[Grundeinkommen-Info] taz: "Hartz IV ist ohne Zukunft" (Interview mit Dieter Althaus)

Wolfgang Strengmann-Kuhn strengmann at t-online.de
Sa Okt 14 10:54:04 CEST 2006


http://www.taz.de/pt/2006/10/13/a0203.1/text

www.taz.de
"Hartz IV ist ohne Zukunft"

INTERVIEW HANNES KOCH
UND KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Althaus, die Union will den Druck auf Hartz-IV-Empfänger 
erhöhen. Weigert sich ein Arbeitsloser, eine Stelle anzunehmen, sollen ihm 
früher und härter die Leistungen gekürzt werden. Mit dem bedingungslosen 
Grundeinkommen schlagen Sie das Gegenteil vor.

Dieter Althaus: Jeder Bürger soll ein garantiertes, bedingungsloses 
Grundeinkommen von 800 Euro pro Monat erhalten. Auch ohne die 
Verpflichtung, seine Arbeitsbereitschaft nachzuweisen. Positive Anreize 
sind doch wirkungsvoller als negative. Wir haben in den vergangenen 
Jahren die Erfahrung gemacht, dass gesetzliche Veränderungen bei 
Transferleistungen immer erhebliche Belastungen verursachten. Nicht nur 
für die Betroffenen, sondern auch für diejenigen, die die Sanktionen 
durchsetzen müssen.

Hartz IV weiter zu verschärfen, halten Sie für falsch?

In der heutigen Logik ist der Ansatz folgerichtig. Wer zumutbare Arbeit 
ablehnt, muss auch mit Sanktionen rechnen. Aber welche Konsequenzen 
hat das? Man muss die Sanktionen ja auch durchsetzen. Durch die 
Kürzungen stellt sich dann für die betroffenen Menschen die Existenzfrage. 
Spätestens an diesem Punkt zeigt sich, dass wir so nicht weiterkommen. 
Hartz IV ist auf Dauer nicht zukunftsfähig. Wir brauchen einen 
Systemwechsel.g

Wenn die Betroffenen eine Arbeit annähmen, heißt es, bräuchten sie nicht 
zu darben.

Aber diese Jobs im Niedriglohnbereich sind im Moment kein wirklicher 
Anreiz. Besonders, wenn der größte Teil des Verdienstes noch mit Hartz IV 
verrechnet wird.

Sie halten das ganze System der sozialen Sicherung für falsch?

Man muss den Menschen Anreize für ihre eigene Leistung bieten. Das 
findet heute viel zu wenig statt. Der Staat muss seinen Bürgern wieder 
mehr Vertrauen entgegenbringen.

Wenn es das bedingungslose Grundeinkommen gäbe - würden sich die 
Menschen dann anders verhalten als heute?

Ich habe Vertrauen in die Menschen. Die Bürger wollen Anerkennung, auch 
in aller Regel durch Arbeit. Das Grundeinkommen oder das solidarische 
Bürgergeld, wie ich es nenne, verbindet die individuelle 
Leistungsbereitschaft mit dem Gedanken der gesellschaftlichen Solidarität.

Jeder Erwachsene soll 800 Euro erhalten und davon 200 Euro als 
Gesundheitspauschale gleich wieder abgeben. Für zusätzlichen Verdienst 
würde man 50 Prozent Steuer zahlen. Das ist kaum mehr als Hartz IV. Wo 
sehen Sie den neuen Anreiz für die eigene Leistung?

Wer heute einen Niedriglohnjob hat, verdient bei uns häufig unter Hartz-IV-
Niveau. Das wäre beim Grundeinkommen anders. 800 Euro bekommt 
jeder, und vom eigenen Zusatzverdienst kann man die Hälfte behalten. 
Dieser Ansatz ist ein deutlich größerer Anreiz, auch eine gering bezahlte 
Tätigkeit anzunehmen.

Ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger, der heute 500 Euro hinzuverdient, 
hat unter dem Strich rund 850 Euro pro Monat. In Ihrem Modell wären es 
auch nicht mehr. Warum sollen die Leute dann freiwillig anfangen zu 
arbeiten, wie Sie hoffen?

Die heutige Gesetzgebung ist kompliziert. Wie viel bekommt man heraus? 
Wie viel muss man vom Zuverdienst an den Staat abgeben? Unser Modell 
dagegen ist eine klare Sache. Sie bekommen 800 Euro und dürfen darüber 
hinaus die Hälfte Ihres Zuverdienstes behalten. Jeder kann sich überlegen, 
ob ihm das Grundeinkommen ausreicht oder ob er mehr verdienen will.

Verdienst ist moralisch stark an Arbeit geknüpft. Befürchten Sie nicht, dass 
die Union Ihr Bürgergeld als Faultierprämie abtut?

Das solidarische Bürgergeld ist mit 600 Euro nach Abzug der 
Gesundheitspauschale nicht so bemessen, dass es zur Ruhe einlädt. Wer 
die gegenwärtigen Regeln befürwortet, muss sich fragen lassen: Wo sind 
die Anreize zu eigenverantwortlichem Handeln? In guter Absicht versuchen 
wir, Menschen Jobs zu vermitteln, die oft nicht vorhanden sind. Man kann 
es auch so betrachten: Millionen ehrenamtlicher Tätigkeiten würden 
plötzlich bezahlt. Welch eine neue Wertschätzung für Arbeit, die den 
Zusammenhalt unserer Gesellschaft fördert.

Auch Gutverdiener sollen das Grundeinkommen erhalten. Ist es gerecht, 
wenn der Staat einem Professorenehepaar 800 Euro schenkt?

Das solidarische Bürgergeld stelle ich mir für Erwachsene in zwei Stufen 
vor: 800 Euro und 50 Prozent Steuern bis 1.600 Euro Verdienst, 400 Euro 
und 25 Prozent Steuern ab 1.600 Euro. Mit diesem System sind die 
Wechselfälle des Lebens geregelt. Auch ein Universitätsdozent wird 
vielleicht arbeitslos oder will eine Bildungszeit einlegen. In diesen Fällen 
stünde ihm das Grundeinkommen zur Verfügung. Das solidarische 
Bürgergeld begleitet die gesamte Biografie bis ins hohe Alter. Der Staat 
muss nicht immer danebenstehen und sich für jede neue Situation eine 
gesetzliche Regulierung ausdenken.

Sie schlagen vor, dass Gutverdiener nur 25 Prozent Einkommensteuer 
zahlen sollen, während auf kleine Einkommen 50 Prozent erhoben werden. 
Warum diese Bevorzugung der Wohlhabenden?

Das ist keine Bevorzugung, sondern ein Anreiz, mehr zu verdienen. Im 
Übrigen bleibt die soziale Symmetrie gewahrt: Bis zur 1.600-Euro-Grenze 
basiert das Bürgergeld-Modell letztlich auf einer Negativsteuer. Außerdem 
bezahlt darüber hinaus der, der mehr verdient, auch mehr Steuern. Das ist 
nun einmal so infolge der Prozentrechnung.

Verabschieden Sie sich vom Ziel der Vollbeschäftigung, das seit Gründung 
der Bundesrepublik gilt?

Ich sehe keine realistische Perspektive, Vollbeschäftigung kurz- oder 
mittelfristig zu erreichen. Teilzeitjobs und gering entlohnte Beschäftigungen 
gibt es hingegen jede Menge, auch wenn sie am Markt zurzeit nicht 
ausreichend angeboten werden. Abgesichert durch das Grundeinkommen 
würde es sich für die Menschen rechnen, auch geringer bezahlte 
Tätigkeiten verstärkt anzunehmen. Durch die Trennung von Sozialstaat und 
Arbeitsmarkt bekämen wir wieder einen dynamischen Arbeitsmarkt.

Welche Firmen würden solche neuen Stellen anbieten?

Im sozialen Bereich zum Beispiel bei der Kranken- und Altenpflege. Aber 
auch Handwerksbetriebe oder allgemein der Mittelstand haben Bedarf. 
Viele Betriebe brauchen Leute, finden aber niemanden, weil sie nur einen 
geringen Lohn zahlen können. Wenn sie mehr zahlen würden, rechnet sich 
diese Arbeit betriebswirtschaftlich nicht mehr.

Sie wollen den Niedriglohnsektor ausbauen?

Ich weiß, dass Gewerkschafter dabei graue Haare bekommen. Meine 
Erfahrung lehrt, dass in vielen mittelständischen Betrieben Arbeit nicht 
angeboten wird, weil sie nicht marktgerecht finanziert werden kann. 
Könnten wir das ändern, würden auch mehr Arbeitsplätze entstehen und 
der Staat mehr Steuereinnahmen erzielen.

In Ihrem Arbeitszimmer in der Erfurter Staatskanzlei hängt ein Kreuz. 
Beruht Ihr Vorschlag für das Grundeinkommen auf religiöser Überzeugung?

Neben dem Studium der Physik und Mathematik in der DDR habe ich mir 
die katholische Soziallehre angeeignet. Darin spielt der Gedanke eine 
große Rolle, Menschen zu unterstützen, die ihre schlechte Lage nicht selbst 
überwinden können. Maßstab und Orientierung für unser Handeln sollen 
Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit sein. Dieses Modell gewährt und 
garantiert Freiheit und ermöglicht Verantwortung für unser Gemeinwesen 
zu übernehmen. Die Gerechtigkeit verlangt von uns, Gleiches gleich zu 
behandeln, aber auch die Unterschiedlichkeit der selbst erarbeiteten 
Lebenssituation zu respektieren. So wird aus meiner Sicht Solidarität 
gelebt.

Ist es Zufall, dass die Idee des Grundeinkommens im ehemaligen 
Arbeiterparadies Ostdeutschland großen Widerhall findet?

Vielleicht fällt es aus dieser Richtung leichter zu erkennen, dass das soziale 
Sicherungssystem der alten Bundesrepublik nicht mehr zukunftsfähig ist. 
Es beruht vornehmlich auf der Erwerbsarbeit und wird über 
Lohnnebenkosten finanziert. Weil die Zahl der versicherungspflichtig 
Beschäftigten unablässig zurückgeht, übersteigen die Ausgaben die 
Einnahmen bei weitem. Dabei sind die Herausforderungen der Demografie 
noch nicht berücksichtigt.

Die Union will bald den nächsten Versuch unternehmen, das alte System 
zu reformieren. Arbeitslose sollen einen staatlichen Lohnzuschuss erhalten, 
damit sie für Firmen attraktiver werden. Ein richtiger Ansatz?

Ich stehe hinter dem Koalitionsvertrag mit der SPD. Aber ich glaube nicht, 
dass wir mit unseren Reformen die bestehenden Systeme mittel- oder gar 
langfristig erfolgreich sichern können. Sie stammen aus den 1950er-Jahren 
und passen in ihrer Grundkonstruktion nicht mehr zur heutigen offenen 
Gesellschaft mit maximaler Freiheit, fragmentarischen Lebensläufen und 
demografischen Problemen. Die Menschen brauchen viel mehr Flexibilität, 
als wir ihnen zurzeit bieten können. Deshalb ist es notwendig, einen ganz 
neuen Ansatz zu verfolgen.

Sie wollen das Sozialsystem der alten Bundesrepublik abwickeln. Ist das 
ein Grund, warum Ihre Ideen bei Union und SPD, die dieses System tragen, 
so schlecht ankommen?

Die Volksparteien versuchen mit Korrekturen, die möglichst wenig 
schmerzen, aus der Misere herauszukommen. Die Korrekturen mögen 
gelingen, aber sie werden die grundsätzlichen Probleme Deutschlands 
nicht lösen. Deshalb haben die Menschen auch immer weniger Vertrauen in 
die Politik; es wird letztlich die Handlungsfähigkeit der Politik hinterfragt. 
Dieser Vertrauensverlust schadet der Demokratie.

taz Nr. 8098 vom 13.10.2006, Seite 4, 318 Interview HANNES KOCH / 
KATHARINA KOUFEN

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