[Grundeinkommen-Info] ND: Interview mit Katja Kipping
Wolfgang Strengmann-Kuhn
strengmann at t-online.de
Sa Okt 14 10:53:58 CEST 2006
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=98634&IDC=2
14.10.06
»Der plumpe Arbeitsfetischismus ist raus«
Linkspartei-Vize Katja Kipping über Freiheitsrechte im Programm, den Staat und etwas Spott
Katja Kipping ist Vizechefin der Linkspartei und Bundestagsabgeordnete. Die 1978 geborene Dresdnerin gehörte zu den
Autorinnen des Papiers »Freiheit und Sozialismus - Let's make it real. Emanzipatorische Denkanstöße für die neue linke
Partei«. In enger Anlehnung an diesen Beitrag zur Programmdebatte findet heute in Berlin eine Konferenz unter dem Titel
»Freiheit und Sozialismus - Come Together« statt. Mit Katja Kipping sprach Tom Strohschneider.
ND: Die Emanzipatorische Linke (Ema.li) war im April eine der ersten Strömungen, die sich im neuen Linksbündnis zu Wort
gemeldet haben. Inzwischen sind weitere Netzwerke dazugekommen. Bringt das »fröhliche Fraktionieren«, wie es ein WASG-
Vorstand genannt hat, das Linksbündnis weiter?
Kipping: Einspruch. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, eine Strömung aufzumachen. Wir hatten vielmehr den
Anspruch, einen Raum zur Debatte zu eröffnen, der auch für Leute offen steht, denen vielleicht nur 60 Prozent unserer
Aussagen gefallen. Insofern sind die Denkanstöße zuallererst eine Einladung zur Diskussion. Und was kann das neue
Linksbündnis näher zusammenbringen als spannende Streitgespräche?
Im Streit um den Leitantrag aus Sachsen-Anhalt konnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass sich Wulf Gallert und Oskar
Lafontaine näher gekommen sind. Das Ganze wurde von einer Seite auch als Links-Rechts-Auseinandersetzung geführt. Wo
steht da die Ema.li?
Von dem Druck, sich einer Seite zuzuordnen, halte ich nichts. Wir stehen nicht dies oder jenseits einer imaginären Rechts-
Links-Achse. Sondern wir konzentrieren uns auf den jeweiligen Kern der Auseinandersetzungen.
Im Schlafzimmer hat der Staat nichts zu suchen
Also dann: Derzeit dreht sich die Debatte vor allem um Privatisierung, Regierungsbeteiligungen und Staatsverständnis.
Letzteres wird vereinfacht entlang der Frage mehr oder weniger Staat diskutiert. Ich persönlich stehe der Idee der progressiven
Entstaatlichung eher skeptisch gegenüber, würde mich aber auch nicht pauschal für mehr Staat aussprechen. Im Schlafzimmer
zum Beispiel hat der Staat nichts zu suchen - auch in Form von Sozialspitzeln nicht. Wenn jedoch Frauen und Kinder Opfer
häuslicher Gewalt werden, dann muss von staatlicher Seite abgesichert sein, dass sie jederzeit in Schutzhäusern eine Zuflucht
finden. Zu Privatisierungen haben wir eine klare Aussage getroffen. Wir kämpfen für den Erhalt und den Ausbau öffentlicher
Daseinsvorsorge und gegen deren fortschreitende Privatisierung. Außerdem bekennen wir uns klar zum strategischen Dreieck,
das heißt für uns, Regierungsbeteiligungen gehören zur Klaviatur des politischen Handelns.
Das bestreitet kaum jemand. Was in der Linken aber sehr unterschiedlich gesehen wird, ist: Was bringt der Platz am
Koalitionstisch den Menschen und der Partei?
Im Grunde teilen Proteste und Regierungsbeteiligungen ein ärgerliches Los: Man kann seine Forderungen fast nie zu 100
Prozent durchsetzen. Oder kennen Sie eine Demo, die ihre Ziele eins zu eins erwirken konnte? Wichtig ist, dass in
Koalitionsverhandlungen deutlich wird, wir zahlen nicht jeden Preis. Die Einführung von Studiengebühren wäre zum Beispiel ein
Preis, den wir meiner Meinung nach nicht zahlen dürfen.
Mitunter wird die Ema.li als die Joint-Fraktion verspottet - geduldet aber nicht ernst genommen. Der Umgang mit Julia Bonk in
der Fahnenstreit-Frage spricht Bände. Wie groß ist der Rückhalt für eure Positionen bei WASG und PDS?
Der Umstand, dass wir von Jürgen Elsässer als Joint-Fraktion bezeichnet wurden, hat unserem Ansehen nicht unbedingt
geschadet. Die einen verstehen solche Beschimpfungen als Kompliment. Andere wiederum meinen, dass solche Kritiker adeln.
Wie auch immer: Schmunzeln hat der Linken noch nie geschadet. Die Angriffe auf Julia Bonk sind weniger ein Ausdruck für
mangelndes Ernst-Genommen-Werden - eher im Gegenteil. Bei einigen Attacken ging es doch in Wirklichkeit um anstehende
Personalentscheidungen in Sachsen.
Ein wichtiges Projekt der Ema.li ist das Bedingungslose Grundeinkommen. In der Fraktion wird dieses BGE abgelehnt. Welche
Chancen hat die Idee noch im Bündnis?
Selbst in der Linksfraktion gibt es Grundeinkommen-Fans. Eine Mehrheit wollte die Idee allerdings nicht zur Grundlage der
Arbeit in der laufenden Legislatur machen. Insgesamt wächst aber das Interesse am BGE. Wir haben guten Grund,
zuversichtlich zu sein, dass das Grundeinkommen mehrheitsfähig wird - vielleicht schneller, als sich mancher vorstellen kann.
Der ver.di-Chefökonom Michael Schlecht nennt den Ansatz »nicht sozialistisch«, ähnlich sieht man das im gewerkschaftlich
orientierten Flügel der Fraktion.
Ich schätze Michael als engagierten Gewerkschaftler. Aber zum Glück hat er nicht die alleinige Definitionshoheit dafür, was
sozialistisch ist. In Anlehnung an Wolfgang Fritz Haug könnte man antworten: Der reformistische Kampf kann schnell zur
perspektivlosen Anpassung verkommen, wenn er seinen utopischen Horizont aus dem Auge verliert. Nahziele brauchen
Fernziele zur Orientierung.
Oskar Lafontaine hat unlängst erklärt, es nütze dem Hungernden nichts, wenn er seine Meinung frei äußern darf. Soziale
Rechte seien primär, weil sie erst demokratische Rechte ermöglichen. Im Ema.li-Papier heißt es, man soll nicht »der unsinnigen
Ideologie aufsitzen, dass das eine wichtiger sei als das andere«. Ist so ein Gegensatz in einem Programm überbrückbar?
Naja, immerhin hat sich Oskar in dem Manifest zu Grund- und Freiheitsrechten, zum Individualanspruch und zur
repressionsfreien Grundsicherung bekannt. Dass jemand, der es so lange bei der SPD ausgehalten hat, uns nun nicht gerade
auf der libertären Seite überholt, ist kaum überraschend. Diese Differenzen sollten Ansporn sein, stärker miteinander zu
diskutieren - und sich nicht über die Medien gegeneinander auszusprechen. Am Ende entscheiden die Delegierten beider
Parteitage über den Stellenwert der Freiheitsrechte. Die letzte Beratung der Landesvorsitzenden und des Parteivorstandes
machen mir Mut, dass die Freiheitsgüter eine deutliche Aufwertung erfahren.
Die Debatte um das Programm
ist noch lange nicht zu Ende
Lothar Bisky sprach auf dem Konvent in Hannover schon von schmerzhaftem Verzicht auf ein ganzes Theoriegebäude.
Die Programmdebatte ist noch nicht zu Ende. Außerdem gibt es die Möglichkeit, ausgehend von These und Antithese eine
Synthese zu finden. Dies wäre dann nicht nur ein Kompromiss, mit dem beide Seiten unzufrieden sind, sondern eine inhaltliche
Weiterentwicklung für beide. Eine Aussage wie, »Die Linke bekämpft jede Form von Zwang, sei es der zur Arbeit oder
erzwungene Erwerbslosigkeit«, wäre eine solche Weiterentwicklung. Ohne Impulse wie die emanzipatorischen Denkanstöße
sähen die Eckpunkte anders aus. Zwar wird weiterhin der Erwerbsarbeit die zentrale Rolle zugeschrieben, aber zumindest der
plumpe Arbeitsfetischismus ist aus dem Papier raus. Ebenso konnte eine Verengung allein auf die Tradition der
Arbeiterbewegung verhindert werden.
Wir finden auch Resonanz bei Leuten, die Volksmusik hören
Für gestern und heute hatte die Ema.li zum »Come Together« in Berlin eingeladen - zu Theoriedebatten, »coolen DJs«,
Lounges und Socialising. Das klingt nach Popkultur als Politikmagnet. Gibt es bei WASG und PDS, die ja nicht gerade
Jugendorganisationen sind, dafür überhaupt einen Resonanzboden?
Warum denn nicht? Es ist doch ein Vorurteil, dass Rentner und Gewerkschafter sich nicht auch mal amüsieren wollen. Und
wichtige Aussagen unseres Papiers - etwa, dass die Linke sowohl um die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel als auch
um die über das eigene Leben streiten muss - finden auch Resonanz bei Leuten, die Volksmusik bevorzugen.
Die Unterschiede zwischen sozialer und kultureller Linken sind dennoch groß. Wo es dem einen zum Beispiel um die
Anerkennung von Differenz geht, engagiert sich der andere für Gleichheit. Was heißt das für die neue Linke?
Dass sie an beide Traditionen anknüpfen muss. Die Frage lautet nicht Umverteilung oder Anerkennung. Beides muss
zusammengedacht werden. Zum Beispiel sprechen wird uns für die Umverteilung der Erwerbsarbeit durch
Arbeitszeitverkürzung aus, etwa durch die Einführung der 30-Stunden-Woche. Gleichzeitig müssen wir aber auch andere
Arbeitswirklichkeiten wie die der digitalen Bohéme anerkennen. Denen nützt eine Verringerung der Wochenarbeitszeit gar
nichts, weil allgemeine Zeitregeln in dieser Welt nicht viel gelten. Aber vielleicht wäre hier ein Sabbatjahr ein praktikabler
Ansatz.
www.emanzipatorische-linke.de
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