[Grundeinkommen-Info] Nahles und Grundeinkommen
Robert Ulmer
robert.ulmer at gmx.de
Di Mär 20 20:54:53 CET 2007
Sehr geehrter Herr Prof. Glatzer,
seien Sie versichert, dass sich die BefürworterInnen eines bedingungslosen Grundeinkommens intensiv Gedanken machen über die volkswirtschaftlichen Anreizwirkungen, die von einem solchen Grundeinkommen ausgehen würden (Vgl. z.B. Van Parijs "Real Freedom for All" (Kapitel 2.2, zum Thema "sustainability"). Es ist unstrittig, dass die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens an die Bedingung ausreichender ökonomischer Prosperität geknüpft, also alles andere als bedingungslos ist.
Trotzdem ist es sinnvoll, von einem bedingungslosen Grundeinkommen zu reden: an das jeweilige Individuum, welches das Grundeinkommen bezieht, werden seitens des Staates keine Bedingungen gestellt; und eben dies unterscheidet ein bedingungsloses Grundeinkommen von einem an Gegenleistungen gekoppelten Workfare-Transfereinkommen. Es handelt sich um nichts weniger als um den Unterschied zwischen Freiheit und Zwang.
Mit herzlichen Grüßen
Robert Ulmer
-------- Original-Nachricht --------
Datum: Tue, 20 Mar 2007 09:27:53 +0100
Von: Wolfgang Glatzer <glatzer at soz.uni-frankfurt.de>
An: Robert Ulmer <robert.ulmer at gmx.de>
CC: ini-bge at googlegroups.com, anders at lists.riseup.net, Stophartz at listi.jpberlin.de, grundeinkommen-info at listen.grundeinkommen.de, debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: Re: [Grundeinkommen-Info] Nahles und Grundeinkommen
> Was Abrissbirne schreibt, ist wieder ein Beispiel für das
> Mißverständnis, dass es ein "bedingungsloses" Grundeinkommen außerhalb
> des Paradieses jemals geben könne. Eine Bedingung ist unbestreitbar,
> dass man für ein Grundeinkommen auch Güter und Dienste kaufen kann. Und
> die müssen produziert werden und diese Produktion/Arbeit muss so
> organisiert werden, dass genau die Güter und Dienstleistungen
> bereitgestellt werden, die Grundeinkommensbezieher auch wünschen. Dies
> ist eine ziemlich komplizierte Aufgabe. Wer sich darüber Gedanken macht,
> vertritt auch die Interessen der (bedingten) Grundeinkommensbezieher.
> Wolfgang Glatzer
>
> Robert Ulmer schrieb:
> > hier eine - vielleicht etwas zu wütende - Attacke auf Andrea Nahles zum
> Thema bedingungsloses Grundeinkommen, von der Obdachlosenzeitung Querkopf,
> >
> > Gruß Robert Ulmer
> >
> >
> >
> > Vorindustrieller Eifel-Charme
> >
> > Andrea Nahles und ihr Flair für schweißtreibende Knochenarbeit
> >
> > In allen Parteien diskutiert man über das bedingungslose
> Grundeinkommen. Die Befürworter mehren sich, doch der Gegenwind bläst stark: Am
> schwersten tut sich die traditionelle Schufter-Partei Deutschlands (SPD). Sie
> findet das Modell ungerecht gegenüber der hart arbeitenden Bevölkerung, die
> sie immer noch zu vertreten glaubt.
> > Irgendwann hat es sich ausgetobt auf der Studentenwiese. Dann beginnt
> der Ernst der gewählten Mandatsträgerschaft: Das Schachern um Posten, das
> Ausbrüten fauler Kompromisse, das fraktions-zwanghafte Folgen der
> Parteilinie. Profilierungssüchtige Nachwuchspolitiker gewinnen im Laufe der Zeit
> vielleicht gut dotierte Posten zuzüglich üppiger Versorgungsansprüche und
> regelmäßiger Medienauftritte. Eines gewinnen sie in der Regel dabei
> nicht: Profil.
> > Andrea Nahles kennt man noch aus ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende. Das
> war in den 90ern. Nahles hielt flammende Reden, die sich bevorzugt am dicken
> Popanz Kohl entzündeten. Heute ist die Bundestagsabgeordnete vollin ihrer
> Partei etabliert, geht mit Obergenosse Müntefering im roten Ford Transit
> auf Wahlkampftour und liest gern vor aus dem Märchenbuch der
> Vollbeschäftigung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle lehnt sie entschieden
> ab. ‘Die Erwerbsarbeit muss zentral bleiben für die Organisation unseres
> Sozialstaats. Das Ziel der Vollbeschäftigung dürfen wir nicht aufgeben’.
> Das Schiff ist bereits zur Hälfte abgesoffen, soll jedoch unter Volldampf
> weiterschippern. Es darf nicht untergehen, also wird es für unsinkbar
> erklärt. Wie viele ihrer Parteikollegen greift Nahles auf Denkmuster zurück,
> die aus dem Spätmittelalter stammen und ihr Verfallsdatum mind. 1
> Jahrhundert überschritten haben.
> > Leser der taz kamen am 10. März in den Genuss der
> protestantischen‘Ohne Arbeit kein Essen’-Predigten der Ex-Jusoitin. Gemeinsam mit der
> Grundeinkommensbefürworterin Katja Kipping von der Linkspartei stand die
> Schutzheilige der sozialdemokratischen Arbeitsdoktrin bei einem Interview Ausrede
> und Antwort.
> > Kipping brachte die üblichen Argumente, die für das Grundeinkommen
> sprechen: Aufhebung von Entwürdigung und Arbeitszwang durch Hartz IV,
> Honorierung allgemeinwohltätiger Leistungen auch außerhalb der Erwerbsarbeit,
> die Unhaltbarkeit der Heilslehre der Vollbeschäftigung, die Befähigung des
> Einzelnen zur gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe, die Umverteilung
> noch vorhandener Erwerbsarbeit.
> > So weit, so gut, so richtig, so unterschriftswürdig. Allerdings wirkte
> Kipping ein wenig zaghaft, trat zu lieb auf gegenüber der streiterprobten
> Matrone Nahles. Deren früherer Biss als Juso-Kampfhenne hätte Kipping in
> dieser Situation gut zu Gesicht gestanden. Angriffsfläche bot die
> Heiligsprechung der Schindermühsal reichlich.
> > Das Grundeinkommen werde es so nicht geben, weil man ein Sozialsystem
> nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung
> organisieren könne, so Nahles populistisch.
> > Doch, man kann. Die jetzige Sozialstaatsruine ist das beste Beispiel
> dafür. Sie wurde ihrerzeit eingeführt, ohne dass man alle Einkommens- und
> Berufsgruppen miteinbezog. Gutverdiener, Selbstständige undBeamten blieben
> außen vor und wurden mit Sonderregelungen bedacht. Der allgemeine
> Gerechtigkeitssinn oder ‘Sozialdemokratismus der Bevölkerung’ (Oskar
> Lafontaine) hat sich nie sonderlich an dieser Selbstgerechtigkeit gestoßen. Er ist
> bei den meisten verschüttet und es bedarf einiges an Aufklärung, ihn
> wieder freizulegen. Eine Ausgewogenheit von Geben und Nehmen, Leistung und
> Gegenleistung, wie Nahles sie anführt, besteht beim heutigen sozialen Gefälle
> weniger denn je. Was leisten Politiker, Bürokraten und Großaktionäre
> für die Gesellschaft? Warum sollen im Vergleich dazu Menschen,die praktisch
> nichts haben und so gut wie nichts bekommen, ein schlechtes Gewissen haben?
> > Stichwort Hartz IV: Nahles räumt ein, dass ‘Fordern’überwiege, das
> ‘Fördern’ sei zu kurz gekommen.Die Idee hält sie grundsätzlich für
> richtig, den Menscheneine ‘Chance’, ein ‘Recht’, eine
> ‘realistische Perspektive’ auf einen neuen Arbeitsplatz zu bieten.Schöne Vokabeln
> zur Umschreibung von 1-Euro-Jobs. Zu mehr reicht das Angebot nicht. Weil es
> nichts gibt. Das hat wiederum mit einem Phänomen namens ‘technischer
> Fortschritt’ zu tun, der menschliche Arbeitskraft zu immer größeren
> Teilen überflüssig macht. Offenkundig ist dieses Phänomen an dem Eifeldorf,
> aus dem Nahles kommt, weltanschaulich spurlos vorbeigeschritten.
> > Mit puritanischem Sendungsbewusstsein macht sich die sozialdemokratische
> Politamazone zur Fürsprecherin der hart arbeitenden Bevölkerung. Eine
> Grundeinkommen missachte diejenigen, die ‘im Schweiße ihres Angesichts
> für wenig Geld arbeiten und trotzdem Steuern zahlen’.
> > Diese Zeilen verströmen den Duft jener einprägsamen Mischung aus
> Körperausdünstungen, feuchtem Beton und Tabakqualm. Kaputtschuften soll sich
> lohnen, auch für den Staat. Damit der Michel glaubt, es täte solches,
> braucht es Überflüssige, denen es nochschlechter geht, an welchen er sich von
> ‘bild’ angestachelt moralisch abreagieren kann, in dem er sie als
> überversorgt, faulund nichtsnutzig beschimpft. So geläutert entwickelt er die
> Bereitschaft, sich für die Hauptsache Arbeit die Gesundheit zu ruinieren.
> Und wird dafür im seltensten Fall entschädigt: Nur einer von sieben
> Anträgen auf krankheitsbedingte Berufsunfähigkeit wird von den
> Berufsgenossenschaften gewährt.
> > Dieser Wahnwitz ficht die Schweiß-Fleiß-bis zum
> Verschleiß-Verfechterin Nahles nicht an. Ihre vermeintliche Kontrahentin Kipping ebensowenig.
> Letztere glaubt allen Ernstes, die öffentliche Infrastruktur stünde heute
> jedem kostenfrei zur Verfügung. Als gäbe es keine KFZ-Steuer und
> Fahrausweise für öffentliche Verkehrsmittel. Wem es gestattet ist, die
> öffentliche Infrastruktur gratis zu nutzen, sind unsere lieben Damen und Herren
> Abgeordneten. Das ist eines ihrer zahlreichen Privilegien, die sie ohne
> Wimpernzucken in Anspruch nehmen. Und dann geht die Mehrzahl dieser vom Bürger
> alimentierten Kastehin und will jenem Bürger nicht einmal die nackte Existenz
> ohne Gegenleistung gönnen. Kein Wunder, dass sie sich bei ihren
> Konferenzen inzwischen mit Heerscharen von grünen Männchen umgeben, um sichvor dem
> berechtigten Unmut eben dieses Bürgers zu schützen.
> > Wie so viele andere Grundeinkommensgegner erklärt auch die orthodoxe
> Arbeitsfetischistin Nahles das Grundeinkommen zur ‘Exklusionsprämie’,
> die einen Niedriglohnarbeitsmarkt hervorbringe und vielen nur gezahlt würde,
> damit sie vom Arbeitsmarkt verschwänden. Sie macht das Grundeinkommen im
> nachhinein für Prozesse verantwortlich, die seit Jahren, eigentlich
> Jahrzehnten, im Gange sind. Ein Niedriglohnsektor existiert längst, der
> technisch bedingte Stellenabbau lässt den Arbeitsmarkt schrumpfen. Genau auf diese
> Entwicklung will das Grundeinkommen die angemessene Antwort geben. Es ist
> deren logische Konsequenz, nicht deren Ursache.
> > Wer so wie Nahles mit ideologischen Scheuklappen dem realen Gang der
> Dinge mind. 1 Jahrhundert hinterherhinkt, kapiert natürlich nicht, wieer sich
> mit seinen Behauptungen selbst in den Podex beißt.
> > In denselben Papierkorb gehört ihr Vorwurf, das Grundeinkommen würde
> bestimmte Schichten alimentieren, die ‘Kreativen in den Großstädten’.
> Das kann ihr und ihrer öffentlich überversorgten Kaste nun gar nicht
> genehm sein. Denn aus den kreativen Ecken bläst dem Haufen der abgehobenen
> Drumherumredner noch der meiste Wind entgegen. Einschließlich des Hinweises,
> dass er selbst neben Kirchen und Konzernen immer noch das beste Beispiel
> für öffentliche Alimentierung darstellt.
> > Nahles meidet den Großstadtmoloch und geht lieber ‘von denLeuten bei
> mir im Dorf in der Eifel aus’. Da ist alles schön ruhig, die Arbeit
> hart, ehrlich und schweißtreibend. An dieser Stelle vollendet sich das
> sozialpolitische coming out des roten Engels der Restproletarier. Sie bekennt sich
> zur sündenfreien dörflichen Sicht des Weltgeschehens. Sie feiert ihr
> persönliches ‘Back tothe Roots’, die mentale Heimkehr ins
> vorindustrielle, technikferne Idyll einer vom Lärm der Ballungszentren ungestörten
> Kindheit.
> > Ihr Vater ist Maurer. Das erklärt ihre Einstellung und zeigt die
> Schwere des Falls: Sperrholz vor dem Kopf ist leicht zu entfernen. Bei Backstein
> und Mörtel wird der Abbruch zum mörderischen Knochenjob.
> > Der Blick aus der Eifel-Festung beruft Nahles zur Fürsprecherin aller
> Knochenarbeiter und Handwerktätigen. Als hätte sie mit den Sorgen und
> Nöten jener Menschen noch irgendetwas gemein. Hinter ihren Äußerungen steckt
> wohl eher die Befürchtung vor dem Davonrennen der eigenen Dienstboten,
> sollte man diesen nur den Hauch der Privilegien zubilligen, die man selbst
> genießt. Die ‘Schufter’ (Nahles) sollen lieber brav weiterschuften. Bis
> zum Umfallen oder bis zur Entlassung. Ein Schuft, der seinen Mitmenschen
> solches zumutet. Ob er aus der Eifel, aus dem Sauerland (Müntefering) oder
> geistig-seelisch-moralisch aus dem vorletzten Jahrhundert stammt.
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> > Abrissbirne
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