Anfrage an das Büro von Herrn Thierse zu senden. Er schickte mir gestern die postalische Antwort von Herrn Dr. Trampe, die ebenfalls als PDF-Anlage zu finden ist.
Darauf möchte ich wie folgt eingehen:
es ist richtig, daß in einer repräsentativen Demokratie durch die Wähler/Wählerinnen beurteilt wird und nicht von irgendwelchen Gerichten. Der Souverän ist das Volk (auch im Grundgesetz durch Artikel 20 definiert: "Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus"). Doch die Aussage, daß sich zum Beispiel das Volk für Hartz-Reformen entschieden hat, stimmt nur indirekt. Das Volk hat Vertreter gewählt, die nicht offenlegten, daß sie Hartz-Reformen durchführen wollen - die Wahl des Volkes war demnach nicht die Hartz-Reform, sondern das Volk wählte Vertreter, denen die Möglichkeit eingeräumt (und die Macht übertragen) wurde, Hartz-Reformen gesetzlich zu verankern.
Wie in dem Anschreiben dargelegt, wurde auch ein Adolf Hitler zuerst vom Volk in freien Wahlen gewählt und hatte Einfluß auf die Mehrheitsverhältnisse in der damaligen Regierung. Das Problem an der Sache ist, daß sich das Volk nach der Wahl nicht mehr gegen die Entscheidungen der von ihm gewählten Vertreter wehren kann. Und die Vertreter entscheiden auch über die Strafbewährtheit des von ihnen abgelegten Amtseids. Deshalb hat der Amtseid nur eine symbolische und integrative Funktion.
Wäre der Amtseid strafbewährt (wie z.B. in Ghana), könnten das Volk ein Verstoß (aus seiner Sicht) gegen den Amtseids vor Gericht bringen. Die Aussage, irgendein Gericht solle entscheiden, ob der Amtseid eingehalten wird, stimmt zwar, doch das Volk (als Souverän) stellt den Antrag, daß eine Prüfung vorgenommen werden soll (die Initiative kommt vom Souverän und nicht vom Gericht). Und dieses Recht wird dem Volk genommen, indem der Amtseid nicht strafbewährt ist.
Wenn ich diese Antwort richtig verstehe, hat das Volk (nach heutigem Demokratieverständnis) nur über Wahlen die Möglichkeit, frei zu entscheiden, welche (unausgesprochenen) Vorstellungen über das Wohl des Volkes durch die zu wählenden Vertreter umgesetzt werden. Ist das Volk mit diesen Umsetzungen nicht zufrieden (die durchaus verfassungskonform sein können), bleibt ihm nichts anderes übrig, als bis zu den nächsten Wahlen zu warten. In Ghana scheint ein anderes Demokratieverständnis zu herrschen.
Der letzte Absatz bzgl. dem Staats- und Demokratieverständnis von Aristoteles (obwohl er vor 2000 Jahren lebte), paßt überhaupt nicht zu der Anfrage. Dort wurde Aristoteles im Zusammenhang mit "Wohl" zitiert und nicht mit seinem Staats-/Demokratieverständnis. Sollte allerdings dieser Absatz tatsächlich Antwort auf die Frage nach dem Verständnis von "Wohl" sein, wird heute "Wohl" anders definiert, als "Bedingungen zu schaffen, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen und dabei jedem die Chancengleichheit bieten sich frei zu entfalten und zu verwirklichen, solange niemand im gleichen Recht einschränkt wird." Wenn dem so ist, bitte ich um eine Definition des "heutigen" Wohles aus dem Büro von Herrn Thierse. Jeder Empfänger dieser Mail kann diese von dort einfordern (und von jeder anderen Regierungsstelle, die den Amtseid ablegt). Die jeweiligen Antworten kann man im Normalfall von einem Gericht prüfen lassen - und sei es ein europäisches Gericht.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörg Drescher
Amurskaja 4
03022 Kiew
- Ukraine -
PS: Der "Jovialismus als Staatstheorie" beschreibt ein Demokratieverständnis auf Basis solcher Amtseide; Die Beschreibung befindet sich auf: http://www.iovialis.org/download
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