[Grundeinkommen-Info] Nahles und Grundeinkommen
Robert Ulmer
robert.ulmer at gmx.de
Mo Mär 19 13:36:48 CET 2007
hier eine - vielleicht etwas zu wütende - Attacke auf Andrea Nahles zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen, von der Obdachlosenzeitung Querkopf,
Gruß Robert Ulmer
Vorindustrieller Eifel-Charme
Andrea Nahles und ihr Flair für schweißtreibende Knochenarbeit
In allen Parteien diskutiert man über das bedingungslose Grundeinkommen. Die Befürworter mehren sich, doch der Gegenwind bläst stark: Am schwersten tut sich die traditionelle Schufter-Partei Deutschlands (SPD). Sie findet das Modell ungerecht gegenüber der hart arbeitenden Bevölkerung, die sie immer noch zu vertreten glaubt.
Irgendwann hat es sich ausgetobt auf der Studentenwiese. Dann beginnt der Ernst der gewählten Mandatsträgerschaft: Das Schachern um Posten, das Ausbrüten fauler Kompromisse, das fraktions-zwanghafte Folgen der Parteilinie. Profilierungssüchtige Nachwuchspolitiker gewinnen im Laufe der Zeit vielleicht gut dotierte Posten zuzüglich üppiger Versorgungsansprüche und regelmäßiger Medienauftritte. Eines gewinnen sie in der Regel dabei nicht: Profil.
Andrea Nahles kennt man noch aus ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende. Das war in den 90ern. Nahles hielt flammende Reden, die sich bevorzugt am dicken Popanz Kohl entzündeten. Heute ist die Bundestagsabgeordnete voll in ihrer Partei etabliert, geht mit Obergenosse Müntefering im roten Ford Transit auf Wahlkampftour und liest gern vor aus dem Märchenbuch der Vollbeschäftigung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle lehnt sie entschieden ab. ‘Die Erwerbsarbeit muss zentral bleiben für die Organisation unseres Sozialstaats. Das Ziel der Vollbeschäftigung dürfen wir nicht aufgeben’. Das Schiff ist bereits zur Hälfte abgesoffen, soll jedoch unter Volldampf weiterschippern. Es darf nicht untergehen, also wird es für unsinkbar erklärt. Wie viele ihrer Parteikollegen greift Nahles auf Denkmuster zurück, die aus dem Spätmittelalter stammen und ihr Verfallsdatum mind. 1 Jahrhundert überschritten haben.
Leser der taz kamen am 10. März in den Genuss der protestantischen ‘Ohne Arbeit kein Essen’-Predigten der Ex-Jusoitin. Gemeinsam mit der Grundeinkommensbefürworterin Katja Kipping von der Linkspartei stand die Schutzheilige der sozialdemokratischen Arbeitsdoktrin bei einem Interview Ausrede und Antwort.
Kipping brachte die üblichen Argumente, die für das Grundeinkommen sprechen: Aufhebung von Entwürdigung und Arbeitszwang durch Hartz IV, Honorierung allgemeinwohltätiger Leistungen auch außerhalb der Erwerbsarbeit, die Unhaltbarkeit der Heilslehre der Vollbeschäftigung, die Befähigung des Einzelnen zur gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe, die Umverteilung noch vorhandener Erwerbsarbeit.
So weit, so gut, so richtig, so unterschriftswürdig. Allerdings wirkte Kipping ein wenig zaghaft, trat zu lieb auf gegenüber der streiterprobten Matrone Nahles. Deren früherer Biss als Juso-Kampfhenne hätte Kipping in dieser Situation gut zu Gesicht gestanden. Angriffsfläche bot die Heiligsprechung der Schindermühsal reichlich.
Das Grundeinkommen werde es so nicht geben, weil man ein Sozialsystem nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung organisieren könne, so Nahles populistisch.
Doch, man kann. Die jetzige Sozialstaatsruine ist das beste Beispiel dafür. Sie wurde ihrerzeit eingeführt, ohne dass man alle Einkommens- und Berufsgruppen miteinbezog. Gutverdiener, Selbstständige und Beamten blieben außen vor und wurden mit Sonderregelungen bedacht. Der allgemeine Gerechtigkeitssinn oder ‘Sozialdemokratismus der Bevölkerung’ (Oskar Lafontaine) hat sich nie sonderlich an dieser Selbstgerechtigkeit gestoßen. Er ist bei den meisten verschüttet und es bedarf einiges an Aufklärung, ihn wieder freizulegen. Eine Ausgewogenheit von Geben und Nehmen, Leistung und Gegenleistung, wie Nahles sie anführt, besteht beim heutigen sozialen Gefälle weniger denn je. Was leisten Politiker, Bürokraten und Großaktionäre für die Gesellschaft? Warum sollen im Vergleich dazu Menschen, die praktisch nichts haben und so gut wie nichts bekommen, ein schlechtes Gewissen haben?
Stichwort Hartz IV: Nahles räumt ein, dass ‘Fordern’ überwiege, das ‘Fördern’ sei zu kurz gekommen. Die Idee hält sie grundsätzlich für richtig, den Menschen eine ‘Chance’, ein ‘Recht’, eine ‘realistische Perspektive’ auf einen neuen Arbeitsplatz zu bieten. Schöne Vokabeln zur Umschreibung von 1-Euro-Jobs. Zu mehr reicht das Angebot nicht. Weil es nichts gibt. Das hat wiederum mit einem Phänomen namens ‘technischer Fortschritt’ zu tun, der menschliche Arbeitskraft zu immer größeren Teilen überflüssig macht. Offenkundig ist dieses Phänomen an dem Eifeldorf, aus dem Nahles kommt, weltanschaulich spurlos vorbeigeschritten.
Mit puritanischem Sendungsbewusstsein macht sich die sozialdemokratische Politamazone zur Fürsprecherin der hart arbeitenden Bevölkerung. Eine Grundeinkommen missachte diejenigen, die ‘im Schweiße ihres Angesichts für wenig Geld arbeiten und trotzdem Steuern zahlen’.
Diese Zeilen verströmen den Duft jener einprägsamen Mischung aus Körperausdünstungen, feuchtem Beton und Tabakqualm. Kaputtschuften soll sich lohnen, auch für den Staat. Damit der Michel glaubt, es täte solches, braucht es Überflüssige, denen es noch schlechter geht, an welchen er sich von ‘bild’ angestachelt moralisch abreagieren kann, in dem er sie als überversorgt, faul und nichtsnutzig beschimpft. So geläutert entwickelt er die Bereitschaft, sich für die Hauptsache Arbeit die Gesundheit zu ruinieren. Und wird dafür im seltensten Fall entschädigt: Nur einer von sieben Anträgen auf krankheitsbedingte Berufsunfähigkeit wird von den Berufsgenossenschaften gewährt.
Dieser Wahnwitz ficht die Schweiß-Fleiß-bis zum Verschleiß-Verfechterin Nahles nicht an. Ihre vermeintliche Kontrahentin Kipping ebensowenig. Letztere glaubt allen Ernstes, die öffentliche Infrastruktur stünde heute jedem kostenfrei zur Verfügung. Als gäbe es keine KFZ-Steuer und Fahrausweise für öffentliche Verkehrsmittel. Wem es gestattet ist, die öffentliche Infrastruktur gratis zu nutzen, sind unsere lieben Damen und Herren Abgeordneten. Das ist eines ihrer zahlreichen Privilegien, die sie ohne Wimpernzucken in Anspruch nehmen. Und dann geht die Mehrzahl dieser vom Bürger alimentierten Kaste hin und will jenem Bürger nicht einmal die nackte Existenz ohne Gegenleistung gönnen. Kein Wunder, dass sie sich bei ihren Konferenzen inzwischen mit Heerscharen von grünen Männchen umgeben, um sich vor dem berechtigten Unmut eben dieses Bürgers zu schützen.
Wie so viele andere Grundeinkommensgegner erklärt auch die orthodoxe Arbeitsfetischistin Nahles das Grundeinkommen zur ‘Exklusionsprämie’, die einen Niedriglohnarbeitsmarkt hervorbringe und vielen nur gezahlt würde, damit sie vom Arbeitsmarkt verschwänden. Sie macht das Grundeinkommen im nachhinein für Prozesse verantwortlich, die seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten, im Gange sind. Ein Niedriglohnsektor existiert längst, der technisch bedingte Stellenabbau lässt den Arbeitsmarkt schrumpfen. Genau auf diese Entwicklung will das Grundeinkommen die angemessene Antwort geben. Es ist deren logische Konsequenz, nicht deren Ursache.
Wer so wie Nahles mit ideologischen Scheuklappen dem realen Gang der Dinge mind. 1 Jahrhundert hinterherhinkt, kapiert natürlich nicht, wie er sich mit seinen Behauptungen selbst in den Podex beißt.
In denselben Papierkorb gehört ihr Vorwurf, das Grundeinkommen würde bestimmte Schichten alimentieren, die ‘Kreativen in den Großstädten’. Das kann ihr und ihrer öffentlich überversorgten Kaste nun gar nicht genehm sein. Denn aus den kreativen Ecken bläst dem Haufen der abgehobenen Drumherumredner noch der meiste Wind entgegen. Einschließlich des Hinweises, dass er selbst neben Kirchen und Konzernen immer noch das beste Beispiel für öffentliche Alimentierung darstellt.
Nahles meidet den Großstadtmoloch und geht lieber ‘von den Leuten bei mir im Dorf in der Eifel aus’. Da ist alles schön ruhig, die Arbeit hart, ehrlich und schweißtreibend. An dieser Stelle vollendet sich das sozialpolitische coming out des roten Engels der Restproletarier. Sie bekennt sich zur sündenfreien dörflichen Sicht des Weltgeschehens. Sie feiert ihr persönliches ‘Back to the Roots’, die mentale Heimkehr ins vorindustrielle, technikferne Idyll einer vom Lärm der Ballungszentren ungestörten Kindheit.
Ihr Vater ist Maurer. Das erklärt ihre Einstellung und zeigt die Schwere des Falls: Sperrholz vor dem Kopf ist leicht zu entfernen. Bei Backstein und Mörtel wird der Abbruch zum mörderischen Knochenjob.
Der Blick aus der Eifel-Festung beruft Nahles zur Fürsprecherin aller Knochenarbeiter und Handwerktätigen. Als hätte sie mit den Sorgen und Nöten jener Menschen noch irgendetwas gemein. Hinter ihren Äußerungen steckt wohl eher die Befürchtung vor dem Davonrennen der eigenen Dienstboten, sollte man diesen nur den Hauch der Privilegien zubilligen, die man selbst genießt. Die ‘Schufter’ (Nahles) sollen lieber brav weiterschuften. Bis zum Umfallen oder bis zur Entlassung. Ein Schuft, der seinen Mitmenschen solches zumutet. Ob er aus der Eifel, aus dem Sauerland (Müntefering) oder geistig-seelisch-moralisch aus dem vorletzten Jahrhundert stammt.
Abrissbirne
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